Zweiundzwanzigstes Kapitel

[204] Bereits am Mittwoch auf dem Nachhausewege von dem Junggesellendiner im Palast-Hotel hatte Viktor es bereut, Fernau eine so weitgehende Vollmacht gegeben zu haben. Fernau war gar zu beflissen gewesen, gar zu geschäftig! Wenn auf Seite Klotildens doch alles nur auf eine, für ihn freilich sehr beleidigende Rechthaberei, auf Trotz, Caprice, Gott weiß auf welche Weiberschrulle hinauslief; schlimmsten Falles es sich um eine ganz gewöhnliche Flirtation mit dem Schulmeister handelte, der ja wirklich ein verdammt hübscher Kerl war; und Klotilde recht hatte, wenn sie behauptete, Fernaus Hetzereien hätten keinen anderen Zweck, als ihn auf eine falsche Fährte zu locken!

Je mehr sein Rausch in der kalten Abendluft verflog, umsomehr befestigte er sich in diesen Gedanken und beschleunigte zuletzt sogar unwillkürlich seine Schritte, um schneller nach Hause zu kommen und ein vernünftiges Wort mit Klotilden zu reden, an dem er es doch wohl hatte fehlen lassen, und auf das sie gewiß nur wartete. Dann war die dumme Geschichte aus der Welt; er hatte wieder Frieden im Hause und den Kopf frei für die wichtige Arbeit, die ihn schon seit Wochen in Atem hielt, und an der Excellenz ein so lebhaftes Interesse nahm.[204]

Anstatt Klotildens fand er im Salon auf dem Tisch neben seiner Karte, durch welche er ihr sein Ausbleiben gemeldet hatte, einen Zettel: »Ich werde heute auswärts speisen.« Weiter nichts; nicht einmal eine Unterschrift.

Er war wütend; der kaum verflogene Rausch kam zurück; die lichten Farben, in denen er eben noch Gegenwart und Zukunft erblickt, waren ausgelöscht; zu einer schwarzen Tafel geworden, auf der mit Flammenlettern nur das eine Wort stand: Rache! Daß seine Rücksichtslosigkeit der ihren völlig gleich kam; er sie hatte brüskieren wollen, wie sie ihn, und sie ihren Zweck durch dasselbe Mittel zu erreichen gesucht hatte, wie er den seinen, daran dachte er nicht. Jetzt war es völlig klar: sie wollte es zu einem Bruch treiben. Gut! Sie sollte ihn haben. Aber die Trümpfe sollten in seiner Hand sein; und sie sollte das Spiel verlieren! schmachvoll verlieren!

Nun scheute er vor Fernaus Plan, der ihm anfangs so widerwärtig erschienen war, zu dem er seine Einwilligung mit so großem innerlichen Sträuben gegeben hatte, nicht mehr zurück; nur die Ausführung durfte so nicht sein: Fernau mußte daraus fortbleiben; er selbst den Detektiv engagieren, instruieren. Fernau hatte ihm die genaue Adresse des Mannes gegeben; er machte sich stehenden Fußes auf den Weg; der Zufall wollte, daß er den Vielbeschäftigten in dem Augen blicke traf, als dieser seine Wohnung zu einem seiner Kommissionsgänge verlassen wollte.

Sich mit Herrn Krüger zu verständigen, bedurfte es nicht vieler Worte: der Mann verstand die leiseste Andeutung. Bereits nach fünf Minuten sagte er:[205]

Ich weiß jetzt alles, Herr Assessor, was ich zu wissen brauche. Natürlich kann ich nicht an zwei Orten zu gleicher Zeit sein und auch über den Herrn die Kontrolle übernehmen. Ist auch nicht nötig. Die Hauptfrage bleibt in solchen Fällen immer: was treibt die Dame? Man schlägt da stets zwei Fliegen mit einer Klappe. Nur noch eines: Wie ist das Verhältnis der Dame zu ihren Dienstboten?

Ich vermute, sie stehen auf ihrer Seite.

Das müssen Sie zu ändern suchen und so bald wie möglich. Ein paar Zehn- oder Zwanzigmarkstücke – je nachdem können da Wunder thun.

Es liegt das ganz außer meinen Gewohnheiten; für mich sind die Dienstboten eben Dienstboten.

