Einhundertundvierundvierzigstes Kapitel.

[201] – Es war doch jammerschade; aber, Ew. Gnaden, ich glaube, was ich da sagen will, schickt sich für einen Soldaten nicht und ist sehr dumm –

– Ein Soldat, Trim, rief mein Onkel Toby, indem er den Korporal unterbrach, ist dem so gut wie jeder Gelehrte ausgesetzt, etwas Dummes zu sagen. – Aber nicht so oft, Ew. Gnaden, sagte der Korporal. – Mein Onkel nickte.

– Also, es war doch jammerschade, sagte der Korporal und warf seine Blicke auf Dünkirchen und den Molo, wie Servius Sulpicius bei seiner Rückkehr von Asien (während er von Aegina nach Megara segelte) die seinigen auf Korinth und den Piräus –

– Es war doch jammerschade, Ew. Gnaden, diese Werke zu zerstören, – aber sie stehen zu lassen, wäre ebenso schade gewesen.

– Du hast in Beidem recht, sagte mein Onkel Toby. – Das ist auch der Grund, fuhr der Korporal fort, weshalb ich von Anfang der Zerstörung an bis zu Ende nicht ein einziges Mal weder gepfiffen, noch gesungen, noch gelacht, noch gejucht, noch von alten Zeiten gesprochen, noch Ew. Gnaden eine gute oder schlechte Geschichte erzählt habe.

– Du hast manche gute Eigenschaften, Trim, sagte mein Onkel Toby, aber ich halte es für eine Deiner besten, weil Du doch nun einmal ein Erzähler bist, daß unter den vielen Geschichten, die Du mir in Stunden, wo ich litt, erzähltest, um mich zu erheitern, oder in solchen, wo ich ernst gestimmt war, um mich zu zerstreuen, selten eine schlechte war.

– Das kommt daher, Ew. Gnaden, weil sie alle wahr sind, – außer die von dem Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern; – sie sind mir alle selbst passirt.

– Sie gefallen mir darum nicht weniger, Trim, sagte mein Onkel Toby. – Aber was ist das für eine Geschichte? Du hast mich neugierig gemacht.

– Ich will sie Ew. Gnaden gleich erzählen, sagte der[202] Korporal. – Das heißt, sagte mein Onkel Toby und sah traurig nach Dünkirchen und dem Molo hin, – das heißt, wenn sie nicht lustig ist; zu einer lustigen Geschichte, Trim, muß man aufgelegt sein, und die Stimmung, in welcher ich mich jetzt befinde, würde weder Dir, noch Deiner Geschichte Gerechtigkeit angedeihen lassen. – Sie ist gar nicht lustig, erwiederte der Korporal. – Auch möchte ich nicht, daß sie traurig wäre, setzte mein Onkel Toby hinzu. – Sie ist weder lustig, noch traurig, erwiederte der Korporal, sie wird gerade für Ew. Gnaden recht sein. – Dann werde ich Dir wirklich Dank wissen, rief mein Onkel Toby, – fange also an, Trim.

Der Korporal machte seine Verbeugung; nun ist es gewiß nicht so leicht, wie Mancher sich vielleicht einbildet, ein winziges Monterokäppchen mit Anstand abzunehmen, und noch schwieriger ist es meines Erachtens, glatt auf dem Boden sitzend eine so ehrfurchtsvolle Verbeugung zu machen, wie der Korporal dies zu thun gewohnt war; aber dadurch, daß er die flache Hand des rechten Armes, der seinem Herrn zugekehrt war, ein wenig hinter sich auf dem Grase schleifen ließ, was einen größeren Schwung möglich machte und die Kappe ganz ungezwungen mit dem Daumen und den beiden ersten Fingern der linken Hand zusammendrückte, wodurch er ihren Durchmesser verringerte, so daß er sie so zu sagen mehr vom Kopfe schob, als herunterriß, gelang es ihm, Beides besser zu Stande zu bringen, als man seiner Stellung nach hätte erwarten sollen, und nachdem er sich zweimal geräuspert hatte, um ausfindig zu machen, welcher Ton für seine Geschichte am besten passen und welcher der angemessenste für seines Herrn Stimmung sein würde, wechselte er mit diesem Letzteren einen freundlichen Blick und fing so an:


Die Geschichte vom Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern.

– Es war einmal ein König von Böh –

Als der Korporal eben im Begriff war die böhmische Gränze zu überschreiten, veranlaßte ihn mein Onkel Toby,[203] einen Augenblick anzuhalten. Er hatte seine Geschichte im bloßen Kopfe angefangen, denn seitdem er im vorigen Kapitel sein Monterokäppchen abgezogen, lag es neben ihm auf der Erde.

Dem Auge des Wohlwollens entgeht nichts; noch ehe der Korporal an das Ende der ersten fünf Worte seiner Geschichte gekommen war, hatte mein Onkel Toby zweimal mit dem Ende seines Stockes das Monterokäppchen angerührt, als ob er sagen wollte: Warum setzest Du es nicht auf, Trim? – Trim nahm es mit ehrerbietiger Langsamkeit vom Boden auf und warf einen kummervollen Blick auf die Stickerei des vordern Theils, die besonders in den Hauptblättern und den am kühnsten geschwungenen Linien des Musters erbärmlich beschmutzt und verschossen war; dann legte er sie zwischen seine Füße, um seine Betrachtungen darüber anzustellen.

Alles, was Du darüber sagen willst, Trim, rief mein Onkel Toby, ist nur zu wahr:

»Nichts in der Welt, Trim, nichts ist ewig!«

Aber wenn die Pfänder Deiner Liebe, Deiner Erinnerung, Bruder Tom, so vergehen, sprach Trim, was sollen wir dann sagen?

– Mehr kann man nicht darüber sagen, Trim, sagte mein Onkel Toby, und wenn sich Einer bis zum jüngsten Tage den Kopf zerdenken wollte. Es ist nicht möglich.

Da der Korporal einsah, daß mein Onkel Toby Recht hätte und daß menschlichem Verstande nun und nimmer gelingen würde, eine bessere Lehre aus seiner Kappe zu ziehen, so versuchte er es auch nicht weiter, sondern setzte sie auf, und nachdem er sich mit der einen Hand eine nachdenkliche Falte aus der Stirn gestrichen, die der Text und die daraus gezogene Lehre darauf zurückgelassen hatte, kehrte er, in Ton und Stimme derselbe wie vorher, zu seiner Geschichte des Königs von Böhmen und seiner sieben Schlösser zurück.
[204]

Fortsetzung der Geschichte des Königs von Böhmen und seiner sieben Schlösser.

Es war einmal ein König von Böhmen; aber unter wem er regierte, ausgenommen unter sich selbst, das kann ich Ew. Gnaden nicht kund und zu wissen thun.

– Ich verlange das auch gar nicht, Trim, rief mein Onkel Toby.

– Es war ein bischen vor der Zeit, Ew. Gnaden, wo die Riesen aufhörten, – aber in was für einem Jahr christlicher Zeitrechnung das war –

– Ich schere mich nicht so viel darum, das zu wissen, sagte mein Onkel Toby.

– So 'ne Geschichte macht sich aber besser, Ew. Gnaden, wenn man –

– Es ist ja Deine eigene, Trim, putze sie also heraus, wie Du willst; nimm irgend eine Zeit, fuhr mein Onkel Toby fort und sah ihn dabei freundlich an, nimm nur irgend eine Zeit, die Dir gefällt, und gieb sie ihr, – ich habe nichts dagegen.

Der Korporal verbeugte sich, denn mein Onkel Toby hatte jedes Jahrhundert und jedes einzelne Jahr jedes Jahrhunderts von der Erschaffung der Welt bis zur Sintfluth, von der Sintfluth bis zu Abrahams Geburt, die Wanderzüge der Patriarchen hindurch bis zum Auszug der Israeliten nach Egypten, alle Dynastien, Olympiaden, Urbeconditas und andere denkwürdige Epochen der verschiedenen Völker der Welt hindurch bis zu Christi Erscheinung und von da bis zu dem Augenblick, wo der Korporal seine Geschichte erzählte, – dieses weite Reich der Zeit und ihre Abgründe hatte er zu seinen Füßen gelegt; aber da Bescheidenheit kaum mit einem Finger berührt, was Freigebigkeit ihr mit beiden Händen darreicht, so begnügte sich der Korporal mit dem allererbärmlichsten Jahre aus dem ganzen Packen; und damit Ew. Wohlgeboren von der Majorität und Minorität sich nicht etwa darüber zanken und das Fleisch von den Knochen reißen: »ob das nicht etwa das letztverflossene[205] Jahr war?« so sage ich Ihnen gerade heraus, ja das war es. – Aber aus einem andern Grunde, als Sie meinen.

Es war ihm das nächste; und da es das Jahr 1712 war, in welchem der Herzog von Ormond eine so verdammte Rolle in Flandern gespielt hatte, so nahm es der Korporal und rückte frisch wieder in Böhmen ein. –


Fortsetzung der Geschichte des Königs von Böhmen und seiner sieben Schlösser.

Es war einmal im Jahre unseres Herrn 1712, mit Ew. Gnaden Erlaubniß –

– Wenn ich Dir die Wahrheit gestehen soll, Trim, sagte mein Onkel Toby, so würde mir eine andere Jahreszahl besser gefallen, nicht blos wegen des bösen Fleckens, den unsere Geschichte in diesem Jahr bekam, wo unsere Truppen davon marschirten und die Belagerung von Quesnoi nicht decken wollten, obgleich Fagel die Festungswerke mit unglaublicher Gewalt bestürmte, sondern auch wegen Deiner eigenen Geschichte, Trim; denn sieh, wenn Riesen darin vorkommen sollten, wie ich aus einigen Deiner Andeutungen vermuthen darf –

– Es kommt nur einer vor, Ew. Gnaden.

– Das ist ebenso gut, als wenn zwanzig vorkämen, erwiederte Onkel Toby; Du würdest besser thun, wenn Du ihn den Kritikern und dem andern Volke ein sieben- oder achthundert Jahre aus dem Wege führtest; deshalb rathe ich Dir, wenn Du die Geschichte wiedererzählst –

Wenn ich sie einmal in meinem Leben zu Ende erzählt habe, Ew. Gnaden, sagte Trim, so will ich sie Niemandem wieder erzählen, nicht Mann, nicht Frau, nicht Kind.

Pah! pah! sagte mein Onkel Toby; – aber er sagte es mit einem Tone so freundlicher Aufmunterung, daß der Korporal mit doppelter Lebhaftigkeit in seiner Geschichte fortfuhr.


Fortsetzung der Geschichte von dem König von Böhmen und seinen sieben Schlössern.

[206] Es war einmal, Ew. Gnaden, sagte der Korporal und erhob die Stimme, während er sich vergnügt die Hände rieb, ein König von Böhmen –

– Laß lieber die Jahreszahl ganz weg, sagte mein Onkel, indem er sich vorbeugte und seine Hand auf des Korporals Schulter legte, wie um die Unterbrechung zu entschuldigen, – laß sie lieber ganz weg, Trim; eine Geschichte kann solcher genauen Angaben sehr gut entbehren, besonders wenn man es nicht genau weiß. – Genau weiß! wiederholte der Korporal und schüttelte den Kopf.

Gewiß, fuhr mein Onkel Toby fort, es ist nicht leicht für unser Einen, Trim, der wie Du und ich in den Waffen aufgewachsen ist und selten weiter vorwärts gesehen hat, als bis zum Korn auf seiner Flinte und rückwärts bis auf seinen Tornister, alles das zu wissen. – J, natürlich, Ew. Gnaden, sagte der Korporal, dem die Art, wie mein Onkel Toby sprach, ebenso wohl that, als ihn das, was er sagte, überzeugte, – wenn er nicht im Gefecht ist, oder auf dem Marsch, oder seinen Garnisondienst thut, so hat er seine Flinte zu putzen, Ew. Gnaden, sein Lederzeug zu poliren, seine Uniform auszubessern, sich selbst zu rasiren und zu waschen, als ob er gleich auf die Parade müßte; – was braucht ein Soldat, setzte der Korporal triumphirend hinzu, von Geographie zu wissen?

Von Chronologie, meinst Du, Trim, sagte mein Onkel Toby, – denn Geographie ist durchaus nöthig für ihn; er muß mit jedem Land, wohin ihn sein Handwerk führt, sowie mit dessen Gränzen bekannt sein; auch sollte er jede Stadt und Festung, jedes Dorf und jeden Weiler, und die Kanäle, die Straßen, die Nebenwege, die dahin führen, kennen. Von jedem Flusse oder Bache, den er passirt, Trim, sollte er wissen, wie er heißt, in welchem Gebirge er entspringt, welche Gegenden er durchläuft, wie weit er schiffbar ist und wo er Furten hat, wo nicht; er sollte die Fruchtbarkeit jedes Thales so gut kennen wie[207] der Bauer, der es pflügt, und im Stande sein, alle Ebenen, Defileen, leicht zu vertheidigende Stellen, steile Abhänge, Wälder und Moräste zu beschreiben oder, wenn es verlangt wird, einen Plan davon zu zeichnen; er sollte ihre Produkte, Pflanzen, Mineralien, Gewässer, Thiere, ihre Witterungsverhältnisse, ihr Klima, ihre Kälte und Hitze, ihre Einwohner, Sitten, Sprache, Verfassung, ja selbst ihre Religion kennen.

Wäre es sonst begreiflich, Korporal, fuhr mein Onkel Toby fort, der, immer wärmer werdend, sich jetzt im Schilderhause aufrichtete, – wie Marlborough mit seiner Armee von den Ufern der Maas nach Belburg hätte marschiren können, und von Belburg nach Kerpenord (hier konnte auch der Korporal nicht länger sitzen bleiben), von Kerpenord, Trim, nach Kalsaken, von Kalsaken nach Neudorf, von Neudorf nach Landenburg, von Landenburg nach Mildenheim, von Mildenheim nach Elchingen, von Elchingen nach Gingen, von Gingen nach Balmershoffen, von Balmershoffen nach Skellenburg, wo er des Feindes Verschanzungen durchbrach, den Uebergang über die Donau erzwang, über den Lech setzte, seine Truppen in das Herz des Reiches führte und an ihrer Spitze durch Freiburg, Hokenwert und Schönefeld auf die Wahlstatt von Bennheim und Hochstadt zog? Wie groß er auch war, Korporal, ohne Geographie hätte er nicht einen Schritt vorwärts machen oder einen einzigen Tagesmarsch zurücklegen können. – Was dagegen die Chronologie anbetrifft, fuhr mein Onkel Toby mit mehr Ruhe fort und setzte sich wieder im Schilderhause hin, so gestehe ich, Trim, daß ich sie vor allen andern für eine Wissenschaft halte, die der Soldat entbehren kann, außer vielleicht, daß sie ihm ein mal sagen wird, wann das Pulver erfunden wurde; denn die schreckliche Wirkung desselben, die jedes Widerstandes spottet, hat eine neue Aera der Kriegsführung geschaffen und die Art des Angriffs und der Vertheidigung, sowohl zur See als zu Lande, so durchaus verändert, dazu die Kunst derselben und die Fertigkeit darin so sehr vermehrt, daß die Wissenschaft in der genauen Bestimmung der Zeit seiner Erfindung nicht gewissenhaft genug sein kann, noch peinlich genug darin, festzustellen,[208] wer der große Mann war, der es erfand, und auf welche Weise dies geschah.

Es fällt mir nicht ein, fuhr mein Onkel Toby fort, bestreiten zu wollen, was die Geschichtsschreiber allgemein annehmen, daß im Jahr 1380 unter der Regierung Wenzeslaus', des Sohnes Karls IV., ein gewisser Mönch, Namens Schwarz, die Venetianer in ihrem Kriege gegen die Genueser mit der Anwendung des Pulvers bekannt machte; aber sicherlich war er nicht der Erste, – denn wenn wir Don Pedro, dem Bischof von Leon, Glauben schenken – (»Was hatten denn die Mönche und die Bischöfe sich um das Pulver zu bekümmern, Ew. Gnaden?« – Gott, der Alles zum Besten leitet, weiß es, sagte mein Onkel Toby), – so berichtet dieser in seiner Chronik von König Alfons, dem Sieger von Toledo, daß das Geheimniß des Pulvers bereits im Jahr 1343, also ganzer siebenunddreißig Jahr vor jener Zeit bekannt war, und daß dasselbe sowohl von den Mauren als den Christen nicht allein bei ihren Kämpfen zur See, sondern auch bei mehreren ihrer denkwürdigen Belagerungen in Spanien und der Berberei angewandt wurde. Auch ist es allgemein bekannt, daß Bacon, der Mönch, ohngefähr einhundertundfünfzig Jahr vor Schwarz schon darüber geschrieben und höchst uneigennützig die Anweisung, wie es zu machen sei, offenbart hat; – wie nicht minder, fuhr mein Onkel Toby fort, – daß die Chinesen uns und Alles, was berichtet wird, noch mehr in Verwirrung bringen, indem sie sich rühmen, diese Erfindung schon einige hundert Jahr früher gekannt zu haben.

– Ich glaube, sie lügen in ihren Hals hinein, rief Trim.

– Sie werden sich auf irgend eine Weise irren, sagte mein Onkel Toby, was mir bei dem erbärmlichen Zustande, in welchem sich bis zum heutigen Tage die Befestigungskunst bei ihnen befindet, sehr wahrscheinlich erscheint. Kennen sie doch weiter nichts als den Fossé, mit einer Steinmauer ohne Flankendeckung; denn was sie für eine Bastion mit hervorspringenden Winkeln ausgeben, sieht eher aus wie – –

Wie eins von meinen sieben Schlössern, mit Ew. Gnaden Verlaub, sagte Trim.[209]

Obgleich mein Onkel Toby wegen eines passenden Vergleiches in größter Verlegenheit war, so lehnte er doch Trims Anerbieten höflich ab, – bis Trim ihm versicherte, er habe noch ein halbes Dutzend solcher Schlösser in Böhmen, mit denen er wirklich nichts anzufangen wisse. – Diese Herzensgüte des Korporals rührte meinen Onkel Toby so, daß er seine Abhandlung über das Schießpulver nicht weiter fortsetzte, sondern Trim bat, in seiner Geschichte von dem Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern fortzufahren.


Fortsetzung der Geschichte von dem Könige von Böhmen und seinen sieben Schlössern.

Dieser unglückliche König von Böhmen, sagte Trim –

War er denn unglücklich? rief mein Onkel Toby; – denn obgleich er den Korporal gebeten hatte fortzufahren, so hatten ihn seine Abhandlung über das Schießpulver und die andern militärischen Gegenstände doch viel zu sehr in Anspruch genommen, als daß er sich der vielen Unterbrechungen, zu denen er Anlaß gegeben, bewußt genug gewesen wäre, um die Bezeichnung gerechtfertigt zu finden. – Also unglücklich war er? sagte mein Onkel Toby mit Pathos.

Das Erste, was der Korporal that, war, daß er das Wort und alle, die ihm ähnlich, zum Teufel wünschte, – dann lief er in Gedanken die Hauptbegebenheiten der Geschichte des Königs von Böhmen durch: – aus allen ging hervor, daß er der glücklichste Mensch von der Welt gewesen war. – Der Korporal hielt also inne, aber da er weder sein Prädikat zurückziehen, noch es erklären, noch (wie das oft geschieht) seiner Geschichte eines bestimmten Zweckes halber Zwang anthun wollte, so sah er hülfeheischend meinen Onkel Toby an; – da er aber bemerkte, daß mein Onkel Toby dieselbe Hülfe von ihm erwartete, so half er sich mit einem Hm! räusperte sich und fuhr fort:

– Der König von Böhmen, mit Ew. Gnaden Verlaub, war nämlich so unglücklich: er war ganz versessen auf das Seefahren und auf die Schiffe u.s.w., und da es nun zufällig in dem ganzen[210] böhmischen Königreiche keine Stadt mit einem ordentlichen Seehafen gab –

Wie Henker, wäre das auch möglich gewesen, Trim! rief mein Onkel Toby; Böhmen ist ganz und gar ein Binnenland, und deshalb konnte es ja gar nicht anders sein.

– Es konnte schon, sagte Trim, wenn's dem lieben Gott gefallen hätte.

Mein Onkel Toby sprach von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes nie anders als mit Ehrfurcht und mit einer gewissen Zurückhaltung.

– Ich glaube nicht, erwiederte er nach einer kleinen Pause; denn da es, wie gesagt, ein Binnenland ist und östlich an Schlesien und Mähren, nördlich an die Lausitz und Obersachsen, westlich an Franken und südlich an Bayern gränzt, so könnte es sich nicht bis zum Meere erstrecken, ohne aufzuhören Böhmen zu sein; auch könnte das Meer nicht bis nach Böhmen kommen, ohne einen großen Theil von Deutschland zu überfluthen und Millionen unglücklicher Bewohner zu verderben, die sich vor ihm nicht retten könnten. – Das wäre schändlich, rief Trim. – Was, fügte mein Onkel Toby mild hinzu, einen Mangel an Barmherzigkeit bei Dem voraussetzen hieße, der der Vater der Barmherzigkeit ist; – also glaube ich, Trim, die Sache ist nicht möglich. –

Der Korporal verbeugte sich zum Zeichen seiner völligen Ueberzeugung und fuhr fort:

Nun ging der König von Böhmen mit seiner Frau Königin und den Hofleuten zufällig an einem schönen Sommerabend spazieren – Ach! Trim, rief mein Onkel Toby, hier gebrauchst Du das Wort »zufällig« richtig; denn der König von Böhmen und seine Gemahlin konnten spazieren gehn, oder konnten nicht spazieren gehn, – das war etwas Zufälliges, das konnte sein oder nicht sein, wie der Zufall es wollte.

– Mit Ew. Gnaden Verlaub, sagte Trim: – König Wilhelm war der Meinung, daß Alles in der Welt voraus bestimmt sei; er pflegte zu seinen Soldaten zu sagen: jede Kugel hätte ihren Zettel. – Er war ein großer Mann, sagte mein[211] Onkel Toby. – Und ich glaube bis auf diese Stunde, fuhr der Korporal fort, daß der Schuß, der mich in der Schlacht bei Landen zum Invaliden machte, zu keinem andern Zwecke auf mein Knie gerichtet war, als um mich aus seinem Dienst in Ew. Gnaden Dienst zu bringen, wo für meine alten Tage doch viel besser gesorgt sein wird. – Das soll es, Trim, sagte mein Onkel Toby.

Dem Herrn wie dem Diener pflegte das Herz leicht überzulaufen; – eine kurze Pause trat ein.

Und dann, nahm der Korporal das Gespräch wieder auf, aber in einem muntereren Tone, – wäre dieser Schuß nicht gekommen, so hätte ich mich, mit Ew. Gnaden Verlaub, auch nicht verliebt –

Wie? bist Du auch einmal verliebt gewesen? sagte mein Onkel Toby lächelnd.

Und ob! erwiederte der Korporal, bis über die Ohren, Ew. Gnaden. – Ei, sage doch, wann, wo, wie das zuging; ich habe nie ein Wort davon gehört, sagte mein Onkel Toby. – Ich glaube, jeder Tambour und jedes Sergeantenkind in unserem Regimente hat es gewußt, antwortete Trim. – So ist es die höchste Zeit, daß ich's auch erfahre, sagte mein Onkel Toby.

Ew. Gnaden erinnern sich gewiß noch mit Betrübniß, in welcher schrecklichen Verwirrung unser Lager und unsere Armee gegen das Ende der Schlacht bei Landen war; Jeder mußte für sich selber sorgen, und wären nicht die Regimenter Wyndham, Lumley und Galway gewesen, die den Rückzug über die Brücke von Neerspecken deckten, der König selbst hätte sie kaum erreicht; Ew. Gnaden werden wissen, wie hart er von allen Seiten bedrängt wurde.

Tapferer Held! rief mein Onkel, von Begeisterung hingerissen, – in diesem Moment, wo Alles verloren war, sehe ich ihn, Korporal, an mir vorüberfliegen, dorthin – links – in der Absicht, die zerstreuten Ueberreste der englischen Reiterei zu sammeln, um damit den rechten Flügel zu unterstützen und so, wo möglich, dem Luxemburger den Lorbeer von der Stirn zu reißen. – Ein Schuß nimmt die Schleife seiner Schärpe mit – ihn kümmert's[212] nicht – er spricht den Leuten vom Regimente Galway Muth zu – er reitet die Reihen entlang – dann läßt er schwenken und stürzt sich mit ihnen auf Conti – Brav! brav! bei Gott! rief mein Onkel Toby, er verdient eine Krone! – So gewiß und wahrhaftig, jubelte Trim, wie ein Dieb den Strick.

Mein Onkel Toby kannte des Korporals loyale Gesinnung, sonst würde ihm der Vergleich füglich mißfallen haben; dem Korporal selbst schien er nicht recht zuzusagen, aber er war einmal heraus – es war geschehen, und so blieb ihm nichts übrig, als fortzufahren:

Da die Zahl der Verwundeten so ungeheuer groß war und Jeder nur Zeit hatte, an seine eigene Sicherheit zu denken – (Talmash übrigens, sagte mein Onkel Toby, zog das Fußvolk mit großer Geschicklichkeit aus dem Kampfe – Aber mich ließ man liegen, sagte der Korporal. – Das ist freilich wahr, Du armer Bursche, erwiederte mein Onkel Toby), – so dauerte es bis zum Mittag des andern Tages, eh' ich ausgewechselt und mit dreizehn oder vierzehn Andern auf einen Karren gelegt wurde, um nach unserem Lazareth gebracht zu werden.

An keiner Stelle des ganzen Körpers ist eine Wunde so schmerzhaft, Ew. Gnaden, als am Knie.

Ausgenommen am Schambein, sagte mein Onkel Toby. – Ich weiß nicht, Ew. Gnaden, erwiederte der Korporal, aber am Knie thut's doch wohl noch mehr weh, da sind so viel Flechsen und allerhand so 'n Zeugs.

Das ist eben die Ursache, sagte mein Onkel Toby, weshalb das Schambein unendlich empfindlicher ist; denn da sind nicht blos Flechsen und allerhand so 'n Zeugs (die Namen kenn' ich so wenig als Du), sondern da ist auch noch * * * –

Mrs. Wadman, die während der ganzen Zeit in ihrer Laube gehorcht hatte, hielt den Athem an – steckte die Haube los und stellte sich auf ein Bein.

Der kleine Streit setzte sich einige Zeit lang in freundschaftlicher Weise und mit gleichen Kräften zwischen meinem Onkel Toby und Trim fort, bis Trim sich zuletzt erinnerte, daß er oft über seines Herrn Leiden, nie aber über seine eigenen[213] Schmerzen Thränen vergossen hätte, und damit seine Behauptung aufgab; – das wollte aber mein Onkel Toby nicht gelten lassen. – Das ist kein Beweis dafür, Trim, sagte er, das beweist nur für Dein gutes Herz.

Ob also eine Wunde am Schambein (caeteris paribus) mehr schmerzt als eine am Knie, – oder ob eine am Knie nicht doch etwa schmerzhafter ist als eine am Schambein, – darüber hat es bis zum heutigen Tage zu einer endgültigen Entscheidung noch nicht kommen können.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 201-214.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Raabe, Wilhelm

Der Hungerpastor

Der Hungerpastor

In der Nachfolge Jean Pauls schreibt Wilhelm Raabe 1862 seinen bildungskritisch moralisierenden Roman »Der Hungerpastor«. »Vom Hunger will ich in diesem schönen Buche handeln, von dem, was er bedeutet, was er will und was er vermag.«

340 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon