Erste Szene

[380] Gower tritt auf als Vorredner.


GOWER.

Zu singen, was Vorzeit vernahm,

Vom Tode der alte Gower kam,

Nahm an menschlich Gebrechlichkeit,

Daß er Euch Aug' und Ohr erfreut;

Dies sang man wohl bei Festgelag,

Quatember und auch Feiertag,

In alten Tagen Mann und Weib

Las dieses auch zum Zeitvertreib;

Vor Hochgemüt flieht so Bekümmernus,

Et bonum quo antiquius eo melius.

Kann Euch, geboren in spätern Tagen,

Bei reiferm Witz mein Reim behagen,

Kann, was ein alter Mann mag singen,

Vergnügen, wie Ihr's wünschet, bringen,

Wünscht' ich mir Leben, daß ich's fein

Verbraucht' um Euch wie Kerzenschein. –

Antiochus, der Große, diese Stadt

Zum Hauptsitz sich erbauet hat,

Die schönst' im ganzen Syrer-Land

(Wie ich es in den Büchern fand).

Der König nahm ein Weib fürwahr,

Sie starb, ein Töchterlein gebar,

Ganz lustsam, schön und rot und weiß,

Geschmückt von Gott mit allem Fleiß.

Davon der Vater ward gerührt,

Und zur Blutschande sie verführt.

Schlimm Kind, und bös'rer Vater, eigen Blut[303]

Zu reizen, daß es also übel tut!

Gewohnheit bald sie dahin bracht,

Daß es nicht Sünde ward geacht't.

Mit Schönheit zog das sünd'ge Weib

Dahin wohl manches Fürsten Leib,

Der sie erwählt zum Bettgenoß

Und zu der Eh'lust Spielgenoß;

D'rum ließ er ein Gesetz nun walten,

Zu schrecken, sie für sich zu halten,

Daß, wer nicht, der sie gehrt zum Weib,

Sein Rätsel riet, verlör' den Leib.

Um sie manch Held gab auf sein Leben,

Wie dort die Häupter Zeugnis geben:

Was noch erfolgt, soll Euch vor Augen leben,

Die können dann am besten Zeugnis geben.


Geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 303-304,380.
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