Neunundsiebenzigstes Kapitel.

[120] In meiner unbedachten Art habe ich mich wohl ein paarmal geäußert, daß die nachstehenden Memoiren über meines Onkel[120] Toby's Liebschaft mit Wittwe Wadman, wenn ich sie zu schreiben je die Zeit fände, ein so vollständiges Handbuch des elementaren und praktischen Theiles der Liebe und des Liebens werden sollten, wie noch keines existire; danach könnte man sich nun einbilden, daß ich damit anfangen würde, zu untersuchen, was Liebe sei? ob halb Gott und halb Teufel, wie Plotinus behauptet, oder – indem ich mich auf eine mehr kritische Abwägung einließe und das Ganze der Liebe = 10 annähme – mit Ficinus zu bestimmen, zu wie viel Theilen sie aus dem einen und zu wie vielen aus dem andern bestände, oder ob sie, wie Plato behaupten will, vom Kopf bis zum Schwanz des Teufels sei, worüber ich meine Ansicht zurückhalte; aber meine Ansicht von Plato selbst ist die: daß er nach diesem Beispiel ein Mann gewesen zu sein scheint, der hinsichtlich seines Charakters und seiner Art zu urtheilen dem Dr. Baynyard geglichen haben muß. Dieser nämlich war ein großer Feind von Blasenpflastern, von denen seiner Meinung nach ein halb Dutzend im Stande wären, einen Menschen so gewiß ins Grab zu ziehen, wie ein sechsspänniger Leichenwagen; und daraus schloß er etwas voreilig, daß der Teufel selbst nichts Anderes als eine große spanische Fliege sei.

Leuten, welche sich derartige Schlußfolgerungen erlauben, habe ich nichts zu sagen, als was Nazianz (ironisch natürlich) dem Philagrius zurief:

»Εὺγε! Wundervoll! eine treffliche Art zu schließen, Sir, das muß man sagen! –ὅτι ϕιλοσοϕεῦς ἐγ Πάϑεσι« – Sie streben der Wahrheit höchst würdig nach, wenn Sie auf diese Weise ihren Launen und Leidenschaften beim Philosophiren folgen!

Aus demselben Grunde wird man von mir nicht erwarten, daß ich mich herbeilassen soll, zu untersuchen, ob Liebe eine Krankheit sei, oder daß ich mich mit Rhasis und Dioscorides darüber abquäle, ob sie ihren Sitz im Gehirn oder in der Leber habe, denn das würde zu einer Untersuchung der beiden ganz entgegengesetzten Heilmethoden führen: der einen, die Aëtius anwandte, der immer mit einem kühlenden Lavement aus Hanfsamen und gequetschten Gurken anfing und dann dünne Tränke von Wasserlilien und Portulak folgen ließ, denen er eine Prise[121] Hanneapulver beimischte, auch wohl seinen Topasring hineintauchte, wenn er es wagen konnte;

sowie der andern, der des Gordinus, welcher (in seinem Kap. 12 de amore) verordnet: »man soll sie peitschen ad putorem usque, – bis sie nicht mehr aus noch ein wissen.«

Das sind Untersuchungen, die mein Vater schon, wenn es nöthig ist, in die Hand nehmen wird, denn dazu hat er das Zeug. Ich will darüber nur so viel hier erwähnen, daß er von seinen Theorien der Liebe (womit er meinen Onkel Toby nicht weniger quälte, als diesen die Liebe selbst) einen einzigen Schritt zur Praxis that, indem er dem Schneider, der gerade ein Paar neue Hosen für meinen Onkel anfertigte, ein Stück mit Kampher bestrichenen Wachstuches als Futterleinwand in die Hände schob, wodurch er bei meinem Onkel die von Gordinus beabsichtigte Wirkung, doch ohne den damit verbundenen Schimpf, vollständig erreichte.

Welche Veränderungen danach eintraten, wird der Leser an der geeigneten Stelle erfahren; nur so viel ist hier noch hinzuzufügen, daß die Wirkung auf das Haus keine gute war, mochte sie auch bei meinem Onkel sein wie sie wollte; und hätte mein Onkel Toby sie nicht durch Rauchen glücklich beseitigt, so hätte sie sich auch meinem Vater schädlich erweisen können.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 120-122.
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