Erste Szene

[92] Zelt des Achilles.


Es treten auf Achilles und Patroklus.


ACHILLES.

Mit griech'schem Wein durchglüh' ich heut sein Blut,

Und mit dem Schwerte kühl' ich's morgen ab.

Patroklus, laß uns weidlich mit ihm bechern!

PATROKLUS.

Hier kommt Thersites.


Thersites tritt auf.


ACHILLES.

Nun, du neid'sche Schwäre?

Du der Natur verbrannt Gebäck, was gibt's?

THERSITES. Nun, du Bildnis dessen, was du scheinst, du Abgott der Dummheit-Anbeter, hier ist ein Brief für dich.

ACHILLES. Von woher, du Brocken?

THERSITES. Nun, du volle Schüssel Narrheit, aus Troja.

PATROKLUS. Wer blieb in den Zelten?

THERSITES. Soll ich von euern Zeltern und Mäulern Rechenschaft geben, Esel?

PATROKLUS. Nicht übel, Scheelsucht; nun, was soll die Bosheit?

THERSITES. Ich bitte dich, Knabe, schweig' still; ich lerne nichts aus deinem Geschwätz. Man hält dich für Achills Mann-Buben.

PATROKLUS. Mann-Buben, du Schurke? Was soll das heißen?

THERSITES. Ei nun, seine männliche Hure. Mögen doch alle faulen Seuchen des Südwinds, Bauchgrimmen, Brüche, Flüsse, Stein- und Rückenschmerzen, Schlafsucht, Lähmung, (triefende Augen, verschleimte Lebern, pfeifende Lungen,) Eiterbeulen, Hüftweh, verkalkte Finger, unheilbarer[92] Knochenfraß und das Ehrengeschenk der schäbigtsten Krätze fallen und nochmals fallen auf so widernatürliche Entdeckungen! –

PATROKLUS. Was, du teuflische Giftbüchse du, was willst du mit all diesen Flüchen?

THERSITES. Fluch' ich dir?

PATROKLUS. Nein, du wurmstichiges Faß, du verruchter, hündischer Blendling, das nicht.

THERSITES. Nicht? Worüber ereiferst du dich denn, du lose, fasrige Seidenflocke, du grünflorner Schirm für ein böses Auge, du Quast an eines Verschwenders Geldbeutel du? Ach, wie die arme Welt verpestet wird von solchen Wasserfliegen! Solchem Wegwurf der Natur! –

PATROKLUS. Pfui über dich, Galle!

THERSITES. Finkenei! –

ACHILLES.

Liebster Patroklus, ganz durchkreuzt der Brief

Mein großes Wollen für den nächsten Morgen.

Es sendet ihn die Kön'gin Hekuba

Und ihre Tochter, meine schöne Buhlin;

Sie beide tadeln und beschwören mich,

Zu halten meinen Eid: ich brech' ihn nicht.

Fallt, Griechen, welke Ruhm, werd' Ehre Spreu:

Mein erst Gelübd' ist hier, dem bleib' ich treu.

Thersites, geh und ordne mir das Mahl,

Die Nacht durchjubeln wir beim Festpokal.

Komm, mein Patroklus!


Sie gehn ab.


THERSITES. Bei zu viel Blut und zu wenig Hirn können die beiden noch toll werden; wenn sie's aber bei zu viel Hirn und zu wenig Blut werden, so will ich selbst Narren kurieren. Da ist Agamemnon: eine gute, ehrliche Haut und Liebhaber von jungen Schnepfen; aber Gehirn hat er nicht so viel als Ohrenschmalz. Und nun vollends diese unvergleichliche noble Metamorphose des Jupiter, sein Bruder, der Stier, – dieses uranfängliche Prototyp und Musterbild der Hahnreie, – dieses gedeihliche Schuhhorn an der Kette, das an seines Bruders Schenkel hängt, – in welche andere Gestalt[93] als seine eigne könnte Bosheit mit Witz gespickt und Witz mit Bosheit gefüllt den umschaffen? In einen Esel? Das wäre nichts; er ist beides, Ochs und Esel. In einen Ochsen? Das wäre nichts; er ist beides, Esel und Ochs. Müßt' ich ein Hund sein, ein Maultier, ein Kater, ein Iltis, eine Eidechse, eine Kröte, eine Eule, ein Fischrabe oder ein Hering ohne Rogen, das sollte mir nichts machen; aber ein Menelaus sein? Da würde ich gegen das Fatum rebellieren. Fragt mich nicht, was ich sein möchte, wenn ich nicht Thersites wäre; denn mir wär's gleichviel, die Laus eines Aussätzigen zu werden, müßt' ich nur nicht Menelaus sein. – Heida! Geister und Feuer! –


Es kommen Hektor, Troilus, Ajax, Agamemnon, Ulysses, Nestor, Menelaus und Diomedes mit Fackeln.


AGAMEMNON.

Wir gehn fehl, wir gehn fehl!

AJAX.

O nein, dort ist's,

Wo Ihr die Lichter seht! –

HEKTOR.

Ich werd' Euch lästig.

AJAX.

O nicht doch! –

ULYSSES.

Seht, er kommt Euch selbst entgegen.


Achilles tritt auf.


ACHILLES.

Held Hektor und ihr, Fürsten, seid willkommen!

AGAMEMNON.

Nun, gute Nacht, mein edler Prinz von Troja;

Ajax besorgt Euch sichre Ehrenwache.

HEKTOR.

Dank und gute Nacht dem Feldherrn Griechenlands!

MENELAUS.

Gut' Nacht!

HEKTOR.

Gut' Nacht, liebwerter Menelaus! –

THERSITES. Liebwerter Abtritt! Liebwerter, – so! – Liebwerter Kloak, liebwerter Rinnstein!

ACHILLES.

Gut' Nacht und Willkomm allen, die da gehn

Und bleiben!

AGAMEMNON.

Gute Nacht!

Agamemnon und Menelaus ab.


ACHILLES.

Bleibt, Vater Nestor – Ihr auch, Diomed;

Verweilt mit Hektorn hier auf ein paar Stunden![94]

DIOMEDES.

Ich kann nicht, Prinz; mich ruft ein wichtiges

Geschäft, das dringend mahnt. Gut' Nacht, Held Hektor!

HEKTOR.

Gebt mir die Hand!

ULYSSES zu Troilus.

Er geht zu Kalchas' Zelt, folgt seiner Fackel;

Ich geb' Euch das Geleit.

TROILUS.

Viel Ehre, Herr!

HEKTOR.

Nun dann, gut' Nacht!

ACHILLES.

Kommt, tretet in mein Zelt!


Sie gehn nach verschiedenen Seiten ab.


THERSITES. Der Diomed da ist ein falscher Schurke, eine recht tückische Bestie. Ich traue ihm so wenig, wenn er von der Seite schielt, als einer Schlange, wenn sie zischt; er hat ein so weites, freigebiges Maul für Versprechungen, wie ein kläffender Hund; aber wenn er sie erfüllt, prophezeien die Sterndeuter daraus: es ist ein Wunderzeichen, das eine Umwälzung ankündigt; die Sonne borgt vom Monde, wenn Diomed Wort hält. Ich will lieber den Hektor nicht sehn, als diesem nicht nachspüren; man sagt, er hält sich eine trojanische Metze, und der Verräter Kalchas leiht ihm sein Zelt; ich will ihm nach. Nichts als Unzucht! Lauter lüderliche Spitzbuben! Geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 92-95.
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