Fünfundsechzigstes Kapitel.

[100] Wenn die Stadt mit ihren Werken fertig war, so zogen mein Onkel Toby und Trim ihre erste Parallele, nicht etwa aufs Gerathewohl und so wie's kam, sondern von denselben Punkten aus und in denselben Entfernungen, wie die Alliirten sie gezogen[100] hatten, und indem sie die Approchen und Angriffe ganz nach den Berichten vornahmen, die mein Onkel Toby durch die Zeitungen erhielt, rückten sie während der ganzen Belagerung Schritt vor Schritt, wie die Alliirten, vor.

Wenn der Herzog von Marlborough eine Position nahm, nahm mein Onkel Toby auch eine; wenn die Fronte einer Bastion niedergeschossen oder ein Verhau zerstört wurde, so griff der Korporal nach seiner Hacke und machte es ebenso u.s.w., bis sie immer mehr Fuß faßten, ein Werk nach dem andern überwältigten und die Festung endlich in ihre Hände fiel.

Brachte die Zeitung dann etwa die Nachricht, daß Herzog Marlborough eine praktikable Bresche in das Hauptwerk der Festung gelegt habe, so hätte wohl Niemand, dem der Anblick fremden Glückes Freude macht, vom heimlichen Verstecke hinterm Hagedornbusche aus etwas Herzerquickenderes sehen können, als wie mein Onkel Toby, Trim hinter sich, herbeieilte, – der Eine die Zeitung in der Hand, der Andere den Spaten auf der Schulter, um Alles auszuführen, was dort gedruckt stand. – Welcher Triumph in meines Onkels Toby Blicken, wenn er gegen die Brustwehr anrückte! Wie selig glänzten seine Augen, wenn er so über den Korporal gebeugt da stand und ihm, während jener die Arbeit that, zehnmal die Stelle vorlas, damit die Bresche ja nicht um einen Zoll zu breit oder zu schmal würde. – Und wurde dann Chamade geschlagen, – half der Korporal meinem Onkel hinauf und folgte ihm mit fliegender Fahne, um dieselbe auf den Wall zu pflanzen – Himmel, Erde und Meer, – aber was helfen alle Apostrophen! – spendeten eure Elemente, naß oder trocken, wohl je einen so berauschenden Wonnetrank? –

In diesem Geleise stillen Glückes bewegten sich mein Onkel Toby und Trim lange Jahre, ohne jede andere Unterbrechung, als daß vielleicht der Wind acht oder zehn Tage aus Westen blies und die Flandrische Post zurückhielt; dann litten sie Qualen der Erwartung, aber es waren doch immer nur die Qualen eines Glücklichen. Jedes Jahr, ja jeden Monat verfiel der Eine oder der Andere von ihnen auf eine neue Idee, einen neuen Anschlag zur Verbesserung ihrer Kriegsführung, und dadurch[101] eröffneten sich ihnen immer neue Quellen der Lust und des Vergnügens.

Die Campagne des ersten Jahres wurde von Anfang bis zu Ende in der schlichten und einfachen Weise ausgeführt, die ich oben besprochen habe.

Im zweiten Jahre, wo mein Onkel Toby Lüttich und Ruremond einnahm, glaubte er sich nicht weniger als vier Zugbrücken gestatten zu dürfen, wovon ich zwei an einer früheren Stelle beschrieben habe.

Am Schlusse desselben Jahres fügte er noch ein Paar mit Fallgattern hinzu; diese letzteren wurden nachher zu spanischen Reitern benutzt, da sie so besser wirkten; und im Winter desselben Jahres regalirte sich mein Onkel Toby, statt mit einem neuen Anzuge, den er sich sonst immer zu Weihnachten anzuschaffen pflegte, mit einem niedlichen Schilderhause, das in die eine Ecke des Rasenplatzes hingestellt wurde, dahin, wo zwischen demselben und dem Fuße des Glacis eine Art Esplanade gemacht war, auf welcher er und der Korporal Kriegsrath hielten.

Das Schilderhaus sollte ihn gegen den Regen schützen.

Alles das wurde im nächsten Frühjahr dreimal weiß angestrichen, so daß mein Onkel Toby mit großem Pomp ins Feld rückte. –

Oft sagte mein Vater zu Yorick, wenn irgend Jemand anders als sein Bruder Toby so etwas gethan hätte, so würde Jedermann es für die feinste Satire auf Ludwig XIV. und seine prunkende und prahlende Art der Kriegsführung (namentlich dieses Jahres) haben halten können. Aber das ist nicht meines Bruder Toby's Art, setzte er dann hinzu, die gute Seele kränkt Niemand.

Wollen wir aber weiter gehen.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 100-102.
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