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[114] Meines Onkel Toby's oratio pro domo.
Ich weiß wohl, Bruder Shandy, es hat ein schlechtes Aussehen, wenn ein Mann, dessen Handwerk die Waffen sind, den Krieg wünscht, wie ich's gethan habe; mag er sich in seinen Beweggründen und seinen Absichten noch so rein und untadelhaft wissen, es wird ihm doch nicht leicht werden, die selbstischen Zwecke, die man ihm unterschiebt, zurückzuweisen.
Ist also der Soldat ein kluger Mann, was er ja ohne Beeinträchtigung seiner Tapferkeit sein kann, so wird er seinen Wunsch vor einem Feinde nicht aussprechen, denn dieser wird ihm nicht glauben, möge er sagen, was er wolle. Ja, auch vor einem Freunde wird er es nur mit Vorsicht thun, denn dieser könnte ihn deshalb weniger achten. – Aber wenn sein Herz voll ist, und er seines Herzens Seufzer nach den Waffen nicht unterdrücken kann, so soll er ihn für das Ohr eines Bruders sparen, der seinen Charakter von Grund aus kennt, der besser als Einer weiß, was für Ansichten, Neigungen und Ueberzeugungen er besitzt. – Wie die meinigen beschaffen sind, Bruder Shandy, kommt mir zu sagen nicht zu; – nicht ganz so gut, das weiß ich wohl, als sie sein sollten, vielleicht schlechter, als ich selber wähne: aber so, wie ich bin, mußt Du, mein lieber Bruder Shandy, der Du mit mir an Einer Mutterbrust gelegen, mit dem ich erzogen worden bin von der Wiege auf, dem ich von der Zeit unserer Kinderspiele an bis jetzt nie eine Handlung meines Lebens, kaum einen Gedanken verhehlt habe, mich endlich kennen, mit allen meinen Schwächen und Fehlern, die meinem Alter, meinem Temperamente, meinem Herzen oder meinem Kopfe anhaften.[114]
So sage mir denn, lieber Bruder Shandy, was berechtigt Dich dazu, Deinen Bruder unwürdiger Absichten zu zeihen, wenn er den Utrechter Frieden verdammt und bedauert, daß der Krieg nicht ein wenig länger kräftig fortgeführt worden sei? Wie kannst Du meinen, er sei so schlecht, um zu wünschen, daß noch mehr seiner Mitgeschöpfe getödtet, noch mehr in Gefangenschaft geschleppt, noch mehr Familien aus ihren friedlichen Wohnungen verjagt würden, blos seines Vergnügens wegen? – Sage mir, Bruder Shandy, wessen habe ich mich je gegen Dich schuldig gemacht, daß Du so etwas von mir voraussetzest? (Außer den hundert Pfund, die ich Dir zu diesen verdammten Belagerungen lieh, lieber Toby, nichts, zum Teufel!)
Schon als Schulbube schlug mir das Herz schneller, wenn ich eine Trommel rühren hörte: war das meine Schuld? Pflanzte ich den Trieb in mich hinein – schlug ich dadrinnen Allarm, oder that's Mutter Natur?
Wenn Guy, Graf von Warwick, und Parismus und Parismenus und Valentin und Orson und die sieben Kämpen von England in der Schule von Hand zu Hand gingen, hatte ich sie nicht alle mit meinem Taschengelde bezahlt? – War das egoistisch, Bruder Shandy? – Als wir die Belagerung von Troja lasen, die zehn Jahre und acht Monate dauerte, obgleich die Stadt mit dem Artillerietrain, den wir vor Namur hatten, in einer Woche zu nehmen gewesen wäre, ging mir da der Tod der vielen edlen Griechen und Trojaner nicht ebenso nahe, als irgend einem meiner Mitschüler? Mußte ich nicht drei Ruthenstreiche aushalten, zwei auf die rechte und einen auf die linke Hand, weil ich Helena, eben deswegen, ein Beest genannt hatte? Vergoß Einer mehr Thränen um Hektor als ich? Und als König Priamus nach dem Lager kam, um den Leichnam seines Sohnes zu erflehen, als er weinend damit nach Troja heimkehrte, da wirst Du noch wissen, Bruder, daß ich nicht zu Mittag essen konnte!
Spricht das dafür, daß ich grausam bin? oder weil alle meine Gedanken nach dem Feldlager standen und mein Herz sich nach Krieg sehnte, war das ein Beweis, daß es unfähig sei, die Leiden des Krieges zu beklagen?[115]
O Bruder, ein Anderes ist es für den Soldaten, Lorbeeren zu ernten, und ein Anderes, Cypressen zu streuen. (Wer sagte Dir denn, lieber Toby, daß die Alten bei Trauerfällen sich der Cypressen bedienten?)
Ein Anderes ist es, Bruder Shandy, für einen Soldaten sein Leben zu wagen, der Erste in den Graben zu springen, wenn er sicher ist, in Stücke gehauen zu werden; ein Anderes, getrieben von Vaterlandsliebe und Ruhmbegier, der Erste auf der Bresche zu sein, im vordersten Gliede zu stehen und unter Trommelwirbel und Trompetenklang, von fliegender Fahne umweht, vorwärts zu dringen, – ein Anderes, sage ich, Bruder Shandy, ist das, und wieder ein Anderes, das Elend des Krieges ins Auge zu fassen, die Verwüstung ganzer Länder zu betrachten und die unerträgliche Mühsal, die Entbehrungen zu erwägen, welchen des Krieges Werkzeug selbst, der Soldat (für so geringen Sold, wenn er ihn ja bekommt,) sich zu unterziehen gezwungen ist.
Brauche ich es zu sagen, was Sie, Yorick, in Le Fevers Leichenrede aussprachen, daß ein so sanftes, so edles Geschöpf wie der Mensch, geboren zur Liebe, zum Mitleid, zum Helfen, – dazu nicht bestimmt ist? – Aber, Yorick, weshalb setzten Sie nicht hinzu, – nicht bestimmt von der Natur, aber wohl von der Nothwendigkeit? – Denn was ist der Krieg? was ist er, wenn er, wie der unsrige, für Freiheit und Ehre gekämpft wird? was anders, als das Zusammenschaaren eines ruhigen, harmlosen Volkes, um mit dem Schwert in der Hand den Ehrgeizigen und Unruhigen in seine Gränzen zurückzuweisen? – Und, Gott ist mein Zeuge, Bruder Shandy, die Freude, die ich an diesen Dingen gefunden, und besonders das unendliche Vergnügen, welches mir, und ich hoffe auch dem Korporal, meine Belagerungen auf dem Rasenplatze gewährt haben, es entsteht bei uns Beiden aus dem Bewußtsein, daß wir damit den großen Zweck unseres Daseins erfüllen.
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Tristram Shandy
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