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[35] Das Erste, was meinem Vater in den Sinn kam, nachdem die Familienangelegenheiten etwas geordnet waren und Susanna den Besitz des grünseidenen Kleides meiner Mutter angetreten hatte, war, sich nach Xenophons Beispiel ruhig hinzusetzen und eine Tristrapädie oder Erziehungslehre für mich zu schreiben; zu diesem Zwecke sammelte er zuerst alle seine zerstreuten[35] Gedanken, Bemerkungen und Notizen und heftete sie zusammen, so daß sie als Institutionen für die Leitung meiner Kindheit und meines Jugendalters dienen konnten. – Ich war meines Vaters letzter Stab; meinen Bruder Bob hatte er ganz verloren, von mir seiner Schätzung nach Dreiviertel, d.h. er war in seinen drei ersten Schöpfungsentwürfen für mich: in meiner Zeugung, meiner Nase und meiner Namengebung unglücklich gewesen, nur das eine Viertel war ihm geblieben, und dem widmete er sich nun mit nicht geringerer Hingebung, als mein Onkel Toby an seine Projektilen-Lehre gewandt hatte. Der Unterschied zwischen ihnen bestand nur darin, daß mein Onkel Toby seine ganze Kenntniß von den Projektilen aus dem Nicolas Tartaglia schöpfte, mein Vater dagegen jeden Faden aus seinem eigenen Gehirn spann, oder Alles, was andere Spinner und Spinnerinnen vor ihm gesponnen hatten, so weifte und verwickelte, daß es ihm beinahe dieselbe Mühe verursachte.
In ohngefähr drei Jahren, oder etwas mehr, war er bis fast in die Mitte seines Werkes vorgeschritten. Gleich einem jeden andern Schriftsteller mußte er manche Enttäuschung erfahren. Er hatte sich eingebildet, Alles, was er zu sagen hätte, so bündig ausdrücken zu können, daß es meine Mutter, wenn es fertig und geheftet wäre, in ihre Schürzentasche stecken solle. Aber der Stoff wuchs ihm unter den Händen. – Möge doch Niemand sagen: ich will ein Duodezbändchen schreiben!
Nichtsdestoweniger gab sich mein Vater alle erdenkliche Mühe, sein vorgesetztes Ziel zu erreichen: Schritt vor Schritt, Zeile vor Zeile, ging er mit derselben Vor- und Umsicht zu Werke (wenn auch nicht mit ganz so frommer Absicht) als Jean de la Casse, Erzbischof von Benevent, bei der Abfassung seiner Galatea, worauf Se. Eminenz vierzig Jahre ihres Lebens verwandte; und als das Ding fertig war, war es nicht halb so stark als Riders Almanach. Wie der heilige Mann das angefangen hat, muß jedem Sterblichen unbegreiflich vorkommen, der nicht in das Geheimniß eingeweiht ist (wenn man nämlich nicht annehmen will, er habe die meiste Zeit dazu angewandt, seinen Schnurrbart zu kämmen und mit seinem Kaplan primero[36] zu spielen); es wird sich also der Mühe lohnen, es der Welt zu erklären, wäre es auch nur zur Ermuthigung der Wenigen, die nicht sowohl ums Brod, als um des Ruhmes willen schreiben.
Ich gestehe, wäre Jean de la Casse, Erzbischof von Benevent, den ich (trotz seiner Galatea) hoch verehre, ein kleiner Skribent, ein bornirter Geist, ein schwaches Talent, ein schwerfälliger Kopf u.s.w. gewesen, so hätte er sich mit seiner Galatea meinetwegen bis zu Methusalems Alter hinschreiben mögen, – die Sache würde der Erwähnung nicht werth gewesen sein.
Aber das gerade Gegentheil davon war der Fall: Jean de la Casse war ein talentvoller Mann, mit einer fruchtbaren Phantasie begabt; und trotz dieser natürlichen Vorzüge, die ihn in seiner Galatea hätten vorwärts treiben müssen, lag er die ganze Zeit über unter einem Bann der Ohnmacht, so daß er während eines ganzen langen Sommertages nicht mehr als anderthalb Zeilen niederschreiben konnte. Diese Ohnmacht entsprang aus einer Ueberzeugung, die Se. Eminenz schwer bedrückte. Er meinte nämlich, wenn ein Christ ein Buch verfasse (nicht zu seiner Belustigung, sondern) bona fide in der Absicht und mit dem Vorsatze, es drucken zu lassen und herauszugeben, dann seien seine ersten Gedanken immer Versuchungen des Bösen. So sei es bei gewöhnlichen Schriftstellern; gebe sich aber ein Mann von ehrwürdigem Charakter und hoher Stellung in Staat oder Kirche zum Schriftsteller her, so brauche er nur die Feder in die Hand zu nehmen, und alle Teufel der Hölle würden aus ihren Verstecken hervorbrechen, um ihn zu verführen. Dann trieben sie ihr Spiel – jeder Gedanke, der erste wie der letzte, sei verfänglich, möchte er noch so unschuldig aussehen; wie und in welcher Form derselbe sich auch dem Geiste darbiete, es wäre immer ein Streich, den einer oder der andere böse Geist nach ihm führe und der parirt werden müsse. – So sei das Leben eines Schriftstellers, möge er auch das Gegentheil wähnen, nicht ein Zustand behaglicher Ruhe, sondern ein Kriegszustand, und seine Befähigung beweise er, ganz wie jeder andere Soldat – nicht durch Anbauen und Ernten – sondern durch Widerstand.[37]
Meinem Vater gefiel diese Theorie des Jean de la Casse, Erzbischofs von Benevent, ungemein; und wäre sie nicht ein wenig gegen seinen Glauben gewesen, so würde er gewiß zehn Morgen des besten Shandy'schen Ackerlandes dafür gegeben haben, wenn er sie ausgeheckt gehabt hätte. Inwiefern mein Vater wirklich an den Teufel glaubte, wird sich zeigen, wenn ich im weiteren Verlaufe dieses Werkes auf seine religiösen Ansichten zu sprechen kommen werde, – hier will ich nur so viel sagen, daß er sich die Ehre dieser Lehre ihrem Wortsinne nach freilich nicht beimessen konnte, dafür aber die Ehre, sie gedeutet zu haben, in Anspruch nahm; denn oft, besonders wenn die Feder nicht recht fort wollte, pflegte er zu sagen, daß unter diesem bildlichen Ausdrucke des Jean de la Casse wohl ebenso viel gute Gesinnung, Wahrheit und Erkenntniß verborgen liege, als unter irgend einer poetischen Fiktion oder einem Mysterium des Alterthums. – Anerzogenes Vorurtheil – sagte er – ist der Böse, und die Menge der Vorurtheile, die wir mit der Muttermilch einsaugen, das sind, »alle Teufel«. Die sind uns auf den Hacken, Bruder Toby, bei allen unseren Studien und Untersuchungen, und wäre Einer thöricht genug, alles das gelten zu lassen, was sie Einem aufhängen – so würde das ein schönes Buch werden! – Nichts, – setzte er dann hinzu und warf seine Feder mit einer gewissen Wuth auf den Tisch – nichts als Ammenklatsch – ein Sammelsurium von Unsinn, wie ihn die alten Weiber (beiderlei Geschlechts) im Land umhertragen.
Einen bessern Grund werde ich für meines Vaters langsames Vorwärtskommen in seiner Tristrapädie nicht angeben; er war nun, wie gesagt, drei Jahre und noch etwas mehr damit beschäftigt und hatte doch seiner eigenen Berechnung nach kaum die Hälfte des Werkes beendet. Das Unglück dabei war, daß ich während dieser Zeit ganz vernachlässigt wurde und meiner Mutter allein überlassen blieb, – dann aber, was fast ebenso schlimm war, daß der erste Theil des Werkes, auf den mein Vater die meiste Mühe verwandt hatte, durch diese Verzögerung allen Werth verloren hatte, – jeden Tag wurden ein paar Seiten überflüssig.[38]
– Ja, gewiß soll es eine Zuchtruthe für unsern Hochmuth und unsere Einbildung sein, daß selbst der Klügste von uns sich betrüget und über sein Ziel hinausschießt, weil er es zu eifrig verfolgt. –
Genug, mein Vater war so hartnäckig in seinem Widerstand, oder mit andern Worten, er schritt so langsam in seinem Werke vor, und ich lebte so rasch weiter, daß ich vollkommen überzeugt bin, er würde mich bald ganz aus den Augen verloren haben, – hätte sich nicht etwas ereignet, was – wenn wir dahin kommen, und es mit Anstand erzählt werden kann, dem Leser durchaus nicht vorenthalten werden soll.
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
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