[437] Ebendaselbst.
Desdemona, Cassio und Emilia treten auf.
DESDEMONA.
Nein, zweifle nicht, mein guter Cassio, alles,
Was mir nur möglich, biet' ich für dich auf.
EMILIA.
Tut's, edle Frau; ich weiß, mein Mann betrübt sich,
Als wär' es seine Sache.
DESDEMONA.
Er ist ein ehrlich Herz. Sei ruhig, Cassio,
Ich mache meinen Herrn und dich aufs neue
Zu Freunden, wie ihr wart.
CASSIO.
O güt'ge Frau,
Was auch aus Michael Cassio werden mag,
Auf immer bleibt er Eurem Dienst ergeben.
DESDEMONA.
Ich dank' Euch, Cassio. – Ihr liebt ja meinen Herrn,
Ihr kennt ihn lange schon; drum seid gewiß,
Er wendet sich nicht ferner von Euch ab,
Als ihn die Klugheit zwingt.
CASSIO.
Doch, gnäd'ge Frau.
Die Klugheit währt vielleicht so lange Zeit,
Lebt von so magrer, wassergleicher Kost,
Erneut vielleicht sich aus dem Zerfall so,
Daß, wenn ich fern bin und mein Amt besetzt,
Der Feldherr meiner Lieb' und Treu' vergißt.[437]
DESDEMONA.
Das fürchte nimmer; vor Emilien hier
Verbürg' ich dir dein Amt; und sei gewiß,
Versprach ich jemand einen Dienst, den leist' ich
Bis auf den letzten Punkt: ich lass' ihm keine Ruh';
Ich wach' ihn zahm, schwätz' ihn aus der Geduld;
Sein Tisch und Bett soll Beicht' und Schule sein,
In alles, was er vornimmt, meng' ich ihm
Cassios Gesuch: deshalb sei fröhlich, Cassio!
Denn deine Mittlerin wird lieber sterben,
Als dich versäumen.
Othello und Jago treten in einiger Entfernung auf.
EMILIA.
Gnäd'ge Frau, hier kommt
Der General.
CASSIO.
Ich nehme meinen Abschied.
DESDEMONA.
Ei, bleibt und hört mich reden!
CASSIO.
Gnäd'ge Frau,
Jetzt nicht, ich bin nicht unbefangen, wenig
Geschickt für meine Absicht.
DESDEMONA.
Meinethalb,
Tut nach Belieben!
Cassio geht.
JAGO.
Ha! – Das gefällt mir nicht!
OTHELLO.
Was sagst du da?
JAGO.
Nichts, gnäd'ger Herr; doch wenn, – ich weiß nicht, was.
OTHELLO.
War das nicht Cassio, der mein Weib verließ?
JAGO.
Cassio, Gen'ral? Gewiß, ich dächt' es nicht,
Daß er wie schuldbewußt wegschleichen würde,
Da er Euch kommen sieht.
OTHELLO.
Ich glaub', er war's.
DESDEMONA.
Ei sieh, mein lieber Herr! –
So eben sprach ein Bittender mit mir,
Ein Mann, durch dein Mißfallen ganz entmutigt.
OTHELLO.
Wer ist es, den du meinst?
DESDEMONA.
Nun, deinen Leutnant Cassio. Teurer Freund,
Hat meine Liebe Kraft, dich zu bewegen,[438]
Dann augenblicks versöhne dich mit ihm! –
Ist er nicht einer, der dich wahrhaft liebt,
Aus Übereilung fehlt', und nicht aus Vorsatz,
Versteh' ich schlecht mich auf ein ehrlich Auge: –
Bitt' dich, ruf' ihn zurück!
OTHELLO.
Ging er jetzt fort?
DESDEMONA.
Ja wahrlich, so gebeugt,
Daß er ein Teil von seinem Gram mir ließ,
Mit ihm zu leiden. Liebster, ruf' ihn wieder!
OTHELLO.
Jetzt nicht, geliebtes Herz, ein andermal.
DESDEMONA.
Doch bald?
OTHELLO.
Sobald als möglich, deinethalb.
DESDEMONA.
Zum Abendessen denn.
OTHELLO.
Nein, heute nicht.
DESDEMONA.
Dann morgen mittag?
OTHELLO.
Ich speise nicht zu Haus;
Die Offiziere luden mich zur Festung.
DESDEMONA.
Nun, morgen abend? oder Dienstag morgen,
Zu Mittag oder Abend – Mittwoch früh? –
O nenne mir die Zeit, doch laß es höchstens
Drei Tage sein: Gewiß, es reut ihn sehr;
Und sein Vergehn, nach unsrer schlichten Einsicht –
Wiewohl der Krieg ein Beispiel fordert, sagt man,
Am Besten selbst – ist nur ein Fehl, geeignet
Für heimlichen Verweis. – Wann darf er kommen?
Sprich doch, Othello: ich begreife nicht,
Was ich dir weigerte, das du verlangtest,
Oder so schaudernd schwieg. Ei, Michael Cassio,
Der für dich warb, und manches liebe Mal,
Wenn ich von dir nicht immer günstig sprach,
Dich treu verfocht – den kostet's so viel Müh'
Dir zu versöhnen? Traun, ich täte viel –
OTHELLO.
Ich bitt' dich, laß – er komme, wann er will;
Ich will dir nichts versagen.
DESDEMONA.
Es ist ja nicht für mich:
Es ist, als bät' ich dich, Handschuh' zu tragen,
Dich warm zu halten, kräft'ge Kost zu nehmen,
Oder als riet' ich dir besondre Sorgfalt[439]
Für deine Pflege – nein, hab' ich zu bitten,
Was deine Liebe recht in Anspruch nimmt,
Dann muß es schwierig sein und voll Gewicht,
Und mißlich die Gewährung.
OTHELLO.
Ich will dir nichts versagen;
Dagegen bitt' ich dich, gewähr' mir dies: –
Laß mich ein wenig nur mit mir allein!
DESDEMONA.
Soll ich's versagen? Nein: leb wohl, mein Gatte!
OTHELLO.
Leb wohl, mein Herz! Ich folge gleich dir nach.
DESDEMONA.
Emilia, komm!
Zu Othello.
Tu', wie dich Laune treibt;
Was es auch sei, gehorsam bin ich dir.
Geht ab mit Emilien.
OTHELLO.
Holdselig Ding! Verdammnis meiner Seele,
Lieb' ich dich nicht! Und wenn ich dich nicht liebe,
Dann kehrt das Chaos wieder.
JAGO.
Mein edler General –
OTHELLO.
Was sagst du, Jago?
JAGO.
Hat Cassio, als Ihr warbt um Eure Gattin,
Gewußt um Eure Liebe?
OTHELLO.
Vom Anfang bis zu Ende: warum fragst du?
JAGO.
Um nichts, als meine Neugier zu befried'gen;
Nichts Arges sonst.
OTHELLO.
Warum die Neugier, Jago?
JAGO.
Ich glaubte nicht, er habe sie gekannt.
OTHELLO.
O ja, er ging von einem oft zum andern.
JAGO.
Wirklich?
OTHELLO.
Wirklich! ja, wirklich! – Find'st du was darin?
Ist er nicht ehrlich?
JAGO.
Ehrlich, gnäd'ger Herr?
OTHELLO.
Ehrlich, ja ehrlich!
JAGO.
So viel ich weiß, Gen'ral!
OTHELLO.
Was denkst du, Jago?
JAGO.
Denken, gnäd'ger Herr?
OTHELLO.
Hm, denken, gnäd'ger Herr! Bei Gott, mein Echo!
Als läg' ein Ungeheu'r in seinem Sinn,
Zu gräßlich, es zu zeigen. – Etwas meinst du:[440]
Jetzt eben riefst du: »Das gefällt mir nicht!« –
Als Cassio fortging. Was gefällt dir nicht? –
Und als ich sagt', ihm hab' ich mich vertraut
Im Fortgang meiner Werbung, riefst du: »Wirklich?«
Und zogst und faltetest die Stirn zusammen,
Als hielt'st du einen greulichen Gedanken
Verschlossen im Gehirn: – wenn du mich liebst,
Sprich, was du denkst!
JAGO.
Ihr wißt, ich lieb' Euch, Herr!
OTHELLO.
Das, denk' ich, tust du;
Und weil ich weiß, du bist mein Freund, und redlich,
Und wägst das Wort, eh' du ihm Atem leihst,
So ängstet mich dies Stocken um so mehr –
Denn derlei ist bei falsch treulosen Buben
Alltäglich Spiel; doch bei dem Biedermann
Heimlicher Wink, der aus dem Herzen dringt
Im Zorn des Edelmuts.
JAGO.
Nun, Michael Cassio –
Ich darf wohl schwören, ehrlich halt' ich ihn.
OTHELLO.
Ich auch.
JAGO.
Man sollte sein das, was man scheint;
Und die es nicht sind, sollten's auch nicht scheinen.
OTHELLO.
Ganz recht, man sollte sein das, was man scheint.
JAGO.
Nun wohl, so halt' ich Cassio dann für ehrlich.
OTHELLO.
Nein, damit meinst du mehr:
Ich bitt' dich, sprich mir ganz so, wie du denkst,
Ganz wie du sinnst; und gib dem schlimmsten Denken
Das schlimmste Wort!
JAGO.
Mein General, verzeiht:
Obgleich zu jeder Dienstpflicht Euch verbunden,
Nicht bin ich's da, wo Sklaven frei sich fühlen.
Aussprechen die Gedanken!
Gesetzt, sie wären niedrig und verkehrt –
Wo ist der Palast, wo nicht auch einmal
Schändliches eindringt? Wessen Herz so rein,
Daß der und jener schmutz'ge Zweifel nicht
Einmal zu Rat sitzt und Gerichtstag hält
Mit rechtsgemäßer Forschung?[441]
OTHELLO.
Du übst Verrat an deinem Freunde, Jago,
Glaubst du, man kränk' ihn, und verhüllst ihm doch,
Was du nun irgend denken magst.
JAGO.
Ich bitt' Euch,
Wenn auch vielleicht falsch ist, was ich vermute
(Wie's, ich bekenn' es, stets mein Leben quält,
Fehltritten nachgehn; auch mein Argwohn oft
Aus Nichts die Sünde schafft), daß Eure Weisheit
Auf einen, der so unvollkommen wahrnimmt,
Nicht hören mag; noch Unruh' Euch erbaun
Aus seiner ungewiß zerstreuten Meinung; –
Nicht kann's bestehn mit Eurer Ruh' und Wohlfahrt,
Noch meiner Mannheit, Redlichkeit und Vorsicht,
Sag' ich Euch, was ich denke.
OTHELLO.
Sprich, was meinst du?
JAGO.
Der gute Name ist bei Mann und Frau,
Mein bester Herr,
Das eigentliche Kleinod ihrer Seelen.
Wer meinen Beutel stiehlt, nimmt Tand; 's ist etwas
Und nichts; mein war es, ward das Seine nun,
Und ist der Sklav' von Tausenden gewesen,
Doch wer den guten Namen mir entwendet,
Der raubt mir das, was ihn nicht reicher macht,
Mich aber bettelarm.
OTHELLO.
Beim Himmel! ich will wissen, was du denkst.
JAGO.
Ihr könnt's nicht, läg' in Eurer Hand mein Herz.
Noch sollt Ihr's, weil es meine Brust verschließt.
OTHELLO.
Ha! –
JAGO.
Oh, bewahrt Euch, Herr, vor Eifersucht,
Dem grüngeaugten Scheusal, das besudelt
Die Speise, die es nährt! – Heil dem Betrognen,
Der, seiner Schmach bewußt, die Falsche haßt!
Doch welche Qualminuten zählt der Mann,
Der liebt, verzweifelt; argwohnt und vergöttert!
OTHELLO.
O Jammer! –
JAGO.
Arm und vergnügt ist reich und überreich;
Doch Krösus' Reichtum ist so arm als Winter
Für den, der immer fürchtet, er verarme: –[442]
O Himmel, schütz' all meiner Freunde Herz
Vor Eifersucht! –
OTHELLO.
Wie? Was ist das? Denkst du,
Mein Leben soll aus Eifersucht bestehn? –
Und wechseln, wie der Mond, in ew'gem Schwanken
Mit neuer Furcht? Nein, einmal Zweifeln macht
Mit eins entschlossen. Vertausch' mich mit 'ner Geiß,
Wenn ich das Wirken meiner Seele richte
Auf solch verblasnes, nichtiges Phantom,
Wahnspielend, so wie du. Nicht weckt mir's Eifersucht,
Sagt man, mein Weib ist schön, gedeiht, spricht scherzend,
Sie liebt Gesellschaft, singt, spielt, tanzt mit Reiz: –
Wo Tugend ist, macht das noch tugendhafter. –
Noch schöpf' ich je aus meinen eignen Mängeln
Die kleinste Furcht, noch Zweifel ihres Abfalls;
Sie war nicht blind, und wählte mich. Nein, Jago,
Eh' ich zweifle, will ich sehn; zweifl' ich, Beweis:
Und hab' ich den, so bleibt nichts anders übrig,
Alsfort auf eins mit Lieb' und Eifersucht!
JAGO.
Das freut mich, denn nun darf ich ohne Scheu
Euch offenbaren meine Lieb' und Pflicht,
Mit freierm Herzen. Drum als Freundeswort
Hört so viel nur: noch schweig' ich von Beweisen. –
Beachtet Eure Frau; prüft sie mit Cassio,
Das Auge klar, nicht blind, nicht eifersüchtig;
Wie traurig, würd Eu'r freies, edles Herz
Gekränkt durch innre Güte: drum gebt acht!
Venedigs Art und Sitte kenn' ich wohl:
Dort lassen sie den Himmel Dinge sehn,
Die sie dem Mann verbergen – gut Gewissen
Heißt dort nicht: »Unterlaß!«, nein: »Halt' geheim!«
OTHELLO.
Meinst du? –
JAGO.
Den Vater trog sie, da sie Euch geeh' licht –
Als sie vor Euerm Blick zu beben schien,
War sie in Euch verliebt.
OTHELLO.
Jawohl!
JAGO.
Nun folglich:
Sie, die so jung sich so verstellen konnte,[443]
Daß sie des Vaters Blick mit Nacht umhüllte,
Daß er's für Zauber hielt – doch scheltet mich: –
In Demut bitt' ich Euch, Ihr wollt verzeihn,
Wenn ich zu sehr Euch liebe.
OTHELLO.
Ich bin dir ewig dankbar.
JAGO.
Ich seh', dies bracht' Euch etwas aus der Fassung.
OTHELLO.
O gar nicht! gar nicht! –
JAGO.
Traun, ich fürcht' es doch.
Ich hoff', Ihr wollt bedenken: was ich sprach,
Geschah aus Liebe. – Doch Ihr seid bewegt: –
Ich bitt' Euch, Herr! dehnt meine Worte nicht
Zu größerm Raum und weitrer Richtung aus,
Als auf Vermutung!
OTHELLO.
Nein.
JAGO.
Denn tätet Ihr's,
So hätten meine Reden schlimmre Folgen,
Als ich jemals gedacht. Sehr lieb' ich Cassio –
Ich seh', Ihr seid bewegt. –
OTHELLO.
O nein! nicht sehr! –
Ich glaube, Desdemona ist mir treu.
JAGO.
Lang' bleibe sie's! Und lange mögt Ihr's glauben! –
OTHELLO.
Und dennoch – ob Natur, wenn sie verirrt –
JAGO.
Da, darin liegt's: als – um es dreist zu sagen –
So manchem Heiratsantrag widerstehn,
Von gleicher Heimat, Wohlgestalt und Rang,
Wonach, wir sehn's, Natur doch immer strebt:
Hm, darin spürt man Willen, allzulüstern.
Maßlosen Sinn, Gedanken unnatürlich.
Jedoch verzeiht: ich hab' in diesem Fall
Nicht sie bestimmt gemeint: obschon ich fürchte,
Ihr Wille, rückgekehrt zu besserm Urteil,
Vergleicht Euch einst mit ihren Landsgenossen,
Und dann vielleicht bereut sie.
OTHELLO.
Leb wohl! Leb wohl!
Wenn du mehr wahrnimmst, laß mich mehr erfahren;
Dein Weib geb' auf sie acht! – Verlaß mich, Jago! –
JAGO.
Lebt wohl, mein gnäd'ger Herr!
Abgehend.[444]
OTHELLO.
Warum vermählt' ich mich? – Der brave Mensch
Sieht und weiß mehr, weit mehr, als er enthüllt! –
JAGO zurückkehrend.
Mein General, ich möcht' Euch herzlich bitten,
Nicht weiter grübelt; überlaßt's der Zeit:
Und ist's gleich recht, Cassio im Dienst zu lassen
(Denn allerdings steht er ihm trefflich vor),
Doch, wenn's Euch gut dünkt, haltet ihn noch hin:
Dadurch verrät er sich und seine Wege.
Habt acht, ob Eure Gattin seine Rückkehr
Mit dringend heft'gem Ungestüm begehrt;
Daraus ergibt sich manches. Unterdes
Denkt nur, ich war zu emsig in der Furcht
(Und wirklich muß ich fürchten, daß ich's war –),
Und haltet sie für treu, mein edler Feldherr!
OTHELLO.
Sorg' nicht um meine Fassung!
JAGO.
Noch einmal nehm' ich Abschied.
Ab.
OTHELLO.
Das ist ein Mensch von höchster Redlichkeit,
Und kennt mit wohlerfahrnem Sinn das Treiben
Des Weltlaufs. Find' ich dich verwildert, Falk,
Und sei dein Fußriem mir ums Herz geschlungen,
Los geb' ich dich: fleuch hin in alle Lüfte,
Auf gutes Glück! – Vielleicht wohl, weil ich schwarz bin
Und mir des leichten Umgangs Gabe fehlt,
Der Stutzer ziert; auch weil sich meine Jahre
Schon abwärts senken; – doch das heißt nicht viel:
Sie ist dahin! – Ich bin getäuscht! – Mein Trost
Sei bittrer Haß. Oh! Fluch des Ehestands,
Daß unser diese zarten Wesen sind,
Und nicht ihr Lüsten! Lieber Kröte sein
Und von den Dünsten eines Kerkers leben,
Als daß ein Winkel im geliebten Wesen
Für andre sei! – Das ist der Großen Qual,
Sie haben minder Vorrecht als der Niedre;
s' ist ihr Geschick, unwendbar wie der Tod;
Schon im Entstehn schwebt der gehörnte Fluch
Auf unsrer Scheitel. Siehe da, sie kommt: –
Desdemona und Emilia treten auf.[445]
Ist diese falsch, so spottet sein der Himmel! –
Ich will's nicht glauben!
DESDEMONA.
Nun, mein teurer Herr?
Dein Gastmahl und die edlen Cyprier,
Die du geladen, warten schon auf dich.
OTHELLO.
Ich bin zu tadeln.
DESDEMONA.
Was redest du so matt? Ist dir nicht wohl?
OTHELLO.
Ich fühle Schmerz an meiner Stirne hier.
DESDEMONA.
Ei ja, das kommt vom Wachen, es vergeht:
Ich will sie fest dir binden, in 'ner Stunde
Ist's wieder gut.
OTHELLO.
Dein Schnupftuch ist zu klein
Sie läßt ihr Schnupftuch fallen.
Laß nur: komm mit, ich geh' hinein mit dir.
DESDEMONA.
Es quält mich sehr, daß du dich unwohl fühlst.
Desdemona und Othello ab.
EMILIA.
Mich freut, daß ich das Tuch hier finde:
Dies war des Mohren erstes Liebespfand.
Mein wunderlicher Mann hieß mich schon zehnmal
Das Tuch entwenden: doch sie liebt's so sehr
(Denn er beschwor sie's sorglich stets zu hüten),
Daß sie's beständig bei sich trägt, es küßt
Und spricht damit. Das Stickwerk zeichn' ich nach,
Und geb' es Jago:
Wozu er's will, der Himmel weiß: gleichviel,
Ich füge mich in seiner Launen Spiel.
Jago tritt auf.
JAGO.
Was gibt's? Was machst du hier allein?
EMILIA.
Nun zank' nur nicht, ich habe was für dich.
JAGO.
Hast was für mich? Das ist nun wohl nichts Neues –
EMILIA.
Ei! seht mir doch!
JAGO.
Ein närrisch Weib zu haben.
EMILIA.
So! weiter nichts? – Nun, sprich! Was gibst du mir
Für dieses Taschentuch?
JAGO.
Welch Taschentuch? –
EMILIA.
Welch Taschentuch?[446]
Ei nun, des Mohren erstes Brautgeschenk,
Das du so oft mir zu entwenden hießest.
JAGO.
Hast du's gestohlen?
EMILIA.
Das nicht: sie ließ es fallen aus Versehn;
Und ich zum Glück stand nah und hob es auf.
Sieh da, hier ist's.
JAGO.
Ein braves Weib! Gib her! –
EMILIA.
Was soll dir's nur, daß du so eifrig drängst,
Ihr's wegzumausen? –
JAGO reißt es ihr weg.
Ei! Was geht's dich an? –
EMILIA.
Hat's keinen wicht'gen Zweck, so gib mir's wieder:
Die arme Frau! – Sie wird von Sinnen kommen,
Wenn sie's vermißt.
JAGO.
Tu' du, als weißt du nichts: ich brauch's zu was;
Laß dir nichts merken: g'nug, daß ich's bedarf
Geh, laß mich!
Emilia ab.
Ich will bei Cassio dieses Tuch verlieren
Da soll er's finden; Dinge, leicht wie Luft,
Sind für die Eifersucht Beweis, so stark
Wie Bibelsprüche. Dies kann Wirkung tun.
Der Mohr ist schon im Kampf mit meinem Gift: –
Gefährliche Gedanken sind gleich Giften,
Die man zuerst kaum wahrnimmt am Geschmack,
Allein nach kurzer Wirkung auf das Blut
Gleich Schwefelminen glühn. Ich sagt' es wohl! –
Othello tritt auf.
Da kommt er. Mohnsaft nicht, noch Mandragora,
Noch alle Schlummerkräfte der Natur,
Verhelfen je dir zu dem süßen Schlaf,
Den du noch gestern hattest.
OTHELLO.
Ha! Ha! Mir treulos! Mir! –
JAGO.
Nun, faßt Euch, General! Nichts mehr davon!
OTHELLO.
Fort! Heb' dich weg! Du warfst mich auf die Folter: –
Ich schwör', 's ist besser, sehr betrogen sein,
Als nur ein wenig wissen.
JAGO.
Wie, Gen'ral?[447]
OTHELLO.
Was ahnet' ich von ihren stillen Lüsten? –
Ich sah's nicht, dacht' es nicht, war ohne Harm;
Schlief wohl die nächste Nacht, aß gut, war frei und froh;
Ich fand nicht Cassios Küss' auf ihren Lippen:
Wenn der Bestohlne nicht vermißt den Raub,
Sagt ihr's ihm nicht, so ist er nicht bestohlen.
JAGO.
Es schmerzt mich, dies zu hören.
OTHELLO.
Noch wär' ich glücklich, wenn das ganze Lager,
Troßbub' und alles, ihren süßen Leib genoß,
Und ich erfuhr es nicht. O nun, auf immer
Fahr' wohl, des Herzens Ruh'! Fahr' wohl, mein Friede!
Fahr' wohl, du wall'nder Helmbusch, stolzer Krieg,
Der Ehrgeiz macht zur Tugend! Oh, fahr' wohl!
Fahr' wohl, mein wiehernd Roß und schmetternd Erz,
Mutschwell'nde Trommel, muntrer Pfeifenklang,
Du königlich Panier, und aller Glanz,
Pracht, Pomp und Rüstung des glorreichen Kriegs! –
Und o du Mordgeschoß, des rauher Schlund
Des ew'gen Jovis Donner widerhallt,
Fahr' wohl! Othellos Tagwerk ist getan! –
JAGO.
Ist's möglich? – Gnäd'ger Herr –
OTHELLO.
Beweise, Schurk', mir, daß mein Weib verbuhlt,
Tu's ja, schaff' mir den sichtlichen Beweis;
Sonst, bei dem Leben meiner ew'gen Seele,
Besser wär' dir's, ein Hund geboren sein,
Als meinem Grimm dich stellen!
JAGO.
Dahin kam's?
OTHELLO.
Sehn will ich, oder mindestens Beweis,
An dem kein Häkchen sei, den kleinsten Zweifel
Zuhängen dran, sonst wehe deiner Seele! –
JAGO.
Mein edler Herr! –
OTHELLO.
Wenn du sie frech verleumd'st und folterst mich,
Dann bete nie mehr; schließ' die Rechnung ab;
Auf höchsten Greuel häufe neuen Greuel;
Mach', daß der Himmel weint, die Erde bebt,
Denn nichts zum ew'gen Fluche kannst du fügen,
Das größer sei.
JAGO.
O Gnad'! O Himmel! Schützt mich! –[448]
Seid Ihr ein Mann? Habt Ihr Vernunft und Sinn? –
Fahrt wohl denn! Nehmt mein Amt! – Ich blöder Tor,
Des Lieb' und Redlichkeit als Laster gilt! –
O schnöde Welt! Merk' auf, merk' auf, o Welt!
Aufrichtig sein und redlich bringt Gefahr.
Dank für die Warnung: keinen Freund von jetzt
Lieb' ich hinfort, da Liebe so verletzt.
OTHELLO.
Nein, bleib', du solltest doch wohl ehrlich sein.
JAGO.
Klug sollt' ich sein, denn Gradheit ist 'ne Törin,
Die das verfehlt, wonach sie strebt.
OTHELLO.
Bei Gott!
Ich denk', mein Weib ist treu, und ist es nicht;
Ich denke, du bist brav, und bist es nicht;
Ich will Beweis. Ihr Name, einst so hell
Wie Dianens Antlitz, ist nun wüst und schwarz
Wie mein Gesicht. – Wenn's Messer gibt und Stricke,
Gift, Feuer, oder Ströme zum Ersäufen,
Ich duld' es nicht. – O wär' ich überzeugt! –
JAGO.
Ich sehe, wie Euch Leidenschaft verzehrt;
Mich reut, daß ich Euch Anlaß gab: so möchtet
Ihr überzeugt sein? –
OTHELLO.
Möchte? Nein, ich will's!
JAGO.
Und könnt. Doch wie? Wie überzeugt, o Herr?
Wollt Ihr mit offnem Blick die Frechheit schaun?
Sie sehn gepaart?
OTHELLO.
Ha, Tod und Teufel! Oh! –
JAGO.
Ein schwierig Unternehmen, denk' ich mir,
Sie so zur Schau zu bringen: 's wär' zu toll,
Wenn mehr noch als vier Augen Zutritt fänden
Bei solchem Lustspiel! Was denn also? Wie?
Was soll ich tun? Wo Überzeugung finden?
Unmöglich ist es, dies mit anzusehn,
Und wären sie wie Geiß' und Affen wild,
Hitzig wie brünst'ge Wölfe, plump und sinnlos
Wie trunkne Dummheit. Dennoch sag' ich Euch,
Wenn Schuldverdacht und Gründe trift'ger Art,
Die gradhin führen zu der Wahrheit Tor,
Euch Überzeugung schafften, solche hätt' ich.[449]
OTHELLO.
Gib sprechende Beweise, daß sie falsch!
JAGO.
Ich hasse dies Geschäft:
Doch weil ich hierin schon so weit gegangen –
Verlockt durch Lieb' und dumme Redlichkeit –,
So fahr' ich fort. – Ich schlief mit Cassio jüngst,
Und da ein arger Schmerz im Zahn mich quälte,
Konnt' ich nicht ruhn.
Nun gibt es Menschen von so schlaffem Geist,
Daß sie im Traum ausschwatzen, was sie tun,
Und Cassio ist der Art.
Im Schlafe seufzt' er: »Süße Desdemona! –
Sei achtsam, unsre Liebe halt' geheim!« –
Und dann ergriff und drückt' er meine Hand,
Rief: »Süßes Kind!« – und küßte mich mit Inbrunst,
Als wollt' er Küsse mit der Wurzel reißen
Aus meinen Lippen, legte dann das Bein
Auf meines, seufzt' und küßte mich und rief:
»Verwünschtes Los, das dich dem Mohren gab!« –
OTHELLO.
O greulich! greulich!
JAGO.
Nun, dies war nur Traum.
OTHELLO.
Doch er bewies vorhergegangne Tat.
JAGO.
Ein schlimm Bedenken ist's, sei's auch nur Traum;
Und dient vielleicht zur Stütze andrer Proben,
Die schwach beweisen.
OTHELLO.
In Stücke reiß' ich sie!
JAGO.
Nein, mäßigt Euch: noch sehn wir nichts getan;
Noch kann sie schuldlos sein. Doch sagt dies eine:
Saht Ihr nie sonst in Eures Weibes Hand
Ein feines Tuch, mit Erdbeer'n bunt gestickt?
OTHELLO.
So eines gab ich ihr, mein erst Geschenk.
JAGO.
Das wußt' ich nicht. Allein mit solchem Tuch
(Gewiß war es das ihre) sah ich heut
Cassio den Bart sich wischen.
OTHELLO.
Wär' es das, –
JAGO.
Das, oder sonst eins, kam's von ihr, so zeugt
Es gegen sie nebst jenen andern Zeichen.
OTHELLO.
Oh! daß der Sklav' zehntausend Leben hätte!
Eins ist zu arm, zu schwach für meine Rache![450]
Nun seh' ich, es ist wahr. Blick' her, o Jago,
So blas' ich meine Lieb' in alle Winde: –
Hin ist sie. –
Auf, schwarze Rach', aus deiner tiefen Hölle!
Gib, Liebe, deine Kron' und Herzensmacht
Tyrann'schem Haß! Dich sprenge deine Last,
O Busen, angefüllt mit Natterzungen!
JAGO.
Ich bitt' Euch, ruhig!
OTHELLO.
Blut, o Jago, Blut!
JAGO.
Geduld, vielleicht noch ändert Ihr den Sinn.
OTHELLO.
Nie, Jago, nie! So wie des Pontus Meer,
Des eis'ger Strom und fortgewälzte Flut
Nie rückwärts ebben mag, nein, unaufhaltsam
In den Propontis rollt und Hellespont:
So soll mein blut'ger Sinn in wüt'gem Gang
Nie umschaun, noch zur sanften Liebe ebben,
Bis eine vollgenügend weite Rache
Ihn ganz verschlang.
Er knieet nieder.
Nun, beim kristallnen Äther,
Mit schuld'ger Ehrfurcht vor dem heil'gen Eid
Verpfänd' ich hier mein Wort.
JAGO knieet auch.
Steht noch nicht auf! –
Bezeugt's, ihr ewig glüh'nden Lichter dort!
Ihr Elemente, die ihr uns umschließt!
Bezeugt, daß Jago hier sich weiht mit allem,
Was sein Verstand, was Herz und Hand vermag,
Othellos Schmach zu ahnden! Er gebiete,
Und zu gehorchen sei mir Liebespflicht,
Wie blutig auch die Tat! –
OTHELLO.
Ich grüße deine Liebe
Mit eitlem Dank nicht, nein, mit freud'gem Ja,
Und augenblicklich führ' ich dich ans Werk:
Laß in drei Tagen mich von dir vernehmen,
Daß Cassio nicht mehr lebt!
JAGO.
Mein Freund ist tot; Ihr wollt's, es ist geschehn: –
Sie aber schont!
OTHELLO.
Verdammt, verdammt sei sie, die büb'sche Dirne![451]
Komm, folge heimlich mir, ich will im stillen
Ein schnelles Todesmittel mir verschaffen
Für diesen schönen Teufel. – Nun bist du mein Leutnant!
JAGO.
Ich bin auf ewig Euer!
Sie gehn ab.
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Othello
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Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
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