Sechsunddreißigstes Kapitel.

[107] Schreiben, – vorausgesetzt, daß man es mit Geschick thut (wie ich z.B.), – ist nur eine andere Benennung für »sich unterhalten«. – Wie Jemand, der weiß, was sich in guter Gesellschaft schickt, es nicht wagen wird, alles zu sprechen, so wird es einem Autor, der die wahren Gränzen des Anstandes und der guten Erziehung kennt, auch nicht einfallen, alles zu denken; er wird seine Achtung vor dem Verstande seines Lesers nicht besser beweisen können, als wenn er in dieser Hinsicht freundschaftlich mit ihm theilt und ihm, so gut wie sich selbst, auch etwas zu denken übrig läßt.

Was mich anbetrifft, so übe ich diese Höflichkeit unaufhörlich, und thue alles, was in meiner Macht steht, um die Einbildungskraft des Lesers nicht weniger in Thätigkeit zu erhalten, als meine eigene.

Hier ist eine solche Gelegenheit; ich gab von Dr. Slops Sturze und seinem kläglichen Erscheinen im Hinterzimmer eine ausführliche Beschreibung, – möge nun seine Einbildungskraft auf diesem Wege eine Strecke weiter gehen.

Stelle sich der Leser also vor, daß Dr. Slop seine Geschichte erzählt hat, und zwar in solchen Worten und mit solchen Uebertreibungen, wie es seiner Phantasie gefällt; nehme er an, Obadiah habe seine Geschichte auch erzählt, und zwar mit solch' bedauerlichen Mienen und solch' scheinbarer Verwirrung,[107] wie es ihm am besten scheinen mag, die beiden Gestalten einander gegenüberzustellen. Bilde er sich ein, daß mein Vater hinauf gegangen ist, im zu sehen, wie es mit meiner Mutter geht, und endlich (denn sonst wird des Sichvorstellens und Sicheinbildens zu viel), daß der Doktor rein gewaschen, gebürstet, getröstet, beglückwünscht und in ein Paar von Obadiahs Hosen gesteckt worden sei und nun eben der Thür zuschreite, um sich auf das Feld seiner Thätigkeit zu begeben.

Sachte, sachte, guter Dr. Slop! ziehe deine geburtshelferische Hand wieder ein – stecke sie vorsichtig in den Busen, damit sie warm bleibe; wenig weißt du, welche Hindernisse, welche verborgenen Gründe sich ihrem Wirken widersetzen. Wurdest du, mein lieber Doktor, mit den geheimen Artikeln des feierlichen Vertrages bekannt gemacht, kraft dessen du hier zur Stelle bist? Ahnest du wohl, daß eine Tochter Lucinens, geburtshelferischerweise, dir eben jetzt auf die Nase gesetzt wurde? Ach! es ist nur zu wahr! – Ueberdies, du großer Sohn des Pilumnus, was vermöchtest du zu vollbringen? Du bist ohne Waffen dahergekommen, dein tire-tête – deine neuerfundene Zange – deinen Haken – deine Klystierspritze, alle deine Heil- und Entbindungsinstrumente hast du zu Hause gelassen. Bei Gott! sie hängen in diesem selben Augenblicke in einem grünen Boysacke zwischen deinen Pistolen am Kopfende deines Bettes. Klingle – rufe! – schicke Obadiah auf dem Kutschenpferde danach, damit er sie so schnell als möglich bringe.

– Mach schnell, recht schnell, Obadiah, sagte mein Vater, ich gebe dir auch eine Krone. – Und ich auch eine, sagte mein Onkel Toby.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 107-108.
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