Elftes Kapitel.

[32] Yorick war des Pfarrers Name und – was höchst merkwürdig ist – dieser Name wurde (das zeigt eine alte auf starkem Pergament geschriebene und wohlkonservirte Familienurkunde) seit – beinah hätt' ich gesagt seit 900 Jahren, aber ich will keinen Zweifel an meiner Wahrhaftigkeit erregen, indem ich eine so unwahrscheinliche, obgleich an sich unbestreitbare Thatsache berichte, also bescheide ich mich und sage einfach – dieser Name wurde, ich weiß nicht seit wie lange, genau auf ein und dieselbe Weise geschrieben, was mehr ist, als ich von der guten Hälfte der besten Familiennamen unseres Landes sagen möchte, die im Lauf der Jahre gemeiniglich ebenso viel Veränderungen und Risse bekommen haben, als ihre Eigenthümer. – Entspringt dies aus dem Hochmuth oder der Scham besagter Eigenthümer? – Wahrhaftig, ich denke manchmal, aus dem einen wie aus der andern, je nachdem die Versuchung war. Aber ein jämmerliches Ding bleibt es immer und wird uns Alle miteinander eines Tages in Verwirrung und Unheil stürzen, daß Niemand im Stande ist aufzustehen und zu schwören, »daß sein eigner Urgroßvater der Mann war, der dies oder jenes gethan hat«. –[32]

Diesem Uebelstande war durch die kluge Vorsorge der Yorickschen Familie vorgebeugt worden, sowie auch durch die gewissenhafte Aufbewahrung jener obenerwähnten Urkunde, aus welcher wir weiter erfahren, daß die Familie ursprünglich von dänischer Abkunft und schon frühe unter der Regierung des Hordenwillus, Königs von Dänemark, nach England übergesiedelt war, nachdem, wie es scheint, ein Vorfahr unseres Yorick, von welchem dieser in gerader Linie abstammte, am Hofe besagten Königs ein angesehenes Amt bekleidet hatte. Welcher Art dieses angesehene Amt war, sagt die Urkunde nicht, sie fügt nur hinzu, daß dasselbe seit fast 200 Jahren nicht allein an diesem, sondern an allen Höfen der Christenheit gänzlich aufgehoben sei. –

Es ist mir oft der Gedanke gekommen, daß dieses Amt wohl kein anderes gewesen sein mag, als das eines königlichen Hofnarren, und daß Hamlets Yorick bei Shakespeare, dessen Stücke sich oft auf authentische Begebenheiten gründen, wahrscheinlich derselbe Mann ist.

In Saxo Grammaticus' dänischer Geschichte deshalb nachzusehen, fehlt mir die Zeit, aber wenn Sie Muße haben und das Buch erhalten können, bitte ich Sie, dies selbst zu thun.

Bei meiner Reise in Dänemark – es war im Jahre 1741: ich begleitete damals Mr. Noddy's ältesten Sohn als Erzieher und galoppirte mit ihm in rasender Geschwindigkeit durch den größten Theil von Europa, von welcher originellen Reise im Verlauf dieses Werkes ein höchst anmuthiger Bericht gegeben werden soll – bei meiner Reise in Dänemark also hatte ich gerade Zeit genug, mich von der Richtigkeit einer Bemerkung zu überzeugen, die ein Mann, welcher lange in jenem Lande lebte, gemacht hat, – »daß nämlich die Natur hinsichtlich ihrer Gaben von Genie und Fähigkeiten an die Bewohner desselben weder verschwenderisch noch übermäßig karg sei, sondern wie eine verständige Mutter sich gegen alle mit Maße gütig bewiese und in der Vertheilung ihrer Gunstbezeigungen so gleichmäßig verfahre, daß sie durchschnittlich Jeden ohngefähr auf denselben Platz stelle, weshalb man in diesem Reiche nur selten außergewöhnlichen Geistesgaben, aber dafür in allen Ständen einem[33] guten Theile gesunden Menschenverstandes begegne, an welchem letztern es keinem fehle« – was, meiner Meinung nach, ganz richtig geurtheilt ist.

Mit uns, sehen Sie, ist das ein ganz anderer Fall; wir alle sind, was das anbetrifft, entweder obenauf oder untendurch; Sie sind ein großes Genie oder, fünfzig gegen eins, Sir, Sie sind ein großer Schafskopf und Esel. Nun giebt es zwar auch Mittelstufen, und so ganz aus aller Reihe geht es auch bei uns nicht, – aber auf diesem verdrehten Eilande, wo die Natur ihre Gaben und Geschenke so höchst launisch und eigensinnig vertheilt, launischer noch als Fortuna ihre Güter und Reichthümer, sind die beiden Extreme doch das Gewöhnliche. –

Das ist das Einzige, was mich zuweilen in meiner Ueberzeugung von der Abkunft Yoricks irre gemacht hat, denn so viel ich mich seiner erinnere und nach allen Nachrichten, die ich über ihn einziehen konnte, scheint es mir, daß er auch nicht einen einzigen Tropfen dänischen Blutes in seinen Adern hatte: möglich, daß das in 900 Jahren ausgeschwitzt war, darüber will ich mir weiter den Kopf nicht zerbrechen, aber so viel steht fest, daß er statt des kühlen Phlegmas und der Gemüths- und Seelenruhe, die von einem Manne solcher Abkunft zu erwarten gewesen wären, ein so bewegliches und quecksilberartiges Temperament zeigte, in allen seinen Neigungen so sehr von dem Gewöhnlichen abwich und so viel Lebendigkeit, Laune und gaité du coeur besaß, wie nur das allerglücklichste Klima erzeugen und zusammenbringen kann.

Und bei so viel Segeln führte der arme Yorick nicht ein Quentlein Ballast mit sich! Es gab keinen unpraktischeren Menschen in der Welt; mit 26 Jahren verstand er sein Schifflein nicht besser zu steuern als ein wildes, unerfahrenes Mädchen von dreizehn; so daß die frische Brise seines Temperamentes ihn, wie leicht begreiflich, gleich bei seiner ersten Fahrt zehnmal am Tage in fremder Leute Takelwerk trieb, und da die Würdevollen und die Langsamfahrenden ihm am öftersten im Wege waren, so wird man ferner begreifen, daß sein böses Glück ihn gerade mit diesen am häufigsten zusammenrennen ließ. So viel ich[34] weiß, darf man annehmen, daß die Ursache solcher Zusammenstöße ein gewisser unglücklicher Witz war, denn – um die Wahrheit zu gestehen – Yorick hatte seiner Natur nach einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alles würdevolle Wesen und einen unwiderstehlichen Hang, ihm zu opponiren – nicht zwar gegen die Würde an sich, denn wo sie am Platze war, konnte er selbst tage-, ja wochenlang der würdevollste und ernsthafteste Mensch von der Welt sein, – aber er war ein abgesagter Feind der angenommenen Würde; und wo sie blos als Mantel für Dummheit und Albernheit umgenommen wurde, da erklärte ihr offen den Krieg, und kam sie ihm dann in den Weg, so gab er selten Pardon, mochte sie beschützt und beschirmt sein, von wem sie wollte.

In seiner lebhaften Redeweise pflegte er wohl zu sagen: Würdigthun sei ein rechter Schurke, und zwar einer von den allergefährlichsten, weil er zugleich arglistig sei; durch Würdigthun, glaube er, wären mehr ehrliche und wohlmeinende Leute in einem Jahre um Hab und Gut beschwindelt worden, als durch Taschendiebstahl und Einbruch in sieben. Wo ein fröhliches Herz sich offen gebe, da sei keine Gefahr, aber wo die Würde bloße Absicht, das heißt, wo sie nur angenommen sei, da habe sie den Werth eines erlernten Kunststückchens, mit dem man der Welt weiß machen wolle, daß man mehr Gemüth und Verstand besitze, als es in Wahrheit der Fall sei; trotz aller ihrer Prätensionen sei sie doch nicht besser – eher schlechter –, als wofür sie ein französisches Witzwort anerkenne: »eine geheimnißvolle Körperdekoration, um die Mängel des Geistes zu verbergen«, – von welcher Definition Yorick höchst unvorsichtig zu sagen pflegte, daß sie mit goldenen Lettern eingegraben zu werden verdiente.

Aber, offen gesagt, er war unerfahren in der Welt und unpraktisch; auch in der Unterhaltung über andere Gegenstände, wo es politisch gewesen wäre, eine gewisse Zurückhaltung zu beobachten, war er indiskret und thöricht. Yorick ließ sich ganz und gar von dem Eindruck beherrschen, welchen die Natur der Sache, die eben besprochen wurde, auf ihn machte. Diesen Eindruck übersetzte er gewöhnlich, ohne alle Rücksicht auf Person,[35] Ort oder Gelegenheit, in seine ehrliche Muttersprache, so daß er, wenn z.B. von einer erbärmlichen und unedlen Handlung die Rede war, sich keinen Augenblick Zeit gab, darüber nachzudenken, wer der Held der Begebenheit und welcher Art seine Stellung sei, oder ob derselbe Macht habe, ihm nachträglich zu schaden, sondern war es eine elende Handlung, so hieß es ohne weiteres: der Kerl ist ein Lump u.s.w. – Und da seine Bemerkungen gewöhnlich das Unglück hatten, mit einem bon mot zu schließen oder mit irgend einem drolligen und spaßigen Ausdruck gewürzt zu sein, so gab das der Rücksichtslosigkeit Yoricks erst rechte Flügel. Genug, obgleich er nie die Gelegenheit suchte (freilich auch nicht mied), das Aeußerste ohne allen Rückhalt zu sagen, so boten sich ihm in seinem Leben nur zu viele Versuchungen dar, seinen Witz und seine Laune, seine Sticheleien und Späße auszustreuen, – und man ermangelte nicht das Ausgestreute aufzuheben.

Was die Folge davon war, und wie Yorick darüber zu Grunde ging, das wird man im nächsten Kapitel lesen. –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 32-36.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon