In der Haubenschachtel

[90] Es blitzte, donnerte und regnete, was vom Himmel herunter wollte an diesem Nachmittag, und es schien gar nicht aufhören zu wollen. Bum, bum, krach, ging das immerzu. Mal schien es so, als wollte es besser werden, aber gleich donnerte und blitzte es wieder heftig, und der Herzog gab die Weiterreise schließlich auf. Er hatte die Prinzessin Gundolfine noch nach ihrem Schloß Burggrün bringen wollen, aber da sich auch die Prinzessin schrecklich fürchtete, blieben alle beide in Dingelhausen, und alle beide blieben sie im Bette liegen.

Und weil die Begleiter des Herzogs und die Hofdamen der Prinzessin nichts Besseres anzufangen wußten und alle müde waren, gingen sie auch zu Bett. Bald lag das kleine Schloß dunkel da, der Pächter, seine Frau, seine Leute, alle schliefen und alle hörten nur noch, wie der Regen nachließ. Das Wetter zog ab. Allmählich kamen die Sterne am Himmel zum Vorschein, und der Mond, der nun schon ein recht schiefes Gesicht hatte, kam auch, um zu sehen, was tagsüber geschehen war.

Im Wagenschuppen, wo der Gepäckwagen stand, war es ganz dunkel, aber der Mond fand doch einen Spalt, schaute durch den hinein und Kasperle gerade ins Gesicht. Davon wachte Kasperle nun freilich nicht auf, sondern von einem heftigen Gerumpel in seinem Mäglein. Es hatte Hunger. Als Kasperle die Augen aufschlug, wußte[90] es erst nicht, wo es sich befand. Auch daß es Hunger hatte, kam ihm nicht zum Bewußtsein; nur daß da in seinem Magen etwas nicht in Ordnung war, merkte es. Verwirrt richtete es sich auf, das raschelte und rauschte um es herum, und der Mond schien so freundlich zu ihm herein. Da besann sich Kasperle nach und nach auf alles, was geschehen war. Auch die Butterbrote fielen ihm ein, und es fand diese neben sich in der großen Haubenschachtel liegen. Da begann es zu schmausen, und als es satt war, hatte es auch Lust, ein bißchen Dummheiten zu machen.

Freilich, in einem Gepäckwagen läßt sich schwer etwas anstellen, zumal nur gerade das Fleckchen, auf dem die Haubenschachtel stand, etwas hell war; alles andere lag im tiefen Schatten.

Kasperle gähnte, Kasperle seufzte, es war doch recht langweilig in einem Gepäckwagen! Auf einmal zwickte und zwackte es etwas, sein kleines Kasperleherz tat ihm weh! Es dachte an das Waldhaus und seine Bewohner, an Michele und die schöne Rosemarie, und da wuschelte es den Kopf in die Hauben der Prinzessin Gundolfine und schluchzte bitterlich.

Wie schwer war es doch, so ein armes, verlassenes Kasperle zu sein! Nun mußte es immer bei dem Herzog leben, vielleicht sah es die Waldhausleute nie, nie wieder; und auch Michele und Rosemarie nicht.

Ach sicher, der Herzog war boshaft! Der würde nie sagen: »Geh zum Teufel!« Der würde es immer gleich einsperren und auch hungern lassen.

Kasperle trommelte mit beiden Fäusten wütend auf den Hauben herum. Schlimm, schlimm, schlimm erging es ihm!

Ausreißen wäre am besten, dachte es.[91]

Aber da meinte es seines Micheles Stimme zu hören, die sprach: Sein Versprechen muß man halten. Ein Schuft, wer sein Wort bricht.

Kasperle stöhnte. Ach, es ging ihm schon schlecht jetzt! Und dann fiel ihm seine Urheimat ein, die schöne Kasperle-Insel, von der es oft geträumt hatte. So ganz genau wußte es nun nicht mehr, wie es da war. Immer, wenn es an die ferne, unbekannte Insel im Weltmeer dachte, sah es ja nur viele, viele bunte, leuchtende Blumen, meinte seltsam schöne Vögel singen zu hören und viele andere kleine lustige Kasperles zu sehen. Aber alles war ihm nur noch wie ein Traum; es war schon so lange unter den Menschen, da hatte es vieles vergessen.

Gewiß finde ich nicht mehr auf meine Kasperle-Insel zurück, dachte der kleine Kerl traurig. Er wuschelte wieder den Kopf zwischen Prinzessin Gundolfines Staatshauben und weinte aufs neue. In einem Gepäckwagen eingeschlossen zu sein, so allein in der Nacht, ist aber auch eine unangenehme Sache.[92]

Doch allzu lange kann ein Kasperle nicht traurig sein. Kasperle sah den Mond neugierig in den Gepäckwagen gucken, und weil es sehr dumm war und meinte, der Mond hätte just nichts anderes zu tun, als es, das Kasperle, anzusehen, nahm es eine der Staatshauben, stülpte sie sich wieder auf den Kopf und grinste den Mond an.

»Bäh!« machte Kasperle, aber – plötzlich sank es vor Schreck in die große Haubenschachtel zurück.

Was wisperte, flüsterte, raschelte und klirrte denn da draußen?

Kasperle konnte nichts sehen, aber es hörte Stimmen, hörte leise, leise Schritte.

Jemand sagte: »Dort in der Ecke, der ist's!«

Eine andere Stimme antwortete: »Nur leise, leise, damit sie im Schloß nichts hören!«

»Sie schlafen alle, kein Fenster ist mehr hell«, erwiderte die erste Stimme.

Die andere sprach: »Nimm dich in acht, hier sind große Pfützen, platsch nicht hinein! Werden auch die Hunde schweigen?«

»Ach die! Denen habe ich jedem eine Wurst zugeworfen«, sagte wieder der erste. Und der zweite fragte: »Weißt du, wo der Koffer mit all den goldenen Orden und Diamanten steht?«

»Freilich, gleich links an der Seite; ich habe doch den Wagen packen helfen.«

Nun lachten beide und rappelten draußen am Schloß herum, und dabei sagte die erste Stimme: »Die Staatskleider der Prinzessin Gundolfine sind auch im Wagen, vielleicht finden wir sie.«[93]

»Ich hab' eine Laterne, die kann ich im Wagen anzünden«, antwortete der andere wieder, und diese Stimme kam Kasperle merkwürdig bekannt vor.

Wer konnte das nur sein?

Kasperle zitterte vor Angst. Sicher waren es Diebe. Wenn die es fanden – oh, dann konnte es ihm schlimm ergehen! Ich krieche unter die Hauben, dachte es, aber gleich fiel es ihm ein, wenn es recht, recht laut schrie, dann hörte man es wohl im Schloß, und vielleicht rissen dann die Diebe auch aus, ohne etwas zu stehlen.

»Potz Wetter, aber der ist fest verschlossen!« brummte einer.

Rippel, rappel, der Wagen schwankte hin und her, da tuschelte draußen wieder eine Stimme: »Jetzt geht's.«

Krach, sprang das Schloß auf, zwei Männer schauten in das Dunkel hinein. Einer tastete mit der Hand nach links und sagte enttäuscht: »Jetzt steht ja der kleine Koffer nicht mehr da!«

»Ich zünde die Laterne an.«

»Tu's lieber nicht!« mahnte der erste.

»Ach was, hier sieht es ja niemand!« erwiderte der zweite. Er begann auf sein Feuerzeug zu schlagen, ein Fünkchen flammte auf, und gleich darauf brannte eine kleine Laterne.

»Wir müssen alles durchsuchen«, sagte der erste.

Kasperle wurde es glühend heiß vor Angst. Ich muß sie erschrecken, dachte es. Und auf einmal fiel ihm ein, es wollte so ein bitterböses Gesicht wie die Prinzessin Gundolfine machen.

Es hatte dies kaum gedacht, da schoß es auch schon aus dem Haubenkoffer heraus. Die große Haube der Prinzessin[94] wackelte auf seinem Kopf, und die beiden Diebe brüllten entsetzt: »Die Prinzessin, die Prinzessin!«

Noch mehr als sie aber brüllte Kasperle, und eins, zwei, drei schlug es den beiden die Hauben um die Köpfe, daß denen Hören und Sehen verging.

Klirr, fiel die Laterne zu Boden, schreiend wollten beide fliehen. Dabei rannten sie an die Schuppentüre, pardauz, schlug sie dem einen an den Kopf, bums, dem andern. Der erste verlor das Gleichgewicht, purzelte und versank draußen in einer großen Pfütze, der andere stolperte über ihn – platsch, lag auch er da. »Au«, stöhnte er, »mein Bein!«

»Meine Nase!« ächzte der andere.

Drinnen aber brüllte Kasperle, so gellend laut es nur konnte. Da wurde es hell im Schloß und im nahen Stall; der Pächter kam, Knechte kamen, die Hofleute wurden wach, und ehe die beiden Diebe noch auf den Beinen standen, da waren sie schon umringt.

»Hallo, ist ja der Kasperlemann!« rief einer.

»Hallo, und der fortgejagte Klaus!« schrie ein anderer.

»Jemine, aber wer schreit denn im Wagen so schrecklich?« fragte der Pächter.

»Ach du lieber Himmel, das ist ja Kasperle!« Ein Diener leuchtete mit einer Laterne, ein paar andere drängten nach, während die Knechte die beiden Diebe fortschleppten. Da stand die Tür des Gepäckwagens auf und da –

»Die Prinzessin!« rief der erste Diener entsetzt.

»Alle guten Geister, die Prinzessin sitzt im Gepäckwagen!« kreischten die andern. Und weil sie alle vor der Prinzessin eine große Angst hatten, rannten sie alle zurück[95] und schrien nur immerzu: »Die Prinzessin sitzt im Gepäckwagen, die Prinzessin sitzt im Gepäckwagen!«

Durch den Lärm wurde der Herzog wach, er fragte laut: »Was ist denn los?«

Da stürzte sein Kammerdiener in das Zimmer und rief: »O gnädiger Herr Herzog, die Prinzessin Gundolfine sitzt im Gepäckwagen, und beinahe wäre sie gestohlen worden!«

»Im Gepäckwagen?« stammelte der Herzog. »Nein, sie hat doch auch zu sonderbare Launen!«

»Wo soll ich sitzen?« kreischte draußen auf dem Flur die Prinzessin. »Wer sagt, daß ich im Gepäckwagen sitze? Was ist das für eine Frechheit!«

»Die Prinzessin Gundolfine sitzt im Gepäckwagen.« Der jüngste Page rannte schreiend den Flur entlang, und schwipp, schwapp, hatte er eine Ohrfeige rechts und eine links, und vor ihm stand die Prinzessin in einem dottergelben[96] Schlafrock und rief ihm zu: »Siehst du nicht, daß ich hier stehe? Wie kann ich da im Gepäckwagen sitzen! Was ist das überhaupt für eine dumme Rede? Ich habe noch nie im Gepäckwagen geschlafen.«

»Aber – aber –« Der Page konnte vor Erstaunen kein Wort reden.

Doch da kam schon wieder ein Diener gelaufen, der schrie auch: »Die Prinzessin sitzt im Gepäckwagen!«

Schwipp, schwapp, hatte er auch ein paar Ohrfeigen weg, und als er deshalb ein furchtbares Gebrüll anfing, steckte der Herzog selbst seine Nase aus dem Zimmer heraus und fragte: »Aber liebe Gundolfine, was ist das? Warum hast du denn im Gepäckwagen gesessen?«

»Jetzt ist es mir aber zu dumm!« rief die Prinzessin entrüstet. »In meinem ganzen Leben habe ich noch nicht im Gepäckwagen gesessen; das wäre ein ganz unschicklicher Aufenthalt und –«

»Der hier hat im Gepäckwagen gesessen und die Diebe verjagt!« Der Pächter kam angelaufen, im Arm hielt er das Kasperle, das noch immer der Prinzessin allerschönste Staatshaube auf dem Kopfe trug. Es zappelte und schrie arg, als es die Prinzessin erblickte.

»Hach, meine allerbeste, allerteuerste Haube!« Gundolfine stürzte sich wütend auf das Kasperle, und sie hätte ihm wohl die Haare ausgerissen, wenn der Pächter den kleinen Kerl nicht beschützt hätte.

»Mit Verlaub«, sagte der, »dem darf nichts getan werden, das ist ein ungeheuer tapferer Bursch; der hat so geschrien, daß die Diebe in eine große Pfütze gefallen sind und –«

»Meine Haube, meine Haube, du abscheuliches Kasperle!«[97] Die Prinzessin stürzte sich wieder auf Kasperle, und der Pächter drehte sich vor Schreck mit dem rund herum.

Doch da gebot der Herzog streng: »Ruhe! Jetzt soll erst einmal Kasperle erzählen, was eigentlich geschehen ist. Niemand darf es anrühren.«

Kasperle schluchzte und konnte erst gar nicht sprechen, aber dann erzählte es doch, wie es die Diebe gehört habe, die des Herzogs Orden und der Prinzessin Staatskleider hätten stehlen wollen. »Da habe ich mir flink eine Haube aufgesetzt und habe ein Gesicht wie die da gemacht«, schloß Kasperle und deutete mit dem Fingerlein auf die Prinzessin, »weil – weil sich vor der alle fürchten.«

»Hach, ist das frech!« Die Prinzessin wollte in Ohnmacht fallen, aber sie sah auf einmal, wie alle lächelten; selbst der Herzog schmunzelte, als nun der Pächter erzählte, die Diebe, der Kasperlemann und ein früherer Diener Klaus, seien noch ganz verdattert vor Schreck, sie meinten wirklich, die Prinzessin habe selbst im Gepäckwagen gesessen.

