Fünfte Szene

[677] Dunsinan, im Schloß.


Mit Trommeln und Fahnen treten auf Macbeth, Seyton, Soldaten.


MACBETH.

Pflanzt unsre Banner auf die äußre Mauer;

Stets heißt's: »Sie kommen.« Unser festes Schloß

Lacht der Belag'rung: mögen sie hier liegen,

Bis Hunger sie und Krankheit aufgezehrt!

Verstärkten die sie nicht, die uns gehören,

Wir hätten, Bart an Bart, sie kühn getroffen

Und sie nach Haus gegeißelt. Welch Geschrei?


Weibergeschrei hinter der Szene.


SEYTON.

Wehklage ist's von Weibern, gnäd'ger Herr.

MACBETH.

Verloren hab' ich fast den Sinn der Furcht.

Es gab 'ne Zeit, wo kalter Schau'r mich faßte,

Wenn der Nachtvogel schrie; das ganze Haupthaar

Bei einer schrecklichen Geschicht' empor

Sich richtete, als wäre Leben drin.

Ich habe mit dem Grau'n zu Nacht gespeist;

Entsetzen, meines Mordsinns Hausgenoß,

Schreckt nun mich nimmermehr. – Weshalb das Wehschrein?

SEYTON.

Die Kön'gin, Herr, ist tot.

MACBETH.

Sie hätte später sterben können; – es hätte

Die Zeit sich für ein solches Wort gefunden. –

Morgen, und morgen, und dann wieder morgen,

Kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag,

Zur letzten Silb' auf unserm Lebensblatt;

Und alle unsre Gestern führten Narr'n

Den Pfad des stäub'gen Tods. – Aus! kleines Licht! –

Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild;

Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht

Sein Stündchen auf der Bühn', und dann nicht mehr

Vernommen wird: ein Märchen ist's, erzählt

Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,

Das nichts bedeutet. –


Ein Bote kommt.


Du hast was auf der Zunge: schnell heraus![677]

BOTE.

Mein königlicher Herr, –

Ich sollte melden, das, was, wie ich glaube,

Ich sah; – doch wie ich's tun soll, weiß ich nicht.

MACBETH.

Nun, sag's nur, Mensch!

BOTE.

Als ich den Wachtdienst auf dem Hügel tat, –

Ich schau nach Birnam zu, und, sieh, mir deucht,

Der Wald fängt an zu gehn.

MACBETH.

Lügner und Sklav'!


Er schlägt ihn.


BOTE.

Laßt Euren Zorn mich fühlen, ist's nicht so:

Drei Meilen weit könnt Ihr ihn kommen sehn;

Ein geh'nder Wald – wahrhaftig!

MACBETH.

Sprichst du falsch,

Sollst du am nächsten Baum lebendig hangen,

Bis Hunger dich verschrumpft hat; sprichst du wahr,

Magst du mir meinethalb dasselbe tun. –

Einzieh' ich die Entschlossenheit, beginne

Den Doppelsinn des bösen Feinds zu merken,

Der Lüge spricht wie Wahrheit: »Fürchte nichts,

Bis Birnams Wald anrückt auf Dunsinan«; –

Und nunmehr kommt ein Wald nach Dunsinan.

Waffen nun, Waffen! und hinaus! –

Ist Wahrheit das, was seine Meldung spricht,

So ist kein Fliehn von hier, kein Bleiben nicht.

Das Sonnenlicht will schon verhaßt mir werden;

Oh! fiel' in Trümmern jetzt der Bau der Erden!

Auf! läutet Sturm! Wind, blas'! Heran, Verderben!

Den Harnisch auf dem Rücken will ich sterben.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 677-678.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Macbeth
Lektürehilfen William Shakespeare
Macbeth
Macbeth: Zweisprachige Ausgabe
Die Tragödie des Macbeth (insel taschenbuch)
Macbeth. Textanalyse und Interpretation mit ausführlicher Inhaltsangabe und Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon