Siebenundzwanzigstes Kapitel.

[84] Nichts ist thörichter, als wenn man eine Gasterei, wie diese, veranstaltet und die Sache dann so schlecht einrichtet, daß Kritiker und Leute von feinem Geschmacke sie herunterreißen; außerdem giebt es keine größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie es thun werden, als wenn man sie nicht dazu einladet, oder, was wenigstens ebenso beleidigend ist, seine Aufmerksamkeit den andern Gästen so ausschließlich zuwendet, als wenn gar keine solche Wesen wie Kritiker vom Fach am Tische säßen.

Ich verwahre mich gegen beides, denn erstens habe ich hier absichtlich ein halbes Dutzend Plätze für sie offen gelassen, und dann bezeuge ich ihnen hier insgesammt meine tiefste Hochachtung. Meine Herren, ich küsse Ihnen die Hand, ich versichere Ihnen, daß keine Gesellschaft mir halb so viel Vergnügen machen könnte, als die Ihrige – weiß Gott, ich bin erfreut Sie bei mir zu sehen. Ich bitte, machen Sie sich's bequem, setzen Sie sich ohne Umstände und langen Sie tapfer zu.

Ich sagte, ich hätte sechs Plätze offen gelassen und war schon im Begriff meine Zuvorkommenheit noch weiter zu treiben und auch den siebenten noch für Sie leer zu machen, gerade den, den ich selbst einnehme; aber da mir ein Kritiker (zwar keiner von Fach, sondern ein natürlicher) eben sagte, daß ich meine Sache gar nicht übel gemacht hätte, so will ich ihn selbst ausfüllen, hoffe aber im nächsten Jahre noch mehr Platz zu erübrigen.

– »Potz tausend! wie konnte Ihr Onkel Toby, der doch[84] Soldat war und den Sie keineswegs als einen Narren schildern, dennoch ein so konfuser, grützköpfiger, verwirrter Gesell sein, wie« – Das beantworten Sie sich selbst.

So, Herr Kritiker, hätte ich erwiedern können, aber ich verschmähe es. Es wäre eine unhöfliche Rede, und schickte sich allenfalls nur für Jemand, der nicht im Stande wäre, klare und befriedigende Auskunft über die Dinge zu geben, oder bis auf den Grund menschlicher Unwissenheit und Verwirrung unterzutauchen. Außerdem wäre es eine herausfordernde Erwiederung und deshalb verwerfe ich sie; denn obgleich sie dem soldatischen Charakter meines Onkels Toby ganz angemessen wäre und er gewiß keine andere gegeben haben würde (denn an Muth fehlte es ihm gewiß nicht), wäre es nicht seine Gewohnheit gewesen, bei solchen Angriffen den Lillebullero zu pfeifen, – so schickt sich dieselbe doch nicht für mich. – Sie sehen klar und deutlich, ich schreibe als Gelehrter – selbst meine Gleichnisse, meine Anspielungen, meine Erläuterungen, meine Metaphern, alles ist gelehrt; ich muß meinen Charakter aufrecht erhalten und ihn Andern gegenüber in sein eigenes Licht stellen; – was würde sonst aus mir werden? Ei, mein Herr, ich wäre verloren! denn in demselben Augenblicke, wo ich meinen Platz hier gegen einen Kritiker vertheidigte, würde ich ein paar andern Raum geben.

Also antworte ich so:

Haben Sie, mein Herr, wohl je unter den Büchern, die Sie gelesen haben, auch eines gelesen, das den Titel trägt: »Locke's Versuch über den menschlichen Verstand?« – Antworten Sie nicht zu rasch, denn ich weiß, Viele citiren das Buch, ohne es gelesen, und Viele haben es gelesen, ohne es verstanden zu haben. Sollte eines von beiden Ihr Fall sein, so will ich Ihnen mit drei Worten sagen, was für ein Buch das ist, denn ich schreibe, um zu belehren. Es ist eine Geschichte! – Eine Geschichte? von wem?, wovon? wie? wann? – Uebereilen Sie sich nicht. Es ist ein Geschichtsbuch, mein Herr, (vielleicht, daß es sich so der Welt empfiehlt,) von dem, was in dem Geiste des Menschen vorgeht, und wenn Sie so viel und nicht mehr von dem Buche sagen, so werden Sie, verlassen Sie sich[85] darauf, in einem metaphysischen Kränzchen gar keine üble Figur spielen.

Aber dies nebenbei.

Wenn Sie es nun darauf wagen wollen, weiter mit mir und der Sache auf den Grund zu gehen, so wird es sich zeigen, daß die Ursache der Unklarheit und Verwirrtheit im Geiste eines Menschen eine dreifache sein kann.

Zuerst, Verehrtester, stumpfe Organe; zweitens, wenn die Organe nicht stumpf sind, schwache und oberflächliche Eindrücke der Gegenstände auf sie; drittens ein siebartiges Gedächtniß, unfähig das Empfangene zu behalten. – Rufen Sie Dolly, Ihr Stubenmädchen, und ich schenke Ihnen meine Kappe sammt dem Glöcklein daran, wenn ich Ihnen die Sache nicht so klar mache, daß Dolly sie ebenso gut wie Malebranche verstehen soll. – Wenn Dolly ihren Brief an Robin fertig geschrieben hat und dann mit der Hand in die Tasche greift, die an ihrer rechten Seite hängt, so erinnern Sie sich dabei, daß die Begriffsorgane und das Begriffsvermögen durch gar nichts in der Welt so angemessen bezeichnet und erklärt werden können, als durch das, wonach Dolly's Hand sucht. Ihre Organe sind nicht so stumpf, mein Werther, daß ich Ihnen zu sagen brauchte: es ist ein Stückchen rothes Siegellack.

Wenn der Siegellack geschmolzen und auf den Brief geträufelt ist, Dolly aber nun so lange nach ihrem Fingerhute herumsucht, bis der Lack zu hart wurde, so wird er von dem Drucke des Fingerhutes, der sonst immer eine Spur hinterließ, keinen Eindruck annehmen. Nun gut! Nimmt Dolly aber in Ermangelung eines Stückchen Siegellacks ein Stück Wachs, oder ihr Lack ist zu weich, so wird beides zwar den Eindruck annehmen, aber es wird ihn trotz alles Drückens nicht behalten, – und endlich – nehmen wir an, der Lack ist gut und der Fingerhut auch, aber der letztere wird zu hastig und oberflächlich daraufgedrückt, weil Dolly's Herrin eben schellt: – in allen drei Fällen wird der Eindruck, welchen der Fingerhut hinterläßt, dem Urbilde so wenig gleichen wie einem Kupferpfennig.

Nun muß man wohl verstehen, daß meines Onkels Unklarheit[86] in seinen Reden aus keiner dieser Ursachen entsprang, und deshalb gerade habe ich mich, nach Art großer Physiologen, so weit über dieselben verbreitet, um zu zeigen, woher sie nicht stammte.

Woher sie stammte, habe ich oben angedeutet, und das ist und wird immer eine ergiebige Quelle der Unklarheit sein, – nämlich der schwankende Gebrauch der Wörter, der selbst die klarsten und bedeutendsten Geister in Verlegenheit gesetzt hat.

Es ist mehr als unwahrscheinlich, ob Sie die Literaturgeschichte älterer Zeit gelesen haben; wenn aber, was für schreckliche Schlachten sind in dem Kriege um Worte gekämpft, wie viel Galle und Dinte ist dabei vergossen worden, so daß ein sanftmüthiger Mensch die Berichte davon nicht ohne Thränen lesen kann.

Verehrter Kritiker! wenn Du alles dies bei Dir wirst erwogen haben und in Betracht ziehst, wie oft Dein eigenes Wissen, Deine Diskussion, Deine Besprechungen zu dieser oder jener Zeit dadurch und dadurch allein gestört und in Unordnung gerathen sind; – was für Lärm und Toben in den Koncilien über οὐσία und ὑπόστασις, in den Schulen der Gelehrten über Kraft und Geist, Essenz und Quintessenz, Substanz und Raum ausbrach; welche Verwirrung auf noch größeren Bühnen aus geringfügigen und ebenso vieldeutigen Wörtern entstanden ist, – so wirst Du Dich über meines Onkels Verlegenheit nicht länger wundern; Du wirst auf seine Scarpe und Contrescarpe, auf sein Glacis und seinen gedeckten Weg, auf seinen Ravelin und Halbmond eine Thräne des Mitleids fallen lassen: – wahrlich! nicht Ideen, Wörter waren es, die seinem Leben Gefahr drohten.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 84-87.
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