Fünfte Szene

[355] Cleon, Dionysa.


DIONYSA.

Wie? Bist du töricht? Wird's so ungetan?

CLEON.

O Dionysa, niemals sah'n herab

Auf solche Schlachtung Sonne noch und Mond.

DIONYSA.

Zum Kinde, denk' ich, wirst du wieder werden.

CLEON.

Ja, wär' ich Herr der ganzen weiten Welt,

Ich gäb' sie hin, es ungetan zu machen.

O sie, in Tugend größer als Geburt,

Der allerhöchsten Königskrone wert,

Sie ohnegleichen! Schurke Leonin!

Den hast du nun vergiftet auch! Das hieß' ich

Noch gut getan, wenn du ihm zugetrunken,

Das ziemte dir! Was kannst du nun wohl sagen,

Wenn Perikles nach seinem Kinde fragt?

DIONYSA.

Nun, daß sie starb. Ein Wärter ist kein Gott,

Der es ernährt und immerdar erhält.

Sie starb bei Nacht; ich sag's: wer widerspricht?

Du müßtest denn den frevlen Blödsinn spielen,

Und, ehrlich nur zu heißen, zwischenfahren;

Sie starb auf unerlaubte Art!

CLEON.

Gewiß,[355]

Von allen Sünden unterm Himmel, zürnen

Zumeist die Götter dieser.

DIONYSA.

Glaube doch,

Zaunkön'ge werden fort von Tharsus fliegen.

Und es Perikles sagen. Pfui der Schande;

Entsprossen sein so edlem Stamm, und doch

So feigen Geistes!

CLEON.

Wer solch' Tun nur billigt,

Auch wenn es schon geschehen, wenn er auch nicht

Vorher mit eingestimmt, der fließt wohl nicht

Aus edlem Quell.

DIONYSA.

So mag's denn also sein,

Doch keiner weiß, als du, wie sie gestorben,

Niemand erfährt's, da Leonin nicht lebt.

Verachtet ward mein Kind durch sie, sie stand

Im Wege ihrem Glück; wer sah sie an?

Marinen nur ging jedes Auge nach,

Der unsern war man grob, sie schien ein Mensch,

Nicht Guten Morgen wert. Das stach mein Herz;

Und nennst du gleich, was ich tat, unnatürlich,

Der du dein Kind nicht liebst, so fühl' ich doch,

Es lacht mich an als eine Tat der Liebe

Für deine einz'ge Tochter.

CLEON.

O verzeih'es, Himmel!

DIONYSA.

Und was den Perikles betrifft,

Was kann er sagen? Wir beweinten sie,

Und trauern noch; ihr Monument ist fast

Vollendet, und ihr Epitaphium sagt

Im goldnen Glanz der Schrift den Ruhm,

Der allgemein in ihr war, und unsre Liebe,

Die's kostbar ihr gesetzt.

CLEON.

Du gleichst Harpyen,

Die zum Verrat ein Engelantlitz tragen,

Und mit den Adlerklauen Beute greifen.

DIONYSA.

Du gleichst dem, der abergläubisch Göttern

Beschwört, daß Winter umgebracht die Fliegen;

Doch wirst du wohl dich meinem Rate fügen.


Sie gehn ab.[356]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 355-357.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Reigen

Reigen

Die 1897 entstandene Komödie ließ Arthur Schnitzler 1900 in einer auf 200 Exemplare begrenzten Privatauflage drucken, das öffentliche Erscheinen hielt er für vorläufig ausgeschlossen. Und in der Tat verursachte die Uraufführung, die 1920 auf Drängen von Max Reinhardt im Berliner Kleinen Schauspielhaus stattfand, den größten Theaterskandal des 20. Jahrhunderts. Es kam zu öffentlichen Krawallen und zum Prozess gegen die Schauspieler. Schnitzler untersagte weitere Aufführungen und erst nach dem Tode seines Sohnes und Erben Heinrich kam das Stück 1982 wieder auf die Bühne. Der Reigen besteht aus zehn aneinander gereihten Dialogen zwischen einer Frau und einem Mann, die jeweils mit ihrer sexuellen Vereinigung schließen. Für den nächsten Dialog wird ein Partner ausgetauscht indem die verbleibende Figur der neuen die Hand reicht. So entsteht ein Reigen durch die gesamte Gesellschaft, der sich schließt als die letzte Figur mit der ersten in Kontakt tritt.

62 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon