Sechsundneunzigstes Kapitel.

[263] Ist es nicht eine Schande, zwei Kapitel zu brauchen, um die Treppe hinunterzukommen? denn wir sind erst auf dem ersten Absatz und haben noch fünfzehn Stufen bis nach unten, und da mein Vater und mein Onkel Toby eben im besten Plaudern sind, so könnten es leicht ebenso viel Kapitel werden. – Das ist Alles ganz gut, Sir, ich kann dabei aber nichts machen; es ist Schicksal! – Da kommt mir plötzlich eine Idee: – laßt den Vorhang fallen, Shandy. – Ich lasse ihn fallen. – Macht hier einen Strich, quer über's Papier, Tristram! – Ich mache ihn. – Nun frisch ein neues Kapitel!

Den Teufel werde ich mir hier von Andern Regeln vorschreiben lassen; – ich thue Alles ohne Regeln, und käme man mir mit einer, so würde ich sie in Stücke reißen und ins Feuer werfen. – Bin ich warm geworden? Ich bin's und die Sache verlangt's. – Das könnte mir gefallen! Soll der Mensch den Regeln gehorchen, oder die Regel dem Menschen?

Da dies nun, wie man wissen muß, das Kapitel über Kapitel ist, das ich vor Schlafengehen zu schreiben versprochen habe, so hielt ich es passend, ehe ich mich niederlegte, mein Gewissen vollständig zu erleichtern und Alles klar heraus zu sagen, was ich über den Gegenstand weiß. Ist das nicht zehnmal besser, als dogmatisirend und sich mit sententiöser Weisheit spreizend anzufangen, um dann der Welt eine Geschichte von einem gebratenen Pferde zu erzählen? wie z.B. daß Kapitel den Geist erfrischen, – der Einbildungskraft nachhelfen, sie anregen,[263] – daß sie in einem Werke dramatischer Gattung wie dieses ebenso nöthig sind, wie das Abtheilen in Scenen, und fünfzig anderer solcher kühlen Einfälle, die hinreichend sind, das Feuer auszulöschen, an dem das Pferd gebraten werden soll? O! wer das begreifen will, was es heißt, so in Diana's heilige Tempelflamme blasen, der lese Longinus – nur frisch zu, – ist er vom ersten Mal Lesen um kein Körnchen klüger geworden, so schadet das nichts – nur immer noch einmal gelesen. Avicenna und Licetus lasen jeder des Aristoteles Metaphysik vierzigmal von Anfang bis zu Ende und verstanden nicht ein Wort davon. Aber man bemerke die Folgen, die es hatte. Avicenna wurde ein famoser Schriftsteller in allerlei Fächern, denn er schrieb Bücher de omni scribili; Licetus (Fortunio) aber, obgleich es allgemein bekannt ist, daß er als eine Frühgeburt1) und nur fünf und einen halben Zoll lang zur Welt kam, wuchs in der Literatur doch zu einer so erstaunlichen Höhe auf, daß er ein Buch schrieb, dessen Titel so lang als er selbst war. Die Gelehrten[264] wissen, daß ich damit seine Gonopsychanthropologia oder »Ueber den Ursprung der menschlichen Seele« meine.

Damit sei dieses Kapitel über Kapitel geschlossen; ich halte es für das beste in meinem ganzen Werke, und es durch- oder Strohhalme auflesen für gleich nützliche Beschäftigungen.

Fußnoten

1 Ce foetus n'étoit pas plus grand que la paume de la main; mais son père l'ayant examiné en qualité de médecin, et ayant trouvé que c'étoit quelque chose de plus qu' un embryon, le fit transporter tout vivant à Rapallo où il le fit voir à Jérôme Bardi et à d'autres médecins du lieu. On trouva qu'il ne lui manquoit rien d'essentiel à la vie; et son père pour faire voir un essai de son experience, entreprit d'achever l'ouvrage de la nature, et de travailler à la formation de l'enfant avec le même artifice que celui dont on se sert pour faire éclore les poulets en Egypte. Il instruisit une nourrice de tout ce qu' elle avoit à faire, et ayant fait mettre son fils dans un four proprement accommodé, il reussit à l'élever et à lui faire prendre ses accroissements nécessaires, par l'uniformité d'une chaleur étrangère mesurée exactement sur les dégrés d'un thermomètre, ou d'un autre instrument équivalent. (Vide Mich. Giustinian, ne gli Scritt. Liguri à Cart. 223. 488.)

On auroit toujours été très satisfait de l'industrie d'un père si expérimenté dans l'art de la génération, quand il n'auroit pû prolonger la vie à son fils que pour quelques mois, ou pour peu d'années.

Mais quand on se représente que l'enfant a vécu près de quatre-vingts ans, et qu'il a composé quatre-vingts ouvrages différents tous fruits d'une longue lecture – il faut convenir, que tout ce qui est incroyable n'est pas toujours faux, et que la vraisemblance n'est pas toujours du côté de la vérité.

Je n'avoit que dix-neuf ans lorsqu'il composa Gonopsychanthropologia de origine animae humanae.

(Les Enfans célèbres, revûs et corrigés par M. de la Monnaye de l'Académie françoise.)


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 263-265.
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