Vierte Szene

[78] Garten.


Pandarus und Cressida treten auf.


PANDARUS.

Sei mäßig, Kind, sei mäßig!

CRESSIDA.

Was sprecht Ihr mir von Mäßigung? Der Schmerz,

Den ich empfind', ist geistig, tief, erschöpfend,

Und ganz so groß und heftig, wie die Ursach',

Die ihn erzeugt: wie kann ich ihn da mäß'gen?

Wenn meine Liebe mit sich handeln ließe,

Daß sie dem kältern, schwächern Sinn genügte,

So könnt' ich eben so den Schmerz auch kühlen;

Mein Sehnen duldet kein vermittelnd Lindern,

So großes Leid vermag nicht Trost zu mindern.


Troilus kommt.


PANDARUS. Hier, hier, hier kommt er. Ach die lieben Täubchen!

CRESSIDA. O Troilus! Troilus!

PANDARUS. Welch ein Schauspiel! Das arme Paar! Laßt mich euch auch umarmen. – O Herz – wie's im alten Liede steht –

O Herz, o volles Herz,

Was seufzest du, und brichst nicht?

Und er antwortet hernach:

Weil du nicht lindern kannst den Schmerz,

Drum wend'st du dich, und sprichst nicht.

Nie gab's einen so wahren Reim. Man muß nichts wegwerfen, denn wir können's alle erleben, solchen Vers nötig zu haben; wir sehn es, wir sehn es. Nun, meine Lämmchen? –

TROILUS.

Ich liebe dich mit solcher seltnen Reinheit,

Daß sel'ge Götter, meiner Liebe zürnend, –


Die heißer als Gebet, von kalten Lippen

Der Gottheit dargebracht, – dich mir entreißen!

CRESSIDA.

Sind Götter neidisch?

PANDARUS.

Ja, ja! Da sieht man's deutlich!

CRESSIDA.

Und ist es wahr? Muß ich von Troja scheiden?

TROILUS.

Verhaßte Wahrheit!

CRESSIDA.

Auch von Troilus?[78]

TROILUS.

Von Troja wie von Troilus!

CRESSIDA.

Unmöglich!

TROILUS.

Und augenblicks, so daß des Schicksals Hohn

Das Lebewohl zurückweist; jede Muße

Grausam versagt; arglistig unsern Lippen

Alle Vereinung wehrt; gewaltsam hemmt

Der Lieb' Umarmung und den Schwur erstickt

Im Kreißen und Geburtsschmerz unsres Atems.

Wir beide, die wir uns mit tausend Seufzern

Gewonnen, müssen ärmlich uns verkaufen

Für eines Einzgen abgebrochenen Hauch.

Der rohe Augenblick, mit Diebes Hast,

Zwängt ein den reichen Raub fast unbesehn.

So manch Lebwohl als Stern' am Himmel, jedes

Mit eignem Kuß und Abschiedswort besiegelt,

Huscht er zusammen in ein kalt Ade

Und speist uns ab mit einem dürft'gen Kuß,

Verbittert mit dem Salz verhalt'ner Tränen.

ÄNEAS draußen.

Prinz, ist das Fräulein nun bereit?

TROILUS.

Sie rufen dich! So ruft der Todesengel

Sein »Komm!« dem Mann, der plötzlich sterben soll. –


Heißt jene warten, sie wird gleich erscheinen.

PANDARUS. Wo sind meine Tränen? Regnet, damit dieser Sturm sich lege, sonst reißt es mein Herz mit allen Wurzeln aus.


Pandarus geht.


CRESSIDA.

So muß ich zu den Griechen?

TROILUS.

's ist kein Mittel!

CRESSIDA.

Ein trauernd Mädchen bei den lust'gen Griechen?

Wann werden wir uns wiedersehn?

TROILUS.

Hör' mich, Geliebte, bleibe du nur treu –

CRESSIDA.

Ich treu? Wie das? Welch schmählicher Verdacht!

TROILUS.

Nein, laß uns freundlich schlichten diesen Streit,

Er scheidet gleich von uns.

Ich sage nicht aus Argwohn: Sei mir treu,

Denn selbst dem Tod werf' ich den Handschuh hin,

Daß ohne Fleck und Makel sei dein Herz;

Dies »Sei mir treu« war nur, um einzuleiten[79]

Die folgende Beteu'rung: Sei mir treu,

Und bald seh' ich dich wieder.

CRESSIDA.

O dann, mein Prinz, wagt Ihr Euch in Gefahren,

Zahllos und furchtbar. Doch ich bleib' Euch treu!

TROILUS.

Dann lockt Gefahr mich. Tragt die Ärmelkrause!

CRESSIDA.

Und Ihr den Handschuh. Wann seh' ich Euch wieder?

TROILUS.

Erkaufen werd' ich mir die griech'schen Wachen

Und dann dich nachts besuchen. Doch sei treu!

CRESSIDA.

O Himmel! Wieder dies: Sei treu!

TROILUS.

Hör' an,

Geliebteste, weshalb ich dir's gesagt.

Die griech'schen Jünglinge sind reich begabt;

Ihr Lieben schmücken sie mit Körperschönheit,

Und Kunst und List vollenden ihren Reiz.

Wie Neuheit rühren mag und Wohlgestalt,

Ach! Läßt mich eine fromme Eifersucht

(Ich bitt' dich, nenn' es tugendhafte Sünde)

Zu sehr befürchten.

CRESSIDA.

Oh, Ihr liebt mich nimmer! –

TROILUS.

Dann mag ich sterben als ein Bösewicht!

Nicht deine Treu' und Liebe macht mich zweifeln

So sehr, als mein Verdienst. Ich kann nicht dichten,

Nicht springen wie ein Tänzer, künstlich kosen,

Noch feine Spiele spielen: lauter Gaben,

Worin die Griechen meisterlich gewandt;

Allein ich weiß, in jeder dieser Zierden

Lauert ein list'ger, stummberedter Teufel,

Der schlau versucht. O laß dich nicht versuchen! –

CRESSIDA.

Glaubst du, ich werd' es?

TROILUS.

Nein!

Doch oft geschieht uns, was wir nicht gewollt,

Und oftmals sind wir unsre eignen Teufel,

Wenn wir des Willens Schwäche selbst versuchen,

Zu stolz auf unsre wandelbare Kraft.

ÄNEAS draußen.

Nun, werter Prinz –

TROILUS.

Noch einen Kuß zum Abschied!

PARIS draußen.

Auf, Bruder Troilus![80]

TROILUS.

Paris, komm herein,

Und bring' Äneas mit und Diomedes!

CRESSIDA.

Ihr bleibt doch treu, mein Prinz?

TROILUS.

Wer, ich? Das ist mein Fehl ja, meine Schwäche!

Wenn andre listig Gunst und Ehre fischen,

Fang' ich mit echter Treu' mir schlichte Einfalt;

Wenn mancher schlau sein Kupferblech vergoldet,

Trag' ich es schlicht und ehrlich ungeschmückt.

Sorg' nicht um meine Treu'; denn all mein Sinnen

Ist ehrlich, treu: mehr will ich nicht gewinnen.


Äneas, Paris und Diomedes treten auf.


Willkommen, Diomed! Hier ist die Dame,

Die für Antenor wir euch überliefern.

Am Tor, Herr, geb' ich sie in deine Hand

Und schildre unterwegs dir, was sie ist.

Begegn' ihr gut, und dann, beim Himmel, Grieche,

Fällst du jemals in meines Schwerts Gewalt

Und nennst mir Cressida, dann bleibst du sicher,

Wie Priamus in Ilium.

DIOMEDES.

Schöne Dame,

Ihr spart den Dank mir, den der Prinz erwartet.

Eu'r glänzend Aug', der Himmel dieser Wangen,

Heischt wackern Dienst; und Diomedes nennt

Euch seine Herrin, ist Euch ganz gewidmet.

TROILUS.

Grieche, nicht höflich gegen mich verfährst du,

Das Siegel meiner Bitte nicht zu achten

Durch solchen Preis. Ich sag' dir, griech'scher Fürst,

Sie überstrahlt so hoch dein Lob, als du

Unwürdig bist, dich ihrem Dienst zu weihn.

Ich heiß' dir, halt' sie gut, weil ich's dir heiße:

Denn, beim furchtbaren Pluto, tust du's nicht,

Wär' auch dein Schutz Achilles' ries'ge Wucht,

Du hast gelebt.

DIOMEDES.

O nicht so hitzig, Prinz!

Laßt mir das Vorrecht meiner Sendung, daß

Ich frei hier sprechen darf. Bin ich erst fort,

Dann folg' ich meiner Willkür; und vernimm,[81]

Ich tu' nichts auf Geheiß: nach ihrem Wert

Wird sie geschätzt; doch sprichst du: So soll's sein,

Werd' ich nach Mut und Her' erwidern: Nein!

TROILUS.

So komm zum Tor! – Und wisse, Diomed,

Daß, wer hier trotzt, dereinst um Gnade fleht.

Gebt, Fräulein, mir die Hand, und mag im Wandeln

Ein leises Wort des Herzens Wunsch verhandeln.


Troilus und Cressida gehn ab. Trompetenstoß.


PARIS.

Horch! Hektors Herold! –

ÄNEAS.

Wie der Morgen schwand!

Der Prinz muß träge mich und säumig schelten,

Da ich versprach, vor ihm im Feld zu sein.

PARIS.

Die Schuld trägt Troilus: kommt, ins Feld mit ihm!

DIOMEDES.

Nun laßt uns eilig sein!

ÄNEAS.

Ja, mit des Bräut'gams muntrer Freudigkeit

Woll'n wir dem Hektor folgen auf dem Fuß.

Heut ficht für unsres Troja Heil und Ruhm

Sein Arm allein und edles Rittertum! –


Sie gehn ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 78-82.
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