Achtunddreißigstes Kapitel.

[18] Vinicius an Lygia.


»Warst du früher je mit Aulus und Pomponia in Antium, Geliebte? Wenn nicht, so werde ich mich glücklich preisen, dir später einmal die Stadt zeigen zu können. Schon von Laurentum ab schließt sich längs des Gestades eine Villa an die andere, und Antium selbst besteht aus einer endlosen Reihe von Palästen und Toren, deren Säulen sich bei klarem Wetter im Wasser spiegeln. Auch ich habe hier eine Besitzung, dicht am Meere, mit einem Olivengarten und einem Zypressenhain hinter der Villa, und wenn ich daran denke, daß dieser Besitz einst auch der deinige sein wird, so erscheint mir der Marmor weißer, die Gärten schattiger und das Meer blauer. O Lygia, wie süß ist es doch, zu leben und zu lieben! Der alte Menikles, der die Villa imstande hält, hat auf die Wiesen unter die Myrtenbäume ganze Beete voller Schwertlilien gepflanzt, und bei ihrem Anblick trat mir Aulus' Haus, euer Impluvium und euer Garten, in dem ich bei dir saß, vor die Seele! Auch dich werden die Schwertlilien an dein Vaterhaus erinnern, daher bin ich überzeugt, daß du Antium und diese Villa lieben wirst. Gleich nach unserer Ankunft habe ich mit Paulus lange Zeit während der Tafel gesprochen. Wir sprachen von dir, und darauf begann er seine Unterweisung. Ich hörte lange Zeit zu und kann dir nur sagen, daß selbst, wenn ich zu schreiben verstände wie Petronius, ich doch nicht anzugeben wüßte, was mir alles durch Kopf und Herz zog. Nie hätte ich geglaubt, daß es auf der Welt noch eine solche Glückseligkeit, Schönheit und Ruhe geben könne, von der die Menschen bisher nicht die leiseste Ahnung gehabt haben. Aber dies alles spare ich mir für die mündliche Unterredung mit dir auf, da ich in dem ersten freien Augenblicke nach Rom komme. Sage mir, wie kann die Erde zugleich solche[19] Männer tragen wie den Apostel Petrus, Paulus von Tarsos und den Caesar. Ich frage deshalb, weil ich den Abend nach Paulus' Unterweisung bei Nero zubrachte, und weißt du, was ich dort hörte? Zuerst las er sein Gedicht über die Zerstörung Trojas vor und begann zu klagen, daß er noch nie eine brennende Stadt gesehen habe. Er beneidete Priamos darum und nannte ihn einen glücklichen Menschen, weil er die Zerstörung und den Brand seiner Vaterstadt habe sehen können. Da sagte Tigellinus: Sprich ein Wort, Gottheit, so nehme ich eine Fackel, und ehe die Nacht um ist, erblickst du Antium in Flammen. Aber der Caesar schalt ihn einen Narren. Wohin, sagte er, sollte ich gehen, um Seeluft zu atmen und meine Stimme zu kräftigen, die mir die Götter verliehen haben, und die ich, wie ihr sagt, mir zum Wohle des Volkes erhalten muß? Ist es nicht Rom, das meine Stimme schädigt, sind es nicht die erstickenden Dünste aus der Subura und vom Esquilin, die schuld an meiner Heiserkeit sind, und würde nicht das brennende Rom einen tausendmal großartigeren und tragischeren Anblick darbieten als Antium? Jetzt begannen sich alle an dem Gespräche zu beteiligen und malten im einzelnen aus, was für eine unerhörte Tragödie das Bild einer solchen Stadt sein müßte, die die Welt unterworfen habe und nun in einen Aschenhaufen verwandelt würde. Der Caesar erklärte, daß, wenn er dies Schauspiel genießen könnte, sein Gedicht die Gesänge Homers übertreffen würde, und sprach dann davon, daß er die Stadt wieder aufbauen wolle und daß kommende Jahrhunderte sein Werk anstaunen müßten, im Vergleich zu dem alle anderen menschlichen Unternehmungen Kinderspiel sein würden. Die betrunkenen Zecher riefen: Tu es! tu es! Darauf entgegnete er: Dazu müßte ich treuere und mir ergebenere Freunde haben. Bei diesen Worten, muß ich gestehen, erschrak ich, denn du bist in Rom, carissima! Jetzt aber lache ich selbst über meine Furcht und glaube, der Caesar und die Augustianer würden, so wahnwitzig sie auch[20] sein mögen, es doch nicht wagen, einen solchen Wahnwitz zu begehen, und doch – du siehst, wie man um das besorgt ist, was man liebt – möchte ich, Linus' Haus stände nicht in jener engen Straße jenseit des Tiber und in einem von armen Leuten bewohnten Stadtteile, um den man sich in einem solchen Falle weniger kümmert. In meinen Augen wären selbst die palatinischen Paläste keine geeignete Wohnung für dich, und ich wünschte auch, daß dir nichts von jenen Bequemlichkeiten abginge, an die du von Jugend auf gewöhnt bist. Kehre zu Aulus zurück, meine Lygia! Ich habe hier viel darüber nachgedacht. Wäre der Caesar in Rom, so würde die Nachricht von deiner Rückkehr möglicherweise durch die Sklaven auf den Palatin gelangen, seine Aufmerksamkeit auf dich lenken und eine Verfolgung veranlassen, weil du gewagt hast, dich dem Willen des Caesars zu widersetzen. Aber er wird lange hier in Antium bleiben, und bevor er zurückkehrt, sprechen die Sklaven schon längst von etwas anderem. Linus und Ursus können mit dir kommen. Überdies lebe ich der Hoffnung, daß, bevor der Palatin den Caesar wiedersieht, du, meine Göttin, schon längst in deinem eigenen Hause an den Carinae wohnst. Gesegnet sei der Tag, die Stunde, der Augenblick, wo du meine Schwelle betrittst, und wenn Christus, den ich verehren lerne, dies bewirkt, so sei auch sein Name gesegnet. Ich will ihm dienen und Blut und Leben für ihn hingeben. Ich drücke mich ungenau aus: wir werden ihm beide dienen, solange die Parzen uns das Leben schenken. Ich liebe dich und sende dir die innigsten Grüße.«

Quelle:
Sienkiewicz, Henryk: Quo vadis? Zwei Bände, Leipzig [o.J.], Band 2, S. 18-21.
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