Einhundertunddrittes Kapitel.

[148] Wollt Ihr wissen, wo Andouillet liegt, so braucht Ihr nur auf der neuen Specialkarte nachzusehen, die soeben zu Paris erschienen ist – Ihr findet es auf der Hügelkette, welche Burgund von Savoyen trennt. Die Aebtissin dieses Klosters lief Gefahr, eine anchylosis oder Gelenksteifigkeit zu bekommen (die sinovia des Knies war nämlich von dem vielen Messeknieen hart geworden) und hatte bereits alles Mögliche gegen das Uebel versucht; – zuerst Gebete und Gelübde, – dann Anrufungen aller Heiligen des Himmels im Allgemeinen; dann jedes Heiligen, der vor ihr ein steifes Bein gehabt hatte, im Besondern; dann Berühren der kranken Stelle mit den Reliquien des Klosters, vorzüglich mit dem Schenkelknochen des Mannes von Lystra, der von Jugend auf impotent gewesen war; dann Umwickeln dieser Stelle mit ihrem Schleier, wenn sie zu Bette ging; dann kreuzweises Umschlingen mit dem Rosenkranz; dann allerhand weltliche Mittel, also Einreibungen mit Oelen und Fetten; Behandlung mit erweichenden und auflösenden Umschlägen; Umschläge von Eibisch, Pappel, Bonus Henricus, weißen Lilien und Bockshorn; dann die Stengel von den Kräutern, ich meine Räucherungen damit, wobei sie ihr Skapulier über den Schooß legte; dann Abkochungen von wilden Cichorien, Brunnenkresse, Kerbel, Petersilie und Löffelkraut – und als das Alles nichts half, hatte sie sich endlich entschlossen, die heißen Bäder von Bourbon zu versuchen, wozu ihr der Ordensgeneral auch die Erlaubniß ertheilt hatte. So befahl sie denn, Alles zur Reise fertig zu machen. Eine Novize des Klosters, siebenzehn Jahr alt, die an einem Nagelgeschwüre litt, welches davon entstanden war, daß sie ihren Finger fortwährend in die kalten Umschläge u.s.w. der Aebtissin gesteckt hatte, bekam aus diesem Grunde den Vorzug vor einer alten gichtbrüchigen Nonne, welcher die Bäder von Bourbon vielleicht sehr gut gethan hätten, – und ward zur Reisebegleiterin gewählt.

Die alte, mit grünem Tuch ausgeschlagene Kalesche der Aebtissin wurde an das Sonnenlicht hervorgezogen. Der[149] Gärtner des Klosters, dem zugleich das Amt eines Maulthiertreibers übertragen war, führte die beiden alten Mäuler heraus und schor ihnen das Haar am obern Ende der Schwänze, während ein Paar Laienschwestern damit beschäftigt waren, die leinenen Ueberdecken zu stopfen und die Trümmer des gelben Besatzes festzunähen, den der Zahn der Zeit zernagt hatte. Der Untergärtner stutzte des Maulthiertreibers Hut mit heißer Weinhefe wieder zurecht und ein musikalischer Schneider saß dem Kloster gegenüber unter einem Schuppen und wählte vier Dutzend Schellen für das Geschirr aus, wobei er jeder Schelle eins zupfiff, während er sie mit einem Riemen festband.

Der Zimmermann und der Schmied von Andouillet hielten ein Räderkoncil ab, und um 7 Uhr morgens sah Alles fein blank aus und stand zur Fahrt nach den heißen Bädern von Bourbon vor den Thoren des Klosters fertig. Zwei Reihen Bettler standen schon eine Stunde früher da.

Die Aebtissin von Andouillet, auf Margarita, die Novize, gestützt, schritt langsam der Kalesche zu; beide waren weiß gekleidet und hatten schwarze Rosenkränze auf der Brust hängen.

In diesem Kontraste lag etwas ganz besonders Feierliches; – sie stiegen in die Kalesche, – die Nonnen alle, in derselben Kleidung (ein Symbol der Unschuld), standen an den Fenstern, und als die Aebtissin und Margarita hinaufsahen, ließ jede (nur die gichtbrüchige Nonne nicht) das Ende ihres Schleiers in der Luft fliegen und küßte dann die Lilienhand, mit der sie den Schleier hielt. Die gute Aebtissin und Margarita falteten die Hände wie Heilige über der Brust, blickten zum Himmel empor – dann auf sie – und in den Blicken lag: Gott segne Euch, geliebte Schwestern!

Ich muß sagen, die Geschichte interessirt mich, – ich wollte, ich wär' dabei gewesen. –

Der Gärtner, den ich nun den Maulthiertreiber nennen werde, war ein kleiner, freundlicher, breitschultriger, gutmüthiger, schwatzhafter, durstiger Gesell, der sich über das Wie und Warum des Lebens den Kopf nicht sehr zerbrach; so hatte er einen[150] Monat seines Klostergehaltes für einen borrachio, d.h. für einen Schlauch Weines verpfändet, der jetzt hinten auf der Kalesche lag, und den er, um ihn vor der Sonne zu schützen, mit einem großen braunrothen Kutschermantel zugedeckt hatte. Da das Wetter heiß war und das Stillsitzen ihm nicht zusagte, so ging er meistens zu Fuße nebenher und nahm dabei die Gelegenheit wahr, öfter, als die Natur es verlangte, zurückzubleiben, bis durch dieses häufige Kommen und Gehen sein ganzer Weinvorrath auf ordnungsmäßigem Wege durch das Spundloch ausgeleckt war, ehe noch die Reise einen halben Tag gedauert hatte.

Der Mensch ist ein Gewohnheitsthier. Der Tag war drückend heiß gewesen – der Abend war köstlich – der Wein von der edelsten Sorte – der burgundische Hügel, auf dem er wuchs, außerordentlich steil – über der Thür der kühlen Herberge am Fuße des Hügels schwang sich ein verlockendes Büschel in vollständiger Harmonie mit seinen Neigungen – ein leises Lüftchen rauschte durch die Blätter und vernehmlich rief's: »Komm, durstiger Maulthiertreiber, komm herein!«

Der Maulthiertreiber war von Adams Geschlecht, – mehr brauche ich nicht zu sagen. Er hieb jedem der Mäuler noch eins über den Rücken, wobei er die Aebtissin und Margarita ansah, als wollte er sagen: »Hier bin ich;« – klatschte noch einmal laut mit der Peitsche, als wollte er zu den Mäulern sagen: »Nur immer zu« – und dann blieb er sachte zurück und trat in die kleine Herberge am Fuße des Hügels ein.

Ich sagte schon, der Maulthiertreiber war ein kleiner, lustiger, fideler Bursche, der nicht an morgen dachte und den nicht kümmerte, was vorüber war oder noch kommen mochte, wenn er bei seinem Glase Burgunder sitzen und ein Schwätzchen machen konnte. So ließ er sich in eine weitläufige Unterhaltung ein und erzählte, daß er Obergärtner im Kloster von Andouillet sei u.s.w., daß er aus Freundschaft für die Aebtissin und Mamsell Margarita, die erst Novize wäre, diese Beiden von der savoyischen Gränze bis hierher begleitet habe u.s.w. u.s.w., daß sie aus lauter Frömmigkeit eine Geschwulst bekommen hätte,[151] und was für Kräuter er habe anschaffen müssen, um ihre Säfte zu reinigen u.s.w. u.s.w., und daß sie leicht auf beiden Beinen lahm werden könnte, wenn die heißen Bäder von Bourbon ihr das kranke nicht wieder herstellten u.s.w. u.s.w. Und er vertiefte sich in seine Erzählung so, daß er seine Heldin nebst der kleinen Novize ganz und gar vergaß, und, was noch schlimmer war, die beiden Maulthiere dazu. Diese nun, als Geschöpfe, die sich jede Gelegenheit zu Nutzen machen müssen (wie ihre Eltern es auch gethan haben), die aber nicht (wie Männer, Frauen und alle andern Thiere) in der Verfassung sind, dieser Verbindlichkeit in gerader Linie nachzukommen, thun es seitwärts, auf Umwegen, rückwärts, Berg auf, Berg ab – wie's ihnen eben möglich. – Die Philosophen denken bei ihrer Tugendlehre daran zu wenig; wie sollte also der arme Maulthiertreiber bei seinem Glase daran denken? – Es fiel ihm nicht ein, – aber es ist Zeit, daß wir's thun. Deshalb wollen wir diesen glücklichsten und gedankenlosesten aller Sterblichen sich im Strudel seines Elementes drehen lassen und einen Augenblick nach den beiden Mäulern, nach der Aebtissin und nach Margarita sehen.

Dank den beiden letzten Hieben, welche ihnen der Maulthiertreiber versetzt hatte, waren die Mäuler ruhig weiter gegangen und ihrem Gewissen den Hügel hinauf gefolgt, bis sie die Hälfte desselben erklommen hatten; da aber, wo der Weg sich umbog, schielte das ältere von ihnen, eine alte schlaue Bestie, seitwärts und bemerkte, daß der Maulthiertreiber nicht mehr da sei.

Bei meinem Schwanz! rief es sogleich, – ich gehe keinen Schritt weiter. – Und wenn ich weiter gehe, sagte das andere, so soll man eine Trommel aus mei ner Haut machen. –

Damit blieben sie Beide, wie verabredet, stehen.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 148-152.
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