Erste Szene

[151] Bruder Lorenzos Zelle.


Lorenzo und Paris.


LORENZO.

Auf Donnerstag? Die Frist ist kurz, mein Graf.

PARIS.

Mein Vater Capulet verlangt es so,

Und meine Säumnis soll die Eil' nicht hemmen.

LORENZO.

Ihr sagt, Ihr kennt noch nicht des Fräuleins Sinn:

Das ist nicht grade Bahn; so lieb' ich's nicht.

PARIS.

Unmäßig weint sie über Tybalts Tod,

Und darum sprach ich wenig noch von Liebe:

Im Haus der Tränen lächelt Venus nicht.

Nun hält's ihr Vater, würd'ger Herr, gefährlich,

Daß sie dem Grame so viel Herrschaft gibt,

Und treibt in weiser Vorsicht auf die Heirat,

Um ihrer Tränen Ströme zu vertrocknen.

(Das nimmt vielleicht Geselligkeit von ihr,

Worein sie Einsamkeit zu tief versenkt.)

Jetzt wißt Ihr um die Ursach' dieser Eil'.

LORENZO beiseit.

Wüßt' ich nur nicht, was ihr im Wege steht!


Laut.


Seht, Graf! das Fräulein kommt in meine Zelle.


Julia tritt auf.


PARIS.

Ha, schön getroffen, meine liebe Braut!

JULIA.

Das werd' ich dann erst sein, wenn man uns traut.

PARIS.

Man wird, man soll uns Donnerstag vermählen.

JULIA.

Was sein soll, wird geschehn.

LORENZO.

Das kann nicht fehlen.[151]

PARIS.

Kommt Ihr, die Beicht' dem Vater abzulegen?

JULIA.

Gäb' ich Euch Antwort, legt' ich Euch sie ab.

PARIS.

Verleugnet es ihm nicht, daß Ihr mich liebt!

JULIA.

Bekennen will ich Euch, ich liebe ihn.

PARIS.

Gewiß bekennt Ihr auch, Ihr liebet mich.

JULIA.

Tu' ich's, so hat es, hinter Eurem Rücken

Gesprochen, höhern Wert als ins Gesicht.

PARIS.

Du Arme! dein Gesicht litt sehr von Tränen.

JULIA.

Die Tränen dürfen sich des Siegs nicht rühmen:

Es taugte wenig, eh' sie's angefochten.

PARIS.

Dies Wort tut, mehr als Tränen, ihm zu nah.

JULIA.

Doch kann die Wahrheit nicht Verleumdung sein.

Was ich gesagt, sagt' ich mir ins Gesicht.

PARIS.

Doch mein ist das Gesicht, das du verleumdest.

JULIA.

Das mag wohl sein, denn es ist nicht mein eigen. –

Ehrwürd'ger Vater, habt Ihr Muße jetzt?

Wie, oder soll ich um die Vesper kommen?

LORENZO.

Jetzt hab' ich Muße, meine ernste Tochter.

Vergönnt Ihr uns, allein zu bleiben, Graf?

PARIS.

Verhüte Gott, daß ich die Andacht störe!

Früh Donnerstags will ich Euch wecken, Fräulein:

So lang' lebt wohl! Nehmt diesen heil'gen Kuß!

Ab.


JULIA.

O schließ' die Tür, und wenn du das getan,

Komm, wein' mit mir: Trost, Hoffnung, Hülf' ist hin!

LORENZO.

Ach, Julia! ich kenne schon dein Leid,

Es drängt aus allen Sinnen mich heraus;

Du mußt, und nichts, so hör' ich, kann's verzögern,

Am Donnerstag dem Grafen dich vermählen.

JULIA.

Sag mir nicht, Vater, daß du das gehört,

Wofern du nicht auch sagst, wie ich's verhindre:

Kann deine Weisheit keine Hülfe leihn,

So nenne weise meinen Vorsatz nur,

Und dieses Messer hilft mir auf der Stelle.

Gott fügt' in eins mein Herz und Romeos,

Die Hände du; und ehe diese Hand,

Die du dem Romeo versiegelt, dient

Zur Urkund' eines andern Bundes, oder

Mein treues Herz von ihm zu einem andern[152]

Verrät'risch abfällt, soll dies beide töten.

Drum gib aus der Erfahrung langer Zeiten

Mir augenblicklich Rat; wo nicht, so sieh,

Wie dieses blut'ge Messer zwischen mir

Und meiner Drangsal richtet, das entscheidend,

Was deiner Jahr' und deiner Kunst Gewicht

Zum Ausgang nicht mit Ehren bringen konnte.

O zaudre nicht so lang'! Den Tod verlang' ich,

Wenn deine Antwort nicht von Hülfe spricht.

LORENZO.

Halt, Tochter! Ich erspähe was wie Hoffnung:

Allein es auszuführen heischt Entschluß,

Verzweifelt, wie das Übel, das wir fliehn.

Hast du die Willensstärke, dich zu töten,

Eh' du dem Grafen Paris dich vermählst,

Dann zweifl' ich nicht, du unternimmst auch wohl

Ein Ding wie Tod, die Schmach hinwegzutreiben,

Der zu entgehn du selbst den Tod umarmst;

Und wenn du's wagst, so biet' ich Hülfe dir.

JULIA.

Oh, lieber als dem Grafen mich vermählen,

Heiß' von der Zinne jenes Turms mich springen,

Da gehn, wo Räuber streifen, Schlangen lauern,

Und kette mich an wilde Bären fest;

Birg bei der Nacht mich in ein Totenhaus

Voll rasselnder Gerippe, Moderknochen

Und gelber Schädel mit entzahnten Kiefern;

Heiß' in ein frisch gemachtes Grab mich gehn

Und in das Leichentuch des Toten hüllen!

Sprach man sonst solche Dinge, bebt' ich schon;

Doch tu' ich ohne Furcht und Zweifel sie,

Des süßen Gatten reines Weib zu bleiben.

LORENZO.

Wohl denn! Geh heim, sei fröhlich, will'ge drein,

ich zu vermählen: morgen ist es Mittwoch;

Sieh, wie du morgen nacht allein magst ruhn;

Laß nicht die Amm' in deiner Kammer schlafen:

Nimm dieses Fläschchen dann mit dir zu Bett,

Und trink' den Kräutergeist, den es verwahrt.

Dann rinnt alsbald ein kalter, matter Schauer[153]

Durch deine Adern und bemeistert sich

Der Lebensgeister; den gewohnten Gang

Hemmt jeder Puls und hört zu schlagen auf.

Kein Odem, keine Wärme zeugt von Leben;

Der Lippen und der Wangen Rosen schwinden

Zu bleicher Asche; deiner Augen Vorhang

Fällt, wie wenn Tod des Lebens Tag verschließt.

Ein jedes Glied, gelenker Kraft beraubt,

Soll steif und starr und kalt wie Tod erscheinen.

Als solch ein Ebenbild des dürren Todes

Sollst du verharren zweiundvierzig Stunden,

Und dann erwachen wie von süßem Schlaf.

Wenn nun der Bräutigam am Morgen kommt

Und dich vom Lager ruft, da liegst du tot;

Dann (wie die Sitte unsres Landes ist)

Trägt man auf einer Bahr' in Feierkleidern

Dich unbedeckt in die gewölbte Gruft,

Wo alle Capulets von Alters ruhn.

Zur selben Zeit, wenn du erwachen wirst,

Soll Romeo aus meinen Briefen wissen,

Was wir erdacht' und sich hieher begeben.

Wir wollen beid' auf dein Erwachen harren;

Und in derselben Nacht soll Romeo

Dich fort von hier nach Mantua geleiten.

Das rettet dich von dieser droh'nden Schmach,

Wenn schwacher Unbestand und weib'sche Furcht

Dir in der Ausführung den Mut nicht dämpft.

JULIA.

Gib mir, o gib mir! Rede nicht von Furcht!

LORENZO.

Nimm, geh mit Gott, halt' fest an dem Entschluß!

Ich send' indes mit Briefen einen Bruder

In Eil' nach Mantua zu deinem Treuen.

JULIA.

Gib, Liebe, Kraft mir! Kraft wird Hülfe leihen.

Lebt wohl, mein teurer Vater!


Beide ab.[154]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 151-155.
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