Vierundsechzigstes Kapitel.

[181] Obgleich mein Vater dabei beharrte, das Gespräch nicht weiter fortzusetzen, so konnte er doch meines Onkels Rauchfang nicht aus dem Sinn kriegen; zuerst hatte es ihn ein wenig verschnupft, aber in dem Bilde war etwas, das seine Phantasie[181] anregte; so stemmte er den Ellenbogen auf den Tisch, stützte die rechte Seite seines Kopfes auf die flache Hand, sah starr in das Feuer und fing an darüber nachzudenken und zu philosophiren. Aber seine Lebensgeister waren von dem Einschlagen immer neuer Gedankengänge und der unausgesetzten Seelenthätigkeit an den mannigfaltigen Gegenständen, welche ihre Unterhaltung berührt hatte, so ermüdet, daß das Nachsinnen über den Rauchfang seine Gedanken bald in eine drehende Verwirrung brachte; er schlief ein, ehe er darüber ins Klare gekommen war.

Was meinen Onkel Toby anbetrifft, so schlief er, unbekümmert um seinen Rauchfang, schon lange. – Mögen sie beide in Frieden ruhen! Dr. Slop ist in der obern Etage mit meiner Mutter und der Hebamme beschäftigt. Trim macht in diesem Augenblicke aus einem Paar alter Stulpstiefeln zwei Mörser, die nächsten Sommer bei der Belagerung von Messina in Anwendung kommen sollen, und brennt eben die Zündlöcher mit der Spitze eines glühenden Kaminpokers hinein. – So bin ich meine Helden alle los und habe zum ersten Mal einen Augenblick frei, was ich auch sogleich dazu benutzen will, die Vorrede zu meinem Buche zu schreiben.


Vorrede des Verfassers.

Nein! ich will kein Wort darüber sagen; – hier ist es! Durch seine Veröffentlichung habe ich an das Publikum appellirt, diesem überlasse ich es – mag es für sich selbst sprechen.

Alles, was ich davon weiß, ist so viel, daß ich mich mit der Absicht hinsetzte, ein gutes, und – so weit dies meine Kraft erlauben würde – ein vernünftiges und sicherlich – ein bescheidenes Buch zu schreiben, – und daß ich, so wie es fortschritt, bestrebt war, all das bischen Witz und Urtheil, das der große Erzeuger und Geber dieser Gaben mir hat verleihen wollen, darin niederzulegen, wodurch es – wie Ew. Wohlgeboren sehen – gerade so geworden ist, wie's Gott gefallen hat.

Nun sagt Agalastes (natürlich wegwerfend), etwas Witz sei allerdings darin, aber Urtheil ganz und gar nicht; und Triptolemus sowie Phutatorius, die ihm hierin Recht geben,[182] fragen weiter, wie das auch möglich sein sollte, da Witz und Urtheil nie zusammen anzutreffen wären, denn diese Geistesthätigkeiten gingen so weit aus einander wie Ost und West. So sagt Locke; – mit Farzen und Rülpsen ist es derselbe Fall, so sage ich. Aber als Antwort darauf behauptet der große Kirchenrechtslehrer Didius in seinem Codex de fartendi et illustrandi fallaciis und zeigt es klar, daß ein Beispiel noch kein Beweis ist; nun behaupte ich zwar nicht, daß Brillengläserabwischen für einen logischen Schluß gelten kann, aber zum Bessersehen hilft's mit Ew. Wohlgeboren Erlaubniß doch, weshalb denn die gute Wirkung eines Beispiels wohl darin besteht, das Erkenntnißvermögen für die spätere Anwendung des Beweises zu klären, und es von den kleinen Stäubchen oder von den trübenden Stoffen zu befreien, die, wenn sie darin umherschwirren, das Begreifen erschweren, ja ganz unmöglich machen.

Wohlan denn, meine verehrten Anti-Shandianer und dreifach gewappneten Kritiker und Berufsgenossen (denn für Euch schreibe ich diese Vorrede) und Ihr, gewiegte Staatsmänner und gelehrte Doktoren (ich bitte, streicht die Bärte in die Höh), die Ihr so berühmt seid, wegen Eures würdevollen Wesens und Eurer Weisheit: Monopolus, Du mein Politiker, Didius, mein Rechtsgelehrter, Kysarcius, mein Freund, Phutatorius, mein Führer, Gastripheres, Du Erhalter meines Lebens, Somnolentius, Du dieses Lebens Balsam und Friedespender, und Ihr Andern alle, deren ich keinen vergessen möchte, schlafende und wachende Doktoren des Kirchen- sowie des Civilrechts, die ich der Kürze halber (nicht etwa aus Mißachtung) in Eins zusammenpacke – Glaubt mir, Ihr Würdigen!

Euret- wie meinetwegen ist es mein eifrigster Wunsch und mein heftigstes Verlangen (wenn nämlich die Sache noch nicht stattgefunden), daß die großen Gaben und Schätze sowohl des Witzes als des Urtheils, nebst alle dem, was weiter dazu gehört, also: Gedächtniß, Einbildungskraft, Genie, Beredsamkeit, Beweglichkeit des Geistes u.s.w. in diesem köstlichen Augenblicke, ohne Ziel und Maß, unbehindert und unverkümmert,[183] lebenswarm und so viel davon ein Jeder nur vertragen kann, Hefen, Bodensatz, Alles miteinander (denn kein Tröpfchen möcht' ich verloren wissen) in die verschiedenen Behälter, Zellen, Zellchen, Wohnplätze, Schlafstätten, Speisekammern und leeren Räume unseres Gehirnes ausgegossen werden, dermaßen, daß es hineinsprützte und plantschte, bis jedes Gefäß, groß oder klein, der wahrhaftigen Absicht und Meinung meines Wunsches gemäß, bis an den Rand so schwappend voll würde, daß um aller Welt willen nichts mehr hinein und heraus ginge.

Gott im Himmel, was für Herrlichkeiten würden wir da zu Stande bringen! wie würde mich das anstacheln! – der Gedanke allein, für solche Leser zu schreiben, was für Kraft würde er mir verleihen! Und Ihr! Gerechter Himmel, mit welchem Entzücken würdet Ihr Euch hinsetzen und lesen. Aber ach! es ist zu viel! Ich werde schwach – mir schwindelt bei diesem köstlichen Gedanken! Das ist mehr, als menschliche Natur vertragen kann – haltet mich – ich falle in Ohnmacht – mir wird schwarz vor den Augen – ich sterbe – ich bin todt. Hülfe! Hülfe! Hülfe! Doch halt – mir wird schon wieder etwas besser – ich denke auch daran, wenn wir nun Alle so ungeheuer viel Witz hätten, so würden wir keinen Tag lang in Ruhe mit einander leben können, dann würde es so viel Spott und Satyre, so viel Nörgelei und Mäkelei, Aufziehen und Herunterreißen, Angriff und Abwehr, so viel Hetzen aus einem Winkel in den andern unter uns geben, daß lauter Unheil daraus entstände. Heilige Sterne! Was für ein Beißen und Kratzen, was für ein Lärm und Getöse würde das sein, wie viel Schädel würden da zerklopft, wie viel Gelenke zerschlagen, wie viel wunde Stellen mißhandelt werden! So könnte man überhaupt gar nicht leben.

Auf der andern Seite, da wir Leute von so erstaunlichem Urtheile wären, würden wir, sobald die Sachen schief gingen, es wieder gar nicht dahin kommen lassen. Wenn wir uns unter einander auch zehnmal mehr verabscheuten als ebenso viel Teufel und Teufelinnen, so würden wir, meine geliebten Brüder, dennoch voller Höflichkeit und Liebenswürdigkeit, ganz Milch und Honig gegen einander sein; wir würden ein zweites Land[184] der Verheißung, ein Paradies auf Erden schaffen, wenn so etwas möglich wäre; genug – am Ende wär' es doch gar nicht so übel.

Worüber ich aber nun grüble und schwitze und meine Einbildungskraft abquäle, ist das, ausfindig zu machen, wie so etwas überhaupt möglich wäre, denn Ew. Wohlgeboren werden wissen, daß von jenen himmlischen Ausgießungen des Witzes und Urtheils, welche ich so freigebig auf Ew. Wohlgeboren und auf mich herabgefleht habe, überhaupt nur ein kleines Quantum zu Nutz und Frommen des ganzen Menschengeschlechtes bestimmt ist, und daß dasselbe für die ganze große Welt in so kleinen Portionen abgelassen wird, die hie und da, in diesem oder jenem versteckten Winkel, und in solchen mageren Strömchen, in so bedeutenden Zwischenräumen von einander cirkuliren, daß es ein unbegreifliches Wunder bleibt, wie dies geringe Quantum noch nicht ganz verduftet ist, oder wie es für den Bedarf und die Anforderungen so vieler großen Staaten und dichtbevölkerten Länder hinreichen kann.

Freilich, eins muß dabei in Betracht gezogen werden: In Novaja Semlja, dem nördlichen Lappland und in alle den kalten und traurigen Erdstrichen, welche in der arktischen oder antarktischen Zone liegen, wo der ganze Bereich menschlicher Beziehungen neun Monate lang sich auf den Umkreis einer Erdhöhle beschränkt, die Lebensgeister auf den Nullpunkt herabgedrückt werden und die menschlichen Leidenschaften, nebst Allem, was damit in Verbindung steht, so frostig sind wie die Zone selbst, da reicht eine unglaublich kleine Portion Urtheilskraft vollkommen hin, und an Witz wird dort erschrecklich gespart, denn da kein Fünkchen davon nöthig ist, so braucht man sich's auch kein Fünkchen kosten zu lassen. Gott im Himmel, wie schrecklich müßte das sein, wenn wir so ganz ohne Witz und Urtheil ein Reich regieren, eine Schlacht schlagen, einen Vertrag abschließen, uns verheirathen, ein Buch schreiben, ein Kind erzeugen oder ein Provinzialkapitel abhalten müßten! Laßt uns lieber daran weiter nicht denken, sondern so schnell als möglich südwärts nach Norwegen gelangen; von da geht's[185] dann, mit Ihrer Erlaubniß, nach Schweden, durch die kleine dreieckige Provinz Angermanland an den Bothnischen Meerbusen, dann immer an der Küste entlang durch Ost- und Westerbotten hinunter nach Carelien und so weiter durch alle Länder und Provinzen, die das nördliche Ufer des Finnischen Meerbusens und das nordöstliche des Baltischen Meeres bilden, nach St. Petersburg, wo wir Ingermanland berühren; dann geradeaus durch das nördliche Rußland, wobei uns Sibirien etwas links liegen bleibt, mitten in das Herz des Russischen Reiches und die Asiatische Tartarei hinein.

Wohl, – auf dieser langen Reise werden Sie bemerkt haben, daß das gute Volk weit besser daran ist, als in den Polarländern, die wir soeben verließen, denn wenn Sie die Hand über die Augen halten und recht scharf hinsehen, so können Sie ein Fünkchen Witz, auch eine angemessene Portion guten schlichten Menschenverstandes bemerken, womit die Leutchen, Qualität und Quantität ineinandergerechnet, gar nicht schlecht fahren; hätten sie von dem einen oder dem andern mehr, so würde das gute Gleichgewicht darunter leiden, und überdem, meine ich, würden sie's doch nicht gebrauchen können.

Führe ich Sie nun, Sir, wieder heim, auf dieses unser wärmeres, üppigeres Inselreich, so werden Sie sogleich bemerken, daß unser Blut und unsre Lebensgeister höher wogen, daß wir mehr Ehrgeiz, Stolz, Mißgunst, Liederlichkeit und dergleichen üppige Leidenschaften besitzen, die durch Vernunft beherrscht und unterworfen werden müssen. Sie sehen, die Höhe unseres Witzes und unserer Urtheilskraft stehen in genauem Verhältnisse zu der Länge und Breite unserer Bedürfnisse, und deshalb sind sie uns in einer so anständigen und anerkennungswerthen Fülle zugetheilt, daß Niemand Grund zu haben glaubt, sich über das Gegentheil zu beklagen.

Dennoch muß hier eins eingeräumt werden: wie es bei uns zehnmal an einem und demselben Tage bald heiß, bald kalt, bald naß, bald trocken ist, so findet auch jene Vertheilung nicht auf regelmäßige Art und Weise statt; deshalb ist manchmal fast ein halbes Jahrhundert lang sehr wenig Witz und Urtheilskraft[186] bei uns zu bemerken, und ihre winzigen Kanäle scheinen ganz ausgetrocknet zu sein, bis dann auf einmal die Schleußen durchbrochen werden und die Fluthen mit so reißender Gewalt daherströmen, daß man meinen könnte, es würde nimmer wieder aufhören. Zu solcher Zeit kann's kein Volk der Welt mit uns aufnehmen, nicht im Schreiben, noch im Fechten, noch in zwanzig andern löblichen Dingen.

Auf diese Beobachtungen gestützt und vermittels eines mühseligen Schließens nach Analogie, was Suidas »dialektische Induktion« nennt, bin ich zu folgendem Wahrheitssatze gekommen:

Es fallen von den Strahlen jener beiden Himmelslichter zur Zeit immer gerade so viele auf uns, als Er, dessen unendliche Weisheit alle Dinge nach rechtem Maße vertheilt, für nöthig erachtet, damit unser Weg durch die Nacht der Finsterniß erhellt werde. Also werden Ew. Hochehrwürden und Wohlgeboren jetzt wohl merken, was länger zu verhehlen ohnehin nicht in meiner Macht steht, daß der brünstige Wunsch betreffs Ihrer, von dem ich ausging, nichts weiter war als der erste Schmeichelgruß eines liebkosenden Vorredners, womit er seinen Leser still macht, wie ein Liebhaber seine spröde Geliebte. Denn ach! hätte diese Ausströmung des Lichtes so leicht bewerkstelligt werden können, als ich es im Eingange wünschte, wie viele tausend Wanderer (auf dem Felde der Wissenschaften wenigstens) würden dann ihr ganzes Leben lang im Dunkeln haben umhertappen und umherirren müssen! Wie würden sie mit den Köpfen gegen die Pfosten gerannt sein und sich die Schädel eingestoßen haben, ohne je ans Ziel zu kommen; diese wären mit der Nase perpendikulär in den Dreck, jene mit dem Hintern horizontal in die Gosse gefallen; – hier wäre die eine Hälfte des gelehrten Handwerks in vollem Stoß auf die andere Hälfte geprallt und hätte sich, wie die Schweine im Koth wälzend, übereinandergerollt, – dort wäre dagegen die ganze Brüderschaft eines andern gelehrten Handwerks, die sich doch hätte theilen und gegenüber stehen sollen, wie eine Schaar wilder Gänse desselben Weges geflogen! Welche Verwirrung! Welche Mißverständnisse! Tonkünstler und Maler[187] hätten Aug' und Ohr zu Rathe gezogen – allerliebst! hätten sich auf Gefühl und Leidenschaft verlassen – bei einer Arie, einem Bilde das Herz befragt, statt beides mit dem Quadranten zu messen.

Im Vordergrunde dieses Gemäldes steht ein Staatsmann, der das Rad der Politik, wie ein Verrückter, gegen den Strom der Korruption gedreht hätte – Gott erbarm's! – statt nach der entgegengesetzten Richtung.

In jenem Winkel ist ein Sohn des göttlichen Aeskulap damit beschäftigt, ein Werk über Prädestination zu schreiben, oder noch schlimmer, er fühlt seinem Patienten den Puls, statt seinem Apotheker. Ein anderes Mitglied der Fakultät liegt im Hintergrunde auf den Knieen und schlägt die Bettvorhänge seines mißhandelten Opfers auseinander, er fleht um Vergebung und bietet eine Entschädigung an, statt selbst eine zu nehmen.

Dort in jener geräumigen Halle sehe ich Rechtsgelehrte aller Tribunale, die einen abscheulichen, schmutzigen, ränkevollen Prozeß mit aller Gewalt von sich weisen und ihn, statt in den Gerichtshof hinein-, hinauswerfen, mit so wüthenden Blicken, so nachdrücklichen Püffen, als ob die Gesetze ursprünglich zum Heil und Schutze der Menschen gegeben wären; oder sie begehen einen noch viel größern Irrthum, indem sie eine prächtige Streitfrage, also z.B. ob John O'Noke's Nase, ohne daß es als ein Eingriff in wohlerworbene Rechte zu betrachten sei, in Tom O'Stele's Gesicht stehen könne oder nicht? im Handumdrehen binnen 25 Minuten entscheiden, wozu man doch, wenn man alle pro und contra's eines so kniffligen Falles vorsichtig in Betracht zieht, wenigstens ebenso viele Monate braucht, ja wozu man, wenn man die Sache militärisch, d.h. als Rechtskrieg, mit allen im Kriege anwendbaren Kriegslisten, Finten, forcirten Märschen, Ueberfällen, Hinterhalten, maskirten Batterien und andern strategischen Künsten, durch die sich beide Theile in Vortheil setzen, hätte führen wollen, wahrscheinlich ebenso viele Jahre gebraucht hätte, während welcher Zeit sie dem Centumvirate des Handwerks Nahrung und Unterhalt verschafft haben würde.[188]

Und nun die Geistlichkeit – doch nein! – gegen die kein Wort, sonst steinigt man mich, und danach gelüstet mich's keineswegs. Und selbst in dem Fall würde ich's nicht wagen, an diesen Gegenstand zu rühren. Nervenschwach und niedergeschlagen, wie ich ohnehin jetzt bin, hieße es mein Leben in Gefahr setzen, wenn ich mich durch ein so böses und trauriges Thema noch mehr herabstimmen und verdüstern wollte. Es ist daher besser, ich werfe einen Schleier darüber und eile so schnell wie möglich davon weg, um zum Haupt- und Kernpunkte meiner Untersuchung zu gelangen: woher es nämlich kommt, daß Leute, die gar keinen Witz besitzen, gewöhnlich für Leute von großer Urtheilskraft ausgeschrieen werden? Wohlgemerkt, ich sage: ausgeschrieen, denn es ist eben nur ein on dit, meine werthen Herren, wie deren täglich zwanzig auf Treu und Glauben hingenommen werden, – und von diesem behaupte ich sogar, daß es ein erbärmliches und böswilliges on dit ist.

Dies werde ich mit Bezug auf die vorangeschickten Bemerkungen, welche, wie ich hoffen darf, von Ew. Hochehrwürden und Wohlgeboren bereits geprüft und erwogen wurden, weiter erhärten.

Ich hasse gelehrte Abhandlungen überhaupt, aber das Allerabgeschmackteste an ihnen ist, wenn der Autor seine Hypothese dadurch dunkel macht, daß er eine Menge langer und schwerverständlicher Wörter, eines neben das andere, in langer Reihe zwischen seinen und des Lesers Gedanken stellt, statt sich ein wenig umzuschauen, wo er dann wahrscheinlich ganz in der Nähe etwas stehen oder hängen gesehen haben würde, das die Sache gleich klar gemacht hätte. – Wird die so lobenswürdige Wißbegierde nur gestillt, was hindert's oder schadet's, ob es durch einen Tropf oder Topf, einen Narren oder Karren, einen Pelzhandschuh, ein Zwirnwickel, den Deckel eines Schmelztiegels, eine Oelflasche, einen alten Pantoffel, oder einen Rohrstuhl geschieht? – Ich sitze gerade auf einem. Erlauben Sie mir also, daß ich die Sache wegen des Witzes und der Urtheilskraft an den beiden Knöpfen auf seiner Lehne klar machen darf. Wie Sie sehen, sind dieselben mit ihren beiden Pflöcken in zwei[189] Bohrlöcher eingefügt, und sie werden Ihnen das, was ich zu sagen habe, so ins Licht setzen, daß die Tendenz und Absicht meiner ganzen Vorrede so durchsichtig wird, als ob jeder Punkt und jedes Tüttelchen aus purem Sonnenschein gemacht wäre.

Also fangen wir an.

Hier steht Witz und da nahebei steht Urtheilskraft, gerade wie die beiden Knöpfe, von denen ich rede, auf diesem Stuhle, der mir zum Sitz dient.

Sie sehen, beide sind die höchsten und zierendsten Bestandtheile seines Ganzen, wie Witz und Urtheil die des unsrigen; außerdem sind diese, gleich jenen, unzweifelhaft so gemacht und eingerichtet, daß sie, wie wir das bei solchen doppelten Verzierungen zu nennen pflegen: einander entsprechen.

Wollen wir nun, um die Sache durch ein Experiment noch klarer zu machen, eine dieser interessanten Verzierungen (gleichviel welche) von dem Platze oder von dem Gipfel des Stuhles, wo sie jetzt steht, für einen Augenblick herunternehmen. Nein! lachen Sie nicht, – aber sagen Sie selbst, haben Sie in Ihrem Leben etwas Lächerlicheres gesehen, als den Anblick, der sich Ihnen jetzt darbietet? – Wahrhaftig, eine Sau mit einem Ohr kann nicht kläglicher aussehen, man weiß nicht, was von beiden mehr Schick und Symmetrie hat. Bitte, stehen Sie nur einmal auf und sehen Sie sich das Ding ordentlich an. Was meinen Sie, – würde Jemand, der nur ein wenig auf sich hielte, ein Stück Arbeit in diesem Zustande aus der Hand geben? Hand aufs Herz und ehrlich geantwortet, – dient dieser eine Knopf, der so dumm und allein dasteht, irgend wozu mehr, als an das Nichtdasein des andern zu erinnern? und – erlauben Sie mir wieder zu fragen: wenn der Stuhl Ihnen gehörte, würden Sie es nicht zehnmal vorziehen, daß er lieber gar keinen Knopf hätte, als nur den einen?

Da nun diese beiden Knöpfe oder höchsten Zierden des menschlichen Geistes, welche das ganze Gebäude krönen, also Witz und Urtheil, nach all meiner Erfahrung zugleich die allernothwendigsten, geschätztesten, am schwersten zu entbehrenden und deshalb auch am schwersten zu erlangenden Zierden sind,[190] so giebt es aus allen diesen Gründen keinen Sterblichen, der der Liebe zum Ruhm oder zum Wohlleben so ganz entbehrte oder so wenig wüßte, wie beides zu erlangen wäre, der nicht begierig und fest entschlossen ist, oder dem man nicht wenigstens den Entschluß zutrauen kann, sich in den Besitz der einen oder andern dieser Zierden, am liebsten aber in den Besitz beider zu bringen, wenn die Sache nur irgend möglich ist und sich machen läßt.

Was würde nun aber, so werden Sie meinen, aus den Pedanten werden, die demnach wenig oder keine Aussicht hätten, eine davon als ihr Eigenthum in Anspruch zu nehmen, wenn sie nicht auch die andere besäßen? Nun, meine Herren, die müßten sich eben damit begnügen, inwendig nackend zu gehen, trotz ihrer Pedanterie, was ohne etwas Philosophie, die hier nicht vorausgesetzt werden darf, allerdings unerträglich ist; deshalb dürfte ihnen wohl keiner gram sein, wenn sie sich nur mit dem Wenigen begnügen wollten, was sie aufgelesen und unter ihre großen Perücken gesteckt haben, wenn sie nur nicht solch ein Ho! und Halloh! gegen die rechtmäßigen Eigenthümer erhüben, wie sie in Wirklichkeit thun.

Ich brauche Ew. Wohlgeboren nicht zu sagen, daß dies auf eine so pfiffige Weise und mit solcher Geschicklichkeit geschieht, daß selbst der große Locke, der sich doch sonst nicht leicht von falschem Geschrei bethören läßt, irre wurde. Das Halloh gegen die armen Witzköpfe, schien es, war so laut und feierlich und wuchs mit Hülfe großer Perücken, gravitätischer Gesichter und anderer Trugmittel so gewaltig an, daß der Philosoph sich täuschen ließ. Es ist sein Ruhm, die Welt von einer ganzen Rumpelkammer allgemein verbreiteter Irrthümer befreit zu haben, diesen aber beseitigte er nicht; statt, wie sich für einen so großen Philosophen geziemt hätte, die Thatsache zu untersuchen, bevor er darüber philosophirte, nahm er sie im Gegentheil als bewiesen an und stimmte in das Ho! und Halloh! so lärmend ein, wie nur irgend Einer.

Das ist denn seitdem die magna charta der Dummheit geworden. Aber Ew. Wohlgeboren sehen klärlich, daß dieselbe auf eine Weise erlangt wurde, welche ihre Rechtskräftigkeit als[191] ganz nichtig erscheinen läßt; und dies ist, beiläufig gesagt, eine der vielen abscheulichen Betrügereien, welche die Pedanten und die Pedanterie in jenem Leben werden verantworten müssen.

Was die großen Perücken anbetrifft, über die ich mich, nach dem Urtheile mancher Leute, vielleicht zu frei geäußert habe, so mag es mir erlaubt sein, das, was ich unvorsichtiger Weise zu ihren Ungunsten oder tadelnd sagte, durch eine allgemeine Erklärung näher zu bestimmen. Ich habe durchaus keinen Widerwillen gegen große Perücken oder lange Bärte; ich hasse und verabscheue sie keineswegs, außer in dem Falle, wo ich sehe, daß man sie zu dem besondern Zwecke bestellt oder wachsen läßt, obenerwähnten Betrug damit auszuführen – zu jedem andern Zwecke – Friede mit ihnen! †††. Nur merke man – ich schreibe nicht für sie.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 181-192.
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