Neununddreißigstes Kapitel.

[114] Am Ende des vorigen Kapitels verließen wir meinen Vater und meinen Onkel Toby, wie sie, gleich Brutus und Cassius gegen Schluß der Scene, dastanden und sich versöhnten.

Sobald mein Vater die letzten paar Worte gesagt hatte, setzte er sich nieder; mein Onkel Toby that genau dasselbe, nur daß er, bevor er sich niedersetzte, klingelte und dem Korporal Trim befahl, nach Hause zu laufen und den Stevenius zu holen, denn meines Onkels Haus lag ganz in der Nähe, auf der andern Seite der Straße.

Jeder Andere würde die Sache mit dem Stevenius ganz haben fallen lassen, aber mein Onkel Toby war nicht nachtragend, und so ließ er sie nicht fallen, um meinem Vater zu zeigen, daß er es nicht sei.

Bei Ihrer plötzlichen Ankunft, Dr. Slop, sagte mein Onkel, indem er seine Rede von vorhin wieder aufnahm, mußte ich sogleich an Stevenius denken. (Ihr könnt Euch vorstellen, daß mein Vater diesmal keine Wette auf Stevenius anbot.) Denn, fuhr mein Onkel Toby fort, der berühmte Segelwagen des Prinzen Moritz, welcher so wundervoll gebaut war, daß in ihm ein halb Dutzend Passagiere in, ich weiß nicht, wie viel Minuten dreißig deutsche Meilen zurücklegen konnten, war von dem großen Mathematiker und Ingenieur Stevenius erfunden.

Sie hätten Ihrem Diener, dem armen lahmen Teufel, die Mühe ersparen können, den Stevenius zu holen, sagte Dr. Slop, denn auf meiner Rückreise von Leyden über den Haag ging ich nach Scheveningen, was zwei gute Meilen davon liegt, um mir den Wagen anzusehen.

Das will noch nichts sagen, erwiederte mein Onkel Toby,[114] gegen das, was Peireskius that: der ging 500 Meilen weit, nämlich von Paris nach Scheveningen und von Scheveningen wieder nach Paris zurück, blos um ihn zu sehen – aus keinem andern Grunde.

Manche Leute können es nicht vertragen, überboten zu werden.

Desto einfältiger, entgegnete Dr. Slop; – aber wohlgemerkt, nicht etwa aus Geringschätzung gegen Peireskius, sondern deshalb, weil die gewaltige Anstrengung des Peireskius, der aus bloßer Liebe zur Wissenschaft einen so großen Weg zu Fuße zurückgelegt hatte, seine, des Dr. Slops That auf Nichts reducirte; – desto einfältiger, sagte er noch einmal. – Wie so? erwiederte mein Vater, der seines Bruders Partei ergriff, theils um das Unrecht, das er jenem angethan und das ihn immer noch quälte, so viel als möglich wieder gut zu machen, theils weil er wirklich anfing, sich für das Gespräch zu interessiren. Wie so? sagte er. Kann man dem Peireskius, oder wer es sonst sei, seine Wißbegierde in diesem oder jedem andern gerechtfertigten Falle zum Vorwurf machen? Wenn ich auch von dem in Rede stehenden Wagen nichts verstehe, fuhr er fort, so muß der Erfinder doch ein mechanisches Genie gewesen sein; ich kann freilich nicht einsehen, nach welchen Principien er dabei verfahren sein mag, aber richtige sind es gewiß gewesen, sonst hätte seine Maschine ihrem Zwecke nicht in dem Maße, wie mein Bruder sagt, entsprechen können.

Sie entsprach ihm, erwiederte mein Onkel Toby, so wie ich sagte, ja noch besser; denn – wie Peireskius, indem er von der Schnelligkeit ihrer Bewegung spricht, sich geschmackvoll ausdrückt: »Tam citus erat, quam erat ventus«, was, wenn ich mein Latein nicht ganz vergessen habe, so viel heißt, als: sie war so schnell wie der Wind selbst.

Aber, unterbrach mein Vater meinen Onkel (jedoch nicht ohne ihn um Entschuldigung zu bitten), – aber, bitte, Dr. Slop, nach welchen Principien wurde denn jener Wagen in Bewegung gesetzt? – Nach sehr einfachen, wie ich Sie versichern kann, erwiederte Dr. Slop; und ich habe mich oft gewundert, fuhr er fort, indem[115] er die Frage umging, daß keiner von unsern Gutsbesitzern, die hier herum auf dem flachen Lande wohnen, (besonders wenn ihre Frauen in gesegneten Umständen sind) sich diese Erfindung zu Nutze macht; wie zweckmäßig wäre das, in allen solchen Fällen, wo der Doktor (was bei dem schönen Geschlechte oft vorfällt) schnell herbeigeholt werden muß, – (freilich müßte der Wind passen) – und dann wie ökonomisch wäre diese Benutzung des Windes, der nichts kostet und nichts frißt, wogegen die verdammten Pferde ein Erkleckliches kosten und fressen.

Gerade aus diesem Grunde, erwiederte mein Vater, weil er nichts kostet und nichts frißt, ist die Erfindung schlecht; denn der Verbrauch unserer Produkte, sowie die Verarbeitung derselben giebt dem Hungrigen Brod, belebt den Handel, schafft Geld, vermehrt den Werth unserer Ländereien, – und wäre ich ein Fürst, so würde ich zwar den gelehrten Kopf, der solche Erfindungen ausheckte, großmüthig belohnen, aber die Anwendung derselben würde ich streng verbieten.

Damit war mein Vater in sein Fahrwasser gekommen und würde sich ohne Zweifel jetzt über den Handel ebenso weitläufig ausgelassen haben, als mein Onkel Toby vorher über die Befestigungskunst, hätte nicht das Schicksal zum Nachtheil der Wissenschaft beschlossen gehabt, jede gelehrte Auseinandersetzung, welche mein Vater an diesem Tage begann, zu unterbrechen. Denn kaum eröffnete er zum folgenden Satze den Mund –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 114-116.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)