Vierzehntes Kapitel.

[336] Findet ihr den Trost nicht in der Nähe, so erhebt euch und sucht ihn immer hoher; der Paradiesvogel flieht aus dem hohen Sturm, der sein Gefieder packt und überwältigt, blos höher hinauf, wo keiner ist.

Jean Paul.


Noch eine Stunde vor jenem wüsten Lärm und Getöse, von welchem jetzt die bedrohte Stadt wiederhallte, war Diethers Haus ein Schauplatz stiller geselliger Freude gewesen, und ein froh' und zärtliches Brautpaar hatte bei Tafel und Tanz die Ehrenämter des Hauses verwaltet, um den Gästen gefällig zu seyn. Das Prunkgemach des Gebäudes, das ganze Jahr hindurch verschlossen, und nur bei feierlichen Anlässen eröffnet, hatte auch diesmal den Freunden und Geladenen seine Herrlichkeiten aufgethan. Längs der blank getäfelten Wand streckte sich der reichbelastete Tisch, von Polsterbänken und zierlich geschnitzten Schemeln umgeben; ein reicher Schenktisch strahlte neben der bemalten Eingangsthüre. Gegenüber fanden die Spielleute ihren erhöhten Platz. An den Wänden flammten Armleuchter, von der gemalten Decke schwebten an grünen Laubgewinden viele Kerzenreife herab, von welchen lange und buntglänzende Bänder herniederflatterten bis auf die Scheitel der Tanzenden mitten im Saale. Denn das junge Volk hatte, Braut und Bräutigam an der Spitze, den Tisch verlassen, um sich an rascher Bewegung zu ergötzen.[337] Die Alten waren zurückgeblieben, und ließen sich das letzte Prachtstück der reichen Tafel, den köstlichen Mandelkäse schmecken, der bei keiner ähnlichen Festlichkeit fehlen durfte, und auf dessen Zubereitung die größte Sorgfalt verwendet wurde. Während nun also Alt und Jung dem Vergnügen fröhnte in erlaubter Hingebung, brach plötzlich von aussen die Störung ein, die das lustige Band der Geselligkeit zerriß. S'ist Feuer! schrie Alles, und die Männer, besorgt für ihr Hab und Gut, machten sich bereit, dahin zu gehen, wo ihre Gegenwart erforderlich seyn möchte. Auch Heer Diether säumte nicht, seiner Schöffenpflicht zu gehorchen, die ihn zum Mittelpunkte der Gefahr rief. Vergebens waren die Bitten Margarethens, umsonst die Vorstellungen des Sohns, der sich erbot, an seiner Statt auf den Römer zu eilen, und für ihn einzustehen in der gefährlichen dunkeln Nacht. – Der unbeugsame alte Mann hatte zu viel Eifer, einen all zu hohen Begriff von seiner Würde, als daß er hier sich hätte überreden lassen können; er ging, und ließ seinem Dagobert noch obendrein den Befehl zurück, als Schirmvogt im Hause zurück zu bleiben, und für das Wohl der Frauen besorgt zu seyn. Darauf ging er hinweg, und wollte kaum dem Edelknecht von Hülshofen, den Dagobert zum Beistand aufgefordert, erlauben, an seiner Seite zu bleiben, damit er unversehrt wieder nach Hause kehre. Das Hochzeithaus gewann nun ein ganz anders Ansehen. Das Gesinde wurde ausgeschickt, und nur einige rüstige Knechte zur Hut der Pforte zurückbehalten; die zurückgebliebenen Frauen[338] hatten sich in einen dichten Kreis um Frau Margarethen, die Frau von Dürningen, und den Pater Johannes gedrängt, der am Morgen selbst die Trennung verrichtet hatte, und nun all seine Beredsamkeit aufbieten mußte, um seinen ängstlichen Zuhörerinnen nur eine Quelle des Trostes zu eröffnen. In dem Erker stand Dagobert, unruhig nach dem Himmel blickend, ob er sich nicht von Brandgluth röthe, oder niederschauend nach dem unfernen Liebfrauenberge, wo die Reisigen der Stadt ihre Rosse tummelten, und des Lärms viel war. Seine junge Gattin stand neben ihm, seine Hand in des Geliebten Antlitz, nach dem Zustande seines Gemüths. Da fiel ein Blick der Liebe aus des jungen Mannes Auge auf die Bräutliche, und er sprach mit zarter Stimme, ihre Wange streichelnd: »Sey nicht also beklommen, gute Regina. Es scheint zwar ein gewaltig Unheil die Stadt zu bedrohen, oder schon betroffen zu haben, aber die Bürger von Frankfurt sind ein starkes Volk, zusammenhaltend wie an stählerner Kette, und Brust an Brust zu einer Mauer reihend gegen den gemeinschaftlichen Feind. Da prallen denn gewöhnlich auch die Pfeile des Unglücks machtlos ab, findet sich in der dräuendsten Gefahr. Darum fasse Muth. So lange mein Am Dich umschlingt, soll Dir nicht Brand, nicht Feind Schaden zufügen.« – Er umfaßte sie liebreich, und zog sie an sich, die sich ihm anschmiegte, wie ein vertrauendes Kind. Sie hob die hellen Augen zu ihm empor, lächelte sanft, und erwiederte: »Bei Euch, lieber Herr, fürchte ich[339] auch nichts, was von Menschen kömmt. Aber, – sollte diese unbegreifliche Störung, die unsre Hochzeitfreuden zerstört, – sollte sie nicht eine Vorbedeutung seyn von mehrerem Unheil, das unsern neuen Stand betreffen soll?« – »Gott verhüte, mein Kind, daß solcher Wahnglaube Wurzel in Deinem Herzen fasse;« sagte Dagobert ernst, wiewohl milde: »Da führtest dann selbst den Feind in unser stilles Hauswesen. Laß' dem Volke seinen Aberwitz, und vertraue auf Gott, der nicht mit seinen Kindern ein muthwilliges Spiel treibt. Liebst Du mich herzlich, so wie ich Dich, so werden wir stets glücklich seyn«. – »Dann müßt Ihr mich aber auch stets lieben;« hob Regina wichtig an. – »Nun freilich;« lachte Dagobert: »Wie könnte ich anders, meine Königin?« – »Ach, ich glaube euch so gerne;« versetzte Regina mit leisem Seufzer, und dennoch nicht ohne Schalkhaftigkeit: »aber ich habe mir schon meine eigenen Gedanken gemacht, und ich darf sie Euch jetzo gestehn, da Ihr ... da Ihr mein Herr seyd.« – »Du mußt sogar;« schaltete Dagobert scherzend ein, und faßte die Erglühende beim Kinn, daß sie ihm nicht den Anblick ihrer lieblichen Schönheit entziehe. »Rede also zu Deinem Herrn.« – »Daß Ihr um mich geworben, guter Dagobert,« – fuhr Regina nach kurzem Innehalten ermuthigt fort, – »das, das war mir lieb, sehr lieb sogar; – aber, daß es so schnell gekommen, daß dieses Werben sich so dringend ausgesprochen, das ließ mich im Stillen befürchten, Euer Gemüth möchte noch nicht ruhig, und jenes Bild, das Euch einst verzaubert hatte, noch darin geschäftig seyn.[340] Mir war's, als ob ich das Mittel seyn sollte, das der Leidende auf's Ungefähr ergreift, ob es ihn vielleicht gesunden mache, – das er jedoch, lindert es seine Qualen nicht, unmuthig wegwirft.« – »Ach, mein verehrter Herr, und lieber Dagobert,« – fuhr sie, da ihr Gatte lächelnd, aber schweigend, ihr in das liebliche Antlitz sah, – fort, »wenn Ihr je mich also wegwerfen könntet, – wenn jemals eine Zeit kommen sollte, in welcher Ihr Euch sagtet: O, daß ich sie doch nicht gesehen, nicht gefreit hätte! O, daß doch die Andre mein wäre, die ich unsäglich liebte, und die jetzo noch mein ganzes Herz erfüllt! das wäre ein Unglück, lieber Herr, und ich wollte dann lieber des Vetters Schwarzbach Hausfrau seyn, von dem ich schon am Altare wußte, daß er seinen Bärenfänger mehr liebt, als Weib und Kind.« – »Seht doch, welche Grillen!« entgegnete Dagobert, ruhig und gelassen, und sah offen und ehrlich dem bekümmerten Weiblein in das schwimmende Auge: »Diese Zweifel thun mir weh; indeß ist ein Vertrau'n des Andern würdig. So wisse denn, mein Kind, daß ich nicht von heute, nicht von gestern an, dich in meiner Brust trage, als eine liebe Freundin. In den Fesseln einer seltnen und seltsamen Liebe befangen, hatte ich darum nicht minder Sinn für Deinen Liebreiz, Deine kindliche Anmuth, und ich hatte in der letzten Frist Mühe genug, gegen mein Gefühl anzukämpfen, und die Stimmung zu behaupten, die das Erlöschen meiner thöricht geträumten Glückssonne in mir erzeugt hatte. Ich floh wohl dann und wann sogar Deine Nähe, mein süßes Kind, und jener Ringkauf an des[341] Goldschmids Laden war ohne meinen Willen nur vom Zufall, oder der Bestimmung herbeigeführt. Ich läugne es nicht, daß dabei mein Herz schwer verwundet wurde, und gleich darauf, wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel, kam mir die Kunde, daß sie, um die ich trauerte, sich gänzlich losgerissen von meinem Herzen und Gedächtniß. Mein Ergrimmen gegen das Geschehene war vergeblich, unnütz, kindisch, und meine Pflicht gegen den Vater trat vor meine Seele. Ich will verschweigen, welchen Eindruck der Besuch des Wechslers Joël auf mich machte. Das finstre, grämliche Gesicht des Buntgekleideten, seine flache Einsilbigkeit, beleidigten meine Eitelkeit. Ihn, der nur für das Geld Sinn hatte, das ihm mein Vater hinzählte, – ihn, der so kalt und theilnahmlos mir die wenigen Geschenke wieder reichte, die Esther einst von mir empfangen, – ihn hatte sie mir vorziehen, – diesen Juden mit ihrer Hand begaben können! – Unwillig entließ ich den Mäkler, gehässig dachte ich an sein Weib zurück; und Deine Schönheit, Deine jungfräuliche Tugend trat, wie durch einen Zauberschlag, lichtglänzend und strahlend, wie eine Himmelsgestalt, vor mich. Mit diesem Engelbilde besuchte mich auch mein guter Geist, und zu dem Lehrer meiner Kindheit, meiner Jugend führte er mich mit Sturmgewalt, daß ich durch seine Weisheit das Gute vom Bösen unterscheiden lernen, und den würdigen Theil erwählen möge. Ich vermag es nicht, Dir die Worte zu wiederholen, die seinem Munde entquollen, mir zum Troste und zur Belehrung. Genug; ich verdankte ihnen meine Ruhe und die Rückkehr meines[342] heitern Sinns, das Bewußtseyn, Dich nicht leichtsinnig gefreit zu haben, meine gute, meine liebliche Regina. Johannes hat mich überzeugt, daß Segen und Zufriedenheit wohl nimmer aus dem Bunde zwischen Esther und mir entsprungen wären, hätten beider Herzen sich auch unveränderlich geliebt. Die Kluft ist zu groß gewesen, selbst für die Edelsten und Besten, und sie überspringen zu wollen, war nur der Wunsch, die Sehnsucht einer feurigen, rücksichtslosen Jugend. So habe ich mich denn schnell entschlossen, mein süßes Weib, um Deine Hand zu werben, und mit dem Kranze der Zufriedenheit meiner Ältern Dach zu zieren. Da ich am Altare schwur, war ich fertig mit der Vergangenheit, die freundliche Erinnerung abgerechnet, die mich zum Grab geleiten wird; mein Frohsinn hat sich wieder eingestellt, und dies Fest nicht unwürdig begangen. Ich bin der Alte geworden, und selbst die Stürme dieses Abends, wie sie sich auch noch gestalten mögen, sollen mich nicht darnieder beugen, rette ich nur Dich, mein Kleinod, unversehrt aus dem Gedränge.« –

Regina warf sich mit dem vollsten Vertrauen der Liebe in Dagoberts Arme, und die Neuvermählten vergaßen in ihrer Seligkeit den Saal um sich her, mit seinen düster brennenden Kerzen und seiner ängstlich lauschenden Bewohnerinnen, wie auch das auf der Gasse auf- und niederwogende Toben, Lärmen und Treiben, dessen Ursache noch kein Mensch, allem Fragen zum Trotze, angeben konnte. Da erdröhnte von wiederholten Schlägen die Pforte des Hauses, daß alle Anwesende zusammenfuhren, und der hinter[343] dem Ofen entschlummerte kleine Hans erschrocken aus dem Schlafe taumelte, und in die Arme der gütigen Margarethe lief. – »Was giebt's da unten?« rief Dagobert dem kurz darauf eintretenden Ammon zu, und dieser winkte ihm, jedoch die Übrigen mit einigen Worten beruhigend, auf die Seite. – »Ein Mann ist draussen, der Euch zu sprechen wünscht;« flüsterte er wichtig: »fast bedaure ich's, ihn hieher geführt zu haben; denn erst beim Laternenschimmer im Hausgange ersah ich, daß der Bursche einer von dem ägyptischen Volke ist, das gestern hier eingezogen ist, und in Sachsenhausen Rasttag hält. Vor solch Gesindel muß man auf der Hut seyn, darum hab' ich seine Gefährten bei dem Pförtner zurückhalten lassen, – als Geißel für Eure Sicherheit Herr, und die des Hauses. Draussen im Vorgemache wartet der zerlumpte Mensch.« –

Dagobert folgte dem Forstwart mit Zuversicht und Muth, und stand alsobald vor dem dunkelbraunen Gesellen, dessen Gesichtszüge die herunterhängenden Haare verbargen. – Da jedoch Dagobert die Rede an ihn richtete, da strich der Mann die Haare zurück, und fragte mit wohlbekannter Stimme: »Kennt Ihr mich nicht mehr. Herr Frosch? Bin ich Euch geworden ganz fremd?« Er streckte die Hand dem Staunenden entgegen, welcher jedoch betroffen einige Schritte, zurücktrat, und schier erschrocken aus rief: »Ben David! Mensch! bist Du's, oder äfft mich ein possenhafter Zufall mit Deinem Gesichte und Deiner Stimme?« – »Soll mir Gott helfen, als ich's selber bin, wie mich geboren hat die Mutter;« erwiederte Ben David, und griff nach des Jünglings,[344] Hand, wie ein Freund nach des Freundes Hand. – Aber Dagobert wies die dargebotne Rechte erschrocken zurück, und fragte dringend und ängstlich: »Mensch! Was willst Du hier? Du bist gebannt; zittre vor Deiner Strafe; und fliehe, fliehe, armer Mensch! Dein Gesicht ist gekommen, um mir den heutigen Abend vollends zu trüben, und kein Glück bringt Dir dieser Gang!«

»Weh' mir! weh mir!« seufzte Ben David beklommen, faltete die Hände, und sah hierauf wehmüthig und bekümmert in das Gesicht Dagobert's: »bin ich gekommen darum, daß ich empfangen werde also mit Schmach und Verweis? Ist das ein Willkomm für den Schwäher, für den Vater Eurer Braut?« – »Meiner Braut?« fragte Dagobert noch staunender. – »Hab' ich doch lassen rufen Euch, damit nicht erschrecke mein Estherchen vor meinem laugen Bart, in meiner zerlumpten Kleidung,« fuhr Ben David fort: »Hab' ich doch geglaubt zu finden in Euch ein menschlich Herz; aber jetzo werdet Ihr mich führen zu meiner Tochter, damit ich sehe, ob sie verlernt hat jede Liebe zu ihrem Ette, jede Anhänglichkeit an das Gesetz, das sie verlassen.« – Mit der Zudringlichkeit, die seinem Volke und der leidenschaftlichen Bewegung eigen ist, wollte Ben David neben Dagobert vorbei in das Gemach dringen; der junge Mann, der jetzt erst den Mißverstand begriff, hielt ihn stark aber mitleidig zurück. – »Halt ein, Unglückseliger!« rief er: »Du bist im Irrthum, obgleich im Verzeihlichern.« – »Nicht?« stammelte verblüfft der Jude, und hielte inne, schlug die Hände[345] über dem Kopf zusammen, und setzte hinzu: »Nicht? unglücklicher Vater!« – Hierauf verklärte sich aber plötzlich sein Gesicht, wie zum Danke erhoben sich seine Arme, und ein: »Nicht? Gelobt sey Gott, der hochgelobte Herr und König!« entschwebte seinem zitternden Munde. – Dagobert betrachtete ihn, mit bittern Gefühlen kämpfend, und Ben David ging bald aus seiner freudigen Erschütterung in eine unangenehme über. – »Wer weiß,« murmelte er vor sich hin .... »wer weiß, ob es nicht also ist geworden schlimmer? Sagt mir, gnädigster Junker,« sprach er laut, den Saum von Dagobert's Rocke küssend, – »sagt mir, wo Esther ist gekommen hin? Vielleicht wär' es doch gewesen besser, sie hätte geschlossen mit Euch den Bund, als« .... – »Beruhige Dich!« versetzte Dagobert der ein bittres Lächeln nicht unterdrücken konnte: »Sie ist Eurer würdig geblieben. Sie ging mir voraus in der Ehe, und Lüttichs reichster Jude, Joël ist ihr Mann!« – Überrascht und zweifelnd starrte Ben David den Jüngling an; da er aber in dessen Augen Wahrheit keine Falschheit las, so verkehrte sich schnell sein Trübsinn in Jubel, außer sich voll Freude fiel er vor dem Junker auf die Kniee, und jauchzte: »Heil sey Euch, Herr, und der Segen des hochgelobten Gottes in Israel. Dank dem Propheten Elias und dem Fürsten der Barmherzigkeit, die gnädig regiert haben das Herz meiner lieben Esther, die ich nun mit Freuden nenne mein eignes liebes Kind. Also belohnt der Herr die Treue, die an ihm hält fest wie Eisen und Gold. Ihr hättet mir geben können alle Kronen von[346] Perl und Edelgestein, und sie hätten nicht also erquickt mein Herz und meine Augen, als Eure Worte es gethan. Gern will ich seyn ein schlechter Jude und unter Euern Schuhen der Staub, weil es also gekommen ist; gern nicht mich brüsten, mit dem Namen Eures Schwähervaters und ohne mein Kind in Pracht und Herrlichkeit zu sehen, umsonst gekommen seyn zur Hochzeit. Doch.« fügte er, sich besinnend, hinzu: »Nein! umsonst bin ich nicht da, gestrenger Junker.« – »Du meinst des Geldes wegen, das Dir der Herzog schuldete?« fragte Dagobert, der hinter Davids Rede jüdischen Eigennutz witterte. »Das Gold hat Deiner Tochter Gatte, Joël, schon empfangen.« – »Recht!« erwiederte David ruhig: »ist's doch meines Kindes Erbtheil, von dem ich nicht gesprochen, da ich einen größern Schatz trage auf meiner Brust, – die Haarlocke meiner Esther, für welche ich einst verrathen habe mein letztes verstecktes Geld an den grausamen Zodick; ein Kleinod, das mich ermannt hat in jeglicher Gefahr, das mich geführt hat wie Zauberwerk durch jedes Elend; köstlicher denn Gold und Geschmuck, das mir der hochgelobte Gott gesendet hat durch die Hand des Bösen, wie seine unerforschliche Klugheit heilt durch Gift und reif macht durch Kummer, Mühe und Last. Nein, Herr! ich habe nicht geredet, von dem Gelde des Herzogs, – ich habe nicht begehrt ein Geschenk von Eurer Freigebigkeit; ich bin gekommen zu bringen ein Geschenk für Euer Haus und Euer Hochzeitfest. Ich habe vermeint, zu schmeicheln den schmutzigen hebräischen Schwähervater ein in das Haus der Hochzeitfreude;[347] aber, – ist mir gleich dieses verwehrt, – so wird sie doch angenehm seyn, des Landstreichers Gabe, und übersehen lassen sein unhochzeitlich Kleid, und ihm erwerben ein verschwiegen Obdach in Euerm Hause.« – »Eine Gabe? Du?« fragte halb lächelnd, halb mißtrauisch Dagobert. – »Laßt Euch sagen:« erwiederte der Jude geschäftig, zutraulich und eilig: »Gottes Wunder sind groß. Ich bin gelaufen gen Hungarn, um dort zu finden mein Brod oder den Tod, und zu besuchen die Städte, wo sie gemordet haben meinen Sohn. Das Gespenst des Andern hat mich gejagt, .... doch Ihr versteht nicht, was ich rede, und darum sag' ich Euch, daß ich gekommen bin zu der ägyptischen Horde, die von Aufgang herzieht gen Niedergang, und an welche sich angeschlossen haben viele Verfolgte von unsern Leuten, um also zu gelangen in's Abendland, das sie nicht erreicht haben würden, als Juden, allein und hülflos. Denn mir war's eingekommen plötzlich zu wandern nach dem hispanischen Land, und zu suchen mein Glück. Geschah es eines Tags, daß ich finde bei einem gestorbnen Ägypterweibe, das im Graben lag, ein Knäblein, fein und flink, das bitter weinte, fragte ich ihn nach seinem Leid, und erzählt mir der Bube, daß hier seine Pflegerin liege, todt, und daß er sey hülflos in der Welt, denn die Alte habe versprochen, ihn zu führen zurück bei seinen Eltern, denen er gestohlen worden sey von wälschem Bettvolk, das ihn, der krank und schwach gewesen, brauchen wollte, um der Allmosen mehr zu gewinnen für das sieche Kind. Da aber die Bettelfahrt das Kind gesund[348] gemacht, statt es noch gänzlich aufzureiben, so ist der Knabe bald geworden ein unnützig Eßmaul für die Bettler, und sie haben ihn in Hungarn verkauft an das Weib, das todt vor mir lag.« – »Ei, Jungelchen,« sprach, ich: »weißt Du denn, Du junges Blut, wer sie sind Deine Eltern, und wo sie wohnen?« – Der Knabe lachte, und hat gesagt in seiner halb kauderwälsch gewordnen Sprache: »Freilich weiß ich's Alter! Heiß ich doch Johannes Frosch, das liebe Junkerlein von Frankfurt; denn also hat mich die Willhild genannt, alle Tage da ich bei dir gewesen bin auf dem Dorfe.« – »Gott! Gott! da wurde mir, als ob die Schechinah des Herrn herunter stiege von den Fingern der Cohenim und sich setzte auf meine freudige Brust.« – »Mensch!« fiel Dagobert ein: »ist das wieder eine Lüge? oder spricht ein gnädiger Gott Wahrheit aus Deinem Munde?« – »Wahrheit, Herr, Gott soll mir helfen!« versetzte der Jude gerührt, mit Thränen in den Augen, und die Worte schnell herausstoßend: »Denn wir sind gekommen an, und waren bald verzweifelt, weil man uns drüben streng bewacht, daß keiner herüber komme, und ich nicht traute, ob des Bannes, dem Oberstrichter Alles zu entdecken. Morgen wäre es jedoch geschehen, .... da hat der Herr uns heut befreit. In dem Getümmel und Geschrei, daß man die Stadt verrathen wolle und anbrennen, haben wir gewonnen die Flucht, und sind herüber gekommen ganz und heil; laßt den Buben holen, der beim Pförtner sitzt, .... laßt ihn holen, Herr, denn bei dem Gotte Israels, und bei des Vaters Seele, auf der der Friede sey;[349] der Knab' ist Euer Bruder, Euers Vaters Sohn!« – »Johannes!« rief Dagobert entzückt, und eilte nach der Treppe. Da tönte schon von unten die Stimme der alten Willhild, die schon am Tage verstohlen in's Haus gekommen war, um bei Frau Margarethen und dem Brautpaar ihren Glückwunsch abzustatten. Sie kam dem Sohne Diether's auf der Stiege entgegen, den Knaben schon im Arme, den sie so eben beim Pförtner gesehen, ihn küssend unter Thränen, und ihn an's Herz pressend, wie das eigne Kind: »Herr!« stammelte sie schluchzend, und den Knaben in des Bruders Arme legend: »Herr! preißt Gottes Barmherzigkeit. Johannes ist der Knabe, – frisch, gesund und von graden Gliedern ist er, – er hat mich erkannt, er nennt seine Eltern, – er bringt Freude und Glück in Ihr Haus!« – »Und Ruhe, Friedensruhe in meine Brust!« setzte Ben David in seliger Zufriedenheit verstohlen bei, gen Himmel blickend: »So hab' ich doch nicht umsonst gelebt; so hab' ich doch nicht gelitten umsonst. Leid ist gekommen durch mich über dieses Dach, – Freude, Freude führe ich an meiner Hand wieder, hinein!« – Indessen hatte Dagobert die Thüre aufgerissen, und den Wiedergefundenen im Triumph in das Gemach getragen, auf Frau Margarethens Schooß. – »Mutter! Euer Sohn!« rief er freudetrunken, und der Knabe, der in seinen, des aus ihrem Gedächtniß Verschwundnen, Armen unruhig und ängstlich geworden war, brach in lauten Jubel aus, da er die Mutter wieder sah, deren Züge ihm nicht fremd geworden waren. »Mutter! Mütterlein!« schrie er, weinend vor Entzücken: »Mütterlein, ich bin wieder da. Johannes, das liebe[350] Junkerlein von Frankfurt ist wieder da. Nicht mehr von Dir lasse mich, Mütterlein, und dem guten Manne, der mich wiedergebracht! Hörst Du, Mütterlein! hörst Du? den armen Johannes behalte bei Dir!« –

Wer hat Mutterfreude je gesehen? Wer hat das Entzücken je genossen, das vom Himmel herabfällt, plötzlich unerwartet in die Nacht des Grauens, wie ein duftiger Blumenkranz in ein düstres Verließ? wie ein erquickender Himmelsthau auf die lechzende Flur? Margarethe, die kräftige, starke Frau, erlag dem Übermaaß der Wonne nicht, aber die Kunst des Malers, der es versuchen wollte, diesen Jubelauftritt zu schildern, würde unterliegen. Eine große Freude hat aber, wie ein großes Leid das Eigene, daß sie beklemmend auf die Brust derjenigen fällt, die nicht auf's innigste Theil nehmen an dem Freudevollen. Also auch hier. Die meisten der Anwesenden zogen sich in entferntere Gemächer zurück, oder verließen das Haus, da das Getöse auf den Gassen nachließ, und nur die eng Befreundeten blieben wohlwollend darin zurück, wie ein kleiner Hofstaat die glückliche Mutter umgebend, die den Thron der reinsten Zärtlichkeit bestiegen hatte. Aber weder Margarethe, noch die Zeugen ihres Glücks bemerkten, daß draußen Alles ruhiger wurde, daß Hornklang, Glockenschall und Trommelschlag aufhörten, .... niemand bemerkte, daß ein Gast in die Stube getreten war, bis derselbe sich selbst ankündigte. Dagobert, Margarethe und alle Umstehende staunten, denn es war der Schultheiß. Mit einem edel ritterlichen Anstande näherte er sich der Gattin Diether's,[351] hengte sich auf ihre Hand, sie küssend, und redete: »Ich war nur Willens, ehrsame Frau, hier einen Becher Weins zu heischen, – ein Labsal, das Ihr gewiß dem ermüdeten Feinde nicht versagt haben würdet, ... allein, zum Zeugen dieses rührenden Auftritts geworden, – wäre, ich in Versuchung, Euch um Verzeihung vergangner Unbilder zu bitten, wenn ich wüßte, daß mir diese Vergebung nicht entstehen möchte. Ich war ein thor, ein böser Thor; ich habe Euer Unglück für Schuld, Eurer Jugend leichten Sinn für Tugendlosigkeit gehalten; .... doch ich bereue, ich sehe Euch nun rein, wie den Thautropfen im Blumenkelch vor mir; und die heutige Nacht, die durch ihre drohenden Schrecken auf's Neue alle biedern Bürger an einander schloß zu gemeinschaftlichem Streben, gibt mir den Muth, mit Zuversicht Euch mein Geständniß abzulegen. – Reicht mir die Hand, Dagobert. Vergeßt, und werdet mein Füsprecher bei Euer Mutter, bei Eurem Vater, der sich heute durch seinen Eifer, seine Thätigkeit meine höchste Bewundrung und den Dank der Vaterstadt errungen.« – Welcher Augenblick wäre zur Versöhnung geeigneter gewesen? Dagobert reichte fröhlich dem Ritter die Hand, und Frau Margarethe lispelte mit niedergeschlagnen Augen: »Ich habe Euch nie gezürnt, gestrenger Herr. Ich beklagte nur Eure Verblendund, und bin erfreut, daß Ihr mir Eure Hochachtung ferner nicht versagt. Wo ist aber mein Eheherr? fragte sie lebhafter, den Knaben an sich drückend: Wo weilt er? Ihr spracht von drohenden Gefahren? Sind sie vorüber, oder? ...« – »Vorüber;« erwiderte der[352] Ritter beruhigend: »vorüber durch die redliche Hochherzigkeit einer schlichten Magd, die unter dem härnen Kittel ein Gemüth voll Adel bürgt. Ohrenzeuge einer Verschwörung geworden, die Leben und Habe aller Bürger, – die Eure vor allen – betraf, wollte sie, was sie gehört, entdecken. Teuflische Schadenfreude am Bösen trat ihr hinterlistig in den Weg. Die arme Dirne konnte aus einem Kerker, in den man sie gesperrt, nicht entwischen, als in den letzten Augenblicken vor der bestimmten Stunde des Verbrechens, wo es ihr gelungen war, ihre Stimme Andern vernehmbar zu machen. Die Tücke ihrer Gegnerin, – einer Klosterfrau, leider diesem Hause befreundet, – kam schnell an den Tag. Die Oberin ließ die Strenge walten, und hat die Unverbesserliche zu ewiger Clausur verdammt. Für die Welt, der sie nur schaden wollte, ist sie verloren. Indessen, rief Judith, die wackre Magd, mich und die Bürgermeister aus dem Schlummer; mit uns die Stadt. Gott hat gnädig den Schild vor uns gehalten. Viele verdächtige Gesellen fielen in unsere Hände. Ein Schiff, angefüllt mit andern, entkam auf dem Strome. Einen abscheulichen Rädelsführer hat die Vehme gerichtet; einen andern, bis zur Unkenntlichkeit von Rossen und Menschen zerstampften Leichnam fand man auf der Straße. Mit der größten Wachsamkeit konnte man dennoch nicht verhüten, daß ein Haus, von Meßfremden größtentheils bewohnt, von dem mord- und raublustigen Gesindel mit Feuer angestoßen wurde. Dort, begriffen zu löschen, zu retten und zu schirmen, befindet sich Euer Gemahl, ehrbare Frau. Bald wird[353] er heimkehren, seine Bürgerkrone, Euch zu Füßen zu legen, und sich mit den Freuden des Wiedersehens seines Sohns zu bekränzen. Glück auf! aber auch Dank dem Biedermanne, der also sein Unrecht gut gemacht, und vergessen an der Thüre steht, wie ein Fremder. Komm näher, David, den ich wohl erkenne! fürchte nichts! Der Bann soll von Dir genommen werden, und, dies bewirkend, will ich beweisen, daß ich's fürder redlich meine mit diesem Hause und seinem Frieden.« – Die Zuhörer, die bisher der Rede des Schultheißen mit ängstlichem Schauer gelauscht hatten, verklärten nun ihr Antlitz zum Lächeln der Zufriedenheit und beeiferten sich um die Wette, dem Juden, dem die innere Gemüthsbewegung auf dem unschönen Gesichte stand, die redlich verdiente Dankbarkeit durch Wort und Handschlag zu beweisen. Sogar Ammon, der an der Thüre lauschte, fühlte sich davon ergriffen, spürte eine Thräne in seinem Auge, und hätte es nicht über sich gewinnen können, dieses Fest der Herzen durch die Kunde seiner That zu stören. »Gott segne meine Edelfrau!« sprach er in sich hinein: »Sie und ihre Tochter sind so selig, wie fast nie. Darum sollen sie auch nie erfahren, daß ihr Vater und Gatte blutig gerächt wurde. Weiß ich's doch, und war doch die That gerächt.« – Plötzlich schoß der Diener Eitel an ihm vorüber, riß die Thüre auf, und rief freudig: »Der Herr kehrt heim! Der gute Herr! welche Freude wird das seyn!« – Dem Ankommenden strömte Alles entgegen, und alle Zungen sprachen zu ihm, und alle Augen strahlten ihm Freude zu, und alle Hände[354] legten dem von Lust und Überraschung Trunknen seinen Knaben, seinen Sohn in die zitternden Vaterarme. »Vater! Vater! bist Du's, und kennst Du das liebe Junkerlein aus Frankfurt noch?« fragte der wahre Johannes in seiner kindischen ausgelassenen Wonne: »Gelt! ich hab' Euch wiedergefunden, ihr meine Eltern? Gelt, ich bin gesund heimgekommen, und ich darf jetzt bei Euch bleiben? Ich muß nicht wieder zu Willhild, auf das Dorf, wo man die schlafenden Kindlein stiehlt?« – »Nein, nein!« betheuerte der begeisterte Greis: »Nicht mehr aus diesem Hause, nicht mehr aus diesen Armen!« – Indem nun Diether, vorschreitend, den um ihn gesammelten Kreis durchbrach, und vergebend und vergessend dem Schultheiß die Hand schüttelte, wurden hinter ihm zwei Gestalten sichtbar: ein Mann in wohlhabender Kleidung und ein verschleiert Frauenbild. – Dagobert erschrack heftig, denn der Mann war Joël, der Wechsler aus Lüttich, und unter dem bergenden Schleier konnte nur Esther athmen. Es schnürte ihm das Herz zusammen, während Margarethe den Eheherrn nach den Fremden fragte. –

»Das Haus, in dem sie wohnten, brannte nieder, erklärte, sich entschuldigend, der Altbürger. Ihr Habe habe ich gerettet, und bot ihnen ein Unterkommen für diese Nacht, obschon sie sich sträubten, mir hieher zu folgen. Aber, – seh ich recht? setzte er bei: Hier erst, guter Freund, erkenne ich Eure Züge. Beim Blitz, Ihr seyd der Mann, dem ich das Geld gezahlt, das seinem Schwähervater zugehört, und diese Frau ....« – »Gottes Wunder!« schrie hier[355] plötzlich Ben David auf, dessen bis jetzt die dem alten Erzählenden in der Freude ihres Herzens kaum erwähnt hatten, und der demüthig hinter den Vornehmern stand: »Gottes Wunder! es ist nicht gewesen sein Geist ... er ist es selbst! Ascher! Ascher! mein Sohn! mein Sohn! seh ich Dich wieder, ... und weg geschrieen, ... wie seh ich Dich wieder?« – »Vater! Vater! hochgelobter Gott in Deiner Gnade!« rief mittlerweile die Verschleierte, deren Verhüllung sank, deren Züge Esther's waren, deren Knie brachen, und welche hingleitete in des bestürzten Dagobert's Arm, sogleich unterstützt von ihrer glücklichen Nebenbuhlerin Regina. Dieser Auftritt wandelte die Zuschauer zu Stein, den Schultheiß ausgenommen, der, von Esther's Anblick beschämt, davon schlich aus dem Saale, und ausgenommen Ascher, der auf seinen Vater zugelaufen war, und mit ihm, lebhaft und unterwürfig sich geberdend, einen wichtigen Zweisprach hielt in hebräischer Zunge.

»Esther! Tochter Ben David's!« rief Dagobert der Erwachenden in's Ohr: »Sage, Du hier? Du betrittst dies Haus?« – Die Augen öffnend, aus welchen die zärtlichste Liebe auf Dagobert strahlte, erwiederte die Liebliche, reizend selbst in der Blässe der Ohnmacht: »Euch, verehrter Herr, sollte ich noch einmal sehen; Zeuge Euers Glücks seyn sollte ich; Euch finden mußte ich im Arme der Braut und der wonnevollen Eltern. So wollte es das Schicksal und der hochgelobte Gott, der noch einmal prüfen wollte dies Herz. – Aber,« – setzte sie mit himmlischer Zufriedenheit auf Stirn' und Wange hinzu: »gepriesen[356] sey seine Huld! Ich kann Euch offen sehen in's Auge, ohne neidisch zu seyn auf Euer Wohl, und gut hat er's gemacht und recht in seiner unerforschlichen Weisheit!« – Wie staunend und sprachlos auch Dagobert und seine junge Gattin an den Lippen der Redenden hingen; – ihre Staunen, ihre Überraschung steigerte sich, da Esther in ihres Vaters Arme flog, der gerade seinen wiedergefundenen Sohn gesegnet hatte; denn Ben David sprach: »Gesegnet sey der Herr, der meine Augen offen gehalten, daß ich sehe zurückkehren zu den schönen Hütten Jakobs den Verlornen, und preisen darf das Loos derjenigen, die ich liebe, trotz einem Sohne, weil sie nicht gefallen ist in die Schlingen der Abtrünnigkeit! Ist mir's jedoch gewesen wie ein Traum, daß man mir gesagt, Du seyst vermählt, mein Kind! wo ist Dein Mann, Kind, daß ich ihn segne mit den Fingern meiner Hand und dem Spruche des Gerechten?« – Da blühte das Geständniß des größten Edelmuths, den je ein Weib bewiesen, in Purpurflammen auf Esther's Angesichte auf; und sie schüttelte ehrerbietig den Kopf, und beugte sich nieder vor Ben David, und ihre Lippe stammelte: »Bei dem Gedächtniß des Raaf! Ich bin Jungfrau, und unvermählt!« – Dagobert's Hand zuckte heftig in Regina's Hand bei diesem Geständniß, und noch einmal erhob sich mit Sturmesgewalt eine Bewegung in seiner Brust, auf welcher sich der böse Geist, der in den Tiefen schlummert, herauf arbeiten wollte, zur Geschäftigkeit und That. »Du warst getäuscht!« raunte er dem erbleichenden Bräutigam zu: »Verrathen und betrogen um Dein Lebensglück![357] Warum ist sie schon fern Fiorilla, die Lügnerin? warum Dir so nahe, – unauflöslich an Dich geschmiedet, die minder als Esther geliebte Regina? Giebt es kein Mittel, zu ändern, was vorgegangen?« – Das Geflüster des bösen Geistes verstummte jedoch, und zurück wogte die finstre Welle, auf welcher er gekommen, denn Dagoberts Treue und Männlichkeit behielt den Sieg. Beruhigend und liebevoll blickte er auf Reginen hernieder, die, von Esthers Bekenntniß erschreckt, mehr denn Dagobert, ängstlich das Haupt an seine Brust gelegt hatte, das Auge zu ihm emporgerichtet, als wollte sie fragen: »Mein Geliebter! wankst Du nun? bereuest Du nun? und bin ich die Deine noch, oder schon von Dir getrennt?« Er umschlang sie mit der Innigkeit eines wahren und redlichen Gefühls, drückte einen Kuß auf ihre Stirne, und wendete sich mit offnem Gesichte zu Esther, die, in den Armen des Vaters liegend, mit wehmüthiger Freundlichkeit nach ihm herüber sah. – »Seltsames Mädchen!« sprach er, ohne Vorwurf, ohne Bitterkeit: »Ich weiß nicht, soll ich Dir zürnen, oder Deinem Gedächtniß eine doppelte Liebe schenken? Bunt und täuschend schimmernd, wie eine Schlange, windest Du Dich zu dem Ziele der Tugend, und fürchtest nicht, einst zu bereuen?« – »Nimmermehr, mein theurer Freund, den ich also nennen darf, vor allen, die uns umstehen!« erwiederte Esther himmlisch lächelnd: »So wie wir getheilt haben die Liebe einer abwechselnd düstern und rosigen Zeit, also müßten wir auch die Reue theilen, und man fühlt diese nicht im Besitze eines reinen, schönen, tugendhaften[358] Wesens, wie Eure Braut; man fühlt sie nicht in dem Bewußtseyn erfüllter Pflicht. Glänzen nicht hier in jedem Auge Thränen der Freude und der Rührung? Zwei Väter, zwei Mütter segnen meinen Entschluß, und aus der schlechten Jüdin, die, hatte sie auch erschlichen durch die Taufe das Bürgerrecht in diesem Hause, dennoch immer darin geblieben wäre eine Fremde, ist geworden auf einmal eine Freundin, ein Geschöpf, das man duldet um ihres Gemüths willen. Ich kann nicht dankbar genug preisen den Herrn, der mir Stärke genug gegeben, auf mich selbst zu wälzen eine Schuld, um Euch, theurer Herr, zu bewegen, den Schritt zu thun, der, uns plötzlich auf ewig trennend, Eure Sinne zurückführen mußte in den Kreis der Euern, Euers Standes, Eurer Pflichten. Ich wollte Euch nicht mehr sehen, und grollte fast mit dem hochgelobten Gott, daß er mich noch einmal in Eure Nähe geführt, weil ich zu stören glaubte, – nicht meiner Seele Frieden, der unerschütterlich besteht, – sondern Euer harmlos Erstlingsglück; allein nun benedeie ich Jehovah und sein Gesetz, da sie mir zum Lohne wieder finden ließen den schmerzlich beweinten Vater!« – Sie warf sich entzückt von neuem an den Hals Ben David's. – »Liebenswerthes Mädchen!« rief Margarethe, und umschlang, das Vorurtheil vergessend, Esther's Nacken; »Wandle stets auf dieser Bahn!« ermahnte, ihre Hand ergreifend, die bewegte Edelfrau; »sieh hier mehr als eine Christin!« sprach Dagobert in seligem Entzücken zu Regina: »sieh hier eine Heilige!« Diether trocknete sich, halb abgewendet, sein nasses Auge, und sagte: »Gott segne Euch,[359] ihr armen, verirrten, verblendeten Menschen, die mir aber Gutes gethan haben, wie Brüder, und Die ich schier lieben muß, wie solche! – Sprecht indessen! Ihr habt mir den Sohn wieder gebracht, die Lust meines Alters, so wie sein älterer Bruder der Stolz desselben ist. Ich bin nicht undankbar! fordert meine Habe! hin geb' ich sie Euch, mit Freuden für dieses Kleinod, das Ruhe und Heiterkeit auf ewige Zeiten unter mein Dach zurückführt. Warum bin ich nicht der Mann, der das römische Reich bewacht und hütet? beneidenswerth sollte euer Loos seyn!« – Ben David lächelte, seine Kinder umschlingend, daß seine vernarbten Züge fast einen angenehmen Anblick gewährten. »Ehrsamer, Herr!« rief er froh bewegt: »bin ich nicht schon geworden ein gekrönter König, voll Ehren und Freude? Wer sieht mich in der Kinder Mitte, und beneidet mich nicht? Behaltet, Herr, eure Gaben, und laßt dafür fallen einen Blick der Gnade auf einen Armen, der bis jetzt im Winkel gestanden ist, wie einer, der nicht zu den Fröhlichen gehört.« – Er führte den armen kleinen Hans, der sich schüchtern hinter einen Sessel gezogen hatte, dem Großvater zu, an dessen Halse noch der Wiedergefundne ruhte. Hans hatte die Augen voll Thränen, Schmerz auf den Lippen, und seine Händchen falteten sich bittend. »Verstoße mich nicht, Vater!« seufzte er: »und Du, mein gutes Mütterlein! was hab' ich Dir gethan, daß Du mich nicht mehr ansiehst, um des fremden Buben willen, der mir ein bös Gesichte macht?« – Fast beschämt bogen sich Diether und Margarethe schmeichelnd zu der gekränkten Unschuld hernieder;[360] als aber Dagobert, dessen Blicken nichts entging, des echten Bruders grollendes auf Hans gerichtetes Auge ersah, da trat er in die Mitte, Reginen an der Hand, und sagte: »Was ich einst gelobte, will ich jetzo halten, so Gott mir hilft, und mein redliches Weiblein einstimmt. Dieses Kind eines unglücklichen Bundes, einer Schwester, die uns haßte und hassen wird bis zu Ende, .. es entgelte nicht die trübe Stunde seiner Geburt. Mein Sohn sey Hans, und – willst Du, meine Hausfrau – der erste Sprößling unsrer jungen Ehe!« – Die liebliche Regina beugte sich, von Mutterahnung überrascht, zu dem Knaben nieder, und weihte ihn durch ihren reinen Liebeskuß zu ihrem Sohne. – Lobend und glückwünschend drängten sich die Ältern um das Paar; Esther zog aber rasch und stürmisch Vater und Bruder in das Seitengemach. – »Ich kann, ich darf dies Schauspiel nicht wieder sehen!« sprach sie mit bewegtem Herzen: »Ich fühle dann, daß ich nur bin ein schwaches Wesen von Staub. In Eurer Mitte laßt mich seyn beruhigt und fröhlich in meiner Pflicht, und laßt uns entweichen aus Frankfurt, wo ich nimmer athmen kann!« – »Wir gehen, wohin mich ruft eines wackern Fürsten Gnadenstimme, gen Innsbruck!« versetzte froh der Vater, die Hände dankbar gen Himmel hebend: »Ich bin wieder geworden ein schuldloser Mann, und von mir wird weichen Bann und Makel; ich halte wieder bei mir den verlornen Sohn, der in Buße und Noth wiedergefunden hat Israel. Ich rühme mich einer Tochter, die erkannt hat, daß die Leidenschaft demüthiger seyn muß, als[361] die Liebe zu dem Herr, und der Lehre, in der wir geboren! Freude also in Israel und in den Zelten der Gerechten! Du, Ascher, wirst meinen Stamm fortpflanzen auf die spätsten Zeiten, wie es thaten die Voreltern, auf denen der Friede sey, und Du, mein Kind Esther, wirst den Lohn Deiner Tugend an der Hand eines rechtschaffenen Mannes aus Israel finden!« – »Nimmer, mein Vater;« erwiederte rasch, aber ernst und fest entschlossen Esther: »Nicht dem Manne aus Edom, nicht dem Sohne Jakobs gehöre jemals Dein Kind. Ich will Dich pflegen, bis Dein Angesicht bleich wird, und dann erlöschen, einsam und ruhig, das schwör' ich bei Gott! Schilt mich nicht. Nur einmal blüht im Lenz der Baum, die Blume. Die Liebesblüthe meines Frühlings ist dahin, kehrt niemals wieder. Die Erinnerung labe mich fortan, und des Wiedersehns Hoffnung. Freudig sehe ich zurück auf meinen Pfad, freudig und zuversichtlich in die Ferne. Dem hochgelobten Herrn bin ich treu geblieben, und ihn, den Freund, finde ich wieder – glaubt mir's – unter den Palmen des ewigen Zions; seiner würdig ist geblieben meine Seele, und sie wird mit der reinsten Wonne ihn und die Gattin umschlingen unterm Klang der goldnen Harfen der Gerechten, – unter der Engel Hallelujah!«


Ende.[362]

Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 3, Stuttgart 1827, S. 336-363.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Jude
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 2 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 4 (German Edition)
Der Jude: Deutches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volumes 3-4 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts (German Edition)

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon