Einhundertundfünfundzwanzigstes Kapitel.

[179] Noch ehe ich ein paar Meilen geritten war, fing der Mann mit der Flinte schon an, sein Gewehr in Stand zu setzen.

Ich war dreimal entsetzlich nachgeblieben; jedesmal gewiß eine halbe Meile, – einmal wegen einer sehr gelehrten Auseinandersetzung mit einem Trommelmacher, der seine Trommeln für die Jahrmärkte von Beaucaire und Tarascon fertigte; ich[179] konnte aber den Mechanismus nicht begreifen. Das zweite Mal kann ich nicht eigentlich sagen, daß ich anhielt; – ich begegnete zwei Franciskanern, die weniger Zeit zu verlieren hatten als ich, und da sie nicht herauskriegen konnten, wer ich sei und was ich wolle, so ritt ich eine Strecke mit ihnen zurück. Das dritte Mal war's ein kleiner Handel mit einem jungen Weibe; er betraf einen Korb provençalischer Feigen für vier Sous und würde bald abgemacht gewesen sein, wenn nicht noch zuletzt ein Gewissensfall eingetreten wäre. Denn als die Feigen bereits bezahlt waren, erwies es sich, daß unten im Korbe, unter Weinblättern versteckt, zwei Dutzend Eier lagen; da ich nun gar nicht die Absicht hatte, Eier zu kaufen, so machte ich auch keinerlei Anspruch darauf – höchstens hätte der Platz in Anschlag kommen können, den sie einnahmen; indessen das war nicht von Bedeutung – ich hatte Feigen genug für mein Geld.

Aber ich hatte auf den Korb gerechnet, während sie darauf gerechnet hatte, ihn zu behalten, denn ohne ihn konnte sie die Eier nirgends lassen, und bekam ich den Korb nicht, so konnte ich wieder mit meinen Feigen nichts anfangen, denn die meisten waren so reif, daß sie auf der einen Seite schon geplatzt waren. – Dies gab zu einem kleinen Streit Veranlassung, der mit allerhand sonderbaren Vorschlägen, wie wir's machen sollten, endigte.

Wie wir endlich unsere Eier und Feigen placirten, werdet Ihr nicht errathen – der Teufel selbst, wenn er nicht dabei gewesen (ich fürchte aber, er war dabei), erriethe es nicht. – Beruhigt Euch indeß; Ihr sollt es erfahren, nur nicht dieses Jahr, denn ich muß eilen, daß ich zu meines Onkel Toby's Liebschaft komme; Ihr sollt es Alles zu lesen kriegen in der Sammlung von Erzählungen, die sich auf meine Reise durch diese freie Ebene beziehen, und die ich deshalb


Freie Geschichten


nennen werde.

Ob meine Feder auf diesem unfruchtbaren Reisefelde wie die anderer Reisebeschreiber ermüdete, mag die Welt dann beurtheilen; aber die Spuren, welche die Reise selbst in mir hinterlassen[180] und die noch in diesem Augenblicke so überaus lebhaft sind, sagen mir, daß es die fruchtbarste und geschäftigste Periode meines Lebens war. Mit dem Manne mit der Flinte hatte ich hinsichtlich der Zeit nichts bedungen; bei Jedem, der mir begegnete und nicht gerade die größte Eile hatte, blieb ich stehen und schwatzte mit ihm; die vor mir ritten, holte ich ein, die hinter mir kamen, wartete ich ab; denen, die auf Seitenwegen zogen, rief ich zu; alle Bettler, Pilger, Musikanten und Mönche hielt ich an; wo ein Weib im Maulbeerbaume saß, kritisirte ich ihre Beine und versuchte ein Gespräch mit ihr anzufangen, indem ich ihr eine Prise anbot, – kurz, nach Allem, was das Reiseglück mir bot, wie und welcher Art es auch war, griff ich und verwandelte so meine einförmige Ebene in eine belebte Stadt; ich war immer in Gesellschaft, – an Abwechselung fehlte es nie – und da mein Maulthier ebenso viel Geselligkeit besaß als ich, und für jedes Thier, dem es begegnete, stets eine kleine Zuvorkommenheit, einen kleinen Vorschlag in Bereitschaft hatte, so bin ich überzeugt, daß wir einen Monat lang Pall-Mall oder die St. James-Straße hätten auf- und abziehen können, ohne so viel Abenteuer zu erleben, oder so viel Menschliches zu sehen. –

O! hier herrscht jene muntere Offenheit, die jede Falte des languedocschen Gewandes löst, – was auch dahinter stecke, – es sieht aus wie die größte Einfalt der goldnen Zeit, von der die Dichter singen. – Ich will mich täuschen, – ich will daran glauben.

Es war auf dem Wege zwischen Nismes und Lunel, wo der beste Muskatwein in ganz Frankreich wächst, der, nebenbei gesagt, den tugendhaften Domherren von Montpellier gehört, – und Schmach über Jeden, der ihn an ihrer Tafel trinkt und ihnen den Tropfen mißgönnt –

Die Sonne war bereits untergegangen – das Tagewerk beendigt, – die Nymphen hatten das Haar frisch aufgebunden, und die Burschen machten sich zum Rundtanz fertig; – mein Maulesel blieb wie angenagelt stehen. – Es ist eine Querpfeife und ein Tambourin, sagte ich. – Ich bin zum Tode erschrocken, sagte er. – Sie wollen nur ein Tänzchen zu[181] ihrem Vergnügen machen, sagte ich und stieß ihn in die Seite. – Bei St. Bougre und allen Heiligen, die das Fegefeuer durch die Hinterthür verlassen, sagte er (indem er zu demselben Entschlusse wie die Thiere der Aebtissin von Andouillet kam), ich will keinen Schritt weiter gehen. – Meinetwegen, sagte ich. Mein Lebtag werde ich mich nicht mit einem aus deiner Familie auf vernünftige Vorstellungen einlassen; – damit sprang ich herunter, schleuderte den einen Stiefel in den Graben rechts, den andern in den Graben links und rief ihm zu: – so, nun will ich eins tanzen, – bleib du hier stehen.

Als ich mich der Gruppe näherte, erhob sich eine sonnenverbrannte Tochter der Arbeit und kam mir entgegen; ihr Haar, vom dunkelsten Kastanienbraun, fast schwarz, war in einem einzigen Strange zu einem Knoten aufgebunden.

– Uns fehlt ein Tänzer, sagte sie und hielt mir beide Hände entgegen, als ob sie sich anbieten wollte. – Und einen Tänzer sollst Du haben, sagte ich, indem ich sie beide ergriff.

O, Nanette, wärest Du wie eine Herzogin angezogen gewesen!

Aber diese verdammte Schlitze in Deinem Rock!

Nanette kümmerte das nicht.

Ohne Euch wäre es nicht gegangen, sagte sie und ließ mit natürlichem Anstande eine meiner Hände los, während sie mich an der andern zu dem Reigen führte.

Ein lahmer Junge, den Apollo mit einer Querpfeife begnadigt hatte, wozu er aus eignem Antriebe noch ein Tambourin fügte, begann am Hügel, wo er saß, ein sanftes Vorspiel. – Binde mir doch diese Locke auf, sagte Nanette und reichte mir ein Endchen Schnur. – Ich vergaß ganz, daß ich hier fremd war. – Der ganze Haarknoten fiel herunter. – Wir waren wenigstens sieben Jahre mit einander bekannt gewesen.

Der Junge schlug das Tambourin, – seine Querpfeife folgte – der Tanz begann. – »Hole der Henker die Schlitze!« – –

Des Jungen Schwester, die ihre Stimme vom Himmel gestohlen hatte, sang abwechselnd mit dem Bruder, – es war ein gascognischer Rundgesang:
[182]

Viva la joia!

Fidon la tristessa!


Die Nymphen fielen ein, die Burschen ebenfalls, eine Oktave tiefer.

Eine Krone hätte ich darum gegeben, wäre sie zugenäht gewesen. Nanette hätte keinen Sous darum gegeben. Viva la joia! war auf ihren Lippen, Viva la joia! in ihren Augen. Wir wechselten leuchtende Blicke herzlichen Wohlgefallens. Wie liebenswürdig sie aussah! Warum konnte ich so nicht leben, so nicht meine Tage beschließen! – Gerechter Lenker unserer Freuden und Trübsale, rief ich, warum nicht hier im Schooß der Zufriedenheit sitzen und tanzen und singen und Gebete hersagen und zum Himmel eingehen mit diesem nußbraunen Mädchen? Neckisch beugte sie den Kopf auf eine Seite und sprang neckisch in die Höhe. – Nun ist's Zeit, weiter zu tanzen, sagte ich; – und so tanzte ich weiter, nur mit andern Tänzerinnen und anderer Musik, von Lunel nach Montpellier, – von da nach Pesçnas, Beziers – Ich tanzte mich durch Narbonne, Carcassonne, und Castel Naudairy bis hieher in Perdrillo's Pavillon, wo ich mir ein Transparent hervorhole, um nun ohne Abschweifung oder Parenthese ganz grade in meines Onkels Liebschaft fortzufahren.

Und zwar so:

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 179-183.
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