[78] Garten.
Pandarus und Cressida treten auf.
PANDARUS.
Sei mäßig, Kind, sei mäßig!
CRESSIDA.
Was sprecht Ihr mir von Mäßigung? Der Schmerz,
Den ich empfind', ist geistig, tief, erschöpfend,
Und ganz so groß und heftig, wie die Ursach',
Die ihn erzeugt: wie kann ich ihn da mäß'gen?
Wenn meine Liebe mit sich handeln ließe,
Daß sie dem kältern, schwächern Sinn genügte,
So könnt' ich eben so den Schmerz auch kühlen;
Mein Sehnen duldet kein vermittelnd Lindern,
So großes Leid vermag nicht Trost zu mindern.
Troilus kommt.
PANDARUS. Hier, hier, hier kommt er. Ach die lieben Täubchen!
CRESSIDA. O Troilus! Troilus!
PANDARUS. Welch ein Schauspiel! Das arme Paar! Laßt mich euch auch umarmen. – O Herz – wie's im alten Liede steht –
O Herz, o volles Herz,
Was seufzest du, und brichst nicht?
Und er antwortet hernach:
Weil du nicht lindern kannst den Schmerz,
Drum wend'st du dich, und sprichst nicht.
Nie gab's einen so wahren Reim. Man muß nichts wegwerfen, denn wir können's alle erleben, solchen Vers nötig zu haben; wir sehn es, wir sehn es. Nun, meine Lämmchen? –
TROILUS.
Ich liebe dich mit solcher seltnen Reinheit,
Daß sel'ge Götter, meiner Liebe zürnend, –
Die heißer als Gebet, von kalten Lippen
Der Gottheit dargebracht, – dich mir entreißen!
CRESSIDA.
Sind Götter neidisch?
PANDARUS.
Ja, ja! Da sieht man's deutlich!
CRESSIDA.
Und ist es wahr? Muß ich von Troja scheiden?
TROILUS.
Verhaßte Wahrheit!
CRESSIDA.
Auch von Troilus?[78]
TROILUS.
Von Troja wie von Troilus!
CRESSIDA.
Unmöglich!
TROILUS.
Und augenblicks, so daß des Schicksals Hohn
Das Lebewohl zurückweist; jede Muße
Grausam versagt; arglistig unsern Lippen
Alle Vereinung wehrt; gewaltsam hemmt
Der Lieb' Umarmung und den Schwur erstickt
Im Kreißen und Geburtsschmerz unsres Atems.
Wir beide, die wir uns mit tausend Seufzern
Gewonnen, müssen ärmlich uns verkaufen
Für eines Einzgen abgebrochenen Hauch.
Der rohe Augenblick, mit Diebes Hast,
Zwängt ein den reichen Raub fast unbesehn.
So manch Lebwohl als Stern' am Himmel, jedes
Mit eignem Kuß und Abschiedswort besiegelt,
Huscht er zusammen in ein kalt Ade
Und speist uns ab mit einem dürft'gen Kuß,
Verbittert mit dem Salz verhalt'ner Tränen.
ÄNEAS draußen.
Prinz, ist das Fräulein nun bereit?
TROILUS.
Sie rufen dich! So ruft der Todesengel
Sein »Komm!« dem Mann, der plötzlich sterben soll. –
Heißt jene warten, sie wird gleich erscheinen.
PANDARUS. Wo sind meine Tränen? Regnet, damit dieser Sturm sich lege, sonst reißt es mein Herz mit allen Wurzeln aus.
Pandarus geht.
CRESSIDA.
So muß ich zu den Griechen?
TROILUS.
's ist kein Mittel!
CRESSIDA.
Ein trauernd Mädchen bei den lust'gen Griechen?
Wann werden wir uns wiedersehn?
TROILUS.
Hör' mich, Geliebte, bleibe du nur treu –
CRESSIDA.
Ich treu? Wie das? Welch schmählicher Verdacht!
TROILUS.
Nein, laß uns freundlich schlichten diesen Streit,
Er scheidet gleich von uns.
Ich sage nicht aus Argwohn: Sei mir treu,
Denn selbst dem Tod werf' ich den Handschuh hin,
Daß ohne Fleck und Makel sei dein Herz;
Dies »Sei mir treu« war nur, um einzuleiten[79]
Die folgende Beteu'rung: Sei mir treu,
Und bald seh' ich dich wieder.
CRESSIDA.
O dann, mein Prinz, wagt Ihr Euch in Gefahren,
Zahllos und furchtbar. Doch ich bleib' Euch treu!
TROILUS.
Dann lockt Gefahr mich. Tragt die Ärmelkrause!
CRESSIDA.
Und Ihr den Handschuh. Wann seh' ich Euch wieder?
TROILUS.
Erkaufen werd' ich mir die griech'schen Wachen
Und dann dich nachts besuchen. Doch sei treu!
CRESSIDA.
O Himmel! Wieder dies: Sei treu!
TROILUS.
Hör' an,
Geliebteste, weshalb ich dir's gesagt.
Die griech'schen Jünglinge sind reich begabt;
Ihr Lieben schmücken sie mit Körperschönheit,
Und Kunst und List vollenden ihren Reiz.
Wie Neuheit rühren mag und Wohlgestalt,
Ach! Läßt mich eine fromme Eifersucht
(Ich bitt' dich, nenn' es tugendhafte Sünde)
Zu sehr befürchten.
CRESSIDA.
Oh, Ihr liebt mich nimmer! –
TROILUS.
Dann mag ich sterben als ein Bösewicht!
Nicht deine Treu' und Liebe macht mich zweifeln
So sehr, als mein Verdienst. Ich kann nicht dichten,
Nicht springen wie ein Tänzer, künstlich kosen,
Noch feine Spiele spielen: lauter Gaben,
Worin die Griechen meisterlich gewandt;
Allein ich weiß, in jeder dieser Zierden
Lauert ein list'ger, stummberedter Teufel,
Der schlau versucht. O laß dich nicht versuchen! –
CRESSIDA.
Glaubst du, ich werd' es?
TROILUS.
Nein!
Doch oft geschieht uns, was wir nicht gewollt,
Und oftmals sind wir unsre eignen Teufel,
Wenn wir des Willens Schwäche selbst versuchen,
Zu stolz auf unsre wandelbare Kraft.
ÄNEAS draußen.
Nun, werter Prinz –
TROILUS.
Noch einen Kuß zum Abschied!
PARIS draußen.
Auf, Bruder Troilus![80]
TROILUS.
Paris, komm herein,
Und bring' Äneas mit und Diomedes!
CRESSIDA.
Ihr bleibt doch treu, mein Prinz?
TROILUS.
Wer, ich? Das ist mein Fehl ja, meine Schwäche!
Wenn andre listig Gunst und Ehre fischen,
Fang' ich mit echter Treu' mir schlichte Einfalt;
Wenn mancher schlau sein Kupferblech vergoldet,
Trag' ich es schlicht und ehrlich ungeschmückt.
Sorg' nicht um meine Treu'; denn all mein Sinnen
Ist ehrlich, treu: mehr will ich nicht gewinnen.
Äneas, Paris und Diomedes treten auf.
Willkommen, Diomed! Hier ist die Dame,
Die für Antenor wir euch überliefern.
Am Tor, Herr, geb' ich sie in deine Hand
Und schildre unterwegs dir, was sie ist.
Begegn' ihr gut, und dann, beim Himmel, Grieche,
Fällst du jemals in meines Schwerts Gewalt
Und nennst mir Cressida, dann bleibst du sicher,
Wie Priamus in Ilium.
DIOMEDES.
Schöne Dame,
Ihr spart den Dank mir, den der Prinz erwartet.
Eu'r glänzend Aug', der Himmel dieser Wangen,
Heischt wackern Dienst; und Diomedes nennt
Euch seine Herrin, ist Euch ganz gewidmet.
TROILUS.
Grieche, nicht höflich gegen mich verfährst du,
Das Siegel meiner Bitte nicht zu achten
Durch solchen Preis. Ich sag' dir, griech'scher Fürst,
Sie überstrahlt so hoch dein Lob, als du
Unwürdig bist, dich ihrem Dienst zu weihn.
Ich heiß' dir, halt' sie gut, weil ich's dir heiße:
Denn, beim furchtbaren Pluto, tust du's nicht,
Wär' auch dein Schutz Achilles' ries'ge Wucht,
Du hast gelebt.
DIOMEDES.
O nicht so hitzig, Prinz!
Laßt mir das Vorrecht meiner Sendung, daß
Ich frei hier sprechen darf. Bin ich erst fort,
Dann folg' ich meiner Willkür; und vernimm,[81]
Ich tu' nichts auf Geheiß: nach ihrem Wert
Wird sie geschätzt; doch sprichst du: So soll's sein,
Werd' ich nach Mut und Her' erwidern: Nein!
TROILUS.
So komm zum Tor! – Und wisse, Diomed,
Daß, wer hier trotzt, dereinst um Gnade fleht.
Gebt, Fräulein, mir die Hand, und mag im Wandeln
Ein leises Wort des Herzens Wunsch verhandeln.
Troilus und Cressida gehn ab. Trompetenstoß.
PARIS.
Horch! Hektors Herold! –
ÄNEAS.
Wie der Morgen schwand!
Der Prinz muß träge mich und säumig schelten,
Da ich versprach, vor ihm im Feld zu sein.
PARIS.
Die Schuld trägt Troilus: kommt, ins Feld mit ihm!
DIOMEDES.
Nun laßt uns eilig sein!
ÄNEAS.
Ja, mit des Bräut'gams muntrer Freudigkeit
Woll'n wir dem Hektor folgen auf dem Fuß.
Heut ficht für unsres Troja Heil und Ruhm
Sein Arm allein und edles Rittertum! –
Sie gehn ab.
Ausgewählte Ausgaben von
Troilus und Cressida
|
Buchempfehlung
Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.
98 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro