Achtzehntes Kapitel

[166] Um dieselbe Zeit, als Fernau und Viktor sich vor ihrem Amte in der Wilhelmstraße trafen, war Klotilde in der Mauerstraße bei Adele vorgefahren. Sie wußte, daß Elimar an diesem Tage – einem Mittwoch – stets erst um sechs Uhr nach Hause kam. So war sie sicher, Adele allein zu finden.

Sie hatte die Klingel gezogen und stand wartend mit einer finsteren Miene, die sich jäh in ein graziöses Lächeln verwandelte: Adele selbst war es, welche die Thür geöffnet hatte.

Klotilde, Du! Um diese Stunde? Es ist ja Eure Essenszeit!

Ich habe mich heute bei Sudenburgs zu Tisch gebeten.

Und Dein Mann?

Muß einmal allein essen. Ich denke, es wird ihm darum nicht weniger gut schmecken.

Na, ja! Du hast eine perfekte Köchin, wie sie es hier nennen. Ich – Du siehst, ich bin in der Küchenschürze.

Ich störe Dich?[166]

Ganz und gar nicht. Wir essen heute »Verklebtes« – echt magdeburgisch, weißt Du. Das kocht sich allein. Und bei Sudenburgs hast Du Dich angemeldet?

Die Damen waren in das Wohnzimmer getreten; Adele hatte Klotilde den Mantel abgenommen und sich zu ihr auf das Sofa gesetzt.

Du weißt natürlich nichts von dem großen Ereignis: Stephanie hat sich mit Luckow verlobt.

Adele legte beide Hände auf Klotildes Kniee:

Ist es möglich!

Hast du nichts davon gewußt?

Doch, doch! alle Welt sprach ja davon, am Sonnabend schon. Aber es sollte ja noch in weitem Felde liegen.

Nur bis Luckow Hauptmann erster Klasse wurde. Gestern hat er das Patent erhalten. Stephanie meldete es mir vor einer Stunde per Rohrpost. Du begreifst, daß ich, als ihre beste Freundin, heute bei dem Verlobungsdiner nicht fehlen darf.

Freilich! selbstverständlich! sagte Adele, im stillen verwundert, weshalb sich dann Klotilde erst hatte zu Tisch bitten müssen, anstatt gebeten zu werden. Aber in Berlin war alles anders als in Magdeburg.

Warum sie nur so lange gewartet haben? fragte sie; ich denke, Sudenburgs sind so reich?

Aber Luckow will nicht direkt abhängig sein, was ich ihm nebenbei nicht verdenken kann. Diese Abhängigkeit ist im Grunde schauderhaft. Und dann: reich! Ja, Kind, das ist ein sehr relativer Begriff. Wenn man, wie Sudenburgs, zwei Söhne hat, die Offiziere sind – davon weiß mein Papa ein Lied zu singen! Er klagt[167] Gott und die Not, was ihn Ernst und Otto in Bonn und Düsseldorf kosten. Und ich, armes Wurm, muß natürlich warten und warten, bis die Reihe auch mal an mich kommt. Ach, Kind, es ist ein großes Ding, reich zu sein – steinreich!

Ich weiß nicht, sagte Adele; ich denke es mir eigentlich schrecklich. Und Elimar auch. Die armen Reichen, sagt er immer. Aber Du hattest es doch in der Hand, reich und sogar steinreich zu sein. Warum hast Du damals Kurt Platow nicht genommen?

Klotilde lachte.

Lieber Schatz, wenn Du es durchaus wissen willst: er war so fürchterlich dumm. Ich abominiere dumme Menschen. Und seine Dummheit hätte ich ihm vielleicht noch verziehen; aber seine antediluvianischen Westen und gestreiften Beinkleider, die konnte ich ihm nicht verzeihen. Es war wirklich au fond eine Kleiderfrage. Und da er durchaus seinen Schneider nicht wechseln wollte, was konnte ich thun, als ihn zu Klarisse Gardewitz schicken, die in diesen Dingen vielleicht weniger difficil war?

Der arme Mensch! Er hat vier Jahre gebraucht, ehe er Dich soweit vergessen konnte, sagte Adele kopfschüttelnd.

Giebt es einen stärkeren Beweis für seine Dummheit?

Klotilde, versündige Dich nicht! Danke lieber Gott, daß Du bei Deiner Art zu denken, noch einen so guten Mann bekommen hast.

Da wären wir ja endlich so weit, sprach Klotilde bei sich.

Sie richtete sich aus ihrer Sofaecke auf, blickte ihre Cousine scheinbar forschend an und sagte in einem andern Ton der Stimme, als sie bis jetzt gesprochen:[168]

Das ist wirklich Dein Ernst?

Was?

Das mit dem »guten Mann«?

Ist er das etwa nicht?

Und Du glaubst auch, was ich Dir neulich gesagt habe? daß wir uns niemals zanken?

Ja, thut Ihr es denn?

Klotilde lachte höhnisch auf, wurde aber sofort wieder ernst. Es war eine falsche Note gewesen. Wenn sie ihre Absicht erreichen wollte, durfte Adele nur die Hälfte von der Wahrheit erfahren.

Liebes Kind, sagte sie, wie konntest Du meine Prahlerei nur einen Augenblick ernst nehmen! Viktor ist wirklich ein guter Mann in seiner Weise; aber darum zanken wir uns gelegentlich doch, gerade wie andere Leute. Wir haben uns sogar am Sonnabend nach dem Ball ganz fürchterlich verzankt, so, daß wir heute noch auf dem Kriegsfuß gegeneinander stehen.

Ist es möglich? aber warum denn?

Elimar ist nicht eifersüchtig?

Nicht die Spur. Ich gebe ihm aber auch keine Veranlassung dazu.

Das klingt, als ob Du sagen wolltest: natürlich! Du giebst Deinem Mann welche.

Fällt mir gar nicht ein. Ich habe nur sagen wollen: ich bin ein so einfaches Menschenkind; in mich vergafft sich so leicht keiner.

Du weißt, wie man Dich in dem Sudenburg'schen Kreise getauft hat?

Keine Ahnung!

Die Oase.[169]

Adele blickte ihre Cousine stumm mit verwunderten Augen an.

Du weißt doch, was eine Oase ist: die Stellen in der Wüste, wo Wasser quillt und alles grünt und blüht und duftet und die Vögel singen. So, als eine solche grüne Insel in dem Sandmeer, erscheinst Du unsern – – Kamelen, hätte ich beinahe gesagt.

Adele lachte herzlich.

Das ist ja reizend!

Nicht wahr? Aber wenn Du nun mit Deinem Mann nach Hause kommst, und er schlägt die Arme übereinander, mißt Dich von oben nach unten mit einem Blick, wie ein Großinquisitor, und sagt mit eisiger Kälte: Ich habe gehört, Madame, man nennt Sie in der Gesellschaft »Oase«. Ich verbitte mir das. Wenn es noch einmal passiert, lasse ich mich von Ihnen scheiden.

Das hätte Viktor gesagt?

Närrchen, ich bin doch nicht die Oase! Ich bin eine ganz simple Frau, die schön zu finden hier und da mal einer dumm genug ist.

Aber, Herz, alle Männer finden Dich schön. Darüber ist doch nur eine Stimme. Am Sonnabend, im zweiten Walzer – Du tanztest den ersten mit ihm, wenn Du Dich erinnerst – hat Professor Winter zu mir gesagt: Ist sie nicht wunderbar schön? Ist sie nicht wie eine – – kann er Ballade gesagt haben?

Klotilde fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß. Er hatte es ihr selbst gesagt: traumhaft schöne Ballade! Der liebe Mensch! Und nun durfte sie ja auch zur Sache kommen.[170]

Sieh, sieh, mein kleines Professorchen, das sein Herz so auf dem Präsentierteller trägt! Ja, Liebchen, da wird mir freilich klar, wie Viktor auf die absurde Idee hat kommen können.

Er glaubt doch nicht etwa –

Ja, mein Schatz, er glaubt allen Ernstes, daß der Professor in mich verliebt ist – was ich ja nebenbei gar nicht in Abrede stellen will – wir armen Frauen können doch nichts gegen die Verliebtheit der Männer! – Und wenn Viktor dabei stehen bliebe; aber – es ist wirklich zu albern.

Er glaubt, daß Du –

Er glaubt, daß ich – sprich es nur aus!

Daß Du – nun ja, wunderbar schöne große Augen hat er.

Mein Gott, fängst Du auch noch an!

Klotilde war vom Sofa aufgesprungen, ging, wie in großer Erregung, zum Fenster, blickte ein paar Momente auf die Straße, wandte sich und sagte:

Das geht so nicht länger. Dem muß ein Ende gemacht werden. Und Du mußt mir dabei helfen.

Sie hatte sich wieder zu Adelen gesetzt und deren beide Hände in die ihren genommen.

Ich? stammelte Adele, noch voller Schrecken über Klotildens Heftigkeit. Mit dem größten Vergnügen. Aber worin? wobei? Ich weiß ja gar nicht –

Die Sache ist einfach die: Wie der Professor Dir sein Herz ausgeschüttet hat, so hat er es zweifellos auch mit andern gemacht und mich in das schönste Gerede gebracht. Ich brauche Dich nicht zu versichern, daß ich daran absolut unschuldig bin. Aber die Welt ist so[171] grundschlecht, und auf mich haben es die schlechten Menschen – Gott mag wissen, warum – noch besonders abgesehen. Der Professor muß entweder aus unsrer Gesellschaft verschwinden; oder, da das seine Schwierigkeit hat – er ist bei zu vielen schon eingeführt, jetzt auch bei Breitenbachs – sein Betragen vollständig ändern, seine Augen beherrschen lernen, seine Zunge im Zaum zu halten.

Aber Klotilde, das kostet Dich doch nur ein Wort!

O ja, wenn der Professor ein Mann von Welt wäre! Die verstehen einen, mit denen verständigt man sich à demi mot. Solchem Schulgelehrten muß man alles umständlich auseinandersetzen, sonst begreift er's nicht.

Und das soll ich unternehmen?

Dir würde er nicht glauben; meinen, Du seiest von irgend einem angestiftet – sagen wir: Fernau, der es wohl imstande wäre; und der gute Professor weiß ja nicht – kann ja auch nicht wissen – daß Du Dich zu dergleichen niemals hergeben würdest. Nein, das kann ich allein.

So thu's doch!

Wo? wann? in der Gesellschaft? Ich wiederhole Dir, dazu brauche ich eine Stunde – eine halbe mindestens. Während der wir in der Ecke stehen und die Köpfe zusammenstecken, damit die liebe Gesellschaft die ihren zusammensteckt: haben wir es nicht gesagt? Da sieht man es ja!

Nun weiß ich aber wirklich keinen Rat, sagte Adele ganz verzweifelt.

Klotilde rückte dicht an sie heran und sagte, abermals ihre beiden Hände nehmend:[172]

Der doch so leicht gefunden wäre, wenn Du – sieh, Kind, ich denke mir es so: Du schreibst an den Professor und bittest ihn, Dich auf eine halbe Stunde zu besuchen natürlich zu einer Zeit, in der Dein Mann nicht zu Hause ist. Er kommt selbstverständlich. Du empfängst ihn freundlich, aber ernst, und sagst ihm in demselben freundlich ernsten Ton: Du habest gehört, daß sein Benehmen gegen mich in der Gesellschaft aufgefallen sei –

Aber ich habe es ja gar nicht gehört.

So sagst Du es dennoch. Und daß Du, als meine Cousine und intimste Freundin, Dir die Freiheit nähmest, ihn darauf aufmerksam zu machen –

Aber Du hast ja noch eben erst versichert, auf mich würde er nicht hören!

Ganz richtig. In diesem Moment klingelt es und ich erscheine.

Du?

Ganz zufällig. Laß mich nur machen! So was bringe ich in all meiner Dummheit doch ganz gut fertig. Er ist natürlich verlegen, Du bist verlegen, wir alle sind verlegen. Nun erinnerst Du Dich, daß Du vergessen hast, dem Mädchen, oder dem Burschen einen notwendigen Auftrag zu geben, verschwindest, und vergißt für eine halbe Stunde wiederzukommen. Wenn Du wiederkommst, ist der Herr Professor kuriert. Das versichere ich Dich. Nun, Schatz, willst Du?

Adele war in der bittersten Verlegenheit. Die Rolle, die ihr Klotilde da zugeteilt hatte, deuchte ihr entsetzlich. Und wenn sie auch Klotilden das ungeheure Opfer bringen wollte –[173]

Guter Gott, rief sie, ich bin ja bereit – das heißt: ich würde es ja versuchen, obgleich bei meinem grenzenlosen Ungeschick – aber, was würde Elimar dazu sagen?

Elimar? Der bleibt doch ganz aus dem Spiel.

Aber nachher müßte ich es ihm sagen.

Warum?

Ich muß Elimar alles sagen. Ich kann nicht anders.

Sie hatte die Hände gefaltet und sah ihre Cousine mit flehenden Blicken an.

Ja so! sagte Klotilde gedehnt.

Sie begriff sofort, daß sie das Spiel verloren geben mußte. An dieses Übermaß von Einfalt hatte sie nicht gedacht. Der kluge Elimar! der im Nu heraus haben würde, daß man sein Gänschen düpiert und sich, mit ihrer Küchenschürze als Deckmantel, ein Rendezvous gegeben hatte!

Nun bist Du mir bös, sagte Adele traurig, als Klotilde aufstand und schweigend nach ihrem Mantel ging.

Gar nicht, erwiderte Klotilde, bereits im Begriff den Mantel umzunehmen. Du hast ganz recht: Deinem Manne müßtest Du es sagen, und das geht aus vielen Gründen nicht. Ich weiß freilich nicht, ob Du ihm dann nicht auch wirst sagen müssen, was ich Dir eben –

Aber Klotilde, das ist doch ganz was ander's! Auf so was hat Elimar natürlich kein Recht. Das bleibt unter uns.

Dann ist ja alles gut. Und ich danke Dir aufrichtig für Deinen guten Willen. Soll ich Stephanie vorläufig Deinen Glückwunsch bringen?

Wenn Du so freundlich sein wolltest! Aber wie willst Du es denn nun machen?[174]

Ich weiß noch nicht. Das wird sich finden.

Und Du bist mir wirklich nicht bös?

Keine Spur!

Sie hatten sich umarmt und geküßt, was sie an der Flurthür noch einmal thaten. Dann war Klotilde gegangen.

Langsam schritt sie die Mauerstraße hinab nach der Leipziger Straße zu.

Sollte sie es aufgeben? Es war am Ende das Vernünftige. Was konnte dabei herauskommen? Wenn sie es recht überlegte: der Streit mit Viktor drehte sich doch darum, ob er in ihr Thun und Lassen von jetzt an solle hineinreden dürfen, oder nicht. Der Professor war nur eine Gelegenheitsursache, wie die Ärzte sagen. Eine freilich, die für sie etwas seltsam Reizendes hatte, etwas Morphiumartiges, Sinnbetäubendes. Nun ja! sie würde schon darüber wegkommen – natürlich! Aber einmal noch von ihm hören: traumhaft schöne Ballade, Du! Einmal noch –

Da war sie ganz nahe an dem Briefkasten, den sie, während sie die Straße heraufkam, immer im Auge gehabt hatte. Ihre Rechte glitt aus dem Muff in ihre Manteltasche nach dem Brief, den sie geschrieben für den doch möglichen Fall, daß das Rendezvous bei Adele nicht zustande kam. Es war nicht ihre Schuld, wenn Adele so unglaublich philiströs war. Adele hatte es zu verantworten.

Ihr Schritt war immer langsamer geworden. Nun hatte sie doch den Kasten erreicht. Ein paar schnelle, scharfe Blicke nach rechts und links und über die Straße hinüber. Dann hatte sie den Brief aus der Tasche[175] genommen und durch den Spalt geschoben. Die beweglichen Stifte am Spalt machten ein häßliches Geräusch, wie Zähne eines Rachens, der zusammenschnappt.

Pah, sagte sie, das sind die Nerven. Man ist so lächerlich gewissenhaft.

Eine Droschke erster Klasse kam im Schritt an ihr vorüber. Sie rief den Kutscher an, gab ihm die nötige Weisung und stieg ein.

Der Kutscher fuhr im schlanken Trab davon. Er war ein lustiger Gesell und ließ den Braunen immer schlanken Trab laufen, wenn er eine schöne, elegante Dame fahren durfte.[176]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 166-177.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Ledwina

Ledwina

Im Alter von 13 Jahren begann Annette von Droste-Hülshoff die Arbeit an dieser zarten, sinnlichen Novelle. Mit 28 legt sie sie zur Seite und lässt die Geschichte um Krankheit, Versehrung und Sterblichkeit unvollendet.

48 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon