[281] Ein Zimmer in Angelos Hause.
Angelo und Escalus treten auf.
ESCALUS. Jeder Brief, den er schreibt, widerspricht dem vorhergehenden.
ANGELO. Auf die ungleichste und widersinnigste Weise. Seine Handlungen erscheinen fast wie Wahnsinn; der Himmel gebe, daß sein Verstand nicht gelitten habe! Und warum ihm vor dem Tore entgegen kommen und unsre Ämter dort niederlegen? –
ESCALUS. Ich errate es nicht.
ANGELO. Und warum sollen wir eben in der Stunde seiner Ankunft ausrufen lassen, daß, wenn jemand über Unrecht zu klagen hat, er sein Gesuch auf offener Straße anbringen möge?
ESCALUS. Hierfür gibt er Gründe an: er will alle Klagen auf einmal abtun und uns für die Zukunft vor Streitigkeiten sicher stellen, die alsdann keine Kraft mehr gegen uns haben sollen.
ANGELO.
Wohl; ich ersuch' Euch, macht's der Stadt bekannt.
Auf nächsten Morgen früh hol' ich Euch ab;
Und teilt es allen mit, die Rang und Amt
Befugt, ihn einzuholen.
ESCALUS.
Das will ich, Herr; so lebt denn wohl!
ANGELO.
Gut' Nacht! –
Escalus geht ab.
Die Tat nimmt allen Halt mir, stumpft den Sinn
Und lähmt mein Handeln. – Ein entehrtes Mädchen! –[281]
Und durch den höchsten Richter, der die Strafe
Geschärft! Wenn zarte Scheu ihr nicht verwehrte,
Den jungfräulichen Raub bekannt zu machen,
Wie könnte sie mich zeichnen! Doch Vernunft
Zwingt sie zum Schweigen. Denn des Zutrauns Wucht
Folgt so gewaltig meiner Würd' und Hoheit,
Daß, wagt der Läst'rer einzeln dran zu rühren,
Er sich vernichtet. – Mocht' er leben bleiben!
Doch seiner wilden Jugend hitzig Blut
Konnt' einst in Zukunft wohl auf Rache denken,
Wenn ihm ein so entehrtes Leben ward
Erkauft durch solche Schmach. – Lebt' er doch lieber! –
Ach, wenn uns erst erlosch der Gnade Licht,
Nichts geht dann recht, wir wollen, wollen nicht! –
Geht ab.
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