Zweite Szene

[257] Ebendaselbst.


Es treten auf Dumm, Holofernes und Sir Nathanael.


NATHANAEL. Eine hochwürdige Jagdlustbarkeit, in der Tat, und unternommen nach dem Zeugnis eines guten Gewissens.

HOLOFERNES. Der Hirsch war, wie Ihr wisset, sanguis, in vollem Geblüt, reif wie ein Jungherrnapfel, welcher jetzt hanget gleich einem Juwel in dem Ohre coeli, der Luft, des Firmamentes, der Feste, – und plötzlich fället gleich einem Holzapfel auf das Angesicht terrae, – des Bodens, des Grundes, des Erdreichs.

NATHANAEL. In der Tat, Meister Holofernes, Ihr wechselt anmutig mit denen Prädikaten, recht wie ein Schriftgelehrter; allein laßt mich Euch bezeugen, Herr, es war ein Bock vom ersten Geweih.

HOLOFERNES. Sir Nathanael, haud credo.

DUMM. Es war keine Hautkrähe, es war ein Spießer.

HOLOFERNES. O barbarische Intimation! und wiederum eine Art Insinuation, gleichsam in via, auf dem Wege, einer Explikation: facere gleichsam eine Replikation, oder vielmehr gleichsam ostenta re, darlegen seine Inklination: – nach seiner[257] ohngesitteten, ohngeglätteten, ohnausgefeileten, ohngestutzeten, ohngeschmücketen oder vielmehr ohnkultiviereten, oder vielmehrest ohnkonfirmiereten Weise, – wiederumb einzuschalten mein haud credo statt eines Wildes.

DUMM. Ich sage, das Wild war keine Hautkrähe, es war ein Spießer.

HOLOFERNES. Zweimal gesottene Einfalt, bis coctus! – O du monströse Ignoranz, wie mißgeschaffen erscheinst du! –

NATHANAEL. Herr, er hat nie seine Nahrung gesogen aus den Leckerbißlein, welche werden erzielet in Büchern; er hat nicht gegessen des Papiers, sozusagen, noch getrunken der Tinte; seine Sinneskraft ist nicht herangenährt; er ist nur ein Tier, nur fühlend in seinen gröbern Organen: – und solche unfruchtbare Gewächse sind vor uns hingestellt, auf daß wir sollten dankbar sein (wie wir, die da schmecken und Empfindung haben, es auch sind) für solche Gaben, welche in uns zu beßrer Frucht gedeihn:

Gleich falsch, wenn ich in Albernheit, als Narr und Geck mich blähte,

Als wenn ein solcher Hahn, wie der, gelehrt in Schulen krähte.

Ich halt's mit jenem Kirchenvater, der oft zu sagen pflegt:

Manch einer steht das Wetter aus, der nicht den Wind erträgt.

DUMM.

Ihr seid zwei Schriftgelehrte: könnt ihr das schmucke Rätsel mir lösen,

Was keine fünf Wochen jetzt alt und bei Kains Geburt schon 'nen Monat gewesen? –

HOLOFERNES. Dictynna, ehrlicher Dumb; Dictynna, ehrlicher Dumb.

DUMM. Wer ist dick und dünne?

NATHANAEL. Eine Titulatur Lunae, Phoebae, des Mondes.

HOLOFERNES.

Der Mond war 'nen Monat alt, als Adam nicht älter war,

Und keine fünf Wochen zählt' er, als jener hundert Jahr.

Die Allusion verleuret nichts bei dem Umbtausch.

DUMM.

Das ist auch wahr, mein' Seel', die Kollusion verliert nichts beim Umtausch.[258]

HOLOFERNES. Gott stärke deine Kapazität! Ich sage, die Allusion verleuret nichts bei dem Umbtausch.

DUMM. Und ich sage, die Konfusion verliert nichts beim Umtausch, denn der Mond wird nie älter, als nur einen Monat; und überdem bleib' ich dabei und sage, es war ein Spießer, den die Prinzessin schoß.

HOLOFERNES. Sir Nathanael, wollet Ihr anhören ein extemporelles Epitaphium auf den Tod des Tieres? Und zwar habe ich, um mich der Einfalt zu akkomodieren, das Tier, welches die Prinzessin schoß, einen Spießhirsch genennet.

NATHANAEL. Perge, werter Meister Holofernes, perge, dafern es Euch beliebt, alle Skurrilität abzustellen.

HOLOFERNES.

Ich werde die Alliteration in etwas vorwalten lassen, denn das zeuget von Leichtigkeit.

Straff spannt die Schöne, schnellt und schießt ein Spießtier schlank und schmächtig;

Man nannt' es Spießhirsch, denn am Spieß spießt ihn der Speisemeister.

Hierauf verspeist mit Gabeln wird's ein Gabelhirsch, so dächt' ich,

Und weil die Schützin Kronen trägt, mit Recht ein Kronhirsch heißt er.

Hell gelt die Jagd: nehmt vom Gebell zu Hirsch eins von den L len,

Sind's funfzig Hirschel: noch ein L, so tät sie hundert fällen.

NATHANAEL. Wie schmeidig bewegt er der Verse zähen Fuß!

DUMM. Was das für ein Wesen ist über seine Fersen und Fußzehen! –

HOLOFERNES. Dieses ist eine Gabe, die mir verliehen ward – simpel, simpel; ein launischer abspringender Geist, erfüllet von Gestalten, Figuren, Formen, Gegenständen, Einbildungen, Wahrnehmungen, Motionen, Revolutionen: dieselben werden gezeuget in dem Mutterleibe des Gedächtnusses, ernähret in dem Schoße der pia mater, und an das Licht geboren bei zeitigender Gelegenheit. Indessen die Gabe ist gut in solchen, bei denen sie zur rechten Scharfsinnigkeit gelanget, und ich bin dankbar für dieselbe.[259]

NATHANAEL. Sir, ich preise den Herrn für Euch, und das mögen auch meine Pfarrkinder. Denn ihre Söhne sind gut beraten bei Euch, und ihre Töchter gewiß augenscheinlich unter Euch; Ihr seid ein stattliches Membrum des gemeinen Wesens.

HOLOFERNES. Mehercle, wann ihre Söhne Ingenium besitzen, soll es ihnen nicht fehlen an Instruktion; wann ihre Töchter empfänglich sind, werd' ich's ihnen schon beibringen. Jedennoch vir sapit, qui pauca loquitur: Eine als Weib geschaffne Seele begrüßet uns.


Jacquenette und Schädel treten auf.


JACQUENETTE. Gott grüß' ihn, Herr Farr!

HOLOFERNES. Nicht etwa fur, ein Dieb, noch fer, bring' her und gib, sondern far, die Spreu im Sieb. Wessenthalben far? –

SCHÄDEL. Weil Farr bei uns einen Ochsen bedeutet, und weil des Pfarrers Haupt so voller Gelehrsamkeit steckt, wie ein Oxhoft voll Wein.

HOLOFERNES. Wie, ein Ochshaupt? – ein hübscher Funke des Witzes in einem Erdenkloße; Feuer genug für einen Kiesel, Perle genug für eine Sau. Es ist artlich, es ist hübsch.

JACQUENETTE. Lieber Herr Farr, sei er doch so gut, und les' er mir den Brief; Schädel hat ihn mir gegeben, und Don Armadill schrieb ihn mir; ich bitt' ihn drum, les' er ihn!

HOLOFERNES.

Fauste, precor gelida quando pecus omne sub umbra

Ruminat, – und so weiter. Ach, du guter alter Mantuanus!

ich kann von dir sagen, wie der Reisende von Venedig:

– Vinegia, Vinegia,

Chi no ti vede, ei non ti pregia.

Alter Mantuanus! Alter Mantuanus! Wer dich nicht verstehet, der liebet dich nicht! – Ut, re, sol la mi fa. Mit Eurem Vergunst, Herr Pfarrer, was ist der Inhalt? Oder vielmehr wie Horatius saget in sei nem – was zum Element, Verse? –

NATHANAEL. Ja, Herr, und sehr gelehrte.

HOLOFERNES. Lasset mich vernehmen eine Strophe, eine Stanza, einen Vers; lege, domine!

NATHANAEL liest.

»Macht Liebe mich verschwor'n, darf ich noch Liebe schwören?[260]

Treu' hält nur stand, gab sie der Schönheit sich zu eigen;

Meineidig an mir selbst, will ich dir treu gehören;

Was eichenfest mir schien, kannst du wie Binsen beugen!


Die Forschung lechzt im Durst, dein Auge sei mein, Bronnen,

Dort thront die Seligkeit, die uns das Buch verheißt;

Der Kenntnis Inbegriff hat, wer dich kennt, gewonnen! –

Viel kundig ist der Mund, der mit Verstand dich preist,


Stumpfsinnig, wer nicht beugt sein Knie vor deiner Schöne;

Mein größter Ruhm, daß ich so hohen Wert empfand:

Der Augen Feuerblitz, der Rede Donnertöne


Sind Wonneglanz, Musik, hast du den Zorn verbannt.

Doch göttlich, wie du bist, vergib, wenn rauhe Zungen

Des ew'gen Himmels Lob mit ird'schem Laut gesungen!«

HOLOFERNES. Ihr findet nicht die Apostrophen, und darüber verfehlt Ihr den Akzent. Lasset mich die Canzonetta überspähen; hier ist nur das Sylbenmaß observieret; allein, was da heißet die Elegantia, die Leichtigkeit zusampt dem güldenen Schlußfall des Gedichtes, – caret. Ovidius Naso, der war der Mann! – Und warumb auch Naso? warumb sonst, als weil er auswitterte der Phantasey ihre balsamischen Duftblüten? Der Erfindungskraft ihre Absprünge? – Imitari, ist nichts: das tut der Hund seinem Herrn, der Affe seinem Wärter, das aufgeputzte Kunstpferd seinem Reuter. Aber Damosella Jungfrau, ward dieses Euch zugewendet? –

JACQUENETTE. Ja, Herr, von einem Musjeh Biron, einem von den Lords der ausländischen Königin.

HOLOFERNES. Ich will einmal beäugeln die Aufschrift: »An die schneeweiße Hand des allerschönsten Fräuleins Rosaline.« – Wiederumb will ich mir ansehen den Inhalt des Briefes, umb die Bezeichnung zu finden. Das Objekt, das da schreibet, an die Person, welcher da geschrieben wird: »Eu'r Gnaden zu allem Dienst bereitwilligster

Biron.«

Sir Nathanael, dieser Biron ist einer von denen Eidgenossen des Königes, und hat allhier einen Brief gefertiget an eine Geleitsdame der fremden Monarchin, welcher akzidenteller Weise oder auf dem Wege der Progression in die Verirrung[261] geraten ist. Entschlüpfe, mein Kind; überantworte dieses Blatt in die Hand der Majestät; es mag von besonderem Moment sein. Verweile dich hier nicht mit Verbeugungen; ich überhebe dich deiner Pflicht; lebe wohl!

JACQUENETTE. Du, Schädel, komm mit! Herr, Gott grüß' ihn!

SCHÄDEL. Nimm mich mit, Mädel! Beide gehn ab.

NATHANAEL. Sir, Ihr habt dies in der Furcht Gottes getan, sehr gewissenhaft; und wie irgendein Kirchenvater sagt, –

HOLOFERNES. Sir, redet mir nicht von dem Kirchenvater, ich verargwöhne schmuckhafte Ausschmückungen. Aber umb zurückzukommen auf die Verse; gefielen sie Euch, Sir Nathanael?

NATHANAEL. Meisterlich, was die Fassung betrifft.

HOLOFERNES. Ich speise heute mittag bei dem Vater eines sicheren Zöglinges, allwo, wenn es Euch gefällig sein sollte, vor der Mahlzeit die Tafel mit einem gratias zu gratifizieren, ich kraft meines Privilegii bei denen Eltern fürbesagten Kindes oder Pfleglinges, Euer benvenuto auf mich nehmen will. Daselbst werde ich dann die Behaupt- und Erhärtung führen, wie jene Verse sehr ohngelahrt seien, und keine Würze haben von Poesey, Witz, noch Erfindung. Ich ersuche umb Eure Gesellschaft.

NATHANAEL. Und ich danke Euch: denn Gesellschaft – sagt die Schrift – ist die Glückseligkeit des Lebens.

HOLOFERNES. Ja wahrhaftiglich! Darin tut die Schrift einen höchst ohnwiderleglichen Ausspruch. Euch, Freund, lad' ich zugleich, versagt's nicht; nein! pauca verba! – Hinweg! Die Herren sind jetzt bei der Jagd; gehn wir zu unsrer Erquickung!


Sie gehn ab.[262]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 257-263.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Liebes Leid und Lust
Shakespeare's dramatische Werke, Band 8: Die beiden Veroneser. Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeare, William: Shakespeare's dramatische Werke / Die Comödie der Irrungen. - Die beiden Veroneser. - Coriolanus. Liebes Leid und Lust
Shakespeares dramatische Werke - Siebter Band: Der Widerspenstigen Zähmung, Viel Lärm um Nichts, Die Comödie der Irrungen, Achter Band: Die beiden Veroneser, Coriolanus, Liebes Leid und Lust
Shakespeare's Dramatische Werke: Einleitungen. Viel Lärmen Um Nichts. Die Comödie Der Irrungen. Die Beiden Veroneser. Coriolanus / Uebersetzt Von Dorothea Tieck. Liebes Leid Und Lust (German Edition)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon