Fünfter Aufzug

Erste Szene

[284] Ein öffentlicher Platz am Tor.


Von der einen Seite treten auf Mariane, verschleiert; Isabella und Bruder Peter; – von der andern der Herzog, Varrius, Herren vom Hofe, Angelo Escalus, Lucio, der Schließer und Bürger aus der Stadt.


HERZOG.

Seid mir willkommen, mein sehr würd'ger Vetter;

Uns freut's, zu sehn Euch, alter, treuer Freund!

ANGELO UND ESCALUS.

Beglückt sei Eurer Hoheit Wiederkehr!

HERZOG.

Euch beiden herzlichen, vielfachen Dank!

Wir haben uns erkundigt, und vernehmen

So trefflich Lob von eurer Staatsverwaltung,

Wie's öffentlichen Dank von uns erheischt,

Bis auf vollkommnern Lohn.

ANGELO.

Euch um so mehr verpflichtet!

HERZOG.

Oh! Solch Verdienst spricht laut; ich tät' ihm Unrecht,

Schlöss' ich's in meiner Brust verschwiegne Haft,

Da es verdient, mit erzner Schrift bewahrt

Unwandelbar dem Zahn der Zeit zu trotzen

Und des Vergessens Sichel. Reicht die Hand,

Zeigt Euch dem Volk, damit es so erfahre,

Wie äußre Höflichkeit gern laut verkündet

Des Busens innre Liebe. Escalus,

Kommt her; steht hier zu meiner andern Hand –


Ja, ihr seid wackre Stützen! –


Bruder Peter und Isabella treten auf.


PETER.

Nun ist es Zeit; sprecht laut und kniet vor ihm!

ISABELLA.

Gerechtigkeit, mein Fürst! Lenkt Euern Blick

Auf die gekränkte – ach! Gern sagt' ich, Jungfrau! –[284]

O edler Fürst, entehrt nicht Euer Auge,

Auf irgendeinen andern Gegenstand es wendend,

Bis Ihr vernommen die gerechte Klage

Und Recht mir zugesprochen! Recht, Recht, Recht! –

HERZOG.

Gekränkt? Worin? Von wem? Erzählt es kurz:

Hier ist Lord Angelo, der schafft Euch Recht;

Entdeckt ihm Euern Fall!

ISABELLA.

O edler Herzog,

Ihr heißt Erlösung mich beim Teufel flehn!

Hört selbst mich an; denn was ich reden muß,

Heischt Strafe gegen mich, glaubt Ihr es nicht;

Sonst schreit's um Rache. Hört! O hört mich hier! –

ANGELO.

Mein Fürst, ich sorg', es hat ihr Kopf gelitten.

Sie bat um Gnade mich für ihren Bruder,

Der starb im Lauf des Rechts.

ISABELLA.

Im Lauf des Rechts? –

ANGELO.

Und bitter wird sie nun und seltsam reden.

ISABELLA.

Höchst seltsam, doch höchst wahrhaft werd' ich reden.

Daß Angelo meineidig ist; wie seltsam!

Daß Angelo ein Mörder ist; wie seltsam!

Daß Angelo ein dieb'scher Ehebrecher,

Ein Heuchler und ein Jungfrau'nschänder ist:

Ist das nicht seltsam? Seltsam?

HERZOG.

Zehnfach seltsam!

ISABELLA.

Nicht wahrer ist's, daß Angelo er sei,

Als daß dies alles ganz so wahr, als seltsam;

Ja, zehnfach wahrer; Wahrheit bleibt ja Wahrheit,

Wie wir die Summe ziehn!

HERZOG.

Fort mit ihr! Ärmste,

In ihrem Wahnsinn spricht sie so!

ISABELLA.

Fürst, ich beschwöre dich (so wahr du glaubst,

Es sei noch andres Heil, als hier auf Erden),

Verwirf mich nicht im Wahn, ich sei gestört

Durch Tollheit! Mach' nicht zur Unmöglichkeit,

Was nur unglaublich scheint: 's ist nicht unmöglich!

Ja, der verruchtste Frevler auf der Welt

Kann streng erscheinen, fromm, verschämt, vollkommen,

Wie Angelo: so mag auch Angelo,[285]

In aller Haltung, Würde, Hoheit, Form,

Doch ein Erz-Schurke sein: glaub', wär' er wen'ger,

So wär' er nichts, mein Fürst: doch er ist mehr;

Hätt' ich mehr Namen nur für Schändlichkeit! –

HERZOG.

Bei meiner Ehre!

Ist sie verrückt, – und anders glaub' ich nicht, –


So hat ihr Unsinn seltne Form von Sinn;

So viel Zusammenhang von Wort zu Wort,

Als ich bei Tollheit nie gehört.

ISABELLA.

O Fürst,

Nicht dieses Wort! Verbanne nicht Vernunft

Als widersprechend; nein, laß deine dienen,

Wahrheit hervorzurufen, die verhüllt

Das Laster birgt, das tugendgleich erscheint.

HERZOG.

Manchem Gesunden fehlt wohl mehr Verstand. –


Was wollt'st du sagen?

ISABELLA.

Ich bin die Schwester jenes Claudio, Herr,

Der wegen Unzucht ward verdammt, zu büßen

Mit seinem Haupt; verdammt von Angelo.

Zu mir, Novize einer Schwesterschaft,

Schickte mein Bruder: ein gewisser Lucio

Kam mit der Nachricht ...

LUCIO.

Das bin ich, mit Gunst.

Ich kam, gesandt von Claudio, und bewog sie,

Ihr rührend Fürwort bei Lord Angelo

Für ihren armen Bruder zu versuchen.

ISABELLA.

Ja, dieser ist's.

HERZOG zu Lucio.

Euch hieß man nicht zu reden.

LUCIO.

Nein, gnäd'ger Herr,

Doch auch zu schweigen nicht.

HERZOG.

So tu' ich's jetzt;

Ich bitt' Euch, merkt Euch das, und habt Ihr einst

Zu sprechen für Euch selber, dann fleht zum Himmel,

Daß Ihr nicht stecken bleibt.

LUCIO.

Herr, dafür steh' ich.

HERZOG.

Steht für Euch selber! Nehmt Euch wohl in acht!

ISABELLA.

Der Herr erzählte den Beginn der Sache.

LUCIO.

Recht![286]

HERZOG.

Recht mag's sein; doch Ihr seid sehr im Unrecht

Zu sprechen vor der Zeit. – Fahrt fort!

ISABELLA.

Ich kam

Zu diesem gottlos schändlichen Regenten, ...

HERZOG.

Das sieht fast aus wie Wahnsinn!

ISABELLA.

Herr, verzeiht,

Das Wort paßt für die Sache.

HERZOG.

Kann sein! – Zur Sache denn: fahrt fort, ich bitt' Euch!

ISABELLA.

Kurz denn, – um zu verschweigen, was nicht not:

Wie ich ihm zusprach, wie ich bat und kniete,

Wie er mich abwies, was er drauf erwidert –


Denn so verging viel Zeit, – beginn' ich gleich

Den schnöden Schluß mit Schmerz und Scham zu klagen.

Nur für das Opfer meiner Keuschheit selbst

An seine lüstern ungezähmte Gier

Sprach er den Bruder frei. Nach langem Kampf

Siegt schwesterliches Mitleid über Ehre,

Und ich ergab mich ihm; doch nächsten Morgens,

Im Übermaß der Bosheit, fodert er

Des armen Bruders Haupt.

HERZOG.

Traun, höchst wahrscheinlich!

ISABELLA.

O wär' es so wahrscheinlich, als es wahr ist!

HERZOG.

Ha, töricht Ding, du weißt nicht, was du sprichst,

Oder bist zur Verleumdung angestiftet

Durch gift'gen Haß. Zuerst ist seine Tugend rein

Und fleckenlos; dann wär' es widersinnig,

Mit solcher Tyrannei den Fehl zu strafen,

In den er selber fiel. Sündigt' er also,

Dann wägt' er deinen Bruder nach sich selbst,

Und nicht vertilgt' er ihn. Nein, du bist angestiftet;

Gesteh' es frei und sag, auf wessen Rat

Du diese Klage vorbringst?

ISABELLA.

Ist dies alles?

Dann, o ihr gnadenreichen Engel droben,

Stärkt mit Geduld mich, und zu reifer Zeit

Entdeckt die Untat, die sich hier verhüllt

In höherm Schutz! Gott hüt' Euch so vor Wehe,

Wie ich gekränkt, geschmäht von hinnen gehe![287]

HERZOG.

Ich weiß, Ihr gingt wohl gern – ruft einen Häscher,

Bringt sie in Haft! Wie! Sollt' ich's ruhig ansehn,

Daß Gift und Läst'rung treffe solchen Freund,

Der uns so nah? Gewiß! Hier waltet Trug.

Wer weiß von Euerm Plan? Und daß Ihr kamt?

ISABELLA.

Einer, den ich her wünschte: Pater Ludwig.

HERZOG.

Ihr Beicht'ger wohl. – Kennt jemand diesen Ludwig?

LUCIO.

Ich kenn' ihn, Herr: in alles mengt er sich,

Mir ist er widrig; schützt' ihn nicht die Kutte, –


Um seine Reden wider Eure Hoheit,

Als Ihr entfernt, hätt' ich ihn derb gebläut.

HERZOG.

Was, Reden wider mich? Welch saubrer Mönch! –


Und hier dies arme Mädchen anzuhetzen

Auf unsern Stellvertreter! Schafft den Mönch! –

LUCIO.

Noch gestern abend sah ich ihn, mein Fürst,

Mit ihr im Kerker; 's ist ein frecher Bursch,

Ein schäbichter Gesell.

PETER.

Gott schütz' Eu'r Hoheit!

Ich war zugegen, gnäd'ger Fürst, und hörte

Eu'r fürstlich Ohr gemißbraucht. Den Regenten

Beschuldigt dieses Mädchen höchst verleumd'risch;

Der ist so frei von Sünd' und Schuld mit ihr,

Als sie mit einem, der noch nicht geboren.

HERZOG.

Nicht Mind'res glaubten wir. –


Kennt Ihr den Pater Ludwig, den sie nannte?

PETER.

Ich kenn' ihn als 'nen frommen, heil'gen Mann,

Nicht frech, noch je in Weltliches sich mengend,

Wie dieser Herr von ihm vermeldete;

Und auf mein Wort, ein Mann, der nimmermehr,

Wie er behauptet, Eure Hoheit schmähte.

LUCIO.

Mein gnäd'ger Fürst, höchst ehrlos, glaubt mir das!

PETER.

Gut, mit der Zeit rechtfertigt er sich wohl;

Doch eben jetzo liegt er krank, mein Fürst,

An heft'gem Fieber. Nur auf sein Gesuch

(Weil er erfuhr, daß eine Klage hier

Lord Angelo bedrohe,) kam ich her,

Zu zeugen, was er weiß, in seinem Namen,

Was wahr, was falsch; und was mit einem Eid[288]

Und gültigem Beweis er dartun wird,

Ruft man ihn auf. Zuerst, dies Mädchen hier –


Den würd'gen Herrn Statthalter loszusprechen

So öffentlich und tödlich angeklagt –


Will ich der Lüge zeihn vor ihren Augen,

Daß sie es selbst gestehn soll.


Isabella wird weggeführt.


HERZOG.

Wohl! Laßt hören.

Belächelt Ihr dies nicht, Lord Angelo?

Über die Eitelkeit der armen Toren! –


Reicht Sessel her! Kommt, Vetter Angelo;

Ich will nur Hörer sein, sprecht Ihr als Richter

In Eurer eignen Sache! – Ist dies die Zeugin?


Mariane tritt vor.


Sie zeig' uns ihr Gesicht und rede dann!

MARIANE.

Verzeiht, mein Fürst, nicht zeig' ich mein Gesicht,

Bis mein Gemahl befiehlt.

HERZOG.

Seid Ihr vermählt?

MARIANE.

Nein, gnäd'ger Herr.

HERZOG.

Seid Ihr ein Mädchen?

MARIANE.

Nein.

HERZOG.

So seid Ihr Witwe?

MARIANE.

Auch nicht.

HERZOG.

Nun, dann seid Ihr

Gar nichts: nicht Mädchen, Witwe nicht, noch Frau.

LUCIO. Gnädiger Herr, es wird wohl ein Schätzchen sein, denn die sind gewöhnlich weder Mädchen, Witwen, noch Frauen.

HERZOG.

Schweigt doch den Menschen! Hätt' er Ursach' nur,

Zu schwatzen für sich selbst! –

LUCIO.

Gut, gnäd'ger Herr.

MARIANE.

Ich muß gestehn, ich war niemals vermählt,

Und ich gesteh' es auch, ich bin kein Mädchen.

Ich hab' erkannt ihn, doch mein Mann erkennt nicht,

Daß er mich je erkannt.

LUCIO. So war er also betrunken, gnädiger Herr; es kann nicht anders sein.[289]

HERZOG. Ich wollt', du wärst es auch: so schwiegst du endlich.

LUCIO. Gut, mein Fürst.

HERZOG. Dies ist kein Zeugnis für Lord Angelo.

MARIANE.

Nun komm' ich drauf, mein Fürst,

Sie, die ihn anklagt um verletzte Zucht,

Dadurch zugleich verklagt sie meinen Gatten,

Und zwar erwähnt sie solcher Zeit, mein Fürst,

Wo ich bezeug', ich selbst umarmt' ihn damals

In Lieb' und Zärtlichkeit.

ANGELO.

Meint sie wen sonst, als mich?

MARIANE.

Nicht daß ich wüßte!

HERZOG.

Nicht?

Ihr sagtet, Euer Gatte? –

MARIANE.

Jawohl, mein Fürst: und das ist Angelo,

Der glaubt, daß er mich niemals hat berührt,

Und wähnt, daß Isabella ihn umarmt.

ANGELO.

Das geht zu weit! Laß dein Gesicht uns sehn!

MARIANE.

Mein Gatte fodert's, dann entschleir' ich mich.


Sie nimmt den Schleier ab.


Sieh dies Gesicht, grausamer Angelo,

Dem einst du schwurst, es sei des Anblicks wert:

Sieh diese Hand, die durch geweihten Bund

Sich fest in deine fügte: sieh mich selbst,

Die dich von Isabellen losgekauft

Und in dem Gartenhause dir begegnet,

Als wär' es jene.

HERZOG.

Kennt Ihr dieses Mädchen?

LUCIO.

Ja, fleischlich, sagt sie.

HERZOG.

Still doch, Mensch!

LUCIO.

Schon gut! –

ANGELO.

Mein Fürst, ich leugn' es nicht, ich kenne sie;

Fünf Jahre sind's, da war von Heirat wohl

Die Rede zwischen uns; doch brach ich's ab,

Teils, weil das festgesetzte Heiratsgut

Nicht dem Vertrag entsprach; teils, und zumeist,

Weil ich erfuhr, sie schade ihrem Ruf

Durch Leichtsinn. Seit der Zeit, fünf Jahre sind's,[290]

Sprach ich sie nicht, noch sah und hört' ich sie,

Bei meiner Treu' und Ehre.

MARIANE.

Hoher Herr,

Wie Licht vom Himmel kommt, vom Hauch das Wort,

Wie Sinn in Wahrheit ist, Wahrheit in Tugend:

Ich bin sein anverlobtes Weib, so fest

Ein Treugelübde bindet; ja, mein Fürst,

Erst Dienstag nacht in seinem Gartenhaus

Erkannt' er mich als Weib. Wie dies die Wahrheit,

So mög' ich ungekränkt vom Knien erstehn;

Wo nicht, – auf ewig festgebannt hier haften,

Ein marmorn Monument! –

ANGELO.

Bisher hört' ich's mit Lächeln;

Jetzt, gnäd'ger Fürst, laßt meinem Recht den Lauf;

Hier bricht mir die Geduld. Ich seh' es wohl,

Die armen Klägerinnen sind durchaus

Werkzeuge nur in eines Mächt'gen Hand,

Der sie regiert. Gebt Freiheit mir, mein Fürst,

Die Ränke zu entlarven!

HERZOG.

Ja, von Herzen;

Und straft sie nur, so wie's Euch wohlgefällt.

Einfält'ger Mönch, und du, boshaftes Weib,

Im Bund mit der, die ging: glaubst du, dein Schwur,

Und zwäng' er alle Heil'gen her vom Himmel,

Sei Zeugnis gegen solch Verdienst und Ansehn,

Das unser Zutraun stempelt? Ihr, Lord Escalus,

Setzt Euch zu meinem Vetter; steht ihm bei,

Die Quelle dieses Unfugs zu erspähn.

Noch war's ein andrer Mönch, der sie gehetzt:

Den schafft herbei!

PETER.

Ich wünscht', er wär' schon hier; denn allerdings

War er's, der diese Weiber trieb zur Klage.

Eu'r Schließer weiß den Ort, wo er verweilt,

Und kann ihn holen.

HERZOG.

Tut es ungesäumt!


Schließer ab.


Und Ihr, mein würd'ger, wohlerprobter Vetter,

Dem daran liegt, die Sache zu durchforschen,[291]

Verfahrt mit dieser Schmähung, wie Ihr mögt,

Und wählt die Strafe! Ich verlass' Euch jetzt

Auf kurze Zeit; Ihr bleibt, bis Ihr durchaus

Mit den Verleumdern alles abgetan.

ESCALUS.

Mein Fürst, es soll an uns nicht fehlen. –


Der Herzog geht ab.


Signor Lucio, sagtet Ihr nicht, Ihr kenntet jenen Pater Ludwig als einen Menschen von unehrbarem Wandel?

LUCIO. Cucullus non facit monachum: ehrbar in nichts, als in seinem Habit; und hat höchst niederträchtig von unserm Herzog gesprochen.

ESCALUS. Seid so gut und wartet hier, bis er kommt, um dies gegen ihn zu behaupten. Es wird sich ergeben, daß dieser Mönch ein schlimmer Gesell ist.

LUCIO. So sehr, als irgendeiner in Wien, auf mein Wort!

ESCALUS. Ruft besagte Isabella wieder her, ich will mit ihr reden. Erlaubt mir, gnädiger Herr, sie zu vernehmen. Ihr sollt sehen, wie ich ihr zusetzen werde.

LUCIO. Nicht besser als der, nach ihrer eigenen Aussage.

ESCALUS. Wie war das?

LUCIO. Ei, gnädiger Herr, ich meine nur, wenn Ihr insgeheim ihr zusetzt, so wird sie eher beichten; vielleicht schämt sie sich, es so vor der Welt zu tun.


Gerichtsdiener führen Isabella herein; es kommen der Herzog, als Mönch verkleidet, und der Schließer.


ESCALUS. Es liegt mir dran, recht bald alles Dunkle zu erklären.

LUCIO. Recht so, erklärt Ihr Euer Anliegen im Dunkeln.

ESCALUS. Tretet näher, junges Mädchen; hier dieses Frauenzimmer widerspricht allem, was Ihr gesagt habt.

LUCIO. Gnädiger Herr, hier kommt der Schurke, von dem ich sprach – hier, mit dem Schließer.

ESCALUS. Eben recht; redet Ihr jedoch nicht zu ihm, bis wir Euch aufrufen.

LUCIO. Mum.

ESCALUS. Näher, guter Freund! Habt Ihr diese Weiber angestiftet,[292] Lord Angelo zu verleumden? Sie haben bekannt, daß Ihr es tatet.

HERZOG.

Das ist falsch.

ESCALOS.

Was? Wißt Ihr, wo Ihr seid?

HERZOG.

Ehrfurcht vor Eurer Würde! Selbst den Teufel

Ehrt mancher wohl um seinen Flammenthron. –


Wo ist der Fürst? Ihm will ich Rede stehn.

ESCALUS.

Er ist in uns; Ihr sollt uns Rede stehn;

Gebt acht und redet ziemlich!

HERZOG.

Kühnlich gewiß. Doch ach! Ihr armen Kinder!

Kamt ihr, das Lamm beim Fuchse hier zu fodern?

Nun, gute Nacht, Ersatz! Der Herzog ging?

Dann geht auch ihr zu Grunde! Euer Herzog

Ist ungerecht, daß er von sich zurückweist

Eu'r laut gewordenes Rechtgesuch an ihn

Und in des Schurken Mund eu'r Urteil legt,

Den ihr hier angeklagt! –

LUCIO.

Dies ist der Schuft! Der ist's, von dem ich sprach.

ESCALUS.

Wie, du unheil'ger, unehrwürd'ger Mönch,

War's nicht genug, die Frau'n hier anzustiften

Wider den würd'gen Herrn? Noch jetzt mit Läst'rung, –


Ja hier, vor seinem eignen Ohre – wagst du's,

Und nennst ihn Schurke?

Und schielst von ihm sogar noch auf den Fürsten,

Und schiltst ihn ungerecht? Führt ihn hinweg! –


Fort, auf die Folter! Zerrt ihm Glied für Glied,

Bis er den Plan bekennt! Was, ungerecht! –

HERZOG.

Seid nicht so hitzig! Euer Herzog

Wagt nicht, mir nur den Finger anzurühren,

Nicht mehr, als er den eignen foltern wird.

Auch bin ich ihm nicht untertan,

Noch hier vom Sprengel. Meiner Sendung Amt

Ließ manches mich erleben hier in Wien:

Ich sah, wie hier Verderbnis dampft und siedet.

Und überschäumt: Gesetz für jede Sünde;

Doch Sünden so beschützt, daß Eure Satzung

Wie Warnungstafeln in des Baders Stube

Da steht und, was verpönt, nur wird verhöhnt.[293]

ESCALUS.

Den Staat geschmäht? Fort, bringt ihn in den Kerker!

ANGELO.

Wes könnt Ihr ihn verklagen, Signor Lucio?

Ist dies der Mann, von dem Ihr uns gesagt?

LUCIO. Derselbige, gnädiger Herr. Kommt heran, Gevatter Kahlkopf, kennt Ihr mich?

HERZOG. Ich erinnere mich Eurer, Herr, an dem Ton Eurer Stimme; ich traf Euch während des Herzogs Abwesenheit im Kerker. –

LUCIO. So? Traft Ihr mich? Und erinnert Ihr Euch noch, was Ihr vom Herzog sagtet?

HERZOG. Vollkommen, Signor.

LUCIO. Wirklich, Herr? Und läuft der Herzog den Dirnen nach? Und ist er ein Geck und eine Memme, wie Ihr von ihm sagtet?

HERZOG. Ihr müßt erst unsre Rollen tauschen, Herr, eh' Ihr mich das sagen laßt; Ihr allerdings spracht so von ihm, und viel mehr, viel schlimmer.

LUCIO. Ei, du lästerlicher Bursch, zog ich dich nicht bei der Nase, wie du so sprachst?

HERZOG. Ich versichre, daß ich den Herzog so sehr liebe, als mich selbst.

ANGELO. Hört doch, wie der Schurke jetzt abbrechen möchte, nachdem er verräterische Lästerungen ausgestoßen! –

ESCALUS. Mit solchem Kerl muß man kein Wort verlieren: fort mit ihm ins Gefängnis! Wo ist der Schließer? Fort mit ihm ins Gefängnis! – Legt ihm Eisen genug an, laßt ihn nicht weiter reden; und nun auch fort mit den leichtfertigen Dirnen und ihren andern Spießgesellen.


Der Schließer legt Hand an den Herzog.


HERZOG. Halt da! Haltet ein! –

ANGELO. Was? Er widersetzt sich? Helft ihm, Lucio!

LUCIO. Wartet nur, wartet nur, wartet nur; pfui doch! Was, Ihr kahlköpfiger, lügnerischer Schuft, Ihr müßt Euch den Kopf so vermummen? Müßt Ihr? Zeigt einmal Euer Schelmengesicht, und an den Galgen mit Euch! Zeigt Euer Strauchdiebsgesicht, und laßt Euch frisch hängen! Will die Kapuze nicht herunter?


Reißt ihm die Mönchskappe ab und erkennt den Herzog.[294]


HERZOG.

Du bist der erste Bube,

Der je 'nen Herzog machte!

Erst, Schließer, meine Bürgschaft diesen drei'n. –


– Schleicht Euch nicht weg, Freund. Denn der Mönch und Ihr

Sind noch nicht fertig; haltet mir ihn fest!

LUCIO.

Das kann noch schlimmer werden als hängen.

HERZOG zu Escalus.

Was Ihr gesagt, will ich verzeihn. Setzt Euch!


Zu Angelo.


Wir borgen diesen Platz, – mit Eurer Gunst. –


– Hast du noch Wort und Witz, hast du noch Frechheit,

Die zu Gebot dir stehn? Wenn du sie hast,

So halt' sie fest, bis ich zu End' erzählt,

Und zittre dann! –

ANGELO.

O mein furchtbarer Fürst!

Ich wäre schuld'ger wohl als meine Schuld,

Dächt' ich, ich könnt' Euch irgend noch entschlüpfen,

Da ich erkannt, wie Ihr mein Tun durchschaut,

Dem ew'gen Richter gleich. Drum, gnäd'ger Fürst,

Nicht längre Sitzung prüfe meine Schande;

Statt des Verhörs nehmt mein Geständnis an;

Unmittelbarer Spruch und schneller Tod

Ist alles, was ich flehe.

HERZOG.

Kommt, Mariane! –


Sprich, warst du je verlobt mit diesem Fräulein?

ANGELO.

Das war ich, Herr.

HERZOG.

So geh, vollzieh' die Trauung ungesäumt:

Ihr, Mönch, vermählt sie; wenn Ihr das vollbracht,

Bringt ihn zurück hieher! – Geh, folg' ihm, Schließer!


Angelo, Mariane, Peter und Schließer ab.


ESCALUS.

O Herr! Mehr noch entsetzt mich seine Schande,

Als dieses Handels Seltsamkeit!

HERZOG.

Kommt näher, Isabella:

Eu'r Mönch ist nun Eu'r Fürst. Wie ich vorhin

Als Freund mit treuem Rat mich Euch geweiht,

Nicht wechselnd Sinn mit Kleidung, bin ich noch

Gewidmet Eurem Dienst.

ISABELLA.

O Fürst, verzeiht,[295]

Daß die Vasallin mit Geschäft und Müh'n

Die unbekannte Majestät beschwert! –

HERZOG.

Euch ist verziehn.

Und nun, du Teure, sei auch mir so mild!

Des Bruders Tod, ich weiß, drückt dir das Herz,

Und staunen magst du, daß ich nur verhüllt

Gestrebt, ihn dir zu retten, nicht vielmehr

Mich rasch hervorhob aus verborgner Macht,

Statt ihn dahin zu geben. Liebreich Wesen!

Es war der schnelle Hergang seines Tods,

Der, wie ich wähnte, trägern Fußes käme,

Was meinen Plan zerstört. Doch ruh' er sanft! –


Glücksel'ger dort, der Todesfurcht entrafft,

Als hier in steter Furcht. Nimm das zum Trost:

Dies Glück ward deinem Bruder.


Angelo, Mariane, Peter und Schließer kommen zurück.


ISABELLA.

Wohl, mein Fürst.

HERZOG.

Hier diesem Neuvermählten, der uns naht,

Des üpp'ge Lüsternheit dich kränken wollte

An deiner wohlgeschirmten Her' und Tugend,

Möcht'st du verzeihn um Marianens willen –


Doch weil er deinem Bruder gab den Tod

(Er, schuldig selbst der doppelten Verletzung

Geweihter Keuschheit und gelobten Schwurs,

Mit dem er dir des Bruders Rettung bürgte), –


Ruft des Gesetzes Gnade selber nun

Vernehmlich, ja selbst aus des Schuld'gen Munde:

»Ein Angelo für Claudio, Tod für Tod:

Liebe für Liebe, bittern Haß für Haß,

Gleiches mit Gleichem zahl' ich, Maß für Maß.«

Drum, Angelo, da dein Vergehn am Tage,

So klar, daß selbst kein Leugnen Hülfe böte,

Sei nun verurteilt zu demselben Block,

Wo Claudio fiel, und zwar mit gleicher Hast.

Hinweg mit ihm!

MARIANE.

O gnadenreicher Fürst!

Ich hoff', Ihr gabt zum Spott mir nicht den Gatten?[296]

HERZOG.

Der Gatte selbst gab Euch zum Spott den Gatten.

Nur zur Beschützung Eurer Ehre hielt ich

Den Eh'bund nötig, daß kein Vorwurf je,

Weil Ihr die Seine wart, Eu'r Leben treffe

Und hemme künft'ges Glück. All seine Güter,

Obwohl nach dem Gesetz an uns verfallen,

Sind Euch als Wittum und Besitz verliehn;

Kauft damit einen bessern Mann.

MARIANE.

O Herr,

Ich wünsche keinen andern je, noch bessern.

HERZOG.

Vergeblich wünscht Ihr: wir sind fest entschlossen.

MARIANE kniet.

Huldreichster Fürst, –

HERZOG.

Umsonst ist Eure Müh'.

Fort, führt ihn hin zum Tod! –


Zu Lucio.


Nun, Herr, zu Euch!

MARIANE.

O milder Fürst! Hilf, süße Isabella!

Leih' mir dein Knie: mein ganzes Leben will ich,

All meine Zukunft deinem Dienste leihn.

HERZOG.

Ganz wider allen Sinn bedrängst du sie!

Wenn sie für diese Tat um Gnade kniete,

Zersprengte Claudios Geist sein steinern Bett

Und riß sie hin in Schrecknis.

MARIANE.

Isabella,

O Herzensfreundin, dennoch kniet nur mit,

Die Händ' erhebt, sprecht nichts, ich red' allein.

Durch Fehler, sagt man, sind die besten Menschen

Gebildet, werden meist um so viel besser,

Weil sie vorher ein wenig schlimm; so geht's

Vielleicht auch meinem Gatten. Isabella,

Willst du nicht mit mir knien?

HERZOG.

Er stirbt für Claudios Tod.

ISABELLA.

Huldreicher Fürst,

Ich fleh' Euch, schaut auf diesen Mann der Schuld,

Als lebte Claudio noch. Fast muß ich denken,

Aufricht'ge Pflicht hat all sein Tun regiert,

Bis er mich sah. Wenn es sich so verhält,

Laßt ihn nicht sterben! Claudio ward sein Recht,

Weil er den Fehl beging, für den er starb.[297]

Doch Angelo, –


Sein Tun kam nicht dem sünd'gen Vorsatz gleich,

Und muß begraben ruhn als eitler Vorsatz,

Der starb entstehend. – Gedanken sind nicht Taten;

Vorsätze nur Gedanken.

MARIANE.

Nur Gedanken! –

HERZOG.

Eu'r Flehn erweicht mich nicht; steht auf; ich will's.

Noch kommt ein neu Vergehn mir in den Sinn: –


Schließer, wie kam's, daß Claudio ward enthauptet

Zu ungewohnter Stunde?

SCHLIESSER.

Also ward mir's

Geboten.

HERZOG.

Ward Euch schriftlicher Befehl? –

SCHLIESSER.

Nein, gnäd'ger Fürst, es war ein mündlich Wort.

HERZOG.

Und dafür seid Ihr Eures Amts entsetzt: –


Gebt Eure Schlüssel ab!

SCHLIESSER.

Verzeihung, gnäd'ger Fürst:

Mir ahnt', es sei ein Fehl, doch wußt' ich's nicht,

Und als ich überlegt, hab' ich's bereut.

Des zum Beweis blieb einer im Verhaft,

Dem gleichfalls mündlich Wort den Tod erkannt,

Und den ich leben ließ.

HERZOG.

Wer?

SCHLIESSER.

Bernardino.

HERZOG.

O hätt'st du doch an Claudio das getan!

Geh', hol' ihn her, ich will ihn sehn.


Schließer geht.


ESCALUS.

Mich schmerzt,

Daß ein so weiser, so gelehrter Mann,

Als Ihr, Lord Angelo, mir stets erschient,

So gröblich fehlte – erst durch heißes Blut,

Und Mangel richt'gen Urteils hinterher.

ANGELO.

Mich schmerzt, daß ich Euch diesen Schmerz bereitet,

Und solche Reu' durchdringt mein wundes Herz,

Daß mir der Tod willkommner scheint als Gnade.

Ich hab' ihn wohl verdient und bitte drum! –


Der Schließer, Bernardino, Claudio und Julia kommen zurück.[298]


HERZOG.

Welcher ist Bernardin?

SCHLIESSER.

Der, gnäd'ger Herr.

HERZOG.

Ein Mönch erzählte mir von diesem Mann.

Hör' an! Man sagt, du seist verstockten Herzens,

Du fürchtest nichts jenseit des Irdischen,

Und dem entspricht dein Tun. Du bist verurteilt;

Doch deine Schuld auf Erden sei verziehn:

So strebe nun, daß solche Huld dich leite

Auf beßre Zukunft. Pater, unterweist ihn,

Ich lass' ihn Euch. – Wer ist der Eingehüllte?

SCHLIESSER.

Noch ein Gefangner ist's, den ich gerettet,

Der sterben sollt', als Claudio ward enthauptet,

Und fast dem Claudio gleich, als wie sich selbst.


Nimmt Claudio die Verhüllung ab.


HERZOG zu Isabella.

Wenn er ihm ähnlich sieht, – um seinethalb

Sei ihm verziehn; und Eurer Anmut halb

Gebt mir die Hand und sagt, Ihr seid die Meine:

Er ist mein Bruder dann. Doch dies für künftig.

Lord Angelo sieht also, daß er lebt;

Mir scheint, sein Aug' erglänzt in neuer Hoffnung.

Nun! Eure Sünde zahlt Euch noch so ziemlich.

Liebt ja Eu'r Weib; ihr Wert gibt Wert dem Euern. –


Ich fühle Neigung, allen zu verzeihn;

Doch jenem da, ihm kann ich nicht vergeben.

Ihr frecher Mensch, der weiß, ich sei ein Narr,

Und feig und lüderlich, ein Tor, ein Toller:

Womit, sagt an, hab' ich's um Euch verdient,

Daß Ihr mich so erhobt?

LUCIO. Meiner Treu, gnädigster Herr, ich sagte das nur so nach hergebrachter Mode; wollt Ihr mich dafür hängen lassen, so mag's geschehn; aber ich säh' es lieber, wenn Ihr geruhen wolltet, mich durchpeitschen zu lassen.

HERZOG.

Zuerst gepeitscht, Herr, dann gehängt.

Laßt es ausrufen, Schließer, durch ganz Wien:

Hat wo ein Mädchen Klag' auf diesen Burschen

(Wie er mir selber schwor, daß eine sei,

Die ihm ein Kind gebar), so melde sie's,[299]

Dann soll er sie heiraten: – nach der Hochzeit

Stäupt ihn und hängt ihn auf!

LUCIO. Ich bitt' Euer Hoheit um alles, verheiratet mich, doch nicht an eine Metze! Eu'r Hoheit sagte noch eben, ich hätte Euch zum Herzoge gemacht: liebster, gnädiger Herr, lohnt mir nun nicht damit, daß Ihr mich zum Hahnrei macht.

HERZOG.

Bei meinem Wort, heiraten sollst du sie.

Dein Schmähn vergeb' ich, und was weitres du

Verwirkt hast, gleichfalls. Führt ihn ins Gefängnis,

Und sorgt, daß mein Befehl vollzogen wird!

LUCIO. Solch einen lüderlichen Fisch heiraten, gnädiger Herr, ist erdrückt, erstickt, gepeitscht und gehängt werden.

HERZOG.

Den Fürsten schmähn, verdient's.

Claudio, die Ihr gekränkt, bringt sie zu Ehren;

Glück Euch, Mariane! Liebt sie, Angelo:

Ich war ihr Beicht'ger, ihre Tugend kenn' ich.

Dir, Escalus, sei Dank für alles Gute;

Ich bin auf bessern Glückwunsch noch bedacht.

Dank, Schließer, weil du treu und sorglich schwiegst;

Wir stellen dich auf einen würd'gern Platz.

Vergebt ihm, Angelo, daß er den Kopf

Des Ragozyn statt Claudios Euch gebracht;

Der Fehl ist keiner. – Teure Isabella,

Noch hab' ich eine Bitt', auch Euch zum Besten:

Und wollt Ihr freundliches Gehör mir leihn,

So wird das Meine Eu'r, das Eure mein.

Zum Palast dann; und hört aus meinem Munde

Von dem, was noch zu sagen bleibt, die Kunde!


Alle gehn ab.[300]

Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975.
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