|
[476] Vorsaal im Schlosse.
Othello, Lodovico, Desdemona, Emilia und Gefolge treten auf.
LODOVICO. Ich bitt' Euch, Herr, bemüht Euch nun nicht weiter!
OTHELLO. O nein, erlaubt, das Ausgehn tut mir wohl.
LODOVICO. Schlaft, Gnäd'ge, wohl! Ich sag' Euch meinen Dank.
DESDEMONA. Ihr wart uns sehr willkommen, Herr!
OTHELLO. Wollen wir gehn, Signor? – O Desdemona! –
DESDEMONA. Mein Gemahl? –
OTHELLO. Geh sogleich zu Bett, ich werde augenblicklich wieder da sein. Entlaß deine Gesellschafterin: tu', wie ich dir sage!
Ab.
DESDEMONA.
Das werd' ich, mein Gemahl.
EMILIA.
Wie geht's nun? Er scheint milder als zuvor.
DESDEMONA.
Er sagt, er werde hier sein ungesäumt;
Er gab mir den Befehl, zu Bett zu gehen,
Und hieß mir, dich entlassen.
EMILIA.
Mich entlassen? –
DESDEMONA.
Er will es also; darum, gutes Kind,
Gib mir mein Nachtgewand und lebe wohl! –
Wir dürfen jetzt ihn nicht erzürnen.
EMILIA.
Hättet Ihr ihn doch nie gesehn!
DESDEMONA.
Das wollt' ich nicht: mein Herz hängt so an ihm,
Daß selbst sein Zorn, sein Trotz, sein Eigensinn –
Komm, steck' mich los – mir lieb und reizend dünkt.
EMILIA.
Die Tücher legt' ich auf, wie Ihr's befahlt.
DESDEMONA.
's ist alles eins. – Ach! was wir töricht sind! –
Sterb' ich vor dir, so bitt' dich, hülle mich
In eins von diesen Tüchern!
EMILIA.
Kommt, Ihr schwatzt! –
DESDEMONA.
Meine Mutter hatt' ein Mädchen – Bärbel hieß sie –,
Die war verliebt, und treulos ward ihr Schatz
Und lief davon. Sie hatt' ein Lied von Weide,
Ein altes Ding, doch paßt' es für ihr Lied;
Sie starb, indem sie's sang. Das Lied heut nacht[476]
Kommt mir nicht aus dem Sinn; ich hab' zu schaffen,
Daß ich nicht auch den Kopf so häng' und singe
Wie's arme Bärbel. Bitt' dich, mach' geschwind!
EMILIA.
Soll ich Eu'r Nachtkleid holen? –
DESDEMONA.
Nein, steck' mich hier nur los! –
Der Lodovico ist ein feiner Mann.
EMILIA.
Ein recht hübscher Mann.
DESDEMONA.
Er spricht gut.
EMILIA.
Ich weiß eine Dame in Venedig, die wäre barfuß nach
Palästina gegangen um einen Druck von seiner Unterlippe.
DESDEMONA singt.
Das Mägdlein saß singend am Feigenbaum früh,
Singt Weide, grüne Weide!
Die Hand auf dem Busen, das Haupt auf dem Knie,
Singt Weide, Weide, Weide!
Das Bächlein, es murmelt und stimmet mit ein;
Singt Weide, grüne Weide!
Heiß rollt ihr die Trän' und erweicht das Gestein;
Leg' dies beiseite –
Singt Weide, Weide, Weide!
Bitt' dich, mach' schnell, er kommt sogleich –
Von Weiden all flecht' ich mir nun den Kranz –
O scheltet ihn nicht, sein Zorn ist mir recht. –
Nein, das kommt später, – horch! wer klopft da? –
EMILIA.
Es ist der Wind.
DESDEMONA.
Ich nannt' ihn du Falscher! Was sagt' er dazu?
Singt Weide, grüne Weide!
Seh' ich nach den Mädeln, nach den Buben siehst du.
So geh nun fort; gute Nacht! Mein Auge jückt,
Bedeutet das wohl Tränen?
EMILIA.
Ei, mit nichten!
DESDEMONA.
Ich hört' es so. – Die Männer, o die Männer!
Glaubst du, auf dein Gewissen, sprich, Emilia,
Daß wirklich Weiber sind, die ihre Männer
So gröblich täuschen?
EMILIA.
Solche gibt's, kein Zweifel.
DESDEMONA.
Tät'st du dergleichen um die ganze Welt?[477]
EMILIA.
Nun, tätet Ihr's nicht?
DESDEMONA.
Nein, beim Licht des Himmels! –
EMILIA.
Ich tät' es auch nicht bei des Himmels Licht,
Ich könnt' es ja im Dunkeln.
DESDEMONA.
Tät'st du dergleichen um die ganze Welt? –
EMILIA.
Die Welt ist mächtig weit; der Lohn wär' groß,
Klein der Verstoß.
DESDEMONA.
Gewiß, du tät'st es nicht! –
EMILIA. Gewiß, ich täte es, und machte es wieder ungetan, wenn ich's getan hätte. Nun freilich täte ich so etwas nicht für einen Fingerring, noch für einige Ellen Batist, noch für Mäntel, Röcke und Hauben oder solchen armsel'gen Kram; aber für die ganze Welt, – ei, wer hätte da nicht Lust, dem Manne Hörner aufzusetzen und ihn zum Weltkaiser zu machen? Dafür wagte ich das Fegefeuer! –
DESDEMONA. Ich will des Todes sein, tät' ich solch Unrecht. Auch um die ganze Welt!
EMILIA. Ei nun, das Unrecht ist doch nur ein Unrecht in der Welt, und wenn Euch die Welt für Eure Mühe zu teil wird, so ist's ein Unrecht in Eurer eignen Welt. Ihr könnt es geschwind zu Recht machen.
DESDEMONA. Ich glaube doch, es gibt kein solches Weib.
EMILIA.
Ei, zehn für eins, und noch so viel in Kauf,
Die Welt, um die sie spielten, gleich zu füllen.
Allein mich dünkt, es ist der Männer Schuld,
Daß Weiberfallen. Wenn sie pflichtvergessen
In fremdem Schoß vergeuden unsern Schatz;
Wenn sie, verkehrt in laun'scher Eifersucht,
Ans Haus uns fesseln; wenn sie gar uns schlagen,
Wenn sie in Leichtsinn unser Gut vertun,
Dann schwillt auch uns die Galle; wir sind fromm,
Doch nicht von Rachsucht frei. Sie sollen's wissen,
Wir haben Sinne auch: wir sehn und riechen,
Und haben einen Gaum für süß und herbe,
Wie unsre Männer. Was bezwecken sie,
Wenn sie uns andre vorziehn? Ist es Lust?
Ich denke, ja; treibt sie die Leidenschaft?
Ich denke, ja; ist's Schwachheit, die sie tört?[478]
Gewiß; und haben wir nicht Leidenschaft?
Nicht Hang zur Lust? Und Schwachheit gleich den Männern?
Drum, wenn der Mann sich treulos von uns kehrte,
War's seine Bosheit, die uns Böses lehrte.
DESDEMONA.
Gut' Nacht! – Und laß mich, Herr, in fremden Sünden
Nicht eigne Sünde, laß mich Beßrung finden! –
Sie gehn ab.[479]
Ausgewählte Ausgaben von
Othello
|
Buchempfehlung
Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik
78 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro