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[76] Ein sonderbarer Mensch, wie ein Schauspieler, aber mit einer Brille auf der Nase, trat auf ihn zu, grüßte ihn beim Namen und fragte ihn, warum er so fidibum fideralla einherziehe, als ob die Welt ihm gehöre.
»Weil mir wohl ist.«
»Amen«, sprach der Fremde.
»Oder ist denn das etwas Böses?«
»Im Gegenteil, etwas ganz Vorzügliches, Beneidenswertes. Aber bist du denn Beelzebub, der Fliegenkönig, daß du beide Backen schwarz voll Bremsen hast? warum scheuchst du sie nicht weg?«
»Weil ich sie liebe.« Da aber bei diesem Spruch der andere hellauf lachte, fügte er schnell zur Entschuldigung hinzu: »Sie tönen so angenehm; das heißt, nicht die gewöhnlichen, sondern die ennetbirgischen, die welschen.« Und als der Unbekannte ihn mit aufgeräumter Miene ersuchte, er möge ihn doch gefälligst den welschen Bremsen vorstellen, da er noch nicht die Ehre habe, sie zu kennen, nahm ihn Gerold zu sich heran, hieß ihn stillestehn und sagte dann nach einer Weile: »Hörst dus jetzt? peing, pang, wie eine Metallsaite.«
»Wahrhaftig, du hast recht. Du verstehst vielleicht mehr von der Schönheit als ich mit all meinem Studieren. Überhaupt, weißt du, Gerold, du kommst mir vor wie ein Fink in einem blühenden Zwetschgenbaum, der es ganz selbstverständlich findet, daß ihm ein grünes Nest unter dem Leibe wächst. – Wollen wir ein bißchen zusammen wandern?«
»Nein.«
»Oha!« lachte der Unbekannte, schob die Brille auf die Stirn[77] und tippte sich mit der Hand auf die Nase, »da hast dus!« Hernach entfernte er sich, indem er ein Buch hervorzog und eine zweite Brille aufsetzte.
Jetzt merkte Gerold, daß er den Narrenstudenten vor sich hatte. Flugs sprang er in den Busch, raffte einen halbdürren Baumast vom Boden und schlug damit dem Unhold über den Bauch.
»Oho!« schrie dieser und zog ein Bein zum Schutz empor. Nun brach Gerold den Baumast übers Knie und schmiß ihm die Stücke einzeln ans Bein.
»Hopla, du grober Gesell!« rief der Narrenstudent, »jetzt wird mirs denn doch zu stark«, packte ihn am Arm und heischte drohend Auskunft, warum er so völkerrechtswidrig behandelt werde.
»Weil du der Narrenstudent bist«, versetzte der Kanonier trotzig, mit herausfordernder Miene.
»Das stimmt«, sagte der Narrenstudent kopfnickend und ließ den Arm fahren. Dann fügte er mit einem eigentümlichen Lächeln hinzu: »Ein jeder, wie ers versteht. Du bist halt auch ein Stück öffentlicher Meinung; und keines von den schlechtesten. Es wäre vielleicht erträglicher, wenn einem die andern ebenso offen und ehrlich auf den Bauch schlügen; das ist ein Stimmungsausdruck wie ein anderer; und man weiß doch, woher es kommt, und kann sich dagegen wehren. Aber so kannibalisch brauchtest du deswegen gleichwohl nicht zu hauen, ich hätte auch eine bloße Andeutung verstanden. Wer weiß, ob du nicht selber einmal in den Wäldern herumläufst, der Welt zum Spott, wenn du einmal mein Alter hast und der Engel mit dem feurigen Angelhaken kommt. Ich möchte dirs zwar nicht wünschen; aber du siehst mir gerade danach aus, mit deinen Johannisaugen.«
Doch Gerold hatte Wichtigeres zu tun als zuzuhören. Ein Krokodil aus grünem Stein, das der Narrenstudent an der Uhrkette hängen hatte, bezauberte seinen Blick. »Nicht wahr, das[78] ist ein wunderbares Krokodil?« lachte der Narrenstudent. »Wenn du mich in meine Einsiedelei begleiten willst, so zeige ich dir noch viel merkwürdigere Sachen. Willst du?«
Gerold nickte und folgte dem Narrenstudenten in den Wald; über weiches Moos, längs einem Bächlein, neben Felsblöcken vorbei.
»Gelt, du hast sie lieb, deine Gesima?« forschte der Narrenstudent unterwegs.
»Ich hasse Gesima, denn sie ist ein falsches Mädchen.«
»Das ist kein Grund; man kann auch falsche Mädchen liebhaben, die falschesten vielleicht sogar am liebsten. Nicht wahr, das begreifst du nicht? Ich will dirs erklären: hast du jemals ein Eichhörnchen gehabt?«
»In einer Drille.«
»Hat es dich nie heimtückisch in den Finger gebissen?«
»O ja, mehr als einmal, wenn ich ihm zu fressen gab.«
»Und hast du dafür das Eichhörnchen totgeschlagen oder fortgeworfen?«
»Das wäre doch schade. Ich habe einfach dazu gelacht.«
»Nun siehst du, gerade so muß mans mit den Mädchen machen, wenn sie falsch sind und einem hinterlistig wehtun. Nicht sie deswegen fortstoßen, das wäre schade, sondern einfach darüber lachen. Was hat sie dir denn so Schlimmes angetan, deine Gesima? laß hören.«
Da erzählte ihm Gerold alles von Anfang an, von ihrer Freundschaft, von ihrem Bündnis zum Kadettenball, von der schmählichen Untreue Gesimas wegen des Springseils.
»Und jetzt sinnst du wahrscheinlich auf Rache?«
»Das heißt, wenn ich eine Rache wüßte, welche nicht boshaft und unedel wäre.«
»Ich weiß dir so eine; eine fürchterliche Rache, und doch keine boshafte und unedle! Nimm du sie am Kadettenball fest um den Leib und tanze mit ihr so lange, bis sie um Hilfe schreit,[79] vorwärts und rückwärts, linksum und rechtsum, und erlaube ihr den ganzen Abend nicht mit einem andern zu tanzen oder auch nur ein Wörtlein mit jemand anders zu reden als mit dir.«
Gerold lachte vergnügt: »Das ist gut! Das will ich mir merken. Und nicht wahr, deshalb, weil ich sie zum Kadettenball eingeladen habe, brauche ich sie deswegen noch lange nicht zu heiraten?«
»Kein Gedanke! noch lange, lange nicht.«
»Wen heiratet man eigentlich?«
»Seine künftige Frau.«
»Ich meine nicht so. Ich meine: wie kann man wissen, wen man heiraten soll?«
»Das macht man folgendermaßen: man stellt sämtliche Mädchen der ganzen Stadt in eine lange Reihe und hält an jede das Ohr daran, wie der Doktor, wenn man den Husten hat. Und jene, welche seufzt, als wenn sie zu viele Pastetchen gegessen hätte, die heiratet man.«
»Das ist nicht wahr, das glaube ich dir nicht.«
»Es ist freilich wahr, nur hat bei mir die Wahrheit einen Fastnachtdomino an, weil ich halt der Narrenstudent bin.«
»Ich möchte gern etwas Dummes fragen«, begann Gerold nach einer Pause zögernd.
»Bitte inständig, tu mir den Gefallen. Eine gesunde Dummheit fragen zu hören, nachdem man so viel anspruchsvollen Aberwitz hat müssen behaupten hören wie ich, das ist ja eine wahre Erlösung. Also bitte, Gerold, erbarme dich: frag eine Dummheit.«
»Ich fürchte, daß du mich auslachen wirst.«
»Ich lache niemals eine Dummheit aus, bloß eine Weisheit. Also, mutig! närrischer als ich bin kannst du doch nicht fragen.«
»Warum muß man durchaus ein Mädchen heiraten und nichts anderes?«[80]
»Ja, wolltest du lieber einen Heuschreck heiraten?«
»Das nicht, aber –«
»Aber?«
»Meinen schönen Gefangenen.«
»Was ist das für ein Bruder Benjamin?«
Da erzählte ihm Gerold errötend sein Geheimnis von dem schönen feindlichen Kadettengeneral, der ihm seit einem Jahr täglich erscheine, sobald er allein sei und nachts im Bette, im Wachen wie im Traum.
Der Narrenstudent stand mit offenem Munde still: »Sag einmal, du Riesenpudding von einem Knirps, wie alt bist du denn eigentlich?«
»Elf Jahr und zwei Monate.«
»Elf Jahr und zwei Monate! und schon Engeleien im Kopf! Gerold, du bist ein Phänomen.«
»Was bedeutet das: ›ein Phänomen‹?«
»Nichts Beleidigendes. Und wenn du je einmal das Wort Phänomen schreiben mußt, so tu mir den Gefallen und setz ein Ph an den Anfang oder meinetwegen, wenns nicht anders geht, ein F, nur nicht ein Pf, wie der Präsident vom Niedereulenbacher Cäcilienverein. Um aber auf deinen holden Kadettengeneral zurückzukommen, so will ich dir, weil du mir dein Geheimnis anvertraut hast, auch etwas Geheimnisvolles verraten, glaubs oder glaubs nicht, aber merk dirs und behalt es: der Kadettengeneral verwandelt sich später, mag sein in fünf, mag sein in sieben oder acht Jahren, in ein lebendiges Mädchen, das du sehen kannst und das ›Gerold‹ mit einem langen, langen e zu dir sagen wird, wie wenn ein h dahinterstände. Hast du sonst noch etwas zu fragen?«
»Ja. Warum erlaubt der liebe Gott den Katzen, die Mäuse so grausam zu martern, statt sie gleich zu töten?«
»Wo hast du den lieben Gott her?«
»Aus der Bibel.«[81]
»Und vom bösen Teufel, steht da nichts in der Bibel?«
»Freilich, allein der Herr Pfarrer hat uns in der Religionsstunde gesagt, es gebe doch keinen Teufel.«
»Sag dem Herrn Pfarrer einen Gruß von mir, und ich lasse ihm sagen, er sei ein Gummipfarrer; aber warte erst, bis du alle Examen gemacht hast, ehe du ihm das sagst. Überhaupt? Gerold, nimm dich in acht, du fängst an zu denken, das ist ein verpöntes Handwerk, ein unpatriotisches, gemeinschädliches, menschenfeindliches. Wenn du so fortfährst, machst du dich erstens rundum verhaßt, und zweitens findest du eines Morgens das Narrenpatent neben deiner Kaffeetasse, verlaß dich darauf! Denk nicht, Gerold! Denk nicht!«
Unter solchen Gesprächen waren sie vor ein Mooshüttchen angekommen, auf dessen Dache eine papierene Windfahne sich drehte, einen helmbewehrten Jüngling und eine gräuliche Hexe darstellend, der Jüngling mit einer Rute, die Hexe mit einem Besen in der Hand. »Das ist meine Wetterfahne«, erläuterte der Narrenstudent, »wenn der Jüngling die Hexe in die Flucht schlägt, gibt es schönes Wetter in der Welt. – Doch treten Sie gefälligst ein, Herr Kommandant, es ist eine Bank im Hüttchen, Platz genug darauf für zwei räudige Böcklein, wie wir sind. – So, jetzt mach dirs bequem. Und sieh dir an, was du magst, du darfst alles hervorziehen, alles öffnen, alles herausnehmen; für dich habe ich weder ein Verbot noch ein Geheimnis, und Ordnung gibts bei mir nicht. Unterdessen will ich den Altar rüsten. Falls du irgendeine Auskunft brauchst, so frag nur, ich bin dicht nebenbei und höre jedes Wort, das du sagst.« Damit verließ er das Hüttchen.
Gerold aber zog eine Kiste unter der Bank hervor und kramte darin. Alte Münzen kamen zum Vorschein, Versteinerungen, gepreßte Pflanzen, verschiedenfarbige Gläser. »Nicht wahr«, lachte der Narrenstudent, den Kopf durch eine Lücke in der Wand steckend, als Gerold unersättlich die Gläser vor die Augen[82] hielt, »nicht wahr, wie die Welt ein verschiedenes Gesicht macht, je nach dem Glas, durch welches man sie ansieht?«
»Warum ist dieses Heft leer?« fragte Gerold.
Wieder steckte der Narrenstudent den Kopf durchs Guckfenster. »Das Heft ist nicht leer, sondern das ist eine Art Zauberheft, mit sympathetischer Tinte bemalt; wenn du lange Zeit scharf auf ein einziges Blatt siehst, so kommt etwas Wunderbares.«
»Ja, jetzt sehe ich etwas, aber undeutlich. Früchte und Blumen oder so etwas Ähnliches.«
»Recht so, aus den gläubigen Büblein wachsen die trotzigen Männer; weißt du auch, Gerold, daß du ein Sonntagskind bist?«
Gerold schüttelte den Kopf. »Ach nein«, entgegnete er betrübt, »Sonntagskinder sind immer die jüngsten von mehreren Brüdern, ich aber bin der ältere von zweien.«
»Irrtum, mein Lieber! Irrtum! Man ist immer der Jüngste, wenn man in den tiefen Brunnen hineinlebt, wo die Zeit mit dem Eimer die Gegenwart aus der Ewigkeit schöpft; und ein Sonntagskind bedeutet nicht einen Menschen, dem alles von selber gelingt, so einen gibt es in der Wirklichkeit gar nicht, sondern einen solchen, der über die grauen Werktage hinweg schließlich an einen roten Heiligen gelangt, einerlei wann und wie. In der Zwischenzeit geht es mitunter dunkelbraun und schwarz zu. Tut weh, aber schadet nichts.« Nach diesen Worten verschwand sein Kopf wieder aus der Luke.
»O!« rief Gerold entzückt, mit saugendem Atem.
»Was freut dich so? sag an, beschreib.«
»Eine wunderschöne Reiterin, prächtig mit Wasserfarben gemalt. Hast du das gezeichnet?«
»Ich weiß nicht, was für eine Reiterin du meinst.«
»Sie sitzt auf einem Schimmel und gleicht ein wenig Gesima. Darunter steht: Hilda Maria Anita von Weißenstein, geb. Freiin – was heißt das, ›geb. Freiin‹?«
Der Narrenstudent kam aufgeregt zur Tür hereingeschossen.[83] »Wo hast du das Bild gefunden? Komm, wir wollen es geschwind wieder verstecken.« Und schob es hastig in eine Mappe, die er mit einem Schlüsselchen verschloß. Dann bekam er einen langen, peinlichen Hustenkrampf.
»Gerold, ich beneide dich um deinen Kadettengeneral«, seufzte er dann, als er wieder ein wenig zu Atem kam, »du hast ihn besiegt, er ist dein Gefangener und bleibt bei dir. – Meine Generalin dagegen – o weh! – Doch komm jetzt, der Altar ist gerüstet.«
Auf einen Steinschemel neben der Hütte war ein rotes Tuch gebreitet, und darüber in einer nackten Felsennische standen zwei farbige Wachskerzchen geklebt, »eins für dich und eins für mich«, belehrte er, »das Heiligenbild dahinter muß man sich hinzu denken; jeder, was er am liebsten hat; das ist sein Heiligenbild. Und jetzt wollen wir zu dem Heiligenbild beten, ganz kurz –, du darfst dich setzen, hier auf den Schemel, und brauchst keineswegs die Hände zu falten. ›Möge uns von denen, die wir liebhaben, niemals Böses geschehen.‹ Das genügt; das Gebet ist aus. Und jetzt kommt der Gesang, allein vorher zünden wir die Kerzen an.« Nachdem er die Kerzen angezündet hatte, nahm er eine Geige zur Hand und spielte ein Vorspiel, kunstvoll und rein, wie ein Musiker; dann begann er auf lateinisch ein Lied zu singen, während er sich mit der Geige dazu begleitete; das Lied klang so ernst und traurig, daß Gerold trotz dem Verbot die Hände faltete; und die Stimme des Narrenstudenten, sonst schwach und farblos, tönte, während er sang, überraschend stark und doch sanft und wohllautend, ungefähr wie der Ton eines Cello. Gerold hörte andächtig zu; befriedigt im Gehör und in der Seele; ihm war, er säße in einem Kirchenkonzert.
Plötzlich flog ein Stein, durch Sträucher rauschend, gegen das Hüttchen. »Da hast dus«, sagte der Narrenstudent traurig, indem er schnell die Geige weglegte, »Violinspiel und Singen am hellen Tage reizt ihren Haß. Gerold, Gerold, glaub du an Teufel![84] und zwar an viele, viele Teufel! Das da war der Gemeindeteufel Populo, der alles anfeindet, was anders und ungewohnt ist, ob es schon niemand das mindeste zuleid tut. – Geh du jetzt deiner Wege, der Aufenthalt beim Narrenstudenten ist nicht ratsam.« Als sich jedoch Gerold dankend entfernen wollte, fügte er hinzu: »Halt! hollah! nicht so schnell! Dich begleiten wir. So einen muß man auf die gebahnte Straße stellen, sonst bleibt er uns an einer wohlriechenden Staude hangen. Nach welcher Richtung zieht es dich? Gesima zu oder Gesima entgegen?«
»Gesima entgegen.«
»Gut, so führen wir dich Gesima ›entgegen‹.« Und schritt ihm durch den Wald voran.
Während sie so hintereinander gingen, berichtete Gerold seine leichtsinnige Tat mit dem geschenkten Fünffrankenstück. Was er ihm rate, daß er nun tun solle; kommen lassen, was von selber kommen werde, oder der verdienten Strafe durch ein Bekenntnis entgegengehen.
»Überlaß das mir; ich werde es heute abend Papa erzählen; er wird nicht bloß nicht ungehalten über dich sein, sondern an dem Dragonerstücklein eine unbändige Freude haben, ich kenne ihn.«
»Hast du nicht Angst vor deinem Papa?«
»Man hat niemals Angst, für einen andern etwas zu tun. – So, hier sind wir an der Landstraße. Geh jetzt nur schräg über den Weg zu jenem Häuschen dort, wo geschrieben steht ›Althäusli‹, und leg dich auf die Bank vor der Haustür, du wirst dann schon sehen, was kommt. – Worauf wartest du noch? warum guckst du mich so sonderbar an?«
Gerold schaute verlegen auf seine Schuhe. Er danke ihm für alles, stammelte er, und es reue ihn, ihn anfänglich geschlagen zu haben, aber er könne es leider nicht aussprechen, weil er den Satz ›es tut mir leid‹ nicht herausbringe, so sehr er sich auch Mühe gebe.[85]
Der Narrenstudent lachte. »Auf den Stuhl gelegt ist auch abgeliefert; ich nehms für empfangen.«
Doch Gerold war damit nicht zufrieden. Er finde es so schön und edel zu sagen: ›Es tut mir leid.‹ Ob er ihm keine Anweisung geben könne, wie man es anfange, um diesen Spruch hervorzuringen.
»Das kommt dir plötzlich ganz von selber, wenn du einmal einen Menschen so recht von Herzen gern haben wirst. Die vier Wörtlein kommen dir dann so willig und lustig mit allen vier Beinen zwischen den Zähnen herausgesprungen, wie ein Rößlein über einen Zaun. – Fehlt dir immer noch etwas?«
»Ja, das Schlimmste von allem.« Und berichtete ihm von der Schrift, die er heute morgen unten im Waldgraben, im Geschiebe der Aar gefunden und was für ein Urteil er darunter geschrieben: ›Abscheulicher Mensch, den niemand gern hat, nicht einmal sein eigener Vater‹. »Aber ich würde es jetzt nicht mehr schreiben, ich weiß jetzt, daß es nicht wahr ist.«
»Doch, doch, es ist wahr; du hast buchstäblich richtig geschrieben. Ich bin ein abscheulicher Mensch, den niemand gern hat, nicht einmal mein eigener Vater.« Dann fing er an zu husten, steckte den Hals zwischen die Schultern und rannte mit heftigen Armschwüngen in den Wald zurück.
Nun hätte ihm Gerold gerne nachgerufen: ›Es tut mir leid‹, allein es war zu spät, der Narrenstudent war schon weit weg, im Gebüsch verschwunden. Also tat er, wie ihm befohlen war, und zog quer über die Straße schräg bis zum ›Althäusli‹ und legte sich dort auf die Bank neben der Haustür, den Kopf über die Lehne, die Beine über die andere Lehne, denn die Bank war viel zu kurz für ihn.
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