Neunundvierzigstes Kapitel.

[73] Le Fever's Geschichte.


Im Sommer desselben Jahres, in welchem Dendermond von den Verbündeten genommen wurde, also ohngefähr sieben Jahr vor meines Vaters Uebersiedelung auf das Land und etwa ebenso lange nach der Zeit, da mein Onkel Toby in Begleitung Trims meines Vaters Stadthaus heimlich verlassen hatte, um eine der schönsten Belagerungen einer der schönsten Festungen Europa's zu beginnen, – saß mein Onkel Toby eines Abends bei seinem Abendessen und Trim auf einer kleinen Bank hinter ihm, – denn wegen seines lahmen Kniees (welches dem Korporal oft heftige Schmerzen verursachte) litt mein Onkel, wenn er allein war, nie, daß Trim stünde; aber des guten Burschen Verehrung für seinen Herrn war so groß, daß mein Onkel (mit hinreichendem Geschütze) eher Dendermond eingenommen hätte, als daß es ihm gelungen wäre, Trim hierzu zu bewegen, und oft, wenn er Trims Bein in Ruhe wähnte und sich umsah, mußte er gewahr werden, wie jener ehrerbietig hinter ihm stand. Darüber gab es in fünfundzwanzig Jahren mehr Wortwechsel zwischen ihnen, als über sonst etwas: – aber das gehört nicht hierher. – Weshalb es also er wähnen? – Fragt meine Feder; sie beherrscht mich, nicht ich sie.

Er saß also eines Abends bei seinem Abendessen, als der Wirth der kleinen Dorfschenke mit einem leeren Fläschchen in der Hand ins Zimmer trat und um ein bischen Wein bat. Es ist für einen armen Herrn, einen Offizier, glaub' ich, sagte der Wirth, der vor vier Tagen in meinem Hause erkrankte und seitdem dagelegen hat, ohne etwas anzurühren; jetzt hat er ein bischen Appetit zu einem Schluck Wein und einem Stückchen Brod. »Ich glaube«, sagte er, indem er die Hand von der Stirne nahm, »es wird mir bekommen.«

Könnt' ich's nicht erbitten, oder erborgen oder erkaufen, setzte der Wirth hinzu, so stöhl' ich's, glaube ich, für den armen Herrn, so krank ist er. Ich hoffe, Gott wird ihn[74] wieder aufkommen lassen, fuhr er fort, – wir sind alle recht besorgt um ihn.

Ihr seid eine gute Seele – das ist gewiß, – rief mein Onkel Toby; hier trinkt mit mir auf des armen Herrn Gesundheit und bringt ihm ein paar Flaschen mit meiner Empfehlung, und ich gäbe sie gern und ein Dutzend mehr, wenn sie ihm gut thäten.

Obgleich ich ihn gewiß und wahrhaftig für einen mitleidigen Burschen halte, sagte mein Onkel, sobald der Wirth wieder zur Thür hinaus war, so kann ich doch nicht umhin, auch von seinem Gaste eine hohe Meinung zu hegen. Er muß kein gewöhnlicher Mensch sein, Trim, da er sich des Wirthes Zuneigung in so kurzer Zeit erworben hat. – Und die der ganzen Familie, setzte der Korporal hinzu, denn sie sind alle besorgt um ihn. – Geh ihm doch nach, Trim, sagte mein Onkel Toby, und frage ihn nach dem Namen. – Ich habe ihn wirklich wieder vergessen, sagte der Wirth, der mit dem Korporal zurückkehrte, aber ich kann seinen Sohn noch einmal fragen. – Hat er einen Sohn bei sich? fragte mein Onkel Toby. – Einen Knaben von elf bis zwölf Jahren, erwiederte der Wirth; und der arme Junge hat so wenig wie sein Vater etwas angerührt, er thut Tag und Nacht nichts als weinen und lamentiren; zwei Tage lang ist er nicht vom Bett gewichen.

Als der Wirth das sagte, legte mein Onkel Toby Messer und Gabel hin und schob seinen Teller weg; ohne auf den Befehl dazu zu warten, räumte Trim schweigend den Tisch ab und brachte Pfeife und Tabak.

Bleibe hier, sagte mein Onkel Toby.

Trim, sagte mein Onkel Toby, nachdem er seine Pfeife angezündet und ein Dutzend Züge gethan hatte; Trim trat vor seinen Herrn und verbeugte sich. Mein Onkel rauchte weiter und schwieg. – Korporal, sagte mein Onkel Toby. Der Korporal verbeugte sich wieder. – Mein Onkel fuhr in seiner Rede nicht weiter fort, er rauchte seine Pfeife aus.

Trim, sagte mein Onkel Toby, ich habe ein Projekt; es ist ein unfreundlicher Abend, ich will meinen Rockelor umnehmen[75] und dem armen Herrn einen Besuch machen. – Ew. Gnaden Rockelor ist keinmal umgewesen, erwiederte der Korporal, seit der Nacht vor dem Tage, wo Sie die Wunde erhielten, – Sie bezogen damals die Wache in der Tranchée vor dem St. Nicolas-Thor; überdies ist die Nacht so kalt und so regnerisch, daß von wegen des Rockelors und von wegen des Wetters zusammen Ew. Gnaden sich den Tod holen können, und Ew. Gnaden Schambein gewiß wieder schlimm werden wird. – Das fürchte ich auch, sagte mein Onkel Toby, aber es läßt mir keine Ruhe, seitdem der Wirth mir das erzählte. Ich wünschte, ich hätte weniger von der Sache gehört, setzte er hinzu, oder ich wüßte mehr davon. Wie ist das nun anzufangen? – Ueberlassen Sie mir's, Ew. Gnaden, sagte der Korporal. Ich will Hut und Stock nehmen und nach der Schenke hinübergehen und recognosciren; ich werde schon sehen, was sich machen läßt, und bringe dann Ew. Gnaden in weniger als einer Stunde ausführlichen Bericht. – Geh, Trim, sagte mein Onkel Toby, und hier ist ein Schilling, trinke eins mit dem Bedienten. – Ich werde es schon aus ihm herauskriegen, sagte der Korporal und verließ das Zimmer.

Mein Onkel Toby stopfte seine Pfeife wieder; und wären seine Gedanken nicht manchmal zu der Frage abgeirrt, ob eine gerade Courtine vor einem Scherenwerke nicht ebenso gut wäre als eine gekrümmte, so hätte man wohl sagen können, daß er während des Rauchens an nichts Anderes dachte, als an den armen Le Fever und seinen Sohn.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 73-76.
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