Zweite Szene

[319] Perikles tritt auf, ganz durchnäßt.


PERIKLES.

Genug der Wut, ihr zorn'gen Himmelssterne!

Denkt, Regen, Donner, Wind, des ird'schen Menschen

Gebrechlichkeit kann euch nicht widersteh'n;

Auch meines Leibes Schwäche muß gehorchen!

Mich hat die See geworfen auf die Felsen,

Das Leben mir, nach langem Kampf, zu schenken,

Daß ich auf nichts als nahen Tod kann denken;

Genüg' es euch, ihr allgewalt'gen Mächte,

Ihr raubtet alles einem Könige;

Es soll mein Grab nicht sein in Wassersmitten,

Nun will ich nur um sanften Tod euch bitten.


Drei Fischer treten auf.[319]


ERSTER FISCHER. He! Leder-Wams!

ZWEITER FISCHER. Ja, ich komme schon mit den Netzen.

ERSTER FISCHER. Du! Flick-Hose, du!

DRITTER FISCHER. Was gibt's, Meister?

ERSTER FISCHER. Sieh', wie du trendelst! Mach fort, oder ich werde dir übers Fell kommen.

DRITTER FISCHER. Meister, ich dachte meiner Treu eben an die armen Menschen, die vor unsern Augen untergingen in diesem Augenblicke.

ERSTER FISCHER. Jawohl, die armen Leute; es ging mir durch die Seele, daß sie so kläglich schrien; wir sollten ihnen helfen; du lieber Himmel! Wir konnten uns kaum selber helfen.

DRITTER FISCHER. Meister, hab' ich's nicht voraus gesagt, als ich die Meerschweine so springen und tanzen sah? Sie sollen halb Fisch und halb Fleisch sein; hol' sie doch der Henker! Sobald sie sich sehen lassen, kann ich mich auf eine gute Wäsche gefaßt machen. – Meister, wie können doch nur die Fische in der See leben?

ERSTER FISCHER. Nun! Eben so, wie die Menschen zu Lande; die Großen fressen die Kleinen. Unsre reichen Geizhälse kann ich mit nichts so gut, als mit einem Walfische vergleichen; der spielt und bäumt, und treibt die armen kleinen Fische vor sich her, bis er sie zuletzt all' mit einem Schluck hinunterschlingt. Solche Walfische soll es auch auf dem Lande geben, die solange das Maul aufsperren, bis sie das ganze Kirchsprengel, Kirche, Glockenturm, Glocken und alles hinuntergeschluckt haben.

PERIKLES beiseit. Eine gute Anwendung.

DRITTER FISCHER. Meister, wär' ich der Küster gewesen, so hätt' ich an dem Tage im Glockenhause sein mögen.

ERSTER FISCHER. Warum?

DRITTER FISCHER. Dann hätte er mich mit verschlungen; so wie ich nun in seinem Bauche gewesen wäre, so wollte ich mit den Glocken solchen Lärm angefangen haben, daß er keine Ruhe gehabt hätte, bis er Glocken, Turm, Kirche und Sprengel wieder ausgespieen hätte. Wenn aber nur der gute König Simonides meine Gedanken hätte. –

PERIKLES beiseit. Simonides?[320]

DRITTER FISCHER. Dann wollten wir das Land schon von diesen Drohnen reinigen, die den Bienen ihren Honig stehlen.

PERIKLES.

Wie von der Art der schupp'gen Seegeschöpfe,

Sie sprechen von Gebrechlichkeit der Menschen,

So können sie mit ihren Wasserreichen

Der Menschen gut und böses Tun vergleichen.

Glücklichen Fang, ehrliche Fischersleute!

ZWEITER FISCHER. Ehrlich? Lieber Freund, was meint Ihr damit? Ist es ein Tag, den Ihr brauchen könnt, so nehmt ihn Euch nur aus dem Kalender heraus, und kein Mensch wird ihn vermissen.

PERIKLES. Auf Eure Küste warf die See mich aus. –

ZWEITER FISCHER. Welch ein betrunk'ner Schuft von See, dich hier, uns in den Weg auszuwerfen!

PERIKLES.

Ein Mann, den Stürm' und Wasserfluten hier

In diesem weiten Ballhof umgeschleudert

Zum wilden Spiel, der Euch um Mitleid bittet,

Euch fleht nun an, der niemals betteln lernte.

ERSTER FISCHER. Nicht betteln könnt Ihr, mein Freund? Es gibt ihrer hier in unserm Griechenlande, die mit Betteln mehr verdienen, als wir mit Arbeiten.

ZWEITER FISCHER. So kannst du doch wohl Fische fangen?

PERIKLES. Ich hab' es nie geübt.

ZWEITER FISCHER. Dann mußt du ohne Frage verhungern, denn hier bringt man heutzutage nichts vor sich, wenn man nicht darnach fischt.

PERIKLES.

Was ich gewesen, hab' ich schon vergessen,

Bedürfnis lehrt mich, was ich jetzo bin:

Ein Mann erstarrt, den Frost in allen Adern,

Nur kaum belebt, der Zunge so viel Wärme

Zu leih'n, um Euch um Hülfe anzusprechen,

Versagt Ihr die, laßt mich nach meinem Sterben,

Weil ich ein Mensch doch bin, ein Grab erwerben.

ERSTER FISCHER. Sterben sagt er? Das sollen die Götter verhüten! Hier hab' ich einen Mantel; komm, zieh' ihn an! Halt' dich warm. Nun, meiner Seel', ein recht hübscher Mensch! Komm, du sollst mit mir geh'n, du sollst Fleisch haben für alle Tage, Fische an den Fasttagen, und noch etwas[321] mehr, oder Pudding und Eierkuchen, und herzlich sollst du mir willkommen sein.

PERIKLES. Ich danke dir, mein Freund.

ZWEITER FISCHER. Hört doch, Freund; Ihr sagtet ja, Ihr könntet nicht betteln?

PERIKLES. Ich ersuchte Euch nur.

ZWEITER FISCHER. So! Ersuchte nur? Nun, so will ich auch ein Ersucher werden, um dem Auspeitschen zu entgehen.

PERIKLES. Werden denn alle Bettler hier ausgepeitscht?

ZWEITER FISCHER. O nein, nicht alle, Freund, nicht alle; denn wenn alle Bettler ausgepeitscht würden, so möcht' ich mir kein besseres Amt, als die Büttelstelle wünschen. Aber, Meister, ich geh' und zieh' das Netz auf.


Geht ab mit dem dritten Fischer.


PERIKLES. Wie gut anständ'ger Scherz der Arbeit ziemt.

ERSTER FISCHER. Hört doch! Wißt Ihr denn, wo Ihr seid.

PERIKLES. Nicht recht.

ERSTER FISCHER. So will ich's Euch sagen. Dies hier heißt Pentapolis, und unser König der gute König Simonides.

PERIKLES. Ihr nennt ihn den guten König Simonides?

ERSTER FISCHER. Jawohl, und er verdient auch den Namen, wegen seiner friedfertigen und guten Regierung.

PERIKLES.

Er ist beglückt, da ihn die Untertanen,

So wie er sie beherrscht, den Guten nennen.

Wie weit ist denn sein Hof von dieser Küste?

ERSTER FISCHER. Nur eine halbe Tagereise. Und hört nur, er hat eine Tochter, deren Geburtstag ist morgen, und Fürsten und Herren sind von allen Teilen der Welt zusammengekommen, um ihr zu Liebe zu tyostieren und zu turnieren.

PERIKLES.

Wär' meinem Wunsche nur mein Glück gemäß,

So möcht' ich auch dort einen Ritter machen.

ERSTER FISCHER. Ei, Lieber, jedes Ding geht wie es kann, und was ein Mann nicht zeugen kann, darum muß er auch der Frau kein gutes Wort geben.


Die beiden Fischer kommen und ziehen das Netz auf.


ZWEITER FISCHER. Helft, Meister, helft! Hier hängt ein Fisch im Netz, wie das Recht eines Armen im Prozeß; gar nicht[322] heraus zu kriegen. – Ha! Daß dich der Geier! Nun kommt's endlich, und ist eine rostige Waffenrüstung.

PERIKLES.

Ha, eine Rüstung! Bitte, zeigt sie mir.

O, Dank dir, Glück, daß, wie du mich verfolgt,

Du mir doch etwas gibst, um mir zu helfen;

Zwar war es mein, ein Teil von meinem Erbe,

Das mir mein teurer Vater hat vermacht,

Mit dieser Weisung, die er sterbend gab:

Bewahr' es, Perikles, es war ein Schirm

Mir gegen Tod (er wies auf dieses Erz).

Wie's mich erhielt, so mag es in Gefahren

(O nahten sie dir nie!) auch dich bewahren!

Stets war es wo ich war, so liebt' ich es,

Die See riß es in Wut zu sich hernieder,

Da sie besänftigt ist, gibt sie es wieder.

Dir sei gedankt! Mein Schiffbruch dünkt mir Glück,

Es kam des Vaters Erbschaft mir zurück.

ERSTER FISCHER.

Was ist Eure Meinung?

PERIKLES.

Von euch die Rüstung, Freunde, zu erbitten,

Denn sie war sonst wohl eines Königs Schirm,

Hieran erkenn' ich sie; er liebte mich,

Um seinetwillen wünsch' ich sie zu haben;

Geleitet mich zum Hofe eures Herrschers,

Hiermit kann ich als Ritter dort erscheinen;

Viel Lohn wird euch, hebt mich des Glückes Huld,

So lange bleib' ich stets in eurer Schuld.

ERSTER FISCHER.

Willst du denn für die Dame turnieren?

PERIKLES.

Ich zeige meine Kunst der Waffen dort.

ERSTER FISCHER. Nun, so nimm es, und die Götter lassen es dir gedeih'n.

ZWEITER FISCHER. Aber, hört doch, Freund, wir waren es, die den Harnisch aus den rauhen Klüften des Wassers heraufholten; es gibt doch so gewisse Trink- und Schmerzensgelder. Ich hoffe, wenn Ihr Glück habt, so erinnert Ihr Euch, von wem Ihr das da bekamt.

PERIKLES.

Das werd' ich,

Durch euch bin ich in Stahl nunmehr gekleidet,

Und allem wilden Raub der See zum Trotz[323]

Halt' ich dies Kleinod noch an meinem Arm;

Sein Wert soll mich alsbald beritten machen,

Auf einem Renner, der mit schnellen Sprüngen

Jedweden, der ihn sieht, erfreuen wird. –

Noch, Freund, bin ich verseh'n mit keinen Decken.

ERSTER FISCHER. Wir wollen dich schon damit versehen; du sollst meinen besten Mantel haben, dir welche daraus zu schneiden, und ich will dich selbst an den Hof bringen.

PERIKLES.

So sei denn, Ehre, Diener meinem Willen!

Heut steig' ich, oder muß das Maß des Unglücks füllen.


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 319-324.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon