Zweite Szene

[366] Zwei Matrosen treten auf


ERSTER MATROSE.

Wo ist Lord Helicanus? Der kann's sagen, –

Hier ist er ja. –


Helicanus kommt.


Da ist von Mitylene eine Barke,

Sie führt Lysimachus, den Statthalter,

Der gern an Bord will. Was ist Euer Wille?

HELICANUS.

Der seinige geschen'. Ruft ein'ge Herrn.

ERSTER MATROSE.

He! Meine Herrn! Es ruft der Lord.


Einige Edelleute kommen.


ERSTER EDELMANN.

Ruft Euer Gnaden?

HELICANUS.

Ihr Herrn, es will ein edler Mann an Bord hier kommen,

Ich bitte ihn mit Anstand zu begrüßen.


Lysimachus kommt mit Gefolge.

ERSTER MATROSE.

Dies ist der Mann, der kann Euch alles sagen.

LYSIMACHUS.

Ehrwürd'ger Herr, die Götter schützen Euch.

HELICANUS.

Und Euch, daß Ihr mein Alter überlebt,

Und sterbt, so wie ich wünsche.

LYSIMACHUS.

Edler Wunsch.

Am Ufer feiern wir das Fest Neptuns,

Ich sah von dort das schöne Schiff hier liegen,

Und kam zu wissen, von woher Ihr seid.

HELICANUS.

Erst, was ist Eure Würde?

LYSIMACHUS.

Statthalter dieses Orts, vor dem Ihr liegt.

HELICANUS.

Mein Herr, von Tyrus ist dies Schiff, der König drauf,

Ein Mann, der seit drei Monaten kein Wort

Mit niemand sprach, und der nur Nahrung nimmt,

Um seinen Kummer zu verlängern.

LYSIMACHUS.

Und die Verstimmung, woher schreibt sie sich?

HELICANUS.

Die Wiederholung wäre zu ermüdend,

Allein der größte Gram entspringt, weil er

Ein liebes Kind verlor und seine Gattin.

LYSIMACHUS.

Wär's möglich, ihn zu sehen?

HELICANUS.

O ja, doch hilft es Euch zu nichts, er spricht

Mit niemand.[366]

LYSIMACHUS.

Doch gewährt mir meinen Wunsch.


Helicanus hebt einen Teppich auf, Perikles sitzt in tiefer Schwermut.


HELICANUS.

So seh't ihn denn: ein schöner Mann war dies,

Bis Unglück, das die Sterblichen bedrückt,

Ihn dahin brachte.

LYSIMACHUS.

Heil! Mein König! – Heil! –

Die Götter schützen Euch! – Heil, edler Fürst! –

HELICANUS.

Es ist umsonst, er wird nicht zu Euch sprechen.

EIN LORD.

Ein Mädchen ist in Mitylen', ich wette,

Die macht' ihn reden.

LYSIMACHUS.

Der Gedank' ist gut.

Sie wird gewiß mit süßer Harmonie

Und vieler selt'nen Lieblichkeit ihn reizen,

Und Öffnung stürmen durch die festen Tore,

Die jetzt verschlossen sind.

In allem glücklich, und die Schönste aller,

Mit weiblichen Gefährten ist sie oben

Im Laubengang', der hier auf dieser Seite

Sich nach dem Meere zieht.

HELICANUS.

Wie's unnütz sei, mag man doch nichts versäumen,

Was nur wie Heilung klingt. Da Eu're Güte

So weit sich streckt, laßt Euch noch ferner bitten,

Daß wir um Gold Vorrat bekommen mögen,

Der uns nicht mangelt, weil er ausgegangen,

Doch nicht mehr frisch, uns widert.

LYSIMACHUS.

Weigerten

Wir diesen Dienst, so schickten wohl die Götter

Mit Recht in jedes Reis ein fressend Wurm,

Das Land zu strafen. – Einmal noch ersuch' ich,

Daß ich genauer mag des Königs Leid

Erfahren.

HELICANUS.

Sitz't, ich will es Euch erzählen. –

Doch seh't, man stör't uns.


Marina, mit einem Gefolge von Mädchen.


LYSIMACHUS.

Dieses ist das Mädchen,

Nach der ich sandte. Sei gegrüßt, du Schöne. –

Ist sie nicht trefflich?[367]

HELICANUS.

Lieblich anzuschau'n.

LYSIMACHUS.

Ihr Wert ist so, daß, wär' ich nur versichert,

Sie sei von edler Art und Abstammung,

Ich um sie frei't, und hoch vermählt mich dünkte. –

Was Anmut und der Schönheit Kraft vermag

Versuch' an diesem königlichen Kranken;

Wenn dein kunstreich glückseliges Gestirn

Ihn nur zu irgendeiner Antwort bringt,

Wird die geweihte Heilung dir vergolten,

Wie du nur wünschen kannst.

MARINA.

Herr, ich versuche,

Was ich nur mag, ihn wieder herzustellen,

Doch niemand muß, als ich und dieses Mädchen

Ihm nahekommen.

LYSIMACHUS.

Zieh'n wir uns zurück;

Die Götter segnen dein Bemüh'n!


Marina singt.


LYSIMACHUS.

Hört' er das Lied?

MARINA.

Nein, sah uns auch nicht an.

LYSIMACHUS.

seh't, sie will zu ihm sprechen.

MARINA.

Heil, königlicher Herr! – O hört mich an.

PERIKLES.

Hm! – Ha! –

MARINA.

Mein Fürst, ich bin ein Mädchen,

Das niemals sonst die Augen eingeladen,

Nein, ich ward angestaunt wie ein Komet;

Das spricht, mein Fürst, die wohl ein Leid erduldet hat,

Das Eu'rem gleich't, wenn man sie beide wägt.

Mein Stamm schreibt sich von solchen Ahnen her,

Die gleiches Rang's mit großen Kön'gen waren,

Doch hat die Zeit entwurzelt mein Geschlecht,

Und mich der Welt und widerwärtigem Stand

Zum Dienst verkauft. – Nein, ich will nichts mehr sagen,

Doch glüh't ein Etwas auf den Wangen mir,

Und flüstert: bis er spricht, geh' nicht von hier!

PERIKLES.

Mein Glück, – Geschlecht, – ein vornehmes Geschlecht –

Dem meinem gleich, – so war's? – Nicht wahr, so war's?


Er stößt sie heftig von sich.[368]


MARINA.

Mein Fürst, ich sagte, wär' Euch mein Geschlecht bekannt,

Ihr tätet mir nicht so Gewalt.

PERIKLES.

Mag sein, –

Sieh mich noch einmal an, – du gleichst jemand, –

Du bist ein Mädchen hier, nicht wahr, vom Fest,

Vom Schauspiel hier?

MARINA.

O nein, von keinem Schauspiel,

Zum Leid' ward ich geboren, und nichts anders,

Als was ich scheine, bin ich.

PERIKLES.

Wehschwanger bring' ich Tränen nun zur Welt. –

Mein holdes Weib war diesem Mädchen gleich,

So könnte meine Tochter jetzo sein;

Der Königin Brauen, völlig ihre Größe,

Gewachsen wie ein Rohr, die Silberstimme,

Juwel das Aug', und auch so reich gefaßt,

Juno im Gang;

Das Ohr erstirbt, wenn sie es nährt, wird hung'rig,

So mehr sie ihm der Rede gibt. – Wo lebst du?

MARINA.

Wo ich nur Fremdling bin; Ihr könnt den Ort

Wohl vom Verdecke seh'n.

PERIKLES.

Und wo erzogen?

Wie wurden diese Gaben dir, die Zier

Von dir empfangen?

MARINA.

Meine Geschichte, wollt' ich sie erzählen,

Sie schiene Lüge, die man nur verhöhnt.

PERIKLES.

Nein, sprich, von dir kann keine Falschheit kommen,

Du siehst bescheiden, wie das Recht, und scheinst

Ein Palast, wo gekrönte Wahrheit wohnt;

Dir will ich glauben,

Mein Sinn soll deinem Wort durchaus vertrau'n,

Bis zu Unmöglichkeiten, denn du gleichst

Jemand, den ich geliebt. Wem stamm'st du ab?

Du sagtest ja, als ich dich von mir stieß, –

Gleich als ich dich zuerst geseh'n, – du sei'st

Von guter Abkunft?

MARINA.

Das hab' ich gesagt.

PERIKLES.

So nenne dein Geschlecht; mir dünkt, du sagtest,

Es sei dir Schmach und Kränkung widerfahren;[369]

Du meintest, daß dein Leid wohl meinem gliche,

Wenn beide kund.

MARINA.

Ich sagte was, dem ähnlich,

Und sagte nur damit, was mein Gedanke

Mir als nicht unwahrscheinlich will verbürgen.

PERIKLES.

Erzähl' dein Leid, und wenn es, recht erwogen,

Ein Tausendteil von meinem Drangsal ist,

Bist du ein Mann, ich habe Mädchen gleich

Erlitten; ja du siehst aus, wie Geduld

Die Königsgräber anschau't, und mit Lächeln

Entwaffnet das Verzweifeln – und die Eltern?

Und wie verlor'st – wie heißt du, zart'ste Jungfrau?

Nun sag', ich bitte; komm, sitz' zu mir her.

MARINA.

Marina ist mein Nam'.

PERIKLES.

Ich werd' ein Spott –

Ein zorn'ger Gott hat dich hierher gesandt,

Daß mich die Welt verlachen soll!

MARINA.

Geduld,

Mein Fürst, sonst schließ' ich hier.

PERIKLES.

Ich bin geduldig;

Du denkst wohl nicht, wie sehr du mich erschreckt,

Daß du Marina dich genannt.

MARINA.

Der Name

Ward mir von einem Mächtigen gegeben,

Vom Vater, der ein König war.

PERIKLES.

Wie? Königstochter? Und genannt Marina?

MARINA.

Ihr habt versprochen, mir zu glauben,

Doch um nicht Eure Ruhe mehr zu stören,

Beschließ' ich hier.

PERIKLES.

Doch bist du Fleisch und Blut?

Schlägt denn dein Puls, und bist du keine Fee?

Kein Blendwerk? – Weiter: wo ward'st du geboren?

Warum Marina denn genannt?

MARINA.

Marina,

Weil ich zur See geboren ward.

PERIKLES.

Zur See?

Und wer war deine Mutter?

MARINA.

Sie war die Tochter eines Königes,[370]

Sie starb im Augenblick, als ich geboren,

Wie mir mit Tränen oft die gute Amme

Lychorida erzählt'.

PERIKLES.

Ein Weilchen still'! – Dies ist der schönste Traum,

Womit noch dummer Schlaf je trauernde Narren höhnte:

Das kann nicht die begrab'ne Tochter sein –

Sei's denn! – Wo ward'st erzogen? Ich will hören

Bis auf den Grund, dich nicht mehr unterbrechen.

MARINA.

Ihr höhnt mich, glaubt, am besten wär's zu enden.

PERIKLES.

Ich will dir ja zur letzten Silbe glauben,

Was du auch sag'st.

Nun sei so gut, wie kamst du denn hierher?

Wo wurdest du erzogen?

MARINA.

Zu Tharsus ließ der König mich, mein Vater,

Bis Cleon und sein gottvergessenes Weib

Mich morden wollten.

Zur Tat war schon ein Bösewicht gedungen,

Der zog sein Schwert bereits,

Als eine Schar Seeräuber mich erlöste,

Und mich nach Mitylene brachte. – Lieber Herr,

Was macht Ihr mit mir? Warum weint Ihr denn?

Ihr mögt mich für Betrügerin wohl achten;

Nein, wahrlich,

Ich bin das Kind des Königs Perikles,

Wenn er noch lebt, der gute Perikles.

PERIKLES.

He! Helicanus!

HELICANUS.

Ruft mein Herr?

PERIKLES.

Du bist ein ernster und ein edler Rat,

Stets weise: sage mir denn, wenn du kannst,

Wer ist dies Mädchen? Wer wohl kann sie sein,

Die so mich weinen macht?

HELICANUS.

Das weiß ich nicht,

Doch ist hier der Regent von Mitylene,

Der edel von ihr spricht.

LYSIMACHUS.

Sie wollte nie von ihrer Abkunft sagen,

Wenn man sie fragte, saß sie nur und weinte.

PERIKLES.

O Helicanus, schlag' mich, edler Freund!

Verwunde mich, mach' mir fühlbaren Schmerz,[371]

Daß nicht dies Freudenmeer, das auf mich stürzt,

Die Ufer meines Lebens überschwelle,

Und mich in Lust ertränk'. – O komm hierher,

Du, die erzeugt, der dein Erzeuger war,

Du, seegeboren, zu Tharsus begraben,

Zur See gefunden wieder? – Helicanus,

Auf deine Knie, den heil'gen Göttern danke

So laut, wie Donner schilt: – Dies ist Marina! –

Wie hieß die Mutter? Sage nur noch das –

Wahrheit kann nie genug bekräftig't sein,

Und wenn auch jeder Zweifel schläft.

MARINA.

Ich bitte, Herr, wie seid Ihr denn genannt?

PERIKLES.

Ich bin von Tyrus Perikles; nun nenne

Noch meiner meerbegrab'nen Königin Namen,

Dann, wie du warst den Göttern gleich vollkommen

In allem, bist du Erbin großer Reiche,

Und ganz ein zweiter Perikles, dein Vater.

MARINA.

Nur dieses fehlt', um Tochter Euch zu sein,

Daß ich Thaisa, meine Mutter nenne?

Thaisa hieß die Mutter, die geendet

Im Augenblick, als ich begann.

PERIKLES.

Mein Segen dir. Steh' auf, du bist mein Kind. –

Mir frisch Gewand! – Sie ist mein, Helicanus,

Sie starb zu Tharsus nicht, wie sie gesollt

Vom wilden Cleon – sie wird dir erzählen,

Dann wirst du knien, erkennend huldigen.

Sie ist die echte Erbin. – Wer ist dies?

HELICANUS.

Der Statthalter von Mitylene ist's,

Der herkam, Euch zu seh'n, da er gehört

Von Eu'rer Trauer.

PERIKLES.

Ich umarm' Euch. – Kleider

Gebt her! Ich schau' so wild. – Mein Mädchen segne,

O Himmel! – Aber horcht! Was für Musik? –

Wie, Helicanus? – Du Marina

Erzähl's ihm Punkt für Punkt, denn er scheint noch

Zu zweifeln, daß du meine Tochter sei'st. –

Wo ist denn die Musik?

HELICANUS.

Ich höre keine.[372]

PERIKLES.

Nicht? – Die Musik der Sphären. – Horch, Marina!

LYSIMACHUS.

Sagt ja: es ist nicht gut, ihm widersprechen.

PERIKLES.

Herrlicher Klang! Hört Ihr?

LYSIMACHUS.

Musik hör' ich, mein König.

PERIKLES.

Recht himmlische Musik,

Sie schläfert ein im Lauschen; Schlummer dämmernd

Hängt auf den Augen mir – nun laßt mich ruh'n.


Er schläft.


LYSIMACHUS.

Ein Kissen für sein Haupt. – Verlaßt ihn all'.

MARINA.

Wenn dies entspricht meinem Erwarten, Mädchen,

Gefährtinnen, will ich Euch wohl bedenken.


Alle ziehen sich zurück, Diana kommt, und tritt vor Perikles.


DIANA.

Mein Tempel steht in Ephesus, fahr' hin geschwind,

Auf meinem Altar bringe Opfer dort,

Und wenn die Jungfrau'npriester kommen sind,

Mußt du vor allem Volke reden,

Wie du verlorst die Gattin auf der See;

Ruf' aus, was du erlitt'st, die Tochter, jeden

Unfall erneu're, jedes Leid und Weh;

Tu' dies, sonst wirst in Elend du gezogen,

Tust du's, beglückt, bei meinem Silberbogen!

Erwach', erzähle deinen Traum.


Geht ab.


PERIKLES.

Diana, himmlische, Göttin im Silberglanz,

Dir will ich folgen. – Helicanus! –

Nach Tharsus wollt' ich, dort den Gastverletzer

Cleon zu schlagen, doch vollbring' ich erst

Andächtig Tun: drum lenkt nach Ephesus

Die vollen Segel, bald wißt Ihr den Grund. –

Erfrischen wir uns wohl auf Eu'rer Küste?

Wir zahlen Gold für solchen Vorrat, als

Wir noch bedürfen.

LYSIMACHUS.

Ja, vom ganzen Herzen,

Und wenn wir auf dem Lande sind, so hört Ihr

Auch eine Bitte meinerseits.

PERIKLES.

Sie ist gewährt, und wär's um meine Tochter,

Denn edel, scheint es, seid Ihr ihr gewesen.

LYSIMACHUS.

Gebt mir den Arm.

PERIKLES.

Komm denn, Marina, Kind.


Alle gehn ab.[373]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 366-374.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon