|
[44] Der Passus in dem Ehevertrage meiner Mutter, den ich, wie dem Leser bereits berichtet wurde, durchaus aufsuchen mußte und den ich, nachdem ich ihn aufgefunden, nun vorlegen will, lautet in dem Dokumente selbst so viel besser, als ich ihn inhaltlich wiederzugeben vermöchte, daß es unverantwortlich wäre, wenn ich ihn dem Notar aus der Hand nähme. Ich setze ihn also in extenso her:
»Und dieser Vertrag setzt annoch fest, daß besagter Walter Shandy, Kaufmann, auf Grund vorerwähnten beabsichtigten und durch Gottes Hülfe fest und unauflöslich zu schließenden und zu vollziehenden Ehebundes zwischen vorbenanntem Walter Shandy und Elisabeth Mollineux, sowie aus unterschiedlichen andern guten und triftigen Gründen und Ursachen, so ihn dazu bestimmen, – genehmigt, zugesteht, gelobt, beschließt, sich verpflichtet und ohne Rückhalt bewilligt, desgleichen an seiner Statt John Dixon und James Turner Esqrs., obenbenannte Zeugen, u.s.w. u.s.w. – nämlich: daß – im Fall es geschehen, sich ereignen, stattfinden oder auf irgend eine Weise der Fall sein sollte, daß besagter Walter Shandy, Kaufmann, sein Geschäft aufgäbe vor der Zeit oder den Zeiten, da besagte Elisabeth Mollineux in dem gewöhnlichen Gange der Natur oder auf andere Weise aufgehört hätte, Kinder zu empfangen und zu gebären und daß, dieweil besagter Walter Shandy sein Geschäft aufgegeben, er, entgegen und zuwider dem freien Willen, der[44] Zustimmung oder der Neigung besagter Elisabeth Mollineux von London fortzöge, um sich zur Ruhe zu setzen und zu wohnen auf seinem Landgute Shandy-Hall in der Grafschaft ** oder auf irgend einem andern Edelsitze, Schlosse, Gute, Landhause, Vorwerke oder Anwesen, bereits erworbenem oder noch zu erwerbendem, oder auf einem Theile oder Stück eines solchen: daß dann, und so oft es sich ereignet, wenn und daß besagte Elisabeth Mollineux schwanger wird mit einem Kinde oder mit mehren, so zu verschiedenen Zeiten und gesetzlich, oder nach bereits eingetretener Schwangerschaft mit besagter Elisabeth Mollineux erzeugt sind – Er, besagter Walter Shandy, für eigene Rechnung und Unkosten und aus seinen eigenen Mitteln, auf genügende und rechtzeitige Verwarnung hin, welche nach Uebereinkunft volle sechs Wochen vor der Zeit der vermuthlichen Entbindung besagter Elisabeth Mollineux zu geschehen hat – einzahlen oder einzahlen lassen will die Summe von Einhundertundzwanzig Pfund in gangbarer und gesetzlicher Landesmünze zu Handen der Herren John Dixon und James Turner oder deren Ordre auf Treu und Glauben und zum Gebrauch, Nutzen, Endzweck und zur Verwendung wie folgt: Nämlich, damit die genannte Summe von 120 Pfund besagter Elisabeth Mollineux ausgehändigt oder von den obenbenannten Zeugen dazu angewandt werden soll, sicherlich und wahrhaftig dafür eine Kutsche zu miethen nebst passenden und hinlänglichen Pferden, auf daß die Person besagter Elisabeth Mollineux, sowie das Kind oder die Kinder, mit welchen sie zu jener Zeit schwanger sein wird und gesegnet, nach London geführt und gebracht, und davon bestritten und bezahlt werden können alle einschlagenden Kosten, Ausgaben, Zahlungen, welcher Art sie immer sein mögen, so in Beziehung auf, desgleichen aus und wegen besagter, ihrer beabsichtigten Niederkunft und Entbindung in besagter Stadt oder deren Vorstädten entstehen; sowie, daß besagte Elisabeth Mollineux von Zeit zu Zeit und zu jeder solcher Zeit oder solchen Zeiten, wie bestimmt und vereinbart ist, in Frieden und Ruhe besagte Kutsche und Pferde soll miethen können und dürfen und während ihrer ganzen Reise freien[45] Eingang, Ausgang und Wiedereingang in und aus besagter Kutsche haben soll, kraft des Wortlautes und wahren Inhaltes und Sinnes gegenwärtiger Schrift, ohne Hinderniß, Einrede, Störung, Belästigung, Beunruhigung, Abbruch, Verweigerung, Verwirkung, Vorenthaltung, Unterbrechung oder Erschwerung irgend einer Art, und daß es vielmehr besagter Elisabeth Mollineux vollkommen gesetzlich zustehen soll, von Zeit zu Zeit und so oft oder häufig sie in ihrer besagten Schwangerschaft wahr und wahrhaftig bis zu dem hiervor festgesetzten und vereinbarten Zeitpunkte vorgeschritten sein wird, an solchem Orte oder solchen Orten, in solcher Familie oder in solchen Familien, mit solchen Verwandten, Freunden oder andern Personen in besagter Stadt London zu leben und zu wohnen, wie es ihr ohne Rücksicht auf ihre derzeitige Schwangerschaft und gleich als ob sie ein einzelnes und unverheirathetes Frauenzimmer wäre, je nach ihrem Willen oder ihrer Neigung gefallen mag. Und dieser Vertrag setzt ferner fest: daß als Bürgschaft für die genaue Ausführung besagter Uebereinkunft Walter Shandy, Kaufmann, hierdurch verleiht, verkauft, überläßt und zuspricht besagtem John Dixon und James Turner Esqrs. oder den Erben, Bevollmächtigten und Cessionarien ihres thatsächlichen Besitzes, kraft eines Kauf- und Verkaufvertrages, abgeschlossen zu diesem Zwecke zwischen besagtem John Dixon, auch James Turner und besagtem Walter Shandy, welcher Kauf- und Verkaufbrief, gültig für ein Jahr, ausgestellt ist, einen Tag vor dem Datum gegenwärtigen Dokumentes, auf Grund des ›Cession und Nutznießung‹ betreffenden Gesetzes – das Landgut und die Herrschaft Shandy, gelegen in der Grafschaft **, nebst allen Rechten, Zubehör und Apartenenzien, also nebst allen Vorwerken, Häusern, Gebäuden, Scheunen, Ställen, Obstgärten, Gemüsegärten, Hintergärten, Baustellen, eingezäunten Plätzen, Höfen, Hütten, Grundstücken, Weiden, Wiesen, Grasungen, Morästen, Gemeindehutungen, Wäldern, Gebüschen, Gräben, Fischereien, Teichen und fließendem Wasser – sowie nebst allen Renten, Heimfallgeldern, Servituten, Abgaben, Pachten, Lehnspfennigen, Schutzgeldern, Frohngroschen,[46] Bergwerk- und Steinbruchgefällen, Besitz und Viehstand der Verbrecher und Flüchtlinge, den Verbrechern selbst, auch den unter Gericht Gegebenen, Vagabunden und Lehnflüchtigen, nebst allen Regalen, herrschaftlichen Rechten und Gerechtsamen, Privilegien und Erbrechten, welchen Namen sie immer haben mögen, und desgleichen nebst dem Patronats-, Schenkungs- und Vertretungsrecht, sowie nebst der freien Verfügung über die Rektorei oder Pfarre besagten Shandy's, und nebst allen Zehnten, Zöllen und Landabgaben.«
Mit Einem Worte: Meine Mutter konnte (wenn sie wollte) ihr Kindbett in London abhalten.
Aber um dem vorzubeugen, daß sich meine Mutter, wie es nur zu nahe lag, einen solchen Artikel des Heirathsvertrages auf eine unbillige Weise zu Nutzen mache, – ein Fall, an den Niemand gedacht hätte, wäre nicht mein Onkel Toby darauf verfallen – so war zur Sicherstellung meines Vaters folgende Klausel an gefügt: Würde meine Mutter auf falsche Anzeichen und Vermuthungen hin meinem Vater zu irgend einer Zeit die Unruhe und Kosten einer londoner Reise über den Hals bringen, so sollte sie dadurch die Anwartschaft und die Rechte, welche ihr der Artikel gab, für den nächsteintretenden Fall verlieren (jedoch nicht mehr, und sofort, toties quoties) und zwar so gänzlich und völlig, als ob ein solcher Vertrag zwischen ihnen nie geschlossen worden wäre. – Das war übrigens nicht mehr als billig, und doch hat es mir immer hart erscheinen wollen, daß die ganze Wucht dieser Klausel, wie es wirklich geschah, gerade auf mich fallen mußte. –
Aber ich wurde nun einmal zum Unglück gezeugt und geboren; war's Wind oder Wasser, war's eine Mischung von beiden, oder ein bloßes Wuchergewächs der mütterlichen Phantasie und Einbildungskraft; hatte der Wunsch, daß es so sein möchte, sie mißleitet – ich fühle mich nicht berufen, das Eine oder das Andere behaupten zu wollen, – genug, meine Mutter täuschte sich und Andere. Es ist Thatsache, daß sie Ende September des Jahres 1717, also ein Jahr vor meiner Geburt, meinen Vater sehr wider seinen Willen nach der Hauptstadt[47] fexirt hatte, und daß er nun sehr entschieden auf der Klausel bestand. So wurde ich durch einen Ehevertrags-Artikel dazu verdammt, in meinem Gesichte eine so plattgedrückte Nase zu tragen, als ob das Geschick mir überhaupt gar keine zugedacht gehabt hätte.
Wie das geschah und was für Aergerniß und Mißgeschick mir auf jedem Schritte meines Lebens aus dem Verluste oder, richtiger gesagt, der Quetschung dieses einen Gliedes erwuchsen, soll seiner Zeit dem Leser ausführlich dargelegt werden.
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
|
Buchempfehlung
Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«
270 Seiten, 9.60 Euro