[270] Ein Staatszimmer im Schlosse.
Der König, die Königin, Hamlet, Polonius, Laertes, Voltimand, Cornelius, Herren vom Hofe und Gefolge.
KÖNIG.
Wiewohl von Hamlets Tod, des werten Bruders,
Noch das Gedächtnis frisch; und ob es unserm Herzen
Zu trauren ziemte, und dem ganzen Reich,
In eine Stirn des Grames sich zu falten;
So weit hat Urteil die Natur bekämpft,
Daß wir mit weisem Kummer sein gedenken,[270]
Zugleich mit der Erinn'rung an uns selbst.
Wir haben also unsre weiland Schwester,
Jetzt unsre Königin, die hohe Witwe
Und Erbin dieses kriegerischen Staats,
Mit unterdrückter Freude, so zu sagen
Mit einem heitern, einem nassen Aug',
Mit Leichenjubel und mit Hochzeitklage,
In gleichen Schalen wägend Leid und Lust,
Zur Eh' genommen; haben auch hierin
Nicht eurer bessern Weisheit widerstrebt,
Die frei uns beigestimmt. – Für alles, Dank!
Nun, wißt ihr, hat der junge Fortinbras,
Aus Minderschätzung unsers Werts, und denkend,
Durch unsers teuren sel'gen Bruders Tod
Sei unser Staat verrenkt und aus den Fugen:
Gestützt auf diesen Traum von seinem Vorteil,
Mit Botschaft uns zu plagen nicht ermangelt
Um Wiedergabe jener Länderei'n,
Rechtskräftig eingebüßt von seinem Vater
An unsern tapfern Bruder. – So viel von ihm;
Nun von uns selbst und eurer Herberufung.
So lautet das Geschäft: wir schreiben hier
An Norweg, Ohm des jungen Fortinbras,
Der schwach, bettlägrig, kaum von diesem Anschlag
Des Neffen hört, desselben fernern Gang
Hierin zu hemmen; sintemal die Werbung,
Bestand und Zahl der Truppen, alles doch
Aus seinem Volk geschieht; und senden nun
Euch, wackrer Voltimand, und Euch, Cornelius,
Mit diesem Gruß zum alten Norweg hin,
Euch keine weitre Vollmacht übergebend,
Zu handeln mit dem König, als das Maß
Der hier erörterten Artikel zuläßt.
Lebt wohl, und Eil' empfehle euren Eifer!
CORNELIUS UND VOLTIMAND.
Hier, wie in allem, wollen wir ihn zeigen.
KÖNIG.
Wir zweifeln nicht daran. Lebt herzlich wohl!
Voltimand und Cornelius ab.[271]
Und nun, Laertes, sagt, was bringt Ihr uns?
Ihr nanntet ein Gesuch: was ist's, Laertes?
Ihr könnt nicht von Vernunft dem Dänen reden,
Und Euer Wort verlieren. Kannst du bitten,
Was ich nicht gern gewährt', eh' du's verlangt?
Der Kopf ist nicht dem Herzen mehr verwandt,
Die Hand dem Munde dienstgefäll'ger nicht,
Als Dänmarks Thron es deinem Vater ist.
Was wünschest du, Laertes?
LAERTES.
Hoher Herr,
Vergünstigung, nach Frankreich rückzukehren,
Woher ich zwar nach Dänmark willig kam,
Bei Eurer Krönung meine Pflicht zu leisten;
Doch nun gesteh' ich, da die Pflicht erfüllt,
Strebt mein Gedank' und Wunsch nach Frankreich hin
Und neigt sich Eurer gnädigen Erlaubnis.
KÖNIG.
Erlaubt's der Vater Euch? Was sagt Polonius?
POLONIUS.
Er hat, mein Fürst, die zögernde Erlaubnis
Mir durch beharrlich Bitten abgedrungen,
Daß ich zuletzt auf seinen Wunsch das Siegel
Der schwierigen Bewilligung gedrückt.
Ich bitt' Euch, gebt Erlaubnis ihm zu gehn!
KÖNIG.
Nimm deine günst'ge Stunde: Zeit sei dein,
Und eigne Zierde; nutze sie nach Lust! –
Doch nun, mein Vetter Hamlet und mein Sohn –
HAMLET beiseit.
Mehr als befreundet, weniger als Freund.
KÖNIG.
Wie, hängen stets noch Wolken über Euch?
HAMLET.
Nicht doch, mein Fürst, ich habe zu viel Sonne.
KÖNIGIN.
Wirf, guter Hamlet, ab die nächt'ge Farbe,
Und laß dein Aug' als Freund auf Dänmark sehn!
Such' nicht beständig mit gesenkten Wimpern
Nach deinem edlen Vater in dem Staub:
Du weißt, es ist gemein: was lebt, muß sterben
Und Ew'ges nach der Zeitlichkeit erwerben.
HAMLET.
Ja, gnäd'ge Frau, es ist gemein.
KÖNIGIN.
Nun wohl,
Weswegen scheint es so besonders dir?[272]
HAMLET.
Scheint, gnäd'ge Frau? Nein, ist; mir gilt kein »scheint«.
Nicht bloß mein düstrer Mantel, gute Mutter,
Noch die gewohnte Tracht von ernstem Schwarz,
Noch stürmisches Geseufz' beklemmten Odems,
Noch auch im Auge der ergieb'ge Strom,
Noch die gebeugte Haltung des Gesichts,
Samt aller Sitte, Art, Gestalt des Grames,
Ist das, was wahr mich kund gibt; dies scheint wirklich:
Es sind Gebärden, die man spielen könnte.
Was über allen Schein, trag' ich in mir;
All dies ist nur des Kummers Kleid und Zier.
KÖNIG.
Es ist gar lieb und Eurem Herzen rühmlich, Hamlet,
Dem Vater diese Trauerpflicht zu leisten.
Doch wißt, auch Eurem Vater starb ein Vater;
Dem seiner, und der Nachgelaßne soll,
Nach kindlicher Verpflichtung, ein'ge Zeit
Die Leichentrauer halten. Doch zu beharren
In eigenwill'gen Klagen, ist das Tun
Gottlosen Starrsinns; ist unmännlich Leid;
Zeigt einen Willen, der dem Himmel trotzt,
Ein unverschanztes Herz und wild Gemüt;
Zeigt blöden, ungelehrigen Verstand.
Wovon man weiß, es muß sein; was gewöhnlich
Wie das Gemeinste, das die Sinne rührt:
Weswegen das in mürr'schem Widerstande
Zu Herzen nehmen? Pfui! es ist Vergehn
Am Himmel; ist Vergehen an dem Toten,
Vergehn an der Natur; vor der Vernunft
Höchst töricht, deren allgemeine Predigt
Der Väter Tod ist, und die immer rief
Vom ersten Leichnam bis zum heut verstorbnen:
»Dies muß so sein.« Wir bitten, werft zu Boden
Dies unfruchtbare Leid, und denkt von uns
Als einem Vater; denn wissen soll die Welt,
Daß Ihr an unserm Thron der Nächste seid,
Und mit nicht minder Überschwang der Liebe,
Als seinem Sohn der liebste Vater widmet,[273]
Bin ich Euch zugetan. Was Eure Rückkehr
Zur hohen Schul' in Wittenberg betrifft,
So widerspricht sie höchlich unserm Wunsch,
Und wir ersuchen Euch, beliebt zu bleiben,
Hier in dem milden Scheine unsers Aug's,
Als unser erster Hofmann, Vetter, Sohn.
KÖNIGIN.
Laß deine Mutter fehl nicht bitten, Hamlet:
Ich bitte, bleib' bei uns, geh nicht nach Wittenberg!
HAMLET.
Ich will Euch gern gehorchen, gnäd'ge Frau.
KÖNIG.
Wohl, das ist eine liebe, schöne Antwort.
Seid wie wir selbst in Dänmark! – Kommt, Gemahlin!
Dies will'ge, freundliche Nachgeben Hamlets
Sitzt lächelnd um mein Herz; und dem zu Ehren
Soll das Geschütz heut jeden frohen Trunk,
Den Dänmark ausbringt, an die Wolken tragen,
Und wenn der König anklingt, soll der Himmel
Nachdröhnen ird'schem Donner. – Kommt mit mir!
König, Königin, Laertes und Gefolge ab.
HAMLET.
O schmölze doch dies allzu feste Fleisch,
Zerging', und löst' in einen Tau sich auf!
Oder hätte nicht der Ew'ge sein Gebot
Gerichtet gegen Selbstmord! – O Gott! O Gott!
Wie ekel, schal und flach und unersprießlich
Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!
Pfui! pfui darüber! 's ist ein wüster Garten,
Der auf in Samen schießt; verworfnes Unkraut
Erfüllt ihn gänzlich. Dazu mußt' es kommen!
Zwei Mond' erst tot! – nein, nicht so viel, nicht zwei;
Solch trefflicher Monarch! der neben diesem
Apoll bei einem Satyr; so meine Mutter liebend,
Daß er des Himmels Winde nicht zu rauh
Ihr Antlitz ließ berühren. Himmel und Erde!
Muß ich gedenken? Hing sie doch an ihm,
Als stieg' der Wachstum ihrer Lust mit dem,
Was ihre Kost war. Und doch, in einem Mond –
Laßt mich's nicht denken! – Schwachheit, dein Nam' ist Weib! –
Ein kurzer Mond; bevor die Schuh'verbraucht,[274]
Womit sie meines Vaters Leiche folgte,
Wie Niobe, ganz Tränen – sie, ja sie;
O Himmel! würd' ein Tier, das nicht Vernunft hat,
Doch länger trauren. – Meinem Ohm vermählt,
Dem Bruder meines Vaters, doch ihm ähnlich
Wie ich dem Herkules: in einem Mond!
Bevor das Salz höchst frevelhafter Tränen
Der wunden Augen Röte noch verließ,
War sie vermählt! – O schnöde Hast, so rasch
In ein blutschänderisches Bett zu stürzen!
Es ist nicht, und es wird auch nimmer gut.
Doch brich, mein Herz! denn schweigen muß mein Mund.
Horatio, Bernardo und Marcellus treten auf.
HORATIO.
Heil Eurer Hoheit!
HAMLET.
Ich bin erfreut. Euch wohl zu sehn.
Horatio – wenn ich nicht mich selbst vergesse?
HORATIO.
Ja, Prinz, und Euer armer Diener stets.
HAMLET.
Mein guter Freund; vertauscht mir jenen Namen!
Was macht Ihr hier von Wittenberg, Horatio?
Marcellus?
MARCELLUS.
Gnäd'ger Herr –
HAMLET.
Es freut mich, Euch zu sehn. Habt guten Abend!
Im Ernst, was führt Euch weg von Wittenberg?
HORATIO.
Ein müßiggängerischer Hang, mein Prinz.
HAMLET.
Das möcht' ich Euren Feind nicht sagen hören,
Noch sollt Ihr meinem Ohr den Zwang antun,
Daß Euer eignes Zeugnis gegen Euch
Ihm gültig wär'. Ich weiß, Ihr geht nicht müßig.
Doch was ist Eu'r Geschäft in Helsingör?
Ihr sollt noch trinken lernen, eh' Ihr reist.
HORATIO.
Ich kam zu Eures Vaters Leichenfeier.
HAMLET.
Ich bitte, spotte meiner nicht, mein Schulfreund;
Du kamst gewiß zu meiner Mutter Hochzeit.
HORATIO.
Fürwahr, mein Prinz, sie folgte schnell darauf.
HAMLET.
Wirtschaft, Horatio! Wirtschaft! Das Gebackne
Vom Leichenschmaus gab kalte Hochzeitschüsseln.
Hätt' ich den ärgsten Feind im Himmel lieber[275]
Getroffen, als den Tag erlebt, Horatio!
Mein Vater – mich dünkt, ich sehe meinen Vater.
HORATIO.
Wo, mein Prinz?
HAMLET.
In meines Geistes Aug', Horatio.
HORATIO.
Ich sah ihn einst, er war ein wackrer König.
HAMLET.
Er war ein Mann, nehmt alles nur in allem,
Ich werde nimmer seinesgleichen sehn.
HORATIO.
Mein Prinz, ich denk', ich sah ihn vor'ge Nacht.
HAMLET.
Sah? wen?
HORATIO.
Mein Prinz, den König, Euren Vater.
HAMLET.
Den König, meinen Vater?
HORATIO.
Beruhigt das Erstaunen eine Weil'
Durch ein aufmerksam Ohr; bis ich dies Wunder,
Auf die Bekräftigung der Männer hier,
Euch kann berichten.
HAMLET.
Um Gottes willen, laßt mich hören!
HORATIO.
Zwei Nächte nach einander war's den beiden,
Marcellus und Bernardo, auf der Wache
In toter Stille tiefer Mitternacht
So widerfahren. Ein Schatte wie Eu'r Vater
(Geharnischt, ganz in Wehr, von Kopf bis Fuß,)
Erscheint vor ihnen, geht mit ernstem Tritt
Langsam vorbei und stattlich; schreitet dreimal
Vor ihren starren, furchtergriffnen Augen,
So daß sein Stab sie abreicht; während sie,
Geronnen fast zu Gallert durch die Furcht,
Stumm stehn, und reden nicht mit ihm. Dies nun
In banger Heimlichkeit vertraun sie mir.
Ich hielt die dritte Nacht mit ihnen Wache;
Und da, wie sie berichtet, nach der Zeit,
Gestalt des Dings, buchstäblich alles wahr,
Kommt das Gespenst. Ich kannte Euren Vater:
Hier diese Hände gleichen sich nicht mehr.
HAMLET.
Wo ging dies aber vor?
MARCELLUS.
Auf der Terrasse, wo wir Wache hielten.
HAMLET.
Ihr sprachet nicht mit ihm?
HORATIO.
Ich tat's, mein Prinz,
Doch Antwort gab es nicht; nur einmal schien's,[276]
Es höb' sein Haupt empor und schickte sich
Zu der Bewegung an, als wollt' es sprechen.
Doch eben krähte laut der Morgenhahn,
Und bei dem Tone schlüpft' es eilig weg
Und schwand aus unserm Blick.
HAMLET.
Sehr sonderbar.
HORATIO.
Bei meinem Leben, edler Prinz, 's ist wahr;
Wir hielten's durch die Pflicht uns vorgeschrieben,
Die Sach' Euch kund zu tun.
HAMLET.
Im Ernst, im Ernst, ihr Herrn, dies ängstigt mich.
Habt ihr die Wache heut?
ALLE.
Ja, gnäd'ger Herr.
HAMLET.
Geharnischt, sagt ihr?
ALLE.
Geharnischt, gnäd'ger Herr.
HAMLET.
Vom Wirbel bis zur Zeh'?
ALLE.
Von Kopf zu Fuß.
HAMLET.
So saht Ihr sein Gesicht nicht?
HORATIO.
O ja doch, sein Visier war aufgezogen.
HAMLET.
Nun, blickt' er finster?
HORATIO.
Eine Miene, mehr
Des Leidens als des Zorns.
HAMLET.
Blaß oder rot?
HORATIO.
Nein, äußerst blaß.
HAMLET.
Sein Aug' auf euch geheftet?
HORATIO.
Ganz fest.
HAMLET.
Ich wollt', ich wär' dabei gewesen.
HORATIO.
Ihr hättet Euch gewiß entsetzt.
HAMLET.
Sehr glaublich,
Sehr glaublich. Blieb es lang'?
HORATIO.
Derweil mit mäß'ger Eil'
Man hundert zählen konnte.
MARCELLUS, BERNARDO.
Länger, länger.
HORATIO.
Nicht, da ich's sah.
HAMLET.
Sein Bart war greis, nicht wahr?
HORATIO.
Wie ich's an ihm bei seinem Leben sah,
Ein schwärzlich Silbergrau.
HAMLET.
Ich will heut wachen.
Vielleicht wird's wieder kommen.[277]
HORATIO.
Zuverlässig.
HAMLET.
Erscheint's in meines edlen Vaters Bildung,
So red' ich's an, gähnt' auch die Hölle selbst
Und hieß' mich ruhig sein. Ich bitt' euch alle:
Habt ihr bis jetzt verheimlicht dies Gesicht,
So haltet's ferner fest in eurem Schweigen;
Und was sich sonst zu Nacht ereignen mag,
Gebt allem einen Sinn, doch keine Zunge:
Ich will die Lieb' euch lohnen; lebt denn wohl!
Auf der Terrasse zwischen eilf und zwölf
Besuch' ich euch.
ALLE.
Eu'r Gnaden unsre Dienste!
HAMLET.
Nein, eure Liebe, so wie meine euch.
Lebt wohl nun!
Horatio, Marcellus und Bernardo ab.
Meines Vaters Geist in Waffen!
Es taugt nicht alles: ich vermute was
Von argen Ränken. Wär' die Nacht erst da!
Bis dahin ruhig, Seele! Schnöde Taten,
Birgt sie die Erd' auch, müssen sich verraten.
Ab.
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