»Er muß Haue haben!« Die Prinzessin war wirklich zornig.

»Nein«, sagte der Herzog, »Kasperle hat sehr mutig gehandelt. Sei doch froh, daß deine Staatskleider nicht gestohlen sind!«

»Aber meine Haube!«

»Nun, der einen Haube ist ja nichts geschehen!« Der Herzog war verstimmt. Er befahl, man solle Kasperle nun in ein gutes Bett legen, damit es sich ausschlafen könne, es habe sich so mutig benommen, und er wäre ihm sehr, sehr dankbar. Und er nickte dem Kasperle freundlich zu, und alle nickten auch freundlich, nur die Prinzessin sah[98] bitterböse aus, und dem Kasperle war das Herz recht schwer, als es daran dachte, daß es zwischen den Hauben und Hüten der Prinzessin gelegen hatte. O weh, das würde morgen eine böse Überraschung geben!

Der Diener Veit, der Kasperle in ein Zimmer führte, war ein gutherziger Bursche; der merkte wohl, daß Kasperle etwas bedrückte, und freundlich fragte er: »Was fehlt dir denn?«

Stöhnend vertraute ihm Kasperle an, wo es im Gepäckwagen geschlafen hatte.

Veit lachte. »Ja, warum stecken sie dich auch da hinein!« sagte er. »Aber sei getrost, ich verschließe die Schachtel noch, und morgen wird sie abgeladen. Da merkt die Prinzessin erst auf ihrem Schloß, daß du zwischen ihren Hauben gesessen hast. Warum sperren sie dich auch da ein! Wenn einer im Dunkeln in etwas fällt, kann er nichts dafür.«

Das tröstete Kasperle sehr. Es reckte und streckte sich in seinem Bett aus und kam sich schließlich selbst wie ein kleiner Held vor.

Kasperle schlief vergnügt bis zum Morgen; es verzehrte vergnügt sein Frühstück, und dann durfte es dem Herzog guten Morgen sagen. Der schenkte ihm zur Belohnung für seine Tapferkeit gestern eine große Tüte voll Zuckerwerk und sagte, nachher, wenn er sich von der Prinzessin, die nur noch zwei Stunden weit mitfahre, getrennt habe, solle Kasperle in den Wagen zu ihm kommen. Es dürfe auch noch um etwas bitten, es solle sich aber recht überlegen, um was; nur um seine Freiheit dürfe es nicht bitten.

Das war ein ganz vergnüglicher Tagesanfang. Trotzdem man so etwas in eines Herzogs Gegenwart eigentlich nicht[99] tut, steckte Kasperle doch gleich seine große Nase in die Zuckertüte.

Da seufzte und stöhnte es vor der Türe; die tat sich auf, und herein wurden der Kasperlemann und Klaus geführt. Der Herzog sah sie streng an. »Ihr bekommt eine schwere Strafe«, sagte er; »ihr müßt viele Jahre im Gefängnis sitzen.«

»Gnade, Gnade!« Der Kasperlemann weinte und Klaus weinte, sie knieten alle beide vor dem Herzog nieder und flehten immerzu, er möchte ihnen verzeihen, sie würden auch nie, nie wieder so etwas Schlimmes tun. »Die Kinder sind mir immer mit ihrem Geld davongelaufen, darum bin ich in große Not gekommen«, sagte der Kasperlemann. »Und dann dachte ich, bei der Hochzeit der Gräfin Rosemarie würde ich spielen dürfen und könnte etwas verdienen; man hat mich aber gar nicht vorgelassen.«

»Ach, und meine Kinder sind krank!« jammerte Klaus. »Ach bitte, guter, lieber Herr Herzog, seid mir doch gnädig!«

»Nichts da, eingesperrt werdet ihr, und zwar viele, viele Jahre lang!« brummte der Herzog unwirsch.

Kasperle dachte: Er hat doch kein gutes Herz. Bösewichter waren ja die beiden, aber da sie nun so demütig baten und ihre Tat bereuten, sollte der Herzog doch nicht so streng sein. Und plötzlich fiel Kasperle etwas ein. Es hob seine Nase aus der Zuckertüte heraus, schluckte rasch noch ein Stück hinab, schnitt dabei ein so furchtbares Gesicht, daß der Kasperlemann dachte: O weh, jetzt klagt mich Kasperle auch noch an!

Das aber sagte: »Herr Herzog, ich darf mir ja etwas wünschen; jetzt weiß ich, was.«[100]

»Gewiß noch eine Zuckertüte, die erste ist bald leer«, sagte der Herzog. »Kasperle, du wirst noch Bauchweh bekommen!«

»Nä«, rief Kasperle vergnügt. Es deutete mit dem Fingerlein auf die beiden Diebe. »Gib die beiden frei, Herr Herzog!« bettelte es.

»Was, Kasperle, du bittest für den Kasperlemann?« rief der Herzog erstaunt. »Der hat dich doch immerzu verfolgt!«

»Ach!« Kasperle stopfte einen Schokoladenkringel in den Mund, kaute mit vollen Backen und schnatterte vergnügt: »Man muß vergessen und vergeben können, hat Liebetraut immer gesagt; ich bin ihm nicht mehr böse.«

Der Herzog schämte sich ordentlich ein bißchen über seine Härte. »Na, meinetwegen«, brummte er, »die beiden sollen frei sein, frei, weil Kasperle darum gebeten hat. Aber weißt du auch, Kasperle, daß du nun keine Bitte mehr frei hast?«

Kasperle grinste vergnügt und steckte ein großes rotes Zuckerherz in den Mund; schluck, schluck, da war es drunten.

»Aber Kasperle, du bist doch ein Vielfraß!« rief der Herzog erschrocken.

»So'n bißchen«, rief Kasperle und schwenkte die riesengroße Zuckertüte hin und her. Und plötzlich schrie es laut: »Hurra, sie sind frei, frei, frei!« Es brüllte so entsetzlich, daß sich der Herzog die Ohren zuhielt. »Geht, geht hinaus!« rief er. »Und, Kasperle, iß du lieber weiter aus deiner Zuckertüte, als so mörderisch zu schreien.«

Der Kasperlemann und Klaus dankten dem Herzog nochmals, und als sie hinausgingen, flüsterten sie beide: »Kasperle, diese Tat vergessen wir dir unser Leben lang nicht!«[101]

Kasperle aber aß vergnügt weiter aus seiner Zuckertüte, vergnügt kletterte es dann unten zu seinem neuen Freund Veit in einen Wagen, und der erzählte ihm: »Kasperle, die Hüte und Hauben der Prinzessin sehen aber arg wüst aus! Na, das wird ein Geschimpfe geben! Gut, daß wir es nicht mehr hören. Du bist doch ein rechter Schelm!«

»Hü, hott!« Los ging die Reise, die Landstraße entlang, dann kam ein Waldweg, ein Fluß, und als sie über die Brücke kamen, standen da etliche Reisewagen; die Prinzessin Gundolfine stieg hier aus.

Kasperle sah, wie das Gepäck umgeladen wurde, es sah auch die riesengroße Hutschachtel, und es sah, wie die Prinzessin sie mißtrauisch musterte. »Der Deckel ist auf gewesen«, rief sie, »der sieht beschädigt aus.«

»Ach, das ist Unsinn!« brummte der Herzog. »Bringt Kasperle in meinen Wagen! Und dann weiter, ich habe keine Zeit mehr.«

Kasperle huschte flink in des Herzogs Wagen, die Pferde zogen an, und just in dem Augenblick sah Kasperle, wie die Prinzessin in ihre Hutschachtel hineinschaute. Sie schrie laut auf, denn darin war nur ein Gewühl und Durcheinander von Hüten und Hauben, und mitten auf dem besten Sonntagshut, der ganz verbogen war, lag noch ein angebissenes Butterbrot.

Die Prinzessin rang die Hände und drohte wütend dem davonrollenden Wagen nach. Der Herzog sah es nicht, aber Kasperle sah es, und es brach in ein so unbändiges Lachen aus, daß selbst der mißmutige Herzog mitlachen mußte. Er mußte sich zuletzt den Bauch halten vor Lachen, und er dachte: Es ist doch gut, daß ich das Kasperle habe, das wird mir sicher immer meine böse Laune vertreiben.[102]

Quelle:
Herold Verlag, Stuttgart, 1983, S. 90-103.
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