Neunzigstes Kapitel.

[257] War's in Mackay's Regiment, fragte mein Onkel Toby, wo der arme Grenadier in Brügge wegen der Dukaten so grausam gepeitscht wurde? – Herr Jesus! er war unschuldig, rief der Korporal mit einem tiefen Seufzer, und wurde doch fast zu Tode gepeitscht, Ew. Gnaden. Hätten sie ihn lieber kurzweg todtgeschossen, wie er bat, so wäre er geraden Wegs in den Himmel marschirt, denn er war so schuldlos wie Ew. Gnaden. – Ich danke dir, Trim, sagte mein Onkel Toby. – Wenn ich, fuhr Trim fort, an sein und meines armen Bruders Tom Unglück denke, – wir waren alle drei Schulkameraden, Ew. Gnaden – so muß ich wie 'ne Memme weinen. – Man braucht keine Memme zu sein, Trim, um zu weinen. Es passirt mir selbst, rief mein Onkel Toby. – Ich weiß es, Ew. Gnaden, erwiederte Trim, und deshalb schäme ich mich auch nicht. Aber wenn man das denkt, fuhr er fort, und die Thränen traten ihm in die Augen, wenn man das denkt, Ew. Gnaden, daß zwei brave Burschen, mit so warmen Herzen im Leib und so ehrlich, wie sie aus Gottes Hand kamen, Kinder rechtlicher Leute, die muthig in die Welt gezogen sind, um ihr Glück zu machen, in solch ein Elend fallen können, – armer Tom! daß man sie auf die Folter spannt, um nichts, als weil sie eine Judenwittwe geheirathet haben, die mit Würsten handelt; – ehrlicher Dick Johnson! daß man ihnen die Seele aus dem Leibe peitscht, um nichts, als weil ein Anderer Dukaten in ihren Tornister gesteckt hat – O! das nennt man Unglück! rief Trim und zog sein Taschentuch heraus[257] – das nennt man Unglück – da könnte man sich mit Recht hinschmeißen und heulen.

Mein Vater erröthete unwillkürlich.

Gott bewahre Dich, Trim, vor eigenem Herzeleid, sagte mein Onkel Toby, Du fühlst so warm für Andere. – Ei, erwiederte der Korporal und sein Gesicht klärte sich auf, – Ew. Gnaden wissen, ich habe nicht Weib noch Kind, da bin ich in dieser Welt vor Herzeleid sicher. – Mein Vater mußte lächeln. – So wenig als irgend Jemand, Trim, erwiederte mein Onkel Toby; doch weiß ich allerdings kaum, was für ein Unglück einen Burschen von Deinem leichten Sinn niederdrücken sollte, wär' es nicht etwa Armuth in alten Tagen, wenn Du nicht mehr dienen kannst, Trim, und Deine Freunde todt sind. – Damit, Ew. Gnaden, entgegnete Trim fröhlich, hat's keine Noth. – Soll's keine Noth haben, so viel es von mir abhängt, sagte mein Onkel Toby und stemmte, indem er aufstand, seine Krücke gegen den Fußboden; zum Lohn für Deine Treue gegen mich und für Dein gutes Herz, von dem ich so viele Beweise habe, sollst Du nimmer Almosen erbetteln müssen, Trim, so lange Dein Herr noch einen Heller im Vermögen hat. – Trim wollte meinem Onkel Toby danken, aber er vermochte es nicht; – die Thränen flossen ihm so reichlich über die Backen, daß er sie kaum abwischen konnte. Er legte die Hand aufs Herz, verbeugte sich tief und machte, daß er zum Zimmer hinaus kam.

– Ich habe Trim meinen Rasenplatz vermacht, rief mein Onkel Toby. Mein Vater lächelte. Und ein Jahrgehalt dazu, fuhr mein Onkel Toby fort. Mein Vater wurde ernsthaft.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 257-258.
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