Neunundneunzigstes Kapitel.

[266] Heda! Du, Junge! hier hast Du einen Groschen; laufe doch einmal in den Buchladen und hole mir so einen tagstarken Kritikus her. Ich will ihm gern eine Krone geben, wenn er mir mit seinen Siebensachen behülflich ist, meinen Vater und meinen Onkel Toby von der Treppe weg und ins Bett zu schaffen.

– Es ist die höchste Zeit, denn wenn man das bischen Einnicken abrechnet, während Trim die Stulpstiefeln bohrte, was aber meinem Vater wegen der schadhaften Angel gar nichts geholfen hat, so haben sie seit der Zeit, wo Obadiah den besudelten Dr. Slop ins Hinterzimmer führte, also seit neun Stunden, kein Auge zugethan.

Sollte jeder Tag meines Lebens so unruhig sein und sollten die –

Aber ich will den Satz nicht beendigen, bevor ich nicht über[266] die eigenthümliche Art und Weise, wie die Dinge zwischen mir und dem Leser jetzt stehen, eine Bemerkung gemacht habe. Diese Bemerkung paßt auf keinen einzigen Biographen, der, so lange die Welt steht, bis jetzt geschrieben hat, oder der, bis sie in Flammen untergeht, schreiben wird (wenigstens glaub' ich das), als auf mich; darum empfehle ich sie, schon der Neuheit wegen, der ganz besondern Aufmerksamkeit Ew. Wohlgeboren.

Ich bin diesen Monat ein ganzes Jahr älter als vor zwölf Monaten, und da ich, wie Sie bemerken werden, fast in der Mitte meines dritten Bandes, übrigens aber noch bei dem ersten Tage meines Lebens stehe, so ist es einleuchtend, daß ich jetzt 364 Tage mehr von meinem Leben zu schildern habe, als damals, wo ich anfing; dennoch bin ich, statt wie jeder andere Schriftsteller vorwärts zu kommen, durch alles das, was ich an meinem Werke gethan habe, um so viel Bände zurückgeworfen worden. Sollte nun jeder Tag meines Lebens so unruhig sein wie dieser – und warum nicht? – und sollten meine Bemerkungen und Meinungen, die ich darüber gebe, ebenso ausführlich werden – und warum sollte ich sie beschränken? – so müßte ich gerade dreihundertvierundsechzigmal länger schreiben als leben; denn das sehen Ew. Wohlgeboren wohl ein, je länger ich schreibe, desto mehr werde ich zu schreiben haben, und je mehr Ew. Wohlgeboren lesen, – das folgt natürlich daraus – desto mehr werden Ew. Wohlgeboren zu lesen haben.

Wird das aber auch gut für Dero Augen sein?

Den meinigen wird es ganz gut thun, und redete ich mich nicht durch meine Meinungen um den Hals, so könnte ich mit meinem Leben ein schönes Leben führen, – oder, noch richtiger, ich könnte mich eines schönen Doppellebens erfreuen.

Was den Vorschlag anbetrifft, ich möchte jährlich zwölf Bände, oder einen Band jeden Monat schreiben, so ändert derselbe nichts an meinem Vorsatze: zu schreiben, wie ich will und wo immer ich kann, und nach Horatius' Rath mitten in die Sache hineinzugehen. – Ich kann mich doch nie überholen, und wenn ich mich noch so plagte und hetzte. Schlimmsten Falls werde ich meiner Feder immer um einen Tag voraus sein, und ein[267] Tag ist genug für zwei Bände und zwei Bände sind genug für ein Jahr.

Mögen denn die Papierfabrikanten unter dieser glückverheißenden Regierung, welche soeben für uns begonnen hat, grünen und blühen, wie ich hoffe, daß überhaupt Alles unter ihrem Schutze sich des Segens erfreuen werde.

Was das Gedeihen der Gänse anbetrifft, so macht mir das keine Sorge, – die Natur ist gütig – sie wird es mir an dem, was ich zu meinem Handwerk brauche, nicht fehlen lassen.

So, mein guter Freund, haben Sie also meinen Vater und meinen Onkel Toby die Treppe hinunter und zu Bette gebracht? – Und wie fingen Sie's an? – Den Vorhang am Fuß der Treppe heruntergelassen? Ich dacht' es gleich, daß Sie's nicht anders würden machen können. – Na, hier haben Sie eine Krone für Ihre Mühe.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 266-268.
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