[499] Ehe ich weiter gehe und eintrage, was geschehen ist, will ich noch des Obrists gedenken und mir seine Seele vor die Augen halten – ich muß den Mann hoch ehren, und will es in diesem Buche nieder schreiben, wie er ist. Was der Obrist sagte und tat, habe ich bisher nicht nach meinem Gedächtnisse allein aufgeschrieben, sondern nach der Handschrift, die er mir gelassen, und die er über diese Dinge aus seinen versiegelten Päcken genommen hat, wie ich ihn ja selber in diesem meinem Buche nachzuahmen versuche. Was ich weiter sage und eintrage, weiß ich ja schon längst, aber es ist mir nie so klar und deutlich vor die Augen gekommen als an diesen Tagen. Wie gut er ist, nicht nur gegen mich, sondern auch gegen alle andern, wie einfach und schön er ist, zeigt sich ja viel deutlicher in dem, was er tut, als es mit allen andern Worten je gesagt werden könnte.[499]
Da hat er oberhalb des Eichenhages die Senkung gereutet, die er sich gekauft hatte, und in der nur saures Moos, geflecktes Gras und die einzelne herbe, rote Moosbeere zwischen den dünnen Föhrenstämmen wuchs, die auch in der Nässe nicht fortkommen wollten, und hat dann Gräben schlagen lassen, hat unversumpfbares Erlenholz hinein geworfen und sie wieder überwölbt, hat Abzugskanäle und Auslaufgräben mauern lassen, hat das Ganze mit Pflügen umgerissen, durch mehrere Jahre Sämereien hinein gebaut, und hat jetzt eine Wiese daraus, die rechts oben an der Ecke des Meierbacher Weizenstückes beginnt, hinter den Eichen hinüber geht und, wenn man von den Sillerhöhen herab kömmt, weithin mit ihrem schönen, dunklen Grüne leuchtet, wo ehedem nur kaum das Grau der kleinen Föhrenbäumchen zu schauen gewesen war, und jetzt oft schon das gelblich rote Eichenlaub abfällt, wenn daneben noch die schöne, grüne Tafel schimmert. Weil aber die Wiese von dem Hause des Obrist aus nicht sichtbar ist, und überhaupt eine sanft geschwungene Wiege bildet, in der man Menschen und Tiere nicht sehen kann, außer wenn man von den Höhen der Siller herab kömmt, so haben sich die Buben, welche in unsern Gegenden gewohnt sind, auf Rainen, Gemeindeplätzen und Stoppeln einige oder die andern Stücke Rinder herum zu hüten, die Wiese ausersehen, um ihre Tiere besser und schneller zu nähren, als es sonst irgendwo der Fall gewesen wäre. Das fette Gras und die Geborgenheit mochte manchen verleitet haben, seine Pfleglinge hinein zu lassen und dem frischen Weiden derselben zuzuschauen. Als man dem Obristen diese Sache hinterbracht hatte, wurde er sehr zornig und sagte, er sehe nicht ein, warum er sich so geplagt habe, um aus dem schlechten Grunde ein schönes, gezähmtes, menschliches Erdenstück zu machen, wenn es jetzt so mißbraucht und heimlich herabgewürdigt werde. Er wolle bei[500] Gelegenheit selber hinaufgehen und sich Recht verschaffen. – Dem zu Folge ging er eines frühen Morgens, als sich wieder Verdacht zeigte, es möchte an seiner Wiese Frevel begangen werden, durch die Eichen, die hinter seinem Hause einen so schönen Hag bildeten, hinauf, und da er aus den letzten Bäumen ins Freie heraus getreten war, sah er auf seiner Wiese vier schöne, dunkelrotbraune Rinder weiden und einen in Grau gekleideten Buben nicht weit davon stehen. Die Nässe tat den Füßen des Obrists von jeher nicht gut, aber dennoch ging er mit den Lederstiefeln sachte in den sehr starken Frühtau, der auf den Gräsern der Wiese lag, hinein, um den Buben zu haschen, der mit dem Rücken gegen ihn stand. Er setzte die Füße in dem hohen Grase, in welchem Wasser und Spinnenfäden hingen, vorwärts, bis er nur mehr einen Büchsenschuß weit von dem Buben entfernt war. Da fiel ihm ein, derselbe möchte zu sehr erschrecken und etwa krank werden, wenn er ihn plötzlich ergriffe. Darum machte er ein kleines Geräusch, daß er es höre und davon laufen könne. Der Hirtenknabe hatte scharf gehört, er wendete sein Angesicht bei dem Geräusche, und da er den ehrwürdigen Obrist bis auf die Kniee im Grase wandeln sah, warf er sich herum und ergriff die Flucht. Er rannte, wie ein leichtfüßiges Reh, durch die Wiese, schwang sich über den Graben, lief immer fort, gegen die Siller hinüber, verschwand unter den Gesträuchen, die sich da gegen die Tiefe und die Felder hinab ziehen, und der Obrist stand mit dem schönen Gewande im Grase. Er trieb nun die vier Rinder aus der Wiese hinaus, er trieb sie gegen das Gereute hinan, wo Weidegrund ist, und leitete sie zwischen den zerstreuten Haselbüschen, die dort stehen, auf die Weide, bis er überzeugt war, daß sie nun nicht mehr auf die Wiese zurückkehren und auch niemanden anderm auf ein Grundstück gehen könnten. Dort verließ er sie und[501] ging nach Hause. Weil er den Rückweg auf einem staubigen Wege machte und außer den Stiefeln auch manche Kleiderzipfel naß waren, kam er sehr beschmutzt nach Hause. Dem Knechte sagte er nichts über den Erfolg seines Feldzuges.
Die Sache breitete sich aber aus, und wenn jetzt ein Bube sich verleiten ließ, hinter dem Walde in die schöne Wiese mit einem Rinde hinein zu kommen, so stand er immer so, daß er das Angesicht gegen den Eichenhang wendete, wo der Obrist heraus zu kommen drohte.
Wirklich kam der Obrist einmal eines sehr frühen Morgens aus den Eichen heraus, da eben ein Knabe zwei Kühe auf der Wiese hütete. Der Knabe sah den Obrist kommen, konnte die Kühe nicht schnell genug wegschaffen, und ergriff, sie im Stiche lassend, die Flucht. Diesmal trieb der Obrist die Kühe nicht auf die Haselweide ins Gereut hinauf, sondern als Pfand in sein eigenes Haus, wo er sie in dem Stalle anhängen ließ. Gegen Mittag kam ein Weib, eine Witwe, aus dem Sillerwalde gebürtig, zu ihm in das Haghaus herauf und sagte, daß ihr die Kühe gehören, die er gepfändet habe, daß sie ihr einziges Gut seien, daß sie den Buben schon gestraft habe, weil er in fremdes Eigentum gegangen sei, daß er es nicht mehr tun werde, und daß sie bitte, der Obrist möchte ihr die Kühe ausliefern lassen, weil sie und ihr Knabe davon leben. Der Obrist ließ ihr die Kühe, die gut gefüttert worden waren, herausgeben, und gab ihr auch, wenn sie etwa als ein Weib mit dem Zuhausetreiben nicht zurecht kommen könnte, einen Knecht mit, der ihr helfen mußte. Weil aber später die Gerichte von dieser Sache Umgang nahmen und, obwohl der Obrist erklärte, daß er auf allen Schadenersatz verzichte und der Witwe alles schenke, doch von derselben mit Auslassung des Schadenersatzes den Wiesenfrevelbetrag, der von den Gesetzen auf solche Fälle gesetzt ist, unabwendbar[502] verlangten, so blieb dem Obristen nichts übrig, als der Witwe die Summe zu schicken, daß sie dieselbe den Gerichten erlege.
Weil er auf diese Weise nicht immer in das Gras gehen, Rinder nach Hause treiben und den Leuten den Grundfrevelbetrag geben wollte, und weil er auch dem Altknechte, der sagte, man solle nur die Sache ihm überlassen, sie doch nicht überließ, weil er sie nicht recht machen könnte, so fing er im Winter, ehe die Erde fror, einen Zaun um die Wiese zu ziehen an, fuhr im nächsten Frühjahre damit fort, bis, ehe die Blümchen weiß und gelb die ganze Wiese überzogen, dieselbe von allen Seiten mit einem starken, stattlichen, hohen Gehege umgeben war. Er hatte die Pfähle aus Eichen gemacht und unten anbrennen lassen, daß sie doch eine gute Zahl von Jahren hielten. Die Spelten zu den Mittelstücken waren Tanne, schlank gespalten und gut in einander geflochten – eine Art, wie man bei uns bis dahin die Zäune nicht gemacht hatte, und wie sie ihm in andern Ländern, die er früher besucht hatte, vorgekommen waren. Zur Einfahrt der Wägen in die Wiese hatte er eine Holzgittertür machen lassen, die mit einem eisernen Schlosse verschlossen war. Schlüssel dazu wurden sieben verfertigt, die an einem schnell in die Augen fallenden Pfosten der Scheune hingen, damit niemand mit dem Aufsperren in Verlegenheit komme, wenn etwa einer, der schon einen Schlüssel in der Tasche habe, in den Feldern damit herum gehe. Wie er überhaupt gerne baute, hatte er auch kurz darauf, als er den Zaun angefangen hatte, schon seine Freude daran, er nahm mehr Arbeitsleute, ging täglich mehrere Male hinaus, ordnete alles an, sah zu, daß es recht gemacht werde, und legte nicht selten Hand an, um den Leuten zu zeigen, was sie nicht wußten. Ich stand öfter bei ihm auf der Wiese, wenn ich ihn zu besuchen hinauf kam; die verschiedenen Feuer rauchten, an denen die Pfähle[503] angebrannt wurden, und wir sprachen von mannigfaltigen Dingen. Als der Zaun fertig war, ging er freudig herum, rieb nach seiner Art die Hände und sagte: »Jetzt wird keiner mehr hereintreiben. Ich hatte sehr unrecht mit der Wiese. Da sieht man gleich, wenn man nicht das rechte Mittel wählt; da ist man genötigt, in die schiefen Folgen einzugehen, und wird in lächerliche Handlungen verwickelt. Nun ist alles gut.«
Auch die Wiese liebte er jetzt mehr als früher, da er sich so lange mit ihr beschäftigt hatte, und sie sah in den folgenden Jahren noch schöner und noch grüner aus als in allen vorangegangenen.
Seine Leute sagten, er werde durch solche Dinge sein Ansehen einbüßen, wenn er so schwach sei, wenn er sich mißbrauchen lasse, und wenn er nicht ein Mal ein Beispiel der Strenge aufstelle; aber er büßte es nicht ein, und wurde vielmehr von jedermann in der Gegend verehrt und geliebt. Seine Hausgenossen selber, wenn er lächelnd einen Fehler verwies und mit Gründen in denselben einging, nahmen sich in acht, daß sie in Zukunft diesen Fehler nicht mehr machten. Freilich machten sie dafür einen andern. Er war aber auch zuweilen in Fällen, wo es sein mußte, unbeweglich, und gab nicht nach, wenn man auch mehrere Jahre an ihm Versuche machte. So war es der Fall mit der Sillerbrücke. Kein Mensch kann eigentlich, wie es niemand so weiß wie ich, der ich zu meinen Kranken auf allen Wegen herum muß, an dem Sillerbruche, wo sie auch aus Nachlässigkeit den Waldsturz mit den so vielen Blöcken und Steinen in das Tal niedergehen ließen, über den reißenden Bach gelangen, der von dem oberen Walde herabgeht, Steine, Gerölle mit führt, Holz und Schlamm wälzt, da ich ihn nach Regen wild und gelb niederhadern sah, als wollte er alles zerreißen und zerschleudern – kein Mensch kann eigentlich hinüber gelangen, wenn nicht in heißen Sommern[504] die Steine meistens trocken liegen und das Waldwässerlein zahm und dunkel zwischen ihnen auf dem schwarzen Moossamt, den es selber macht, dahin geht und dann sind auch noch solche Ausbrüche, Vertiefungen, Löcher, Knollen, daß kein Rad durchsteigen und sich heraus heben kann. Die vom Gehäng, von Haslung, von Sillerau, von dem oberen Astung, der Meierbacher, die Erlehöfe, der Obrist und ich selber – wir alle nehmen das Holz von dem obern Pufter, und wir nehmen es gerne, weil er unerschöpflich ist, weil dort die schönste Weißbuche steht und in der Wildnis sich der Brennstoff recht kräftigt und stärkt – endlich kömmt es auch ein Sechsteil billiger. Aber wir müssen an dem Sillerbruche damit vorbei fahren und müssen über den Bach kommen. War es nicht in dem Sommer vor drei Jahren eine Qual, wo weithin jenseits die Hölzer geschichtet lagen, manches mühselig durchgeschleppt, manches an bequemern Orten sogar geworfen werden mußte? Der Graf draußen, weil er zur Herstellung der Brücke, die vorlängst zu Grunde gegangen war, seinen Teil durch Herkommen beitragen mußte, bewies den Umwohnern zwei Jahre lang, daß eine Brücke an jener Stelle gar nicht nötig sei, und die Leute glaubten es fast – sie durften ja dann das wenige, was ihnen zum Baue auflag, auch nicht entrichten; aber der Obrist bewies ein Jahr entgegen, daß es ein schreiendes Übel sei, was da bestehe, daß die Leute bei den mühevollen Plagen, mit denen sie größtenteils selber ihr Holz an jener Stelle weiter schaffen, ihre Zeit und ihre Gesundheit verlieren, und daß es eine Schande für die menschliche Vernunft ist, zu sagen, es sei etwas zweckmäßig, was jedem Zwecke Hohn spricht – er fuhr unablässig zu dem Amte, wir, er und ich, standen zusammen, bis wir es zuletzt durchgesetzt hatten. Der Bau wurde aufgetragen, und die Schuldigkeiten waren nach und nach endlich auch alle entrichtet. Da ging der[505] Obrist her und gab von seinem Gelde so viel, daß man von beiden Seiten Anläufe aufmauern und die Brücke hoch über dem Bache von Stein aufführen konnte. Er läßt jährlich nachschauen und ausbessern, wenn etwas beschädigt ist, und erklärt jährlich dazu, daß es seine Schuldigkeit nicht ist, damit es sich nicht verjähre und auf seinem Haghause als Dienstbarkeit sitzen bleibe.
Da ich von Prag zu Fuße fort ging, weil ich meine Lernzeit, die ich der Heilwissenschaft widmen mußte, zu Ende gebracht hatte, und ein Pergament in dem Ränzlein trug, das mich zum Doktor der hohen Kunst ernannte und mich der Zunft der Heilmänner einverleibte, als ich viele Tage lang sachte durch das schöne Land der Böhmen gegen Mittag ging, von wo mir die Bläue des Waldes immer deutlicher und näher entgegen schimmerte – als ich endlich diesen Wald und die Gegend meiner Heimat erreicht hatte, um mich dort bleibend anzusiedeln und den Menschen Gutes zu tun: da war ich der einzige in dem Walde, der etwas anderes gesehen hatte als eben den Wald – die andern waren da aufgewachsen, und sahen, was sie alle ihre Jugendzeit gesehen hatten. Wer einmal Berge, auf denen die geselligen Bäume wachsen, dann lange dahin ziehende Rücken, dann das bläuliche und dunkle Dämmern der Wände und das Funkeln der Luft darüber lieb gewonnen hat, der geht alle Male wieder gerne in das Gebirge und in die Wälder. Ich kam nicht in die Gegend meiner Heimat zurück, um mich da zu bereichern, sondern um in all diesen Tälern, wo die Bäche rinnen, und auf den Höhen, wo die Tannenzacken gegen die weiße Wolke ragen, zu wirken und denen, die da leben, Wohltaten zu erweisen. Ich war sehr jung. In dem Lande weit herum war kein eigentlicher Arzt, sondern manche Frau, die in verschiedenen Dingen erfahren war, riet Mittel und gab sie den Leuten – mancher Bürger[506] oder Bauer war in den Ruf gekommen und half in verschiedenen Schäden – mancher Krämer kam mit einer Tragbahre und hatte Fläschchen mit Dingen und Säften, die die Leute kauften und in ihren Hausschrank stellten als Mittel für allerlei Fälle, die in den Jahren hinum vorkommen konnten. Mancher, der in eine tiefe und heftige Krankheit verfiel, starb auch in der Einöde der Wälder dahin, wo ihn ein Mann, der Erfahrung hatte, hätte retten können. Als ich zu der grauen Hütte meines Vaters kam, die nicht dort stand, wo mein jetziges Haus sich befindet, das ich zum Schutze gegen die Winde und das Wetter in die sanfte Niederung herabgestellt habe, sondern hoch oben auf dem Hügel, der jetzt hinter dem Garten, den ich anlege, empor steigt, wie es alle die Waldhäuser gewöhnlich sind, die man auf den Hügel hinbaute, wo man zu reuten angefangen hatte, daß sich um sie herum Wiesen und Felder ausbreiten, und sie dann mit den vielen kleinen Fenstern, die in das Holz der Wand gesetzt sind, in dem Sonnenscheine des Waldes weithin leuchten – – als ich in der grauen Hütte angelangt war, auf deren flachem Dache, wie auf den andern, die vielen Steine liegen, sagte ich gleich: »Gott grüße Euch, Vater, seid willkommen, Schwestern, ich werde jetzt immer bei euch bleiben, ihr müsset mir da das Seitenkämmerlein ausräumen, dessen zwei helle Fenster auf den hohen, fernen Wald hinausschauen, da will ich die Sachen hineintun, die in Kisten von Prag kommen, will die Fläschchen aufstellen, werde darin wohnen und die Leute, die krank werden, heilen.«
Der Vater stand seitwärts, und getraute sich nicht, weil er nur ein Kleinhäusler war, der ein Gespann Kühe und etwas Wiesen und Felder hatte, davon er lebte, den Sohn zu begrüßen, der ein Gelehrter geworden war und da heilen wollte, wo niemals ein Doktor oder ein Arzt gesehen worden war. Der Sohn hatte aber einstweilen das[507] Ränzchen abgeworfen, hatte das Barett und den Knotenstock auf die Bank gelegt, und nahm den Vater an der Hand, legte den Arm um den groben Rock seiner Schulter und küßte ihn auf die Wange, aus der die Spitzen des weißen Bartes stachen, und an der das schlichte, weiße Haupthaar niederging. Der Vater weinte, und der Sohn tat es schier auch. Dann nahm er die Schwestern, eine nach der andern, und sagte: »Sei mir gegrüßt, Lucia, sei gegrüßt, Katharina, wir bleiben alle beisammen und werden gut leben.«
Dann ging es sogleich an das Ausräumen. Die Schwestern fingen an, die Schreine zu leeren, die da standen, der Vater trug selber manches Frauenkleiderstück, das ihm in die Hände kam, hinaus, der Hirtenbube Thomas, der jetzt mein Pferdeknecht ist, und den der Vater damals hatte, daß er als Bube in der kleinen Wirtschaft helfe, kam auch gegen Abend nach Hause und half mit. Es wurde der große Schrein, der immer seit Menschengedenken in dem Gemache gestanden war und den größten Teil desselben eingenommen hatte, mit dem Beistande des Thomas, des Vaters, der Schwestern und mit meiner eigenen Hülfe hinausgebracht, der Tisch, der in dem größeren Zimmer stand, wurde hereingestellt, daß ich darauf schreiben könnte, der Vater wollte sich derweil, bis ein neuer verfertigt würde, mit einem anderen zum Essen behelfen, der bisher immer in dem Vorhause gestanden war und zusammen zu fallen drohte – ein Kästchen, das in der großen Stube bisher gedient hatte, daß Nägel, Bohrer und dergleichen darin lagen, wurde in das Gemach gestellt, damit ich meine Fläschchen mit den Arzneien, wenn sie ankämen, hinein tun könnte – Lucia hatte unterdessen auch ein Weib aus den unteren Häusern herauf geholt, und man fing an, den Fußboden zu waschen und zu scheuern. – – Mitten unter diesem Getreibe wurde ich zu meinem ersten Kranken gerufen. Der[508] Knecht des Meilhauer lag schon mehrere Tage darnieder, und alles, was ihm die Hausleute und die Bekannten rieten, hatte nicht helfen wollen. Man hatte gehört, daß ich heute nachmittag gekommen sei, und schickte einen Boten herauf, daß ich kommen und helfen möchte. Ich machte mich auf und ging den Weg, der gar nicht kurz ist, durch den Wald, durch den Thaugrund, durch die Weidebrüche und die ebenen Felder hinunter. Es brannten schon die Lichter, als ich anlangte. Der Mann, der im Bette lag, hatte ein Fieber, das er durch starke Verkühlungen sich zugezogen hatte. Ich konnte nicht wirksam eingehen, weil ich meine Notwendigkeiten, die mir dienen sollten, noch nicht hatte, aber ich tat mit Wasser, mit Umschlägen, mit Wärme- und Kälteverhältnissen und mit Vorschrift für die Nahrung alles, was ich tun konnte. Die Menschen standen alle herum und schauten mich an, weil sie noch nie einen Arzt gesehen hatten. Da der helle Sternenschein an dem Himmel stand und ganz leichte Nebel um die Gründe woben, ging ich nach Hause. Über die frischen Höhen hin stand die feuchte Nachtluft des Waldes, die ich schon wieder entwöhnt war, weil in der Stadt eine trockene und staubige geherrscht hatte. Sonst war es aber warm genug; denn die Zeit ging noch kaum gegen Anfang des Herbstes.
Da ich wieder in unsere Hütte kam, brannte eben falls auf der Leuchte ein lustiges Feuer, welches die ganze große Stube taghell erleuchtete. Als ich eintrat, wurde eine Kerze angezündet. Katharina führte mich, da sie dieselbe trug, in mein Zimmer und zeigte mir dessen Einrichtung. Wo der große Kasten gestanden war, war jetzt recht viel Raum, und das Zimmer schien selber viel größer, als es sonst gewesen war. Auf der Stelle des Kastens stand jetzt ein Bett – schneeweiße Tücher waren über dasselbe gespannt, und es harrte auf mich, um in der Nacht meine ermüdeten Glieder aufzunehmen. Der Tisch, den man[509] mir gegeben, war ebenfalls schneeweiß gescheuert, und auf dem Fußboden knisterte der Sand, den man in der Feuchte einstweilen aufgestreut hatte. Die beiden Fenster waren offen, in dem großen Ofen brannte ein Feuer, damit das ganze Gemach lüfte und trockne. Ich dankte Katharina, sagte, es sei recht schön, und ging wieder in die größere Stabe hinaus. Der Vater fragte mich, weil bei uns alle Leute sich kennen und Anteil an einander nehmen, wie es dem Knechte des Meilhauer gehe. Ich sagte, daß das Fieber entzündlich sei, daß ich jetzt noch nicht viel sagen könne, daß ich morgen schon sehen werde, und daß ich hoffe, ihn bald heraus zu bringen.
»Tue das, Sohn,« antwortete der Vater, »tue das.«
Den gebrechlichen Tisch, der in dem Vorhause war, hatte man in die Stube herein gebracht, und er stand mit weißen Tüchern aufgedeckt und mit Tellern und Eßbestecken beladen da. Daß er nicht breche, hatte man an den einen Fuß, der der schlechteste war, einen Stab angebunden, der die Tafel stützte. Nun wurde das Abendmahl aufgetragen, und wir setzten uns alle dazu. Es war sogar eine Flasche Wein da, die der Vater neulich, da er wohl meine Ankunft, aber nicht den Tag wußte, zur Feier derselben nach Hause gebracht hatte, da er auf dem Lande draußen gewesen war. Als das Mahl verzehrt und der Wein getrunken war, begaben wir uns alle zur Ruhe. Die Schwestern hatten rückwärts ein Kämmerlein, das gegen den Garten hinausging, und in dem die zwei Betten standen und ein Kasten, in den sie ihren Putz oder etwa andere Schätze taten, die sie gelegentlich bekamen. Der Bube Thomas ging in das Heu, und der Vater legte sich in das Ehebette, das in der großen Stube stand, und aus dem ihm die Gattin schon längstens, daß ich mich ihrer kaum mehr entsinne, weggestorben war. Ich schloß meine zwei Fenster, schürte im Ofen die noch übrige Glut auseinander, daß es nicht zu warm werde, und bat[510] Gott, da ich mich zum ersten Male in mein Bett niederlegte, daß er mein hiesiges Wirken segnen wolle.
Am andern Morgen frühe ging ich zu dem Knechte des Meilhauer hinab. Als ich wieder zurück kam, waren an meinem Fenster zwei sehr schöne, weiße Vorhänge, die gestern noch nicht gewesen waren, und die Katharina aus irgendeinem schönen Linnen gemacht hatte. Ich freute mich darüber und dankte ihr sehr. Es warteten bereits wieder viele Leute, die in verschiedenen Dingen meinen Rat und meine Hülfe verlangten. Ich redete recht freundlich mit ihnen und nahm die kleine Gabe, die sie darboten, an. Ich hatte jedes einzeln in mein Gemach kommen lassen, auf dessen Tische noch nicht einmal ein einziges Blatt Papier lag, sondern nur mein Stock und mein Barett. Der Vater hatte viele Freude und ging mit einem sonnenscheinhellen Gesichte in dem Hause herum. Bei den Schwestern schien es auch, als hätten sie schönere Gewänder an, als ich es sonst an ihnen zu sehen gewohnt war. Nachmittag bestellte ich bei dem Schreiner, der nicht weit von uns wohnte, einen Tisch, das erste, was ich aus meinem Erwerbe anschaffen und aufbauen lassen wollte: dann ging ich zu jenen Kranken, die Vormittag nicht zu mir hatten kommen können, sondern nur die Bitte geschickt hatten, daß ich sie besuchen möchte.
So ging es nun fort. Nach einigen Tagen kamen die Kisten, die ich in Prag mit Dingen meines Berufes gefüllt und einem Fuhrmanne empfohlen hatte. Ich packte sie aus und richtete mein Zimmer damit ein. Es war recht schön; die Fläschchen standen in dem Kästchen, und auch außer demselben auf dem Tische herum – die anderen Sachen kamen in Laden des Kastens oder des Tisches, bis der Arzneischrein fertig wäre, den ich mir wollte machen lassen, und zu dem ich schon die Zeichnungen angefangen hatte. Die Bücher wurden außen auf dem Kasten aufgestellt, und auf den Tisch wurde Papier zum Schreiben[511] getan und Tinte und Federn, daß ich mir aufzeichnen konnte, was ich jedem Kranken gegeben habe und wie ich bisher mit ihm verfahren sei, daß ich nicht irre und Unheil anrichte. Nachmittag schien die Sonne recht freundlich in das Gemach, ich zog die Vorhänge zu, wenn ich nach Hause kam, und dann war es dämmerig und lieb um alle Dinge, weil weiße Vorhänge das Licht nicht brechen, sondern bloß milder machen; nur daß doch hie und da ein Sonnenstrahl hereinbrach und einen Blitz auf den weißen Boden legte. Die Zimmerwände waren zwar nur von Holz, aber sie waren nach innen sehr gut gefügt und an einigen Stellen mit Schnitzwerk versehen. Gegen hinten zu war eine Bank, die an der Wand und an dem Ofen hin lief, und alles war recht reinlich und klar. Auch die äußere Stube und die andern Räume der Hütte hielten die Schwestern viel reiner, als das alles sonst gewesen war. Das Holz um die Hütte herum, das schon im Sommer für das Bedürfnis des Winters nach und nach gesammelt wurde, war immer sehr genau geschlichtet, und die Gasse war alle Tage gekehrt. Lucia, die eine gute Köchin zu sein vermeinte, brachte bessere Gerichte auf den Tisch, zu denen auch ich bereits einen Teil beizutragen im Stande war.
Der Knecht des Meilhauerbauers ist in zwei Wochen gesund geworden, er ist an einem Sonntage zu mir heraufgekommen und hat mir von seinem Lohne ein wenig Geld geben wollen, ich habe es aber nicht angenommen, in Anbetracht, daß er ein Knecht ist.
Damals war es in der Gegend nicht so, wie es jetzt ist, obwohl nur wenige Jahre vergangen sind. Die Veränderungen sind dennoch bedeutend gewesen. Es mochte sich einst ein großer, undurchdringlicher Wald über alle die Berge und Täler ausgebreitet haben, die jetzt meine Heimat sind. Nach und nach hat sich die eine und andere Stelle gelichtet, je nachdem entweder ein mächtiger[512] Kriegsfürst oder anderer Herr große Stücke Eigentum in dem Walde erhalten und Leute hin geschickt hat, daß sie an Stellen, die sehr bequem lagen, Holz fällen und aufschlichten sollen, damit er aus seinem Besitze Nutzen ziehe – oder ein armer Mann um weniges Geld in der Wildnis sich einen Platz gekauft hat, den er reutete, auf dem er sich anbaute, und von dem er lebte, – oder ein Teerbrenner, ein Pechhändler die Erlaubnis erhielt, an abgelegenen Orten, die sich kaum durch Jagd oder sonst etwas nutzbar machen konnten, seine Beschäftigung zu treiben, wo er sich dann anbaute und verblieb, – oder einem Wildschützen, einem Wanderer, einem Vertriebenen ein Plätzchen gefiel, an dem er sich ansiedelte, und von dem aus er wirkte. Es soll auch einen Mann gegeben haben, der eine Wünschelrute besaß, mit der er Metalle und Wasser in der Erde entdecken konnte; er ist aber sehr arm geblieben, und nachdem sie ihn draußen hatten steinigen wollen, ist er in die fernste Tiefe des Waldes entflohen. Von ihm soll sich der Anfang der oberen Brentenhäuser herschreiben. Alle diese, die sich an vereinzelten Stellen des Waldes befanden, oder wenigstens viele von ihnen hatten Nachkommen, die sich nicht weit von den Eltern ansässig machten, und so mag es gekommen sein, daß die verschiedenen Häuser oder Orte, die an den einzelnen Hügeln des Waldes zerstreut liegen, entstanden sind. Es wird wohl ein jeder, der sich eine Hütte baute, die tieferen Orte des Waldes, die feucht und dumpfig sind, gemieden und sich einen höhern, luftigen ausgesucht haben. Dort lichtete er den Wald um die Hütte, legte sich eine Wiese an, davon er ein paar Rinder nährte, ließ seine Ziegen und Lämmer in das Gesträuche des Waldes gehen, und machte sich wohl auch ein Feld und ein Gärtchen, das er bearbeitete. Daher kam es, daß jetzt so gerne die Waldhäuser, schier jedes allein, auf einem Hügel liegen, und von Hügel zu Hügel, von[513] grünem Abhange zu Abhange auf einander hinüber grüßen. Sie sind alle aus Holz gebaut und haben flache Bretterdächer, auf denen die großen, grauen Steine liegen. Wenn man auf einem Berge steht, sieht man die Fenster dieser Häuser glänzen, und wenn man tief in den Wald zurückgeht und auf einen Kamm steigt, von dem man die Häuser nicht mehr sehen kann, so steigen von verschiedenen Stellen aus der Dämmerfarbe des Waldes Rauchsäulen auf, die ihre Lage bezeichnen. So eine Hütte war auch die meines Vaters, sie lag ziemlich weit von dem Dunkel der Tannen, gute Wiesen gingen gegen sie her, und von ihr streckte sich ein grüner Hang hinab, der sehr feucht war, aber mit einem Grün prangte, das den Schein des Smaragdsteines erreichte. Hinter der Hütte war ein Garten, in welchem Gemüse wuchsen und sogar einige Blumen gezogen wurden. Während ich in Prag war, hatte der Vater auch auf dem trockenen Grunde ein Feld bereitet, das der Bube Thomas mit Hülfe der Schwestern besorgte.
So war es genau noch, als ich nach der Beendigung meiner Wissenschaften in meine Heimat zurückkehrte. Von dem hinteren hohen Walde, der noch in der ursprünglichen Schönheit und Unentworrenheit prangte, ging ein angenehmer Waldwinkel herum, es blickte schon hie und da ein hellgrüner Fleck, und wenn Ernte war, ein goldener aus der finstern Farbe des Waldes hervor, die Flecke wurden immer mehr, je weiter man gegen das Land hinaus kam, bis endlich, wo es ebener wurde, wallende Felder gingen, mancher Kirchturm schimmerte und glänzte, und sich nur schmale Streifen vom Gehölze dahin zogen. In dem Waldwinkel, weil er sich sehr günstig bog und sich gegen die Sonne lehnte, war es im Sommer sehr warm, ja oft heißer, als man es sich denken kann, aber im Winter auch sehr kalt, es war hoher Schnee und ein Gestöber, wie man es sich ebenfalls nicht zu denken vermag.[514] In jedem Tale und in jeder Krümme des Waldlandes zog und rauschte ein Bächlein, und floß zwischen den Gebüschen, die in dem Talgrunde und in den Rinnen standen, wie warme, feuchte Waldluft, bis draußen, wo die Getreide begannen, breite Bäche flossen, ein Fluß wandelte und eine trockne Luft über die Felder und die Häuser der Menschen ging. Die Waldbewohner nannten jenen fruchtbaren Strich nur immer das ›Land draußen‹.
Da ich, um mein Amt auszuüben, nach Hause kam, hatte sich der Anbau der Felder schon viel näher und unterbrechender in die Wälder herein gezogen, allein in der Gegend, wo das Haus meines Vaters lag, breitete sich noch immer viel weiter das Dunkel und Dämmer des Waldes aus, als der Schimmer und der Glanz des Getreides.
Aber etwas anderes hatte sich verbessert, dessen Nutzen ich sehr bald, als ich mich in der Gegend aufhielt, empfinden lernte. Es waren, da ich als Knabe fortzog, schier keine anderen Wege als nur Fußwege durch die Gehölze und auf den Höhen herum. Wo man fahren konnte, hatte sich der Weg nur durch Gewohnheit gebildet, indem man nämlich die Gründe, wo ein Wagen gehen konnte, benützte, und sich so die Gleise bildeten, auf denen dann in der Zukunft die Wägen sich folgten. Aber da der Boden der Gleise ungleich dicht war, entstanden Gruben und Vertiefungen, welche das Fahren zu einer schweren Arbeit machten, wenn man Holz oder etwas anderes nach Hause zu schaffen hatte. Daß man sich auf einen Wagen setzen und sich auf demselben fortfahren lassen könne, bloß zu dem Behufe, daß man nicht gehen dürfe, davon hatten die Waldbewohner keinen Begriff. Es wäre auch beschwerlicher und viel langsamer gewesen als das Gehen; sie setzten sich nur auf einen Wagen, wenn derselbe zufällig leer war, um etwas fahr, und hauptsächlich auf einem schmalen, von Gestrüpp begrenzten und[515] morastigen Wege ging, daß man nicht an seiner Seite her gehen konnte. Dann saß derjenige, der das Gespann lenkte, fast stehend auf dem obersten Rande der Leiter oder des Brettes, das den Wagen schloß, und ließ sich hin und her wiegen, wenn die Räder in Groben nieder gingen oder aus denselben empor stiegen. Die Bewohner der Ebene aber hatten in der Zeit, durch das Beispiel und die Belehrungen eines Mannes angeregt, der unter ihnen große Besitzungen hatte, angefangen, ganz ordentliche Straßen zu bauen, wie man sie immer in den Ländern sieht, wo die Fuhrleute fahren und die Waren gehen. Sie bauten diese Straßen nicht etwa bloß von Ort zu Ort, sondern, da sie den Nutzen derselben einsehen lernten selbst in die Felder und wo überhaupt öfter ein beladener Wagen zu gehen hat. Die Schönheit dieses Dinges lenkte die Augen auf sich. Die Waldleute, da sie öfter hinauskamen und sahen, wie die Wägen auf den breiten, festen und fast gewölbten Fahrbahnen dahin rollten, als ob die Tiere ledig gingen, freuten sich darüber, und bauten zwar im Gebirge keine Straßen, weil sie sagten, das geht bei uns nicht, aber sie warfen doch in die Gruben ihrer Wege Steine, ebneten die Oberfläche, räumten manches Gestrüppe weg, daß neben den Gleisen ein Fußweg wurde, und konnten den Morast auf ihren Wegen nicht mehr leiden, oder daß sich irgendein Bach eine Strecke des Weges zum Rinnsale erkor. Da sie bald sahen, welche große Beschwerde im Fahren sie dadurch beseitigten, und welche Mühsal nun aufgehört habe, da sie auch bald merkten, welche Ersparung an Zeit, Zugvieh und Wagengeschirr eingetreten war: blieben sie bei der einmal angefangenen Weise, und besserten immer auch die kleinste schadhafte Stelle, die sich zeigte, sogleich wieder aus. Ich hatte eine große Freude, wenn ich so meines Weges zu einem Menschen ging, der sehnsüchtig nach mir verlangte, und mir ein Landmann begegnete, der einige[516] Steine auf seinem leeren Wagen hatte, mit dem er von dem Felde nach Hause fuhr, welche Steine er auf dem Felde oder auf dem steinigten Raine desselben aufgeladen hatte, damit er sie in irgendeine Vertiefung werfe, die er auf dem Wege bemerkt hatte. Ich sah auch schon den langstieligen Hammer, den er mit führte, daß er die größeren, die sich nicht fügen wollten, zerschlage und damit die kleineren Unebenheiten verquicke. Durch diese Reinlichkeit in ihren Wegen und durch den strengeren Sinn, der sich nunmehr dafür kund gab, wurden sie aber auch weiter geführt. Mancher fing an, sein Haus und dessen Umgebungen reiner zu halten als sonst, hie und da entstand eine steinerne, weißgetünchte Wand statt der früheren hölzernen, an Sonntagen zeigten sich manche nettere und schmuckere Gewänder, und wenn die Zither klang, so wurden zwar keine neuen Weisen, denn diese blieben in Jahrhunderten fort immer dieselben, aber die alten wurden lieblicher und freundlicher gespielt.
In diesem Zustande fand ich die Dinge, als ich in meiner Heimat ankam, um meine Tätigkeit zu beginnen. Es kamen immer mehr Leute, die von mir Rat und Hülfe verlangten. Ich sprach mit allen sehr freundlich, und wenn ich auf meinen vielen Gängen vor manchem Hause oder mancher Hütte vorbei kam, wo ich bekannt war, entweder noch von meiner Kinderzeit her, oder weil ich ihnen jetzt schon einen Dienst zu leisten im Stande gewesen war, ging ich hinein und redete mit ihnen entweder von ihren eigenen Angelegenheiten, oder von andern verschiedenen Dingen. Oftmal saß ich in der Abendsonne auf der Bank vor einem Hause, und sprach oder spielte mit den Kindern, und ging dann, wenn der Himmel recht schön golden war, von den vielen Bäumen begrüßt und von dem langsamen Sausen der Föhrennadeln begleitet, durch den Kirmwald nach Hause. Die Gebirgsbewohner sind sehr verständig, und meistens sind[517] sie auch heitere, umgangswürdige Leute. Ich war wohl noch sehr jung, fast bei weitem zu jung für einen Arzt; aber sie hatten als zu einem Landeskinde Zutrauen zu mir und fragten mich zuweilen auch bei anderen Dingen als bei Krankheiten um Rat.
Ich gewann die Gegend allgemach immer lieber, und wie ich mich früher manchmal aus der Stadt in den Wald gesehnt hatte, so war es auch jetzt wieder gut, wenn ich von Pirling, was doch nicht gar weit ist, oder von Gurfeld, von Rohren, von Tanberg, wohin ich öfter gerufen wurde, nach Hause fuhr und das Grün der Tannen wieder von den Höhen herab grüßte, manches Bächlein, das zwischen den Waldklemmen ging, mir rauschend entgegen sprang, mancher Birkenstamm von den Bergen leuchtete, mancher dorrende Holzklotz am Wege lag, weil man hier nicht besonders darauf zu achten hat, und manche Baumversammlung sich immer dichter folgend an dem Wege stand, die wehenden Äste oberhalb hinüber streckend und unten an einem Stamme irgendein Bildchen enthaltend. Wenn ich von den schönen, fast gerade laufenden Straßen der Ebene hereinkam, war es mir wie ein gutes Heimatgefühl und tat mir beinahe wohl, wenn sie abbrachen und unsere schmalen, krummen, hin und her gehenden Wege anfingen, auf denen man langsamer fahren mußte.
Weil ich gleich in dem ersten Herbste zu sehr vielen Leuten gerufen wurde, die weit auseinanderlagen, daß ich es mit Gehen nicht erzwingen konnte, und weil die Fuhrwerke in den Bergen nicht zu haben sind, oder selber auf den Feldern zu tun haben, oder zu meinem Zwecke nicht taugten, kaufte ich mir selber ein Pferd, ließ in Pirling ein Wägelchen machen, und gedachte, mich in Zukunft dieser Dinge zu bedienen. Ich hatte noch im späten Herbste, da die Erde schon gefroren war, angefangen, an unsere Hütte noch einen schönen Stall aus guter doppelter[518] Bretterverschalung bauen zu lassen, deren Zwischenraum ich zuerst mit Moos ausfüllte. Hinten wurde auch noch ein kleines Hüttchen aufgeführt, darin das Wägelchen stand und noch ein schmaler Schlitten Platz hatte, den ich ebenfalls zu bauen im Begriffe war. Der Wirt am Rothberge hatte einen Goldfuchs. – Wie gerne war ich oft dort gesessen, wo der rötliche Stein aus der Erde hervorgeht, der Bach mit lebendigem Lärmen zwischen den Bergen herausrauscht, und drüben das Haus mit den vielen Fenstern herüberschaut, wenn ich müde von dem vielen Herumgehen in den Krümmungen der Waldgräben herauskam, den Stock und das Barett neben mir an den Stein legte, um mich auf einen ersehnten Trunk abzukühlen und mir die stattliche und behagliche Wirtschaft zu betrachten. Die Brettersäge kreischte hinten in dem Tale, der Bach sprudelte schneeweiß zwischen den schwarzen Waldsteinen hervor, der Platz vor dem Wirtshause war so geräumig, mehrere Bänke liefen an der Wand hin, und Leute gingen in dem Hause aus und ein, um Geschäfte zu tun. Wie oft lag der glänzendste Sonnenschein auf der Wirtsgasse, an der der schönste Fahrweg des Waldes vorbeiging, und beleuchtete die vielen Fenster, die auf den Weg hinaus schauten. Wie oft aber stand auch die Sonne schon tief, machte die Holzverzierungen an dem Wirtshause, die Bänke und die Ranken, die an der Wand hinauf gingen, rot, und legte sich schief gegen den Waldrücken hinüber, daß er einen langen Schatten auf den Rothberg warf, an dem sich die Waldhäuser wie graue Punkte hinunter zogen. Dann ging ich, wenn ich mir alles betrachtet hatte, wenn die Hitze des Körpers vergangen war, und wenn die müden Füße ein wenig erquickt waren, über den Steg, trat auf die Gasse des Wirtshauses und trank mein Glas, das man mir heraus gebracht hatte, denn gewöhnlich sah man mich auf meinem Stein schon sitzen und richtete das, was ich[519] brauchte, zurecht. Dann redete ich ein wenig mit Martin, dem Wirte, wenn er nicht etwa zufällig abwesend war, oder mit einem Gaste, oder mit sonst jemanden aus dem Hause. Wenn Sonntag war und die Nachmittagsgäste die Gasse füllten, saß Josepha, die Tochter des Wirtes, gerne auf dem Wiesenhange hinten, wo ein kleines Hügelchen ist, auf dem ein Apfelbaum steht, und ein Hüttchen, Tischchen und Bänklein ist, und spielte die Zither. Sie spielte sehr gut. Gewöhnlich standen ein paar Mädchen aus der Nachbarschaft bei ihr, und es trödelten ein paar Kinder zu ihren Füßen. Des Abends, manchmal auch in ganz finsterer Nacht, manchmal im Nachmittage, wenn es noch heiß war, ging ich dann an dem Buchenbestande durch das Tal des Haidgrabens zum Waldhange hinauf, wo unser Häuschen stand. – Wir redeten öfter, nämlich Martin und ich, daß es auf die Länge der Zeit nicht so dauern könne, wenn ich auf allen Wegen, die mich zu meinen Kranken führen, zu Fuße gehen sollte, daß die Mühsal endlich zu groß werde, ja daß sie immer wachse, wenn meine Arbeit sich ausdehne und Leute in allen Richtungen um Beistand verlangen. Es ist auch eine strenge Pflicht, daß man ihnen den Beistand leiste, und wenn man zu Fuße geht, kann man nicht so viel des Tags verrichten, als etwa not täte, und wenn die Hülfe schleunig geleistet werden solle, kann man leicht später kommen, als sie noch fruchtet. Er sagte öfter, ich solle mir ein Wägelchen und ein Pferd anschaffen, und in den Wegen, wo es leicht gehe, fahren; es blieben noch genug Pfade übrig, die ich doch zuletzt zu Fuße wandeln oder erklimmen müsse. Ich antwortete ihm darauf, daß ich in unserer Hütte noch keinen Platz habe, um ein Pferd und ein Wägelchen unterbringen zu können, und daß ich daher noch eine Weile warten müsse. Aber mit der Zeit, setzte ich hinzu, wenn mich Gott segnet und die Leute mir vertrauen, werde ich es schon tun, und es ist meine[520] Schuldigkeit, daß ich es tue, damit ich in größerer Entfernung und schleuniger wirken könne.
»Ach unser Doktor«, sagte der Josikrämer, der einmal zufällig bei einem solchen Gespräche zugegen war, »geht schon noch eine Weile, er ist jung und gerüstet. Wenn ich mit meinem Packe auf allen Wegen bin, so sehe ich ihn auch, wie er durch den Wald oder in den Feldern geht und seinen Stock in den Sand stößt.«
»Ja, das Gehen durch Wald und Feld ist schön,« antwortete ich, »man kann nicht begreifen, wenn man in einer Stadt ist, daß es dort Leute gibt, die immer in der Stube sitzen, oder durch ihren Beruf in einem Laden oder Gewölbe gehalten werden, und nur des Abends unter ein paar schlechte Bäume gehen, und sagen, daß sie sich da erholen und Luft genießen. Aber wenn man von der Hast getrieben wird, wie etwa ein Mittel, das man gab, gewirkt haben mag, wenn man nicht weiß, wie viel schlechter der wird, der einen rufen ließ, derweil man durch Wald und Feld geht, und wenn noch einer wartet, der weit droben, jenseits der entgegengesetzt liegenden Höhen wohnt, und wenn man nach Hause kömmt, einen weglassen mußte, der doch auch vielleicht heute gehofft hatte, daß man komme, und wenn man denkt: hast du auch alles recht gemacht, du mußt gleich in den Büchern nachsehen; dann ist das Gehen zuweilen doch sauer, und ein ermüdeter Körper ist auch nicht so verständig, als ein ausgeruhter und rüstiger. Aber es tut nichts, es tut nichts, es geht schon noch eine Weile, wie Ihr gesagt habt, ich werde nicht müde – und oft ist ja ein Stein, ein umgestürzter Baumstrunk, ein Blick über alle die blauen Wälder in Weite und Breite – und dann geht es schon wieder. Wißt Ihr, Josi, wie wir selber einmal bei einander gesessen sind, Ihr mit Eurem Packe, und wie Ihr mir erzählt habt? Auch ist ja der Drang nicht immer gleich stark. Vor zwei Wochen war die Gesundheit so gesegnet,[521] daß ich eine Freude hatte, es blühte alles rund herum, daß ich Zeit hatte, an Dingen, die ich machen lassen wollte, zu zeichnen, daß ich, wo sie schon etwas arbeiteten, dabei stehen und zuschauen konnte, ferner, daß ich an Gehen so Not litt, daß ich mehrere Stunden lang spazieren ging, am öftersten hinauf in das Eichenhag, wißt Ihr, wo die gar so schönen Stämme stehen, ich glaube, die schönsten in unserer ganzen Gegend. – Am Rande des Hages wäre ein Platz zu einer Ansiedlung, der ausgezeichnetste Platz, wenn man die Fenster gegen die Felder hinab richtete, wo jetzt der Meierbacher reuten läßt, und gegen den Waldhang, wo unser Haus ist, und weiter weg gegen die Felder, die jenseits unseres Hauses am Mitterwege gegen die Dürrschnäbel und den Kirmwald hinauf gehen.«
So sprach ich damals im allgemeinen, und die Männer gaben mir ungefähr recht.
Den Goldfuchs, welchen der Rothberger Wirt hatte, kannte ich sehr wohl. Ich war in der ersten Zeit einige Male mit ihm gefahren, und später, da sich meine Tätigkeit ausbreitete, und wenn mich größere Entfernungen verlangten, hatte ich den Buben Thomas hinabschicken müssen, daß der Vetter Martin den Fuchs in Bereitschaft hielte. Wir nannten ihn immer Vetter, weil er wohl ein Verwandter von uns war, aber in solcher Entfernung, daß dieselbe niemand mehr angeben konnte. Mein Vater war immer erfreut, wenn ihn der Wirt Vetter nannte, und jetzt schien es mir, daß der Wirt es nicht ungern sehe, wenn ich ihn mit Vetter anredete.
Als der kleine Stall fertig war, den ich im Herbste zu bauen angefangen hatte, ging ich zu Vetter Martin hinab und redete mit ihm, ob er mir den Goldfuchs zu kaufen überlassen wolle. Da er gerade nichts dagegen hatte und wir über den Preis einig geworden waren, wurde der Fuchs samt allem Geschirre, das zu ihm gehörte, von[522] einem Knechte sogleich in den Waldhang in den neuen Stall hinauf geführt. In kurzer Frist darauf kam auch das Wägelchen aus Pirling in die Hütte, die dafür an unser Häuschen angebaut worden war, und so hatte ich nun Wagen und Pferd, mit denen ich jetzt selber und ganz allein in den Gebirgswegen herum fuhr, deren Verbesserung ich erst jetzt recht erkannte. Den Wagen richtete ich so ein, daß ich meine Bücher, meine Werkzeuge und selbst andere Dinge, die ich etwa brauchte, darin unterbringen konnte. Mitten darin saß ich und fuhr. Da der Schnee erschien und sich in den Wegen hielt, wurde der Schlitten hergerichtet. Wie oft, wenn ich in dem ersten Winter nach Hause kam, wenn ein rechtes Gestöber war und den Schnee, hoch wie Häuser, in den Waldlehnen zusammenjagte, oder wenn eine große Kälte war und die Sterne so scharf am Himmel standen, als wäre ihr Glanz selber fest zusammen gefroren, stand schon der Bube Thomas, wenn er meine Schellen hörte, vor der Tür der Hütte, und nahm mir das Pferd ab, den guten Fuchs, um es erst ein wenig um die Hütte herum zu führen und dann in den Stall zu tun. Die Schwester Katharina nahm mir, wenn ich in die Stube trat, in der der hellste Glanz von der lodernden Leuchte her herrschte und die sanfteste Wärme von dem Ofen ging, den Pelz ab, in dem Eis oder Schnee hing, zündete Kerzen an und führte mich in mein Zimmer, in dessen Ofen auch die Tannenscheite krachten, oder ein nachgelegter Buchenstock langsam in wärmeverbreitende Glut zerfiel. Ich hatte nämlich in den Ofen von innen eine große Tür brechen lassen, und damit ich das Feuer sähe, das ich so liebe, dieselbe mit einem feinen Metallgitter zu schließen eingerichtet. Lucia kochte, und der Vater ging in dem knarrenden Schnee um die Hütte herum in die Wagenlaube, und brachte die Sachen herein, die in den Schlitten gepackt gewesen waren. Ich tat die Kleider ab,[523] legte ein bequemes Hausgewand an, und saß unter de Meinen.
Meine Wirksamkeit breitete sich immer mehr und mehr aus. Ich nahm die kleinen Gaben, welche die Leute gebe konnten, an; von den Armen nahm ich gar nichts, außer es war irgendein Kleines, von dem ich wußte, daß er ihnen nicht abgehe, und daß die Zurückweisung sie kränken würde. Von den Reichen forderte ich mehr: und wie unbemerkt die Dinge flossen, so war doch Gottes: Segen dabei, und die Wohlhabenheit mehrte sich immer mehr.
Im Frühlinge konnte ich schon von Allerb ein gutes Stück Grund und Feld kaufen, das unter unserer Hütte lag, und wenn man von dem Hange hinab kömmt, recht schön eben fort läuft. Weil es dort unten viel wärmer und von Winden gesicherter ist, weil der Boden nach oben sich hin breitet, und lieblich hie und da manche Bäume stehen, wollte ich ein Haus dahin bauen, in welchem ich alle meine Lebenszeit zu wohnen beschloß. Ich hatte den ganzen Winter daran gezeichnet, um mein Vorhaben recht klar und reinlich darzustellen und es dem Baumeister begreiflich machen zu können. Ich konnte ebenfalls im Frühjahre den Bau schon ein wenig beginnen, in so ferne die Räume bestimmt und Baubedürfnisse herbeigeschafft wurden. Ich wollte dem Vater und den Schwestern mehrere recht schöne Stübchen herrichten lassen.
Der Gregordubs hatte zwei Füllen, welche im Alter nur um wenige Tage verschieden waren, und welche so gleichmäßig schwarz waren, daß keines auch nicht ein einziges weißes Härchen besaß. Freilich war die Farbe in der noch etwas vorherrschenden Wolle noch nicht anders als dunkel graubraun, aber sie zeigten, daß sie glänzendschwarze Pferde werden würden. Ich kaufte ihm die Füllen ab, und wollte sie mir recht vorzüglich für meine Zukunft erziehen. Ich nahm außer dem Buben Thomas noch einen[524] Gehülfen für ihn auf, und beide mußten mir auf die Füllen sehen, aber die Ernährung und das sonstige Verfahren mit ihnen befahl ich selber an. Für den Sommer wurde noch ein Notstall für sie erbaut, und für den Winter würde ich schon sehen, was zu tun sei.
Der Bau konnte im Sommer schon sehr gefördert werden. Ich wollte im Zusammenhange mit dem ganzen Plane doch zuerst eine Stube für mich vollständig fertig haben, daß ich noch im Winter darin wohnen könnte, dann einen Stall, worin zuerst die drei Pferde in Sicherheit wären, eine Hütte für Wagen und Schlitten, und dann jene Räume, die zu diesen Dingen noch notwendig wären.
Die Einrichtung war im Herbste schon fertig.
Aber ehe der Winter einbrach, starb der Vater und starben die zwei Schwestern. Ich hatte ihnen nicht helfen können, wie sehr ich gewollt. Die gute Katharina war die letzte gewesen.
Die Hütte stand nun allein. Ich konnte sie nicht ansehen und die Schwelle nicht überschreiten.
Obwohl ich wußte, daß die Mauern noch feucht waren, und obwohl ich wußte, daß die feuchten Mauern schädlich sein können, ließ ich doch alle meine Sachen von der Hütte in die fertige Stube herab bringen, um da zu wohnen. Ich ließ die drei Pferde in den neugebauten Stall führen, der Knecht Thomas mußte mit herab, der andere blieb in der Hütte, um die Kühe zu versorgen, die noch da waren, und das Kalb, welches wir aufzuziehen angefangen hatten. Ich hätte sie verkaufen sollen, man redete mich darum an, aber ich konnte sie nicht weg tun. Ein Weib, welches uns kochen sollte, wurde aufgenommen, und schlief in einem Kämmerlein neben der Notküche. Bei Tage, wenn ich aus war, ließ ich in allen Öfen, die schon zu benützen waren, heizen und dazu die Türen und Fenster öffnen. Des Nachts stellte ich überall, wo jemand schlief, auch in den Stall, ein weites Gefäß, in[525] welchem Pottasche war, die wir gerade vorher glühend gemacht und wieder abgekühlt hatten, damit sie die feuchten Dünste, die aus der Mauer kamen, einsaugen möchte.
Es ist ein trauriger Winter gewesen. Die Leute in der ganzen Gegend waren recht freundlich und gütig gegen mich, weil ich allein war – und wenn ich nach Hause kam, zündete ich die Kerzen an, und saß in meiner Stabe und schaute in die Bücher, oder schrieb ein, was heute notwendig geworden war.
Im Frühjahr fand ich eine Quelle, von der ich dachte, daß sie heilsam sein müsse. Sie enthält Salze, ich versuchte das Wasser und fand, daß Dinge darin seien, welche in den Quellen sind, die man als heilsam bekannt gemacht hatte.
Das Bauen wurde im Frühlinge auch wieder begonnen, da die Fröste die Erde verlassen hatten und nicht zu befürchten war, daß wieder einige kommen könnten. Im Herbste war wieder viel mehr fertig als in dem vorigen, und das bereits früher Fertige konnte besser eingerichtet werden. Es war das Haus, wenn gleich Teile fehlten, welche in meiner Zeichnung auf dem Papiere standen, daß sie nach und nach dazu gefügt werden sollten, doch für unkundige Augen so, als wäre es fertig. Wir führten die drei Kühe – denn das Kalb war unterdessen auch eine geworden – von der Hütte herab und nahmen Geräte, die notwendig oder im brauchbaren Zustande waren, mit. Der Knecht, der das Jahr oben gewohnt hatte, kam auch in das Haus herunter.
Da dieses geschehen war, ließ ich die Hütte abbrechen. Von dem Schnitzwerke, das in meiner Kammer gewesen war, ließ ich vieles in meinen Stuben, namentlich in meinem Schreibgemache anbringen; das andere hob ich so auf. Auch manche weitere Dinge, welche mir gefielen, und welche dem Gedächtnisse meiner kindlichen Jahre merkwürdig waren, ließ ich nicht zerbrechen, sondern in[526] mein Haus tragen und an verschiedenen Orten aufstellen. Da die Kälte des Herbstes kam und die Wiesen von dem weißen, schönen Reife starrten, sah man die Hütte nicht mehr; das Auge ging über den Platz frei weg bis zu dem Walde, der weiter oben anfängt und den weißen Abhang mit seiner schwarzen Farbe schneidet. Nur wer näher gegangen wäre, würde an den Fußtritten, die von denen herrührten, die die Hütte abgetragen hatten, dann an den Verletzungen des Rasens, die er durch das vielfältige Hinwerfen von Balken und Brettern erlitt, und endlich an dem schwarzen Erdflecke, der sich hinbreitete, die Stelle erkannt haben, wo die Hütte gestanden war. Ich hatte die Erde auflockern lassen und warf Grassamen hinein, daß er im künftigen Frühlinge zum Vorschein komme. Die Steine, welche auf dem Dache gelegen waren, und diejenigen, welche den Feuerherd der Küche und der Öfen bildeten, ließ ich zu mir hinab bringen, um sie im nächsten Jahre in meine Gartenmauer einsetzen zu lassen, daß ich sie alle Zukunft vor Augen hätte.
So war also jetzt ein ganz anderer Stand der Dinge, als ich gedacht und so lieb gehofft hatte.
An demselben Herbste bekam ich auch Ursache, mit dem Wasser, welches ich gefunden hatte, zufrieden zu sein. Es kam im Monate Julius der Inbuchsbauer aus dem oberen Astung zu mir herunter; er hatte seinen Buben bei sich, der früher die Füllen des Gregordubs gehütet hatte, und bat mich, ich möchte dem Buben an zwei Tagen in der Woche etwas zu Mittag zu essen geben, die andern Tage hätte er schon bei guten Leuten gefunden, und der untere Beringer habe erlaubt, daß er in seinem Heu schlafen dürfe. Die Keum Anna sei recht schlecht gewesen, ihr Fuß habe sich verschlimmert und große Schmerzen gebracht. Da habe sie aus dem Heilwasser, welches im Grundbühel hervorfließe, getrunken, und habe in demselben Wasser, das sie ihr beim Klum gewärmt hätten,[527] den Fuß gebadet, und sei jetzt ganz gesund. Deswegen habe er auch gemeint, daß er den Gottlieb herabführen müsse, daß er herunten bleibe, von dem Wasser trinke und sich in demselben bade, ob es ihn etwa auch herstellen könne. Ich sah den Buben an, und es war schier kein menschlicher Anblick, welche häßliche Wunden an seinem Halse und an seinem Genicke hervorgebrochen waren. Ich kannte den Fall mit der Keum Anna sehr wohl, und sagte, wie es ganz natürlich war, daß ich dem Buben schon die zwei Tage zu Mittage und aber auch zu Abend zu essen geben werde, und daß ich mich auch schon noch weiter um ihn umschauen wolle. Der Inbuchsbauer ist sehr arm. Er ist nur dem Namen nach ein Bauer, der Tat nach ein armer Waldhäusler in der größten Wirrnis des oberen Astungs, ohne Weib und andere Angehörige. Als er sah, daß sein Bube herunten bleiben konnte, ging er mit Trost nach Hause. Ich nahm den jungen Menschen in meine Stube, fragte ihn aus und untersuchte seinen Körper. Der Ekel ist ein seltsames Ding, und er darf nicht gelten und gilt auch nicht, wo wir einem Menschen helfen können, der auch eine Vernunft hat und seinen Schöpfer verehren kann. Ich wusch mir meine Hände, nahm andere Kleider, und ging an der Siller hinunter spazieren. Durch die Bäume klangen recht heiter die Meißelschläge herein, mit denen die Pfosten zu meinen Türen gehauen wurden. Der Bube nahm das Wasser, wie ich es ihm vorgeschrieben hatte. Nach einer Weile sagte ich: »Was wirst du denn zu den verschiedenen Leuten essen gehen, und wer weiß, was sie dir auch geben, das das Wasser und meine Arzeneien wieder zu Grunde richtet. Komme alle Tage zu mir und esse bei mir.«
Der Bube dankte recht schön, und kam alle Tage zu mir. Er bekam in einem Kämmerlein, das hinter der Küche lag, und das wir bestimmt hatten, wenn einmal noch ein weiblicher Dienstbote mehr in das Haus käme, daß er[528] dort wohne, ein weiches Tischchen, das der Zimmermann zusammengenagelt hatte, einen weichen Stuhl, und dasjenige zu essen, was ich meinen Leuten vorgeschrieben hatte, daß er bekommen solle. Er besserte sich nun sehr. Gegen den Herbst sagte ich zu ihm: »Es möchte nun bald in dem Heu zu schlafen zu kalt werden, komme ganz zu mir, ich werde dich schon unterbringen.«
Wir hatten Räume genug, die nach und nach fertig geworden waren, und die wir nicht brauchten, weil wir unser so wenig waren. Ich suchte eine Kammer aus, die schon im vorigen Jahre getüncht war. Sie lag, wenn man von dem Tore links über den Hof ging, allein, weil die Stube, die daneben entstehen sollte, die gegen den Garten hinausging, und die ich vorhatte mit schönen Tragebalken und anderer Schnitzerei zu verzieren, noch nicht fertig war, und Blöcke und Bretter und Erdhaufen in derselben herum lagen. Die Haushälterin, die alte Maria, richtete einen Strohsack zurechte, gab anderes Bettzeug, das wir nicht brauchten, dazu, und brachte eine Lagerstätte zu Stande, die recht war. Das Gestelle war aus Brettern, die wir hatten, zusammen geschlagen worden. Seinen Stuhl und Tisch bekam er aus dem Kämmerlein, in dem er bis jetzt gegessen hatte, hinüber. In dieser Stube saß er nun, wenn er nicht in der Gegend, wie ich ihm vorgeschrieben hatte, herum ging. Gegen Michaelis, wo es kalt wurde, sagte ich zu ihm, jetzt müsse er mit dem Gebrauche des Wassers aufhören, und auch sonst werden wir bis zum Frühjahre nichts anwenden. Er war, wie ich meinte, vollkommen hergestellt. Die Verletzungen am Halse und am Genicke waren geschlossen, ohne eine Spur zurück zu lassen, und die Augen waren heiterer und glänzender, und die Wangen röteten sich. Sein Vater war zweimal herunten gewesen. Spät im Herbste, da sie meine väterliche Hütte abtrugen, war er wieder da, und wollte den Buben nach Hause nehmen. Ich aber sagte[529] ihm, droben im Astung würde sein Sohn wieder allerlei essen, was ihm schädlich sein könnte, er solle auch im Winter bei mir bleiben, wir wollen schon sorgen, er solle von den vielen Spänen und Splittern, die im Sommer hindurch von den Bäumen, die meine Zimmerleute bearbeitet hatten, abgefallen sind, sich so viel sammeln und aufschlichten, als er wolle, damit er sich in dem grünen Öfelein, das in seiner Kammer stehe, einheizen könne. Der Vater nahm es an. Es ist unglaublich, wie sehr mir beide dankten – und oft, wenn ich in späterer Zeit von meinen Geschäften nach Hause kehrte, sah ich den Buben, wie er sich die Späne an der Mauer seiner Stube und hauptsächlich dort aufrichtete, von woher im Winter der Wind und das Gestöber kommen würden. Ich gab ihm später auch noch eine Truhe in seine Kammer, damit er sich die neuen Hemden und die Kleider, die ich ihm hatte machen lassen, aufbewahren könne.
Ich bekam jetzt wieder mehr Leute in mein Haus. Der Bube Thomas pflegte die Pferde, den Fuchs, und die zwei jungen Tiere, die wirklich so schön und glänzend schwarz geworden waren wie Agat, und die, weil sie nicht gerne in dem Stalle blieben, polterten, empor stiegen und Dinge herunter bissen. Die wenigen Stunden, die sie auch im Winter täglich herumgeführt wurden, reichten ihnen doch nicht hin, weil sie im Sommer schier die meiste Zeit im Freien zugebracht hatten. Außer seiner Beschäftigung mit den Pferden arbeitete Thomas noch mancherlei in dem Hause herum. Dann war der Knecht, welcher im vorigen Jahre die Kühe gepflegt hatte. Er grub den ganzen Garten um, der erst hergerichtet wurde, er besorgte mein Holz, nagelte manches an, wenn es irgend wo herunter brach, und tat auch noch andere schwere Arbeit. Die Kühe pflegte er ebenfalls fort. Dann war die Haushälterin Maria, welche die Speisen, die Wäsche, die Kleider, die Zimmerreinigung und dergleichen besorgte, und endlich[530] zwei Mägde, und darunter eine, der ich im vorigen Jahre auch in einer Todeskrankheit geholfen hatte.
Wir mußten einen schweren Winter überstehen. So weit die ältesten Menschen zurück denken, war nicht so viel Schnee. Vier Wochen waren wir einmal ganz eingehüllt in ein fortdauerndes graues Gestöber, das oft Wind hatte, oft ein ruhiges, aber dichtes Niederschütten von Flocken war. Die ganze Zeit sahen wir nicht aus. Wenn ich in meinem Zimmer saß und die Kerzen brannten, hörte ich das unablässige Rieseln an den Fenstern, und wenn es licht wurde und die Tageshelle eintrat, sah ich durch meine Fenster nicht auf den Wald hin, der hinter der Hütte stand, die ich hatte abbrechen lassen, sondern es hing die graue, lichte, aber undurchdringliche Schleierwand herab; in meinem Hofe und in der Nähe des Hauses sah ich nur auf die unmittelbarsten Dinge hinab, wenn etwa ein Balken empor stand, der eine Schneehaube hatte und unendlich kurz geworden war, oder wenn ein langer, weißer, wolliger Wall anzeigte, wo meine im Sommer ausgehauenen Bäume lagen, die ich zum weitern Baue verwenden wollte. Als alles vorüber war und wieder der blaue und klare Winterhimmel über der Menge von Weiß stand, hörten wir oft in der Totenstille, die jetzt eintrat, wenn wir an den Hängen hinunter fuhren, in dem Hochwalde oben ein Krachen, wie die Bäume unter ihrer Last zerbrachen und umstürzten. Leute, welche von dem jenseitigen Lande über die Schneide herüber kamen, sagten, daß in den Berggründen, wo sonst die kleinen, klaren Wässer gehen, so viel Schnee liege, daß die Tanne in von fünfzig Ellen und darüber nur mit den Wipfeln heraus schauen. Wir konnten nur den leichteren Schlitten brauchen – ich hatte nämlich noch einen machen lassen –, der etwas länger, aber schmäler war als der andere. Er fiel wohl öfter um, aber konnte auch leichter durch die Schlachten, welche die Schneewehen bildeten, durchdringen. Ich[531] konnte jetzt nicht mehr allein zur Besorgung meiner Geschäfte herum fahren, weil ich mir mit allen meinen Kräften in vielen Fällen allein nicht helfen konnte. Und es waren mehr Kranke, als es in allen sonstigen Zeiten gegeben hatte. Deswegen fuhr jetzt der Thomas immer mit mir, daß wir uns gegenseitig beistünden, wenn der Weg nicht mehr zu finden war, wenn wir den Fuchs aus dem Schnee, in den er sich verfiel, austreten mußten, oder wenn einer, da es irgendwo ganz unmöglich war durch zu dringen, bei dem Pferde bleiben und der andere zurück gehen und Leute holen mußte, damit sie uns helfen. Es wurde nach dem großen Schneefalle auch so kalt, wie man es je kaum erlebt hatte. Auf einer Seite war es gut; denn der tiefe Schnee fror so fest, daß man über Stellen und über Schlünde gehen konnte, wo es sonst unmöglich gewesen wäre; aber auf der andern Seite war es auch schlimm; denn die Menschen, welche viel gingen, ermüdet wurden und unwissend waren, setzten sich nieder, gaben der süßen Ruhe nach, und wurden dann erfroren gefunden, wie sie noch saßen, wie sie sich nieder gesetzt hatten. Vögel fielen von den Bäumen, und wenn man es sah und sogleich einen in die Hand nahm, war er fest wie eine Kugel, die man werfen konnte. Wenn meine jungen Rappen ausgeführt wurden und von einem Baume oder sonst wo eine Schneeflocke auf ihren Rücken fiel, so schmