Fünfundzwanzigstes Kapitel.

[79] Die Verwundung, welche mein Onkel Toby bei der Belagerung von Namur an seinem Schambein erhalten hatte, machte ihn dienstunfähig, und so war es das Zweckmäßigste für ihn, nach England zurückzukehren und sich hier heilen zu lassen.

Vier volle Jahre blieb er zuerst an das Bett, dann wenigstens noch an das Zimmer gefesselt und litt bei der ärztlichen Behandlung, welche die ganze Zeit über dauerte, unsägliche Schmerzen. Diese entstanden aus einer Reihe von Ausschwärungen des os pubis und des äußeren Randes jenes Theiles der coxendix, welcher os ilium genannt wird; denn beide Knochen waren sowohl durch die unregelmäßige Form des Steines, welcher, wie oben erzählt, von der Brustwehr absprang, als durch seine Größe (die nicht unbedeutend war) jämmerlich zertrümmert worden, weshalb der Wundarzt zu der Ansicht neigte, daß die große Verletzung, welche mein Onkel an seinem Schambeine erlitten, mehr durch die Schwere des Steines selbst als durch die Schleuderkraft desselben entstanden sei, was, wie er oft sagte, ein großes Glück wäre.

Mein Vater hatte zu jener Zeit eben sein Geschäft in London eröffnet und ein Haus gemiethet, und da zwischen den beiden Brüdern die herzlichste Freundschaft und Liebe bestand, mein Vater überdies der Meinung war, daß mein Onkel Toby nirgends so gut gepflegt und gewartet werden könne als in seinem eigenen Hause, so wies er ihm das beste Zimmer darin an und – was als ein noch viel größerer Beweis seiner Zuneigung gelten konnte – unterließ nie, jeden Freund oder Bekannten, der sein Haus betrat, bei der Hand zu nehmen und hinaufzuführen, damit er meinen Onkel Toby sähe und ein Stündchen an seinem Krankenlager verplaudre.

Keine bessere Linderung für eines Kriegers Wunde als ihre Geschichte, – so wenigstens meinten meines Onkels Besucher, und aus einer Höflichkeit, die dieser Meinung entsprang, pflegten sie bei ihren täglichen Besuchen das Gespräch oft auf diesen[80] Gegenstand zu bringen, von welchem dann die Unterhaltung gewöhnlich auf die Belagerung selbst überging.

Solche Unterhaltung war meinem Onkel Toby höchst angenehm und erquickte ihn ungemein, sie würde dies aber noch viel mehr gethan haben, wenn sie ihn nicht in mancherlei unvorhergesehene Verlegenheiten verwickelt hätte, was seine Heilung um ganze drei Monate verzögerte und ihn wahrscheinlich in das Grab gebracht haben würde, wäre er nicht zufällig auf ein Auskunftsmittel gestoßen, sich daraus zu ziehen.

Welcher Art diese Verlegenheiten meines Onkels Toby waren, kann der Leser unmöglich errathen, und wenn er es könnte, so müßte ich darüber erröthen, – nicht als sein Verwandter, oder als Ehemann, ja nicht einmal als seine Ehefrau, sondern – als Autor, deshalb nämlich, weil ich mir etwas darauf einbilde, daß mein Leser noch nie etwas hat errathen können; und in dieser Beziehung, Sir, bin ich so empfindlich und eigen, daß ich dies Blatt aus meinem Buche herausreißen würde, wenn ich glaubte, Sie wären im Stande, sich die geringste Vorstellung oder Idee von dem zu machen, was auf der nächsten Seite kommt.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 79-81.
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