Einhundertundneuntes Kapitel.

[156] Alles, was man über Fontainebleau zu sagen braucht (wenn man gefragt wird), ist, daß es ohngefähr vierzig Meilen (etwas südlich) von Paris mitten in einem ausgebreiteten Walde liegt, daß es ziemlich großartig ist, daß der König alle zwei oder drei[156] Jahre einmal mit seinem ganzen Hofe dahin geht, um zu jagen, und daß dann jeder Engländer von Stand (man braucht sich selbst nicht auszunehmen) während dieses Jagdkarnevals mit einem oder einem Paar Pferden versehen wird, damit er an dem Vergnügen der Jagd Theil nehmen könne, wobei er nur darauf zu achten hat, daß er den König nicht überholt.

Das darf man aber aus zwei Gründen nicht laut sagen.

Erstens, weil man sonst nicht mehr so leicht Pferde bekäme, und zweitens – weil kein Wort daran wahr ist. – Allons!

Was Sens anbetrifft, so kann man das mit einem Worte abmachen: »Es ist der Sitz eines Bischofs.« –

Je weniger man von Joigny sagt, desto besser.

Aber über Auxerre könnte ich viel sagen, denn bei meiner großen Tour durch Europa, auf welcher mich schließlich mein Vater selbst begleitete, da er mich keinem Andern anvertrauen wollte, – auch mein Onkel Toby, Trim und Obadiah, überhaupt fast die ganze Familie nahm an der Reise Theil, nur meine Mutter nicht, die zu jener Zeit die löbliche Idee gefaßt hatte, meinem Vater ein Paar wollene Strümpfe zu stricken und darin nicht gestört sein wollte, deshalb also zu Hause blieb und in Shandy-Hall nach dem Rechten sah, während wir uns in der Welt herumtrieben, – auf dieser Tour also, sage ich, hatte mein Vater zwei Tage in Auxerre Rast gemacht, und da seine Nachforschungen stets der Art waren, daß sie selbst in einer Wüste Früchte getragen hätten, – so hat er mir Material genug hinterlassen. – Denn das muß wahr sein, – wo auch mein Vater hinkam – besonders auffallend war dies aber bei seinen Reisen in Frankreich und Italien, – da lagen seine Wege so abseits von denen, die andere Reisende vor ihm gewandert waren, – er sah die Herrscher und die Höfe und die Herrlichkeiten aller Art in einem so eigenthümlichen Lichte, – seine Gedanken und Bemerkungen über die Menschen, Sitten und Gebräuche der Länder, welche wir durchzogen, waren so abweichend von denen aller andern Sterblichen, vorzüglich aber von denen meines Onkels Toby und Trims (von mir gar nicht zu reden) – und – noch mehr – die Verwickelungen[157] und Verlegenheiten, in welche er durch seine Theorien und durch seine Hartnäckigkeit gerieth, waren so närrischer, mannigfaltiger und tragikomischer Art, daß diese Reise wahrhaftig einen Anstrich und eine Farbe trägt, wie keine, die je durch Europa unternommen wurde; und wenn sie nicht immer und immer wieder von allen Reisenden und Reisebeschreibungslesern gelesen werden sollte, so lange, bis das Reisen überhaupt aufhört, oder, was dasselbe ist, es der Welt schließlich einfällt ganz still zu stehen, so wird das meine, und meine Schuld allein sein. –

Aber dieser reiche Ballen soll jetzt nicht geöffnet werden; ich will nur ein paar Fädchen herausziehen, um den Umstand zu erklären, weshalb mein Vater in Auxerre anhielt.

Denn da ich der Sache einmal erwähnt habe, so will ich sie auch gleich hier abmachen; sie ist zu unbedeutend, um hängen zu bleiben; dann bin ich fertig damit.

– Während unser Mittagsessen kocht, Bruder Toby, sagte mein Vater, wollen wir nach der Abtei St. Germain gehen, wenn auch nur um den Dörrleichen einen Besuch abzustatten, die Mr. Sequier so sehr empfiehlt. – Welchen dergleichen Du willst, sagte mein Onkel Toby, der während der ganzen Reise die Gefälligkeit selbst war. – Mein Gott! sagte mein Vater – ich meine die Mumien. – Dann hat man nicht nöthig sich zu rasiren, sagte mein Onkel Toby. – Rasiren! nein, rief mein Vater, unter Verwandten macht man keine Umstände. – So gingen wir nach der Abtei St. Germain; der Korporal, mit meinem Onkel Toby unter dem Arm, beschloß den Zug.

Alles ist sehr schön, sehr reich, sehr köstlich und sehr prächtig, sagte mein Vater zu dem Sakristan, einem jungen Benediktinermönche, – aber wir wären besonders begierig, die Mumien zu sehen, welche Mr. Sequier so genau beschrieben hat. – Der Sakristan verbeugte sich, und nachdem er eine Fackel, die zu diesem Behufe in der Sakristei vorräthig lag, angezündet hatte, führte er uns in St. Heribalds Grab. – Dies, sagte der Sakristan, indem er seine Hand auf den Sarg legte, war ein berühmter Prinz des bairischen Hauses, der unter den Nachfolgern[158] Karls des Großen, Ludwig dem Frommen und Karl dem Kahlen, eine hohe Stelle im Regimente einnahm, und dem es hauptsächlich zu verdanken war, daß Ordnung und Gesetz herrschte.

Dann ist er, sagte mein Onkel Toby, ebenso groß im Rathe wie im Felde gewesen. Er war ohne Zweifel ein tapferer Krieger. – Er war Mönch, sagte der Sakristan.

Mein Onkel Toby und Trim sahen sich etwas trostlos an. – Mein Vater schlug sich mit beiden Händen vor den Bauch, was immer seine Art war, wenn ihn etwas ganz besonders kitzelte; denn obgleich er alle Mönche und was nach Mönchen roch, ärger als den Bösen selbst haßte, so traf der Schlag Onkel Toby und Trim doch noch viel härter als ihn, es war also immer ein Triumph, und das versetzte ihn in die beste Laune.

Und wie heißt dieser gute Freund? fragte er in etwas scherzhaftem Tone.

– Dieses Grab, sagte der junge Benediktiner und blickte dabei zur Erde, enthält die Gebeine der heiligen Maxima von Ravenna, welche die Sehnsucht hierher trieb nach der Berührung des Körpers –

Des heiligen Maximus, sagte mein Vater und platzte mit seinem Heiligen hinein – sie waren zwei der größten Heiligen in der ganzen Märtyrergeschichte, setzte er hinzu.

– Verzeihen Sie, sagte der Sakristan, sie wollte die Gebeine St. Germains, des Erbauers unserer Abtei, berühren. – Und wozu half ihr das? sagte mein Onkel Toby. – Wozu hilft das den Weibern überhaupt? sagte mein Vater. – Zum Martyrthum, erwiederte der junge Benediktiner, indem er sich zur Erde beugte, und er sprach das Wort mit einem so demüthigen und doch so festen Tone, daß es meinen Vater für einen Augenblick entwaffnete. – Man nimmt an, fuhr der Benediktiner fort, daß die heilige Maxima vor vierhundert Jahren in dieses Grab gelegt wurde, d.h. zweihundert Jahre vor ihrer Heiligsprechung. – Das ist ein langsames Avancement in dieser Heerschaar der Märtyrer, sagte mein Vater, nicht wahr, Bruder Toby? – Verzweifelt langsam, Ew. Gnaden, sagte Trim,[159] wenn man sich das Patent nicht etwa kaufen kann. – Ich würde lieber verkaufen, sagte mein Onkel Toby. – Ganz meine Meinung, Bruder, sagte mein Vater.

Arme heilige Maxima! sagte mein Onkel leise vor sich hin, als wir uns von dem Grabe abwandten. – Sie war eine der schönsten und anmuthigsten Frauen, deren Italien wie Frankreich sich rühmen konnten, fuhr der Sakristan fort.

– Aber wer Tausend! liegt denn da neben ihr? fragte mein Vater und wies mit seinem Stocke auf ein großes Grab, an dem wir eben vorbeigingen. – Hier liegt St. Optat, mein Herr, erwiederte der Sakristan. – Und an einer sehr passenden Stelle, sagte mein Vater; wer war denn dieser St. Optat? fuhr er fort. – St. Optat, erwiederte der Sakristan, war ein Bischof.

Dacht' ich's doch, beim Himmel! unterbrach ihn mein Vater. St. Optat! wie wäre es auch anders denkbar! – Damit holte er sein Taschenbuch heraus, und während der junge Benediktiner mit der Fackel leuchtete, schrieb er diesen Fall als neuen Beweis für seine Namenstheorie auf; – und so uneigennützig war er in seinem Forschen nach Wahrheit, daß ich kühn behaupten kann, ein Schatz, den er in St. Optats Grabe gefunden hätte, würde ihn nicht so glücklich gemacht haben. Der Todtenbesuch war von dem herrlichsten Erfolge begleitet gewesen, und er war mit Allem, was sich dabei ereignet hatte, so zufrieden, daß er sogleich beschloß, noch einen Tag in Auxerre zu bleiben.

Ich will mir doch morgen die übrigen Leutchen auch ansehen, sagte er, als wir über den Platz schritten. – Und während Du dort hingehst, Bruder Shandy, will ich mit dem Korporal die Festungswälle besteigen, sagte mein Onkel Toby.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 156-160.
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