Einhundertundsiebenzehntes Kapitel.

[309] Obgleich die Spitzfindigkeiten dieser gelehrten Leute meinen Vater höchlich ergötzt hatten, so war das doch nur Salböl auf seine Wunden. Sobald er nach Hause kam, kehrten die trüben Gedanken nur um so peinigender zurück, was stets der Fall ist, wenn der Stab, auf den wir uns lehnen, uns entgleitet. Er wurde nachdenklich, – ging oft nach dem Fischteiche, – ließ die Hutkrämpe niederhängen, – seufzte oft – und ärgerte sich nicht, – da aber Aufbrausen, mit gelegentlichem Aerger, wie Hippokrates uns lehrt, die Ausdünstung und Verdauung gar sehr befördern, so würde er durch die Störung dieser Heilwege sicherlich erkrankt sein, hätte nicht ein frischer Schub Sorgen und Unruhen, welche Tante Dinah durch ein Legat von tausend Pfund ihm hinterließ, seiner Natur aufgeholfen.

Kaum hatte mein Vater den Brief gelesen, als er auch schon das Ding beim rechten Zipfel anfaßte und sich den Kopf darüber zerbrach, wie er das Geld zur Ehre der Familie am besten anlegen sollte. Hundert verschiedenartige Projekte gingen ihm durch den Sinn; er wollte das thun, und jenes – und dann wieder etwas Anderes. Er wollte nach Rom reisen, – er wollte ein Notariat kaufen, – er wollte das Geld in Staatspapieren anlegen, – er wollte John Hobsons Meierei kaufen, – er wollte seinem Hause eine neue Fronte geben und einen Flügel anbauen, der Symmetrie wegen. – An dem diesseitigen Ufer war eine Wassermühle, – er wollte jenseits des Flusses, gerade gegenüber eine Windmühle hinsetzen, als pendant. – Aber vor allen Dingen wollte er das große Ochsenmoor einzäunen und meinen Bruder Bobby auf Reisen schicken.

Da indessen die Summe beschränkt war und sich doch nicht Alles mit ihr ausführen ließ, – wovon übrigens das Meiste ganz unnütz gewesen wäre, – so schienen die beiden letztgenannten Projekte vor allen andern den größten Eindruck auf ihn zu machen, und wäre die kleine ebenerwähnte Unbequemlichkeit nicht gewesen, so würde er sich zweifelsohne zu beiden auf einmal[310] entschlossen haben; so aber sah er sich gezwungen, von den beiden eines zu wählen.

Das war aber nicht so leicht, denn obgleich mein Vater in der Ueberzeugung, daß eine Bildungsreise für meinen Bruder unerläßlich sei, längst schon bei sich beschlossen hatte, dieselbe mit dem ersten Gelde, welches er aus den Aktien der zweiten Mississippi-Gesellschaft, an der er betheiligt war, ziehen würde, ins Werk zu setzen, – so hatte doch das Ochsenmoor, ein schönes, großes, mit Gras bestandenes, undrainirtes und unbebautes Stück Land, das zum Shandy'schen Gute gehörte, ältere Ansprüche an ihm; er hatte so lange, so sehnlich gewünscht, es auf irgend eine Art nutzbar zu machen.

Da die Umstände es bis jetzt nicht von ihm gefordert hatten, sich über das weitere Recht oder die höhere Bedeutung dieser Ansprüche zu entscheiden, so hatte er sich als ein weiser Mann jeder schärferen und eingehenderen Untersuchung dieser Frage enthalten; – jetzt aber, nachdem alle andern Projekte bei Seite geworfen waren, brachten ihn diese beiden, wegen des Ochsenmoors und wegen meines Bruders, in einen heftigen Zwiespalt mit sich selbst; sie wogen in des alten Herrn Geist so ganz gleich schwer, daß nicht abzusehen war, welches von beiden zur Ausführung gebracht werden würde.

Man möge darüber lachen, aber der Fall lag so:

Es war von jeher in unserer Familie Brauch gewesen und zuletzt zu einem wohlbegründeten Rechtsanspruch geworden, daß der älteste Sohn vor seiner Verheirathung fremder Herren Länder bereise, nicht damit er durch Bewegung und Luftwechsel sich stärke, sondern zur Belustigung seiner Phantasie, damit er das Federlein, ein gereister Mann zu sein, auf seine Mütze stecken könne. Tantum valet, pflegte mein Vater zu sagen, quantum sonat.

Da dies nun eine vernünftige und mithin eine höchst christliche Vergünstigung war, so hätte es ihn schlechter als einen Türken behandeln heißen, wenn man ihm dieselbe ohne allen Grund hätte vorenthalten und ihn den ersten Shandy hätte sein[311] lassen wollen, der nicht in einer Postchaise in Europa herumgerollt worden wäre, blos weil er etwas vernagelt war.

Andererseits aber war die Sache mit dem Ochsenmoor ebenso dringlich.

Außer dem ursprünglichen Kaufpreise von achthundert Pfund hatte es der Familie vor fünfzehn Jahren eines Prozesses wegen weitere achthundert Pfund gekostet, die unsägliche Schererei und Unruhe während des Prozesses gar nicht gerechnet.

Dazu kam, daß es seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts im Besitze der Shandy'schen Familie war; aber obgleich es unmittelbar vor dem Hause lag, auf der einen Seite von der Wassermühle, auf der andern von der obenerwähnten projektirten Windmühle begränzt, und somit den nächsten Anspruch auf die Sorgfalt und Pflege der Familie hatte, so war es dennoch, wie das sowohl den Menschen, als dem Boden, den sie treten, unbegreiflicherweise oft zu geschehen pflegt, auf das Allerärgste vernachlässigt worden, und hatte, ehrlich gestanden, so darunter gelitten, daß es (noch Obadiahs Ausspruch) Jedem, der nur einen Begriff von dem Werthe des Grund und Bodens hatte, in der Seele weh thun mußte, wenn er darüber ritt und sah, in welchem Zustande es war.

Aber da mein Vater dieses Land weder gekauft, noch es, so zu sagen, auf die Stelle, wo es lag, hingelegt hatte, so meinte er, es ginge ihn nichts an, – bis vor fünfzehn Jahren der obenerwähnte verdammte Prozeß ausbrach (es war wegen der Gränzen) und meinen Vater zu eigenem Handeln und zur Bethätigung zwang. Dadurch wurde sein Interesse rege, und von da an wuchs es stätig; er fand, daß sowohl sein Vortheil als seine Ehre es verlangten, daß er etwas dafür thue, und – jetzt oder nie war der Augenblick. –

Ich meine, es war ein besonderes Unglück, daß die Gründe auf beiden Seiten so gleich wogen, denn obgleich es mein Vater in jeder Stimmung und Lage versuchte, – obgleich er manche Stunde in tiefen und abgezogenen Gedanken über das, was er thun solle, verbrachte, – heute Bücher über Landwirthschaft, morgen Reisebeschreibungen las, – sich von aller Leidenschaftlichkeit[312] frei zu machen suchte, – die Dinge ganz in ihrem eigenen Lichte und den Umständen gemäß ins Auge faßte, – jeden Tag mit meinem Onkel Toby konferirte, – mit Yorick sich herumstritt, – mit Obadiah die Ochsenmoorfrage durchsprach, – so wollte sich doch nichts herausstellen, was mehr für das eine als für das andere Projekt gesprochen hätte, oder was durch eine andere Erwägung nicht wieder so aufgehoben worden wäre, daß die Wagschale hätte sinken können.

Denn sicherlich, wenn das Ochsenmoor mit gehöriger Nachhülfe und in der Hand der rechten Leute bald ein ganz anderes Aussehen haben mußte als jetzt, – so galt das Alles von meinem Bruder Bobby ebenso gut, – da mochte nun Obadiah sagen was er wollte.

Faßte man nur den Vortheil ins Auge, – so schien es freilich auf den ersten Blick, als ob da kein Zweifel sein könne; denn wenn mein Vater Dinte und Feder nahm und die einmalige Ausgabe des Rodens, Ausbrennens und Einhegens mit dem zusammenstellte, was ihm das Ochsenmoor späterhin eintragen würde, so ergab sich bei seiner Art zu rechnen eine so enorme Revenue, daß kein Land der Welt mit dem Ochsenmoore den Vergleich ausgehalten hätte. Im ersten Jahre, das war klar, gab es hundert Lasten Rüben, die Last wenigstens zu zwanzig Pfund; im zweiten eine vortreffliche Weizenernte, – im darauffolgenden Jahre, wenig gesagt, hundert, aber wahrscheinlich einhundertundfünfzig, wenn nicht zweihundert Malter Erbsen und Bohnen, außer Kartoffeln, deren Menge gar nicht zu berechnen war. – Aber dann schlug der Gedanke, daß mein Bruder unterdeß wie ein Schwein, das sie fräße, aufwachsen solle, Allem wieder vor den Kopf und machte den alten Herrn so verwirrt, daß er meinem Onkel Toby oft erklärte, er wäre so rathlos wie sein kleiner Finger.

Keiner, der es nicht an sich selbst erfahren hat, kann sich einen Begriff machen von der Qual, wenn der Geist so mit sich selbst in Zwiespalt gerathen ist und von zwei Planen mit gleicher Kraft nach entgegengesetzten Seiten gerissen wird. Denn der Verwüstung zu geschweigen welche ein solcher Zustand in[313] den Nerven anrichtet, die doch die Lebensgeister und alle feinern Säfte zum Gehirne führen, so ist es gar nicht zu sagen, in welcher Weise eine solche Zwickmühle auf die gröberen und festeren Theile wirkt, und wie sie mit jedem Zug hierher oder dorthin an dem Fett und an dem Fleisch des Menschen zehrt.

Mein Vater würde dieser Heimsuchung so sicher erlegen sein, wie jener mit meinem Taufnamen, von der ihn diese erlöste, wäre er nicht auch von dieser durch eine neue erlöst worden: durch den Tod meines Bruders Bob nämlich.

Was ist des Menschen Leben? Ein Schwanken hierhin – dorthin – von Sorge zu Sorge. Ein Loch stopft man zu, – ein anderes ist gleich wieder da.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 309-314.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon