Zweiundvierzigstes Kapitel.

[63] – Fünf Jahre mit einem Speichelläppchen unter dem Kinn; –

Vier Jahre von der Fibel bis zu Maleachi; –[63]

Anderthalb Jahre, um seinen Namen schreiben zu lernen; –

Sieben lange Jahre und mehr zu τύπτω u.s.w. – Griechisch und Lateinisch; –

Vier Jahre positive und negative Beweise: – immer noch schlummert die liebliche Gestalt im Marmorblocke, und erst die Meißel werden geschliffen, um sie herauszuhauen. – Es geht erbarmungswürdig langsam! War nicht der große Scaliger nahe daran, sein Handwerkszeug gar nicht scharf zu kriegen? Vierundvierzig Jahre war er alt, ehe er sein Griechisch bewältigen konnte, und Peter Damianus, der Bischof von Ostia, verstand, wie Jedermann weiß, noch nicht einmal zu lesen, als er bereits ein Mann war, ja selbst Baldus, wie groß er nachher auch ward, fing das Studium der Jurisprudenz so spät an, daß Jeder meinte, er würde es wohl erst in jenem Leben bis zum Advokaten bringen. Kein Wunder, daß Eudamidas, des Archidamas Sohn, als er Xenokrates, der 75 Jahre alt war, über Weisheit disputiren hörte, in allem Ernste fragte: »Wenn der alte Mann jetzt noch über die Weisheit disputirt, wann wird er denn Zeit haben, sie anzuwenden?« –

Yorick hörte meinem Vater mit großer Aufmerksamkeit zu; unter die allergrößten Wunderlichkeiten mischte sich hin und wieder tiefe Weisheit; aus der dicksten Finsterniß schlugen ab und zu solche Gedankenblitze, daß man ganz geblendet wurde. – Sehen Sie sich vor, Sir, wenn Sie ihm nachahmen wollen.

Ich bin überzeugt davon, Yorick, fuhr mein Vater fort, indem er halb las, halb frei sprach, daß es auch in der intellektuellen Welt eine nordwestliche Durchfahrt giebt, und daß die Seele des Menschen einen kürzeren Weg einschlagen kann, um zum Wissen und zum Erkennen zu gelangen, als den gewöhnlichen. – Aber ach! nicht neben jedem Acker läuft ein Fluß, oder ein Bach – nicht jedes Kind, Yorick, hat einen Vater, der ihm diesen Weg zeigen könnte.

Das Ganze beruht – dies sagte mein Vater mit leiserer Stimme – auf den Hülfszeitwörtern.

Hätte Yorick auf Virgils Natter getreten, er hätte nicht[64] erschrockener aussehen können. – Ich erstaune selbst darüber, rief mein Vater, der es bemerkte, und halte es für einen der beklagenswerthesten Uebelstände unseres Bildungsganges, daß die, welchen die Erziehung unserer Kinder anvertraut ist, deren Geschäft es sein sollte, ihren Geist zu entwickeln und ihn mit Ideen zu befruchten, damit die Einbildungskraft sich frei bewege, bis jetzt so wenig Nutzen von den Hülfszeitwörtern gezogen haben, wie es der Fall ist, mit Ausnahme etwa von Raymond Lullius und dem ältern Pellegrini, welcher Letztere sich in dem Gebrauche derselben bei seinen Gesprächen eine solche Fertigkeit erworben hatte, daß er einen jungen Mann in wenigen Lehrstunden dahin bringen konnte, über jeden beliebigen Gegenstand ganz plausibel pro und contra zu reden und Alles, was darüber gesagt oder geschrieben werden konnte, zu sagen oder zu schreiben, ohne sich in einem Worte verbessern zu müssen, worüber Alle, die es sahen, erstaunt waren.

Ich möchte das gern ganz begreifen, unterbrach Yorick meinen Vater. – Sie sollen es, erwiederte dieser. – Die höchste Anwendung, deren ein Wort fähig ist, ist als bildlicher Ausdruck, – wodurch meiner Ansicht nach die Vorstellung gemeiniglich eher abgeschwächt, als verstärkt wird – doch lassen wir das; hat nun der Geist diese Anwendung davon gemacht, so ist die Sache zu Ende; – Geist und Vorstellung sind mit einander fertig, bis eine zweite Vorstellung auftritt u.s.w.

Nun sind es aber die Hülfsverben, welche die Seele in den Stand setzen, das ihr zugeführte Material selbstständig zu behandeln, und durch die Beweglichkeit der großen Maschine, um die es läuft, neue Wege der Untersuchung zu eröffnen und jede einzelne Vorstellung millionenfach zu vervielfältigen.

Sie erregen meine Neugierde im höchsten Grade, sagte Yorick.

Was mich anbetrifft, sagte mein Onkel Toby, ich habe es aufgegeben. – Die Dänen, Ew. Gnaden, bemerkte der Korporal, – die bei der Belagerung von Limerick auf dem linken Flügelstanden, waren auch Hülfsvölker – Und treffliche, sagte[65] mein Onkel Toby; – aber mein Bruder, Trim, spricht von Hülfsverben, und das wird wohl was Anderes sein.

Meinst Du? sagte mein Vater und stand auf.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 63-66.
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