Erste Szene

[197] Wald.


Einige Räuber treten auf.


ERSTER RÄUBER.

Gesellen, halt; dort kommt ein Reisender.

ZWEITER RÄUBER.

Und wären's zehn, bangt nicht und macht sie nieder!


Valentin und Flink kommen.


DRITTER RÄUBER.

Steht, Herr, werft hin das, was Ihr bei Euch tragt:

Sonst setzen wir Euch hin, Euch auszuplündern.

FLINK.

Wir sind verloren, Herr! Das sind die Schufte,

Vor denen alle Reisenden sich fürchten.

VALENTIN.

Ihr Freunde –

ERSTER RÄUBER.

Das sind wir nicht, Herr; wir sind Eure Feinde.

ZWEITER RÄUBER.

Still; hört ihn an!

DRITTER RÄUBER.

Bei meinem Bart, das woll'n wir;

Er ist ein feiner Mann.

VALENTIN.

So wißt, ich habe wenig zu verlieren.

Ich bin ein Mann, den Unglück niederschlug;

Mein Reichtum sind nur diese armen Kleider:

Wenn ihr von denen mich entblößen wollt,

Nehmt ihr mir alles, meine ganze Habe.

ERSTER RÄUBER. Wohin reist Ihr?

VALENTIN. Nach Verona.

ERSTER RÄUBER. Woher kommt Ihr?

VALENTIN. Von Mailand.

DRITTER RÄUBER. Habt Ihr Euch lang' da aufgehalten?

VALENTIN.

An sechzehn Mond'; und blieb' gern länger dort,

Wenn nicht das häm'sche Glück mir widerstrebte.[197]

ERSTER RÄUBER. Seid Ihr von dort verbannt?

VALENTIN. Ich bin's.

ZWEITER RÄUBER. Für welch Vergehn?

VALENTIN.

Für etwas, das mich quält, wenn ich's erzähle:

Ich tötet' einen Mann, was sehr mich reut;

Doch schlug ich ihn im ehrlichen Gefecht,

Ohn' falschen Vorteil oder niedre Tücke.

ERSTER RÄUBER.

Ei, laßt es Euch nicht reu'n, wenn's so geschah;

Doch seid Ihr um so kleine Schuld verbannt?

VALENTIN.

Ich bin's, und war noch froh des milden Spruchs.

ERSTER RÄUBER.

Versteht Ihr Sprachen?

VALENTIN.

Ja, meinen Jugendreisen dank' ich das.

Sonst wär' es mir wohl manchmal schlimm ergangen.

DRITTER RÄUBER.

Der Bursch wär', bei der Glatz' von Robin Hoods

Dickwanst'gem Mönch, für unsre Band' ein König!

ERSTER RÄUBER.

Wir woll'n ihn haben; hört –

FLINK.

Geht unter sie;

Es ist 'ne ehrenwerte Dieberei.

VALENTIN.

Schweig', Schlingel!

ZWEITER RÄUBER.

Sagt, habt Ihr was, worauf Ihr Hoffnung setzt?

VALENTIN. Nichts als mein Glück.

DRITTER RÄUBER.

Wißt denn, ein Teil von uns sind Edelleute,

Die wildes Blut und ungezähmte Jugend

Aus der Gesellschaft Rechtlicher gestoßen.

Mich selbst hat von Verona man verbannt,

Weil ich ein Fräulein zu entführen suchte,

Die reich war und dem Herzog nah verwandt.

ZWEITER RÄUBER.

Und mich von Mantua, weil ich, wutentbrannt,

Dort einem Edelmann das Herz durchstach.

ERSTER RÄUBER.

Und mich um solch gering Versehn wie diese.

Doch nun zum Zweck – (denn unsre Fehler hört Ihr,

Damit sie unsern Räuberstand entschuld'gen):

Wir sehn, Ihr seid ein gut gebauter Mann,

Von angenehmer Bildung, und Ihr rühmt Euch[198]

Der Sprachen; solches Manns, der so vollendet,

Bedürfen wir in unsrer Profession.

ZWEITER RÄUBER.

In Wahrheit, weil Ihr ein Verbannter seid,

Deshalb, vor allem andern, fragen wir:

Gefällt's Euch, unser General zu werden?

Wollt Ihr 'ne Tugend machen aus der Not

Und mit uns hier in diesen Wäldern leben?

DRITTER RÄUBER.

Sprich, willst du unsrer Bande zugehören?

Sag ja und sei der Hauptmann von uns allen:

Wir huld'gen dir und folgen deinem Wort

Und lieben dich als unsern Herrn und König.

ERSTER RÄUBER.

Doch stirbst du, wenn du unsre Gunst verschmähst.

ZWEITER RÄUBER.

Nicht sollst du prahlen je mit unserm Antrag.

VALENTIN.

Den Antrag nehm' ich an, mit euch zu leben,

Mit dem Beding, daß ihr nicht Unbill übt

An schwachen Frau'n und armen Reisenden.

DRITTER RÄUBER.

Nein, wir verschmäh'n so ehrlos feige Taten.

Komm mit, wir bringen dich zu unsrer Schar

Und zeigen dir den Schatz, den wir gehäuft;

Und dieser, so wie wir, sind dir zu Dienst.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 197-199.
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