Sehr löblich. Aber im Kriege, Herr Assessor, verschmähen auch sehr christliche Feldherrn die Spionage nicht. Ich selbst bin doch nichts anderes als ein Spion, sozusagen.

Aber es ist Ihr Metier.

Leider. Es giebt deren, welche weniger Mühe machen und besser rentieren. Und, Herr Assessor, da wir einmal bei dem Thema sind –

Hier stellte der Mann seine Forderung, die von Viktor ohne Markten bewilligt wurde.

Seitdem war er, wie Herr Krüger es ausdrückte, »auf dem Laufenden« erhalten worden. Sie trafen sich nach Viktors Amtsstunden in dem Café des Kaiserhofs zu einiger Verwunderung der Kellner, die nicht wohl begreifen konnten, wie der vornehme Herr zu dem sonderbaren Verkehr kam. Die Zusammenkünfte dauerten[206] nicht lange, obgleich Herr Krüger stets etwas Wichtiges zu berichten hatte.

Zuerst: die Dame – Herr Krüger bediente sich nie eines anderen Ausdrucks – holte sich regelmäßig eine halbe Stunde, nachdem der Herr Assessor die Wohnung verlassen, Briefe von dem Postamt Nr. 10 – poste restante, selbstverständlich. Er hatte zweimal in ihrer Nähe am Schalter gestanden, ihr einmal sogar über die Schulter gesehen, als ihr der Brief ausgehändigt wurde, leider aber die Chiffre nicht völlig herausbringen können. Es war nur ein Wort, dessen erste Silbe Ball war – Ballnacht vielleicht oder Ballabend – wahrscheinlich das letztere. Dann nach Hause, den Brief zu beantworten; dann zu dem Briefkasten an der Ecke der Nachbarstraße. Dann Kommissionswege in die Stadt – unverdächtige, wie er zugeben müsse; heute freilich eine mehr als verdächtige Affaire.

Hier folgte eine genaue Schilderung von dem Rendezvous in der Nationalgalerie. Die Sache würde entscheidend sein ohne das Hinzukommen eines Paares: – junge Dame und Offizier, zweifellos Braut und Bräutigam – augenscheinlich so befreundet und vertraulich mit der Dame und dem Herrn, daß eine vorhergegangene gemeinschaftliche Verabredung, sich in der Galerie zu treffen, mindestens nicht ausgeschlossen sei.

Viktor, der aus der sehr genauen Schilderung in dem hinzugekommen Paar sofort Stephanie und Herrn von Luckow erkannt hatte, war unter dem Vorwande, des Hauptmanns Verwendung für einen empfohlenen verwandten Kadetten in Anspruch zu nehmen, zu diesem gefahren, offenbar aber schon zu spät gekommen: Herr[207] von Luckow, als er – wie zufällig – das Gespräch auf diese bewußte Begegnung brachte, hatte – gewiß auf vorhergegangene Verständigung mit seiner Braut – sich so diplomatisch ausgedrückt, – man konnte, wenn man wollte, auf ein Rendezvous zu vieren schließen. Aus Furcht, Luckow, den er jetzt auf Klotildens Seite glaubte, tiefer in seine Karten blicken zu lassen, war er von dem heiklen Thema alsbald auf ein anderes, unverfängliches übergegangen.

Das war vorgestern.

Der achttägige Kampf mit einem so entschlossenen Gegner, wie Klotilde, hatte Viktors Nerven doch mehr angegriffen, als sein Stolz zugeben wollte. Unter nur einigermaßen annehmbaren Bedingungen hätte er auch jetzt noch Frieden geschlossen; die Gleichförmigkeit der zum größeren Teil indifferenten Nachrichten, welche Herr Krüger ihm täglich mitteilte, diente eher dazu, seine Streitlust einzuschläfern.

Da kam der Sonnabend, auf den zufällig einer der in regelmäßigen Intervallen stattfindenden Kneipabende der alten Herren seines Bonner Corps fiel. Für ihn immer eine besondere Freude. Die Studentenzeit galt ihm als das Paradies seiner Erinnerungen. Auch hatten diese Zusammenkünfte eine praktische Seite, deren Wert er völlig zu schätzen wußte. Unter den Corpsbrüdern befanden sich hoch- und höchstgestellte Beamte, mit denen sich von Zeit zu Zeit zu begegnen und ein behaglich-freimütiges Wort auszutauschen, ebenso angenehm, wie vorteilhaft war. Sein specieller hoher Chef fehlte selten bei diesen Symposien, und gestern vormittag hatte er im Vorübergehen mit freundlichem Kopfnicken zu ihm gesagt:[208] Nun, lieber Sorbitz, wir sehen uns doch morgen abend; und er, sich verbeugend, geantwortet: Gewiß, Excellenz.

Wäre es auch nur gewesen, in lebhaftem Gespräch mit geistesverwandten oder doch gesinnungsgleichen Kollegen über dem Glase diesen schlimmen Hader mir seiner Frau für ein paar Stunden vergessen zu können, – die Aussicht auf den Abend würde ihm willkommen gewesen sein.

Am Nachmittage in der Konferenz mit Herrn Krüger erwähnte er zufällig seiner Absichten für den Abend. Der Detektive rieb sich das Kinn.

Die Dame weiß, was Sie vorhaben? fragte er.

Ja. Weshalb?

Und diese Sitzungen pflegen lange zu dauern?

Ich komme selten vor zwei Uhr nach Hause. Manchmal auch später.

Herr Krüger blickte starr vor sich hin.

Ich bin überzeugt, heute abend passiert etwas, sagte er langsam.

Viktor stieg das Blut in die Stirn.

Sie haben dafür einen besonderen Anhalt? fragte er fast heftig.

Nein, erwiderte Herr Krüger; es ist das auch gar nicht nötig. Der Herr und die Dame haben sich seit vier Tagen nicht gesehen; das ist sicher. Mir ist nicht weniger sicher, daß sie dazu heute abend die Gelegenheit suchen werden; vielmehr bereits verabredet haben. Wozu auch sonst die restanten Briefe?

Ich habe mich zu fest engagiert, sagte Viktor ärgerlich; ich kann nicht zu Hause bleiben.

Würde auch zu nichts dienen, entgegnete der Detektive. Im Gegenteil! Wir wollen doch ein Resultat. Ich[209] kann nur wiederholen: ich bin überzeugt, der Abend bringt uns eines.

In Viktors Seele begann ein wunderlicher Kampf. Der Gedanke, daß Befürchtungen, gegen die er sich aus allen Kräften wehrte, in denen er, schien ihm einmal die Lebenssonne ein wenig heller, nur Nachtgespenster seiner verstörten Phantasie sah, Wirklichkeit werden könnten, war ihm schauderhaft. Auf der andern Seite: der Mann hatte recht: dies mußte zu einem Resultat kommen. Seine Nerven hielten es nicht länger aus. Und seine Devise war immer der Wahlspruch Theodor Körners gewesen: »Durch!« War das Wort doch, weil er es in jedes Stammbuch der Freunde schrieb, auf der Universität sein Spitzname geworden!

Was also wollen Sie, daß ich thun soll? fragte er nach einer dumpfen Pause.

Ruhig in Ihre Gesellschaft gehen, erwiderte Herr Krüger, und mir nur gefälligst sagen, wo das ist, damit ich Sie eintretenden Falles dort aufsuchen – ich meine: herausrufen lassen kann.

Viktor hätte den Mann am liebsten mit der Faust in das bleiche Gesicht geschlagen. Statt dessen nannte er mit leidlich gut gespielter Ruhe das Lokal, in welchem er zu finden sein würde, und sagte, seinen Hut nehmend:

Es wird vergebliche Mühe sein; aber ich will hernach nicht von Ihnen hören, ich sei schuld daran gewesen, daß wir zu keinem Resultat gekommen sind. –

Am Schluß des heute, wie jetzt immer, schweigsamen Mittagmahles fragte er Klotilde:

Hast Du für den Abend etwas vor?[210]

Ich weiß nicht, erwiderte sie; vielleicht fahre ich auf eine Stunde zu Stephanie.

Er wollte antworten: ich wünsche, ich befehle, daß Du zu Hause bleibst; aber was galten ihr jetzt noch seine Wünsche? und einem Befehl gegenüber würde sie ihm ins Gesicht gelacht haben.[211]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 204-212.
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