Zweites Kapitel.

[12] Als mein Vater den Brief mit der traurigen Nachricht von meines Bruder Bobs Tode erhielt, berechnete er gerade, was die Reise von Calais bis Paris und weiter bis Lyon kosten könne.

Es war eine unglückliche Reise; jeder Schritt hatte doppelt gemacht werden müssen, die ganze Berechnung war noch einmal von vorn angefangen worden, und mein Vater war damit nun eben fast fertig, als Obadiah die Thür öffnete und meldete, daß kein Hafer im Hause sei: ob er nicht morgen ganz früh das große Kutschpferd nehmen und wegreiten solle, um welchen zu holen. – Gut, sagte mein Vater und fuhr in seiner Reise fort, – nimm's. – Aber dem armen Thier fehlt ein Hufeisen, sagte Obadiah. – Armes Thier, sagte mein Onkel Toby, bei dem die gleichgestimmte Saite gleich mitklang. – So nimm den Schotten, sagte mein Vater hastig. – Der leidet den Sattel nicht, sagte Obadiah, um nichts in der Welt. – Verdammtes Pferd; so nimm den Fellow, rief mein Vater, und mach die Thür zu. – Der ist ja verkauft, sagte Obadiah. – Noch besser, rief mein Vater und sah meinen Onkel Toby so starr an, als ob das unmöglich der Fall sein könne. – Ich habe ihn doch vergangenen April verkaufen müssen, sagte Obadiah. – So geh zu Fuße, rief mein Vater. – Das ist mir auch viel lieber, sagte Obadiah und machte die Thür wieder zu.

Plagt er mich! rief mein Vater und fuhr in seiner Berechnung fort. – Aber das Wasser ist ausgetreten, sagte Obadiah, der die Thür wieder aufmachte.

Bis dahin hatte mein Vater, vor dem Sansons Karte und ein Posthandbuch aufgeschlagen lagen, die Hand am Knopfe des Zirkels gehalten, dessen einer Schenkel bei Nevers (der letzten bezahlten Station) eingesetzt war, – mit der Absicht, in seiner Reise und seiner Berechnung fortzufahren, sobald Obadiah zum Zimmer hinaus wäre; aber dieser zweite Angriff Obadiahs, der nun die Thür wieder öffnete und das ganze Land unter Wasser setzte, war zu viel. Er ließ den Zirkel fahren, oder eigentlich[13] er warf ihn halb unwillkürlich, halb aus Aerger auf den Tisch und nun blieb ihm nichts Anderes übrig, als so klug wie vorher (was schon Manchem so gegangen) wieder nach Calais umzukehren.

Als der Brief mit der Nachricht von meines Bruders Tode ins Zimmer gebracht wurde, war mein Vater in seiner Reise bis auf einen Zirkelschritt wiederum nach Nevers gekommen. Mit Erlaubniß, Monsieur Sanson, rief mein Vater und stieß die Spitze seines Zirkels mitten durch Nevers in den Tisch hinein, zweimal an einem Abende von so einer lumpigen Stadt zurückgeworfen zu werden, das wäre doch für einen englischen Gentleman und seinen Sohn ein bischen zu viel. Was meinst Du, Bruder Toby? setzte er mit munterm Tone hinzu. – Wenn's keine Garnison hat, sagte mein Onkel Toby, – sonst aber – Will ich ein Narr sein, so lang ich lebe, sagte mein Vater und lächelte. Dann nickte er noch einmal mit dem Kopfe und lehnte sich, während er mit der einen Hand den Zirkel fest auf Nevers, mit der andern das Posthandbuch hielt, halb weiterrechnend, halb horchend auf beiden Ellenbogen über den Tisch, indeß mein Onkel Toby den Brief leise vor sich hin murmelte * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * Er hat uns verlassen, sagte mein Onkel Toby. Was? Wer? rief mein Vater. – Mein Neffe, sagte mein Onkel Toby. – Wie – ohne Erlaubniß – ohne Geld – ohne Begleitung? rief mein Vater ganz erstaunt. – Ach nein! er ist todt, lieber Bruder, sagte mein Onkel Toby. – Und ohne krank gewesen zu sein! rief mein Vater, aufs neue erstaunt, aus. – Gewiß nicht, sagte mein Onkel Toby leise, und ein tiefer Seufzer entwand sich seiner Brust; er ist gewiß krank genug gewesen, der arme Junge! dafür möcht' ich stehen, denn er ist ja todt! –

Als man der Agrippina den Tod ihres Sohnes hinterbrachte, war sie, wie uns Tacitus erzählt, unfähig, die Heftigkeit ihres Schmerzes zu bezwingen und brach ihre Beschäftigung ab. – Mein Vater stach seinen Zirkel nur noch fester in Nevers ein. Bei ihm war es allerdings eine Berechnung, – bei Agrippina muß es wohl etwas Anderes gewesen sein; denn[14] wer könnte sonst aus der Geschichte einen vernünftigen Schluß ziehen?

Was mein Vater aber weiter that, das verdient meiner Meinung nach ein besonderes Kapitel.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 12-15.
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