Dritte Szene

[324] Simonides mit Gefolge und Thaisa.


SIMONIDES.

Sind denn bereit die Ritter zum Turnier?

ERSTER LORD.

O ja, mein Fürst,

Sie warten Eurer, um sich darzustellen.

SIMONIDES.

Wir sind bereit! Es sitzt die Tochter hier,

Deren Geburt verherrlicht dies Turnier,

Der Schönheit Kind, so von Natur beglückt,

Daß sie im Anschau'n jedermann entzückt.

THAISA.

Mein Vater, so beliebt's Euch, mich zu nennen,

Doch darf ich meinen eignen Unwert kennen.

SIMONIDES.

So muß ich denken, Fürsten sind die Muster,

Die nach dem eig'nen Bild der Himmel schafft;

Den Wert verliert ein Kleinod, nicht betrachtet,

So Fürsten ihren Ruhm, wenn nicht geachtet,

Dein ist die Ehre, Tochter, zu erkennen,

Was jedes Ritters Sinnbild sagen will.

THAISA.

Das tu ich, diese Ehre mir bewahrend.


Der erste Ritter geht vorüber.


SIMONIDES.

Wer ist der erste, der sich vorgestellt?

THAISA.

Ein Held aus Sparta, mein berühmter Vater;

Das Sinnbild, das auf seinem Schilde steht:

Ein schwarzer Mohr, der nach der Sonne greift;

Das Wort: Lux tua vita mihi.[324]

SIMONIDES.

Sehr liebt dich, wer nur Leben von dir hat.


Der zweite Ritter geht vorüber.


Wer ist der zweite, der sich dargestellt?

THAISA.

Ein macedon'scher Prinz, mein hoher Vater;

Das Sinnbild, das auf seinem Schilde steht:

Besiegt von einer Dam' ein Held in Rüstung,

Auf spanisch dieses Motto: mas per dulzura che per fuerza.


Der dritte Ritter geht vorüber.


SIMONIDES.

Und wer der dritte?

THAISA.

Von Antiochien;

Sein Sinnbild ist ein Kranz der Ritterschaft;

Das Wort: me pompae provexit apex.


Der vierte Ritter geht vorüber.


SIMONIDES.

Was hat der vierte?

THAISA.

Die Fackel brennend, aber umgekehrt;

Das Wort: quod me alit, me extinguit.

SIMONIDES.

Besagt, daß Schönheit hat die dopple Macht,

Daß sie ertötet wie in Flammen facht.


Der fünfte Ritter geht vorüber.


THAISA.

Der fünfte, eine Hand umhüllt mit Wolken,

Die Gold hinhält und auf dem Probstein prüft;

Der Wahlspruch: sic spectanda fides.


Der sechste Ritter geht vorüber.


SIMONIDES.

Das sechst' und letzte, das der Ritter selbst

Dir hinhält mit so adligen Gebärden?

THAISA.

Er scheint ein Fremder, und sein Bildnis ist

Ein welker Zweig, nur an der Spitze grün,

Der Spruch: in hac spe vivo.

SIMONIDES.

Sehr schön ersonnen!

Er hofft, es soll durch dich sein Glück von neuem

Aus seinem armen Zustand auferblühn.

ERSTER LORD.

Und wohl bedarf er, daß was andres, als

Sein Äußeres zu seinem Besten spricht:[325]

Denn so verrostet scheint es, daß er wohl

Die Peitsche statt der Lanze sonst geschwungen.

ZWEITER LORD.

Er muß wohl Wunder tun, denn wunderlich

Kommt er hieher zur Feier des Turniers.

DRITTER LORD.

Er ließ den Harnisch rostig und beschmutzt,

Er weiß, im Sande wird er heut geputzt.

SIMONIDES.

Man tört sich oft, wenn man zu kennen meint

Den Mann, so wie er äußerlich erscheint.


Gefecht drinnen; großes Freudengeschrei;

alle rufen der geringe Ritter!


Doch still, die Ritter kommen, laßt uns gehn

Dort in die Galerie.


Alle gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 324-326.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon