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[661] England. Park beim königlichen Schloß.
Malcolm und Macduff treten auf.
MALCOLM.
Laß uns 'nen stillen Schatten suchen und
Durch Tränen unser Herz erleichtern!
MACDUFF.
Lieber
Laß uns, das Todesschwert ergreifend, wacker
Aufstehn für unser hingestürztes Recht!
An jedem Morgen heulen neue Witwen,
Und neue Waisen wimmern; neuer Jammer
Schlägt an des Himmels Wölbung, daß er tönt,
Als fühlt' er Schottlands Schmerz und hallte gellend
Den Klagelaut zurück.
MALCOLM.
Das, was ich glaube,
Will ich betrauern; glauben, was Ihr sagt,
Und helfen will ich, wo ich kann, wenn Zeit
Und Freund' ich finde. Was Ihr mir erzählt,
Kann wohl sich so erhalten. Der Tyrann,
Des Name schon die Zung' uns schwären macht,
Galt einst für ehrlich: Ihr habt ihn geliebt,
Noch kränkt' er Euch nicht. Ich bin jung, doch näher
Könnt Ihr durch mich ihn prüfen; Weisheit ist's,[661]
Ein arm, unschuldig, schwaches Lamm zu opfern,
Um einen zorn'gen Gott zu sühnen.
MACDUFF.
Ich
Bin kein Verräter.
MALCOLM.
Aber Macbeth ist's.
Auch strenge Tugend kann sich schrecken lassen
Durch königliches Machtwort – doch verzeiht!
Mein Denken kann das, was Ihr seid, nicht wandeln:
Stets sind die Engel hell, fiel auch der hellste;
Borgt' alles Schlechte auch den Schein der Gnade,
Doch müßte Gnade wie sie selbst erscheinen.
MACDUFF.
So hab' ich meine Hoffnung denn verloren!
MALCOLM.
Vielleicht da, wo ich meinen Zweifel fand.
Wie! in der Hast verließt Ihr Weib und Kind,
So teure Pfänder, mächt'ge Liebesknoten,
Selbst ohne Abschiednehmen? – Ich ersuch' Euch –
Mein Mißtraun spricht nicht so, Euch zu entehren,
Nur, mich zu sichern. Ihr könnt rein und treu sein,
Was ich von Euch auch denke.
MACDUFF.
Blute, blute,
Du armes Vaterland!
So lege festen Grund denn, Tyrannei,
Rechtmäßigkeit wagt nicht; dich anzugreifen!
Trage dein Leid, dein echter Herrscher zittert!
Prinz, lebe wohl! Nicht möcht' ich sein der Schurke,
Den du mich achtest, für den weiten Raum,
Den der Tyrann in seinen Klauen hält,
Zusamt dem reichen Ost.
MALCOLM.
Sei nicht beleidigt!
Nicht unbedingter Argwohn sprach aus mir.
Ich glaub' es, unser Land erliegt dem Joch;
Es weint und blutet; jeder neue Tag
Schlägt neue Wunden ihm; auch glaub' ich wohl,
Daß Hände sich erhöben für mein Recht;
So bietet der huldreiche England mir
Manch wackres Tausend. Doch, bei alle dem,
Wenn ich nun tret' auf des Tyrannen Haupt,
Es trag' auf meinem Schwert, wird größre Laster[662]
Mein armes Land noch tragen als zuvor,
Mehr dulden und auf schlimmre Art als je,
Durch den, der folgen wird.
MACDUFF.
Wer wäre dieser?
MALCOLM.
Mich selber mein' ich, in dem, wie ich weiß,
Die Keime aller Laster so geimpft sind,
Daß, brechen sie nun auf, der schwarze Macbeth
Rein scheint wie Schnee, und er dem armen Staat
Lammartig dünkt, vergleicht er ihn mit meiner
Maßlosen Sündlichkeit.
MACDUFF.
Nicht in Legionen
Der grausen Höll' ist ein verrucht'rer Teufel,
Der Macbeth überragt.
MALCOLM.
Wohl ist er blutig,
Wollüstig, geizig, falsch, betrügerisch,
Jähzornig, hämisch; schmeckt nach jeder Sünde,
Die Namen hat. Doch völlig bodenlos
Ist meine Wollust: eure Weiber, Töchter,
Jungfrau'n, Matronen könnten aus nicht füllen
Den Abgrund meiner Lust; und meine Gier
Würd' überspringen jede feste Schranke,
Die meine Willkür hemmte. Besser Macbeth,
Als daß ein solcher herrscht!
MACDUFF.
Unmäß'ge Wollust
Ist wohl auch Tyrannei, und hat schon oft
Manchen beglückten Thron zu früh verwaist,
Viel Könige gestürzt. Allein deshalb
Zagt nicht, zu nehmen, was Eu'r Eigen ist:
Ihr mögt der Lust ein weites Feld gewähren
Und kalt erscheinen, Euch der Welt verhüllend:
Der will'gen Frauen gibt's genug; unmöglich
Kann solch ein Geier in Euch sein, der alle
Verschlänge, die der Hoheit gern sich opfern,
Zeigt sie ein solch Gelüst.
MALCOLM.
Daneben wuchert
In meinem tief verderbten Sinn der Geiz,
So unersättlich, daß, wär' ich der König,
Räumt' ich die Edeln weg um ihre Güter;[663]
Dem raubt' ich die Juwelen, dem das Haus;
Mehr haben wäre mir die Würzung nur,
Den Hunger mehr zu reizen; Netze strickt' ich,
Mit bösem Streit den Redlichen zu fangen,
Um Reichtum ihn vernichtend.
MACDUFF.
Dieser Geiz
Steckt tiefer, schlingt verderblicher die Wurzeln
Als sommerliche Lust: er war das Schwert,
Das unsre Kön'ge schlug. Doch fürchtet nichts:
Schottland hat Reichtum g'nug. Euch zu befried'gen,
Der Euch mit Recht gehört. Dies alles ist
Erträglich, ausgesöhnt durch Tugenden.
MALCOLM.
Die hab' ich nicht: – die Königstugenden,
Wahrheit, Gerechtigkeit, Starkmut, Geduld,
Ausdauer, Milde, Andacht, Gnade, Kraft,
Mäßigkeit, Demut, Tapferkeit: von allen
Ist keine Spur in mir – nein, Überfluß
An jeglichem Verbrechen, ausgeübt
In jeder Art. Ja, hätt' ich Macht, ich würde
Der Eintracht süße Milch zur Hölle gießen,
Verwandeln allen Frieden in Empörung,
Vernichten alle Einigkeit auf Erden.
MACDUFF.
O! Schottland! Schottland!
MALCOLM.
Darf nun ein solcher wohl regieren? Sprich!
Ich bin, wie ich gesagt.
MACDUFF.
Regieren? Nein,
Nicht leben darf er! Oh, unsel'ges Volk!
Vom blut'gen Usurpator hingeschlachtet,
Wann doch erlebst du wieder frohe Tage?
Nie! denn der echtste Erbe deines Throns
Hat sich durch' selbst gesprochnen Bann verflucht
Und brandmarkt seinen Stamm. Dein frommer Vater
War ein höchst heil'ger Fürst; die Kön'gin, die dich trug,
Weit öfter auf den Knie'n als auf den Füßen,
Starb jeden Tag des Lebens. Fahre wohl!
Die Sünden, die du selbst dir zugesprochen,
Verbannten mich aus Schottland. – O mein Herz,
Dein Hoffen endet hier![664]
MALCOLM.
Macduff, dein edler Zorn,
Das Kind der Redlichkeit, tilgt aus der Seele
Mir jeden schwarzen Argwohn; und versöhnt
Mit deiner Treu' und Ehre mein Gemüt.
Der teuflische Macbeth hat oft versucht,
Durch solche Künste mich ins Garn zu locken,
Drum schirmt vor allzu gläub'ger Hast mich Vorsicht: –
Doch Gott mag richten zwischen dir und mir!
Denn jetzt geb' ich mich ganz in deine Hände;
Die Selbstverleumdung widerruf' ich, schwöre
Die Laster ab, durch die ich mich geschmäht,
Als meinem Wesen fremd. Noch weiß ich nichts
Vom Weibe, habe nimmer falsch geschworen,
Verlangte kaum nach dem, was mir gehört!
Stets hielt ich treu mein Wort, verriete selbst
Den Satan nicht den Teufeln; Wahrheit gilt
Mir mehr als Leben: meine erste Lüge
War diese gegen mich. Mein wahres Selbst
Ist dir und meinem armen Land geweiht;
Wohin auch schon, noch eh' du her gekommen,
Der alte Siward mit zehntausend Kriegern
Bereit stand aufzubrechen, und wir gehn
Mitsammen nun. Sei uns das Glück gewogen,
Wie unser Streit gerecht ist! – Warum schweigst du?
MACDUFF.
Schwer läßt sich so Willkommnes und zugleich
So Unwillkommnes ein'gen.
MALCOLM.
Gut! Mehr nachher!
Ein Arzt tritt auf.
Geht heut der König aus?
ARZT.
Ja, Prinz; denn viele Arme sind versammelt,
Die seine Hülf' erwarten: ihre Krankheit
Trotzt jeder Heilkunst; doch rührt er sie an,
Hat so der Himmel seine Hand gesegnet,
Daß sie sogleich genesen.
MALCOLM.
Dank Euch, Doktor.
Der Arzt geht ab.[665]
MACDUFF.
Was für 'ne Krankheit ist's?
MALCOLM.
Sie heißt das Übel:
Ein wundertätig Werk vom guten König,
Das ich ihn oft, seit ich in England bin,
Vollbringen sah. Wie er zum Himmel fleht,
Weiß er am besten: – Seltsam Heimgesuchte,
Voll Schwulst und Aussatz, kläglich anzuschauen
An denen alle Kunst verzweifelt, heilt er,
'ne goldne Münz' um ihren Nacken hängend,
Mit heiligem Gebet; – und nach Verheißung
Wird er vererben auf die künft'gen Herrscher
Die Wundergabe. Zu der heil'gen Kraft
Hat er auch himmlischen Prophetengeist;
So steht um seinen Thron vielfacher Segen,
Ihn gottbegabt verkündend.
Rossetritt auf.
MACDUFF.
Wer kommt da?
MALCOLM.
Ein Landsmann, ob ich gleich ihn noch nicht kenne.
MACDUFF.
Mein hochgeliebter Vetter, sei willkommen!
MALCOLM.
Jetzt kenn' ich ihn: – O Gott! entferne bald,
Was uns einander fremd macht!
ROSSE.
Amen, Herr!
MACDUFF.
Steht's noch um Schottland so?
ROSSE.
Ach! armes Land,
Das fast vor sich erschrickt! Nicht unsre Mutter
Kann es mehr heißen, sondern unser Grab:
Wo nur, wer von nichts weiß, noch etwa lächelt;
Wo Seufzen, Stöhnen, Schrei'n die Luft zerreißt,
Und keiner achtet drauf; Verzweifeln gilt
Für töricht Übertreiben; keiner fragt:
»Um wen?« beim Grabgeläut'; der Wackern Leben
Welkt schneller als der Strauß auf ihrem Hut,
Sie sterben, eh' sie krank sind.
MACDUFF.
O Erzählung,
Zu herb und doch zu wahr! Was ist die neuste Kränkung?
ROSSE.
Wer die erzählt, die eine Stunde alt,[666]
Wird ausgezischt; jedweder Augenblick
Zeugt eine neue.
MACDUFF.
Wie steht's um mein Weib?
ROSSE.
Nun, – wohl.
MACDUFF.
Und meine Kinder alle?
ROSSE.
Auch wohl.
MACDUFF.
Nicht stürmte der Tyrann in ihren Frieden?
ROSSE.
Sie waren all' in Frieden, als ich schied.
MACDUFF.
Sei nicht mit Worten geizig: sprich, wie steht's?
ROSSE.
Als ich fort ging, die Nachricht her zu bringen,
An der ich schwer trug, lief dort ein Gerücht,
Daß manche wackre Leute weg geräumt;
Und diesen Glauben fand ich auch bestätigt,
Weil ich im Feld sah des Tyrannen Truppen.
Nun ist zu helfen Zeit; Eu'r Aug' in Schottland
Erschüfe Krieger, trieb' in Kampf die Frauen,
Ihr Elend abzuschütteln.
MALCOLM.
Sei's ihr Trost,
Daß wir schon nahn. Der güt'ge England leiht uns
Den wackern Siward und zehntausend Mann;
Ein alter Krieger, keinen bessern gibt's
In aller Christenheit.
ROSSE.
Könnt' ich den Trost
Mit Trost vergelten! Doch ich habe Worte, –
Oh, würden sie in leere Luft geheult,
Wo nie ein Ohr sie faßte!
MACDUFF.
Wen betrifft's?
Ist's allgemeines Weh? Ist's eigner Schmerz,
Der einem nur gehört?
ROSSE.
Kein redlich Herz.
Das nicht mit leidet; doch der größre Teil
Ist nur für dich allein.
MACDUFF.
Gehört es mir,
Enthalte mir's nicht vor; schnell laß mich's haben!
ROSSE.
Dein Ohr wird meine Zunge ewig hassen,
Die's mit dem jammervollsten Ton betäubt,
Den jemals du gehört.[667]
MACDUFF.
Ha! ich errat' es.
ROSSE.
Dein Schloß ist überfallen; Weib und Kinder
Grausam gewürgt: – die Art erzählen, hieße
Das Trauerspiel von deines Hauses Fall
Mit deinem Tod beschließen.
MALCOLM.
Gnäd'ger Gott! –
Nein, Mann! drück' nicht den Hut so in die Augen,
Gib Worte deinem Schmerz: Gram, der nicht spricht,
Preßt das beladne Herz, bis daß es bricht.
MACDUFF.
Auch meine Kinder?
ROSSE.
Gattin, Kinder, Diener;
Was man nur fand.
MACDUFF.
Und ich muß ferne sein!
Mein Weib gemordet auch?
ROSSE.
Ich sagt' es.
MALCOLM.
Faßt Euch:
Laßt uns Arznei aus mächt'ger Rache mischen,
Um dieses Todesweh zu heilen!
MACDUFF.
Er
Hat keine Kinder! All die süßen Kleinen?
Alle, sagst du? – O Höllengeier! – Alle!
Was! all die holden Küchlein, samt der Mutter,
Mit einem wilden Griff?
MALCOLM.
Ertragt es wie ein Mann!
MACDUFF.
Das will ich auch;
Doch ebenso muß wie ein Mann ich's fühlen:
Vergessen kann ich nicht, daß das gewesen,
Was mir das Liebste war. Konnte der Himmel
Es anschaun, und nicht helfen? Sünd'ger Macduff!
Für dich sind sie erschlagen! Ich Verworfner!
Für ihre Sünden nicht, nein, für die meinen
Sind sie gewürgt. Schenk' ihnen Frieden, Gott!
MALCOLM.
Dies wetze scharf dein Schwert, verwandle Gram
In Zorn; erschlaffe nicht dein Herz, entflamm' es!
MACDUFF.
Ich will das Weib nicht mit den Augen spielen,
Und prahlen mit der Zunge! – Doch, güt'ger Himmel,
Vernichte alle Trennung; Stirn an Stirn
Führ' diesen Teufel Schottlands mir entgegen![668]
Stell ihn in meines Schwerts Bereich; entrinnt er,
Himmel, vergib ihm auch!
MALCOLM.
So klingt es männlich.
Jetzt kommt zum König; fertig steht das Heer.
Es mangelt nur noch, daß wir Abschied nehmen.
Macbeth ist reif zur Ernte, und dort oben
Breiten ew'ge Mächte schon das Messer.
Faßt frischen Mut; so lang ist keine Nacht,
Daß endlich nicht der helle Morgen lacht.
Sie gehen ab.[669]
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Macbeth
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