Vierundzwanzigstes Kapitel.

[78] Wenn ich nicht die moralische Ueberzeugung hätte, daß mein Leser vor Ungeduld stirbt, den Charakter meines Onkels Toby endlich kennen zu lernen, so würde ich ihm vorher noch bewiesen haben, daß es gar kein passenderes Instrument giebt, um einen Charakter zu zeichnen, als das von mir gewählte.

Obgleich ich zwar nicht behaupten will, daß ein Mensch und sein Steckenpferd gerade ebenso auf einander agiren und reagiren, wie Seele und Körper, so besteht doch ohne Zweifel eine gewisse Beziehung zwischen ihnen; und ich neige mich der Ansicht zu, daß dieselbe mehr oder weniger der Verbindung elektrischer Körper gleicht, indem die erhitzten Theile des Reiters mit dem Rücken des Steckenpferdes in Kontakt kommen, und[78] sein Körper vermöge anhaltenden Reitens und starker Reibung zuletzt ganz mit dem Steckenpferd-Fluidum angefüllt wird. Gelingt es daher, eine klare Beschreibung von der Natur des Einen zu geben, so wird man sich danach eine ziemlich genaue Vorstellung von dem Wesen und dem Charakter des Andern machen können.

Nun war das Steckenpferd, welches mein Onkel Toby ritt, meiner Ansicht nach ein solches, das einer Schilderung wohl werth ist, wäre es auch nur deshalb, weil es gar so wunderlich war; denn Ihr hättet von York nach Dover, von Dover nach Penzance in Cornwallis und von Penzance wieder zurück nach Dover reisen können, ohne daß Euch ein zweites der Art begegnet wäre, – oder wäre dies doch der Fall gewesen, so würdet Ihr ohne Zweifel, trotz der größten Eile, angehalten haben, um es etwas genauer zu betrachten. Seine Gangart und Gestalt waren in der That so ungewöhnlich, so unähnlich war es vom Kopf bis zum Schwanz jedem andern Individuum seiner Gattung, daß sich ab und zu Streit darüber erhob, ob es auch wirklich ein Steckenpferd sei, oder nicht. Aber wie jener Philosoph einem Skeptiker gegenüber, der die Wirklichkeit der Bewegung bestritt, sich keines andern Beweises bediente, als daß er aufstand und durch das Zimmer schritt, so führte mein Onkel Toby den Beweis: daß sein Steckenpferd ein wirkliches Steckenpferd sei, ganz einfach dadurch, daß er es bestieg und darauf herumritt, es der Welt überlassend, den fraglichen Punkt nach Belieben zu entscheiden.

Und wahrhaftig! mein Onkel Toby ritt es mit solchem Vergnügen, und es trug meinen Onkel Toby so gut, daß er sich wenig darum kümmerte, was die Welt sagte und was sie davon dachte.

Nun aber ist es die höchste Zeit, daß ich das Steckenpferd beschreibe; um jedoch ganz nach der Ordnung zu verfahren, bitte ich um Erlaubniß, erst mit theilen zu dürfen, wie mein Onkel dazu kam.

Fußnoten

1 Pentagraph ist ein Instrument, vermittels welches man Gemälde mechanisch und in jeder Proportion kopiren kann.

Anm. d. Verf.


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 78-79.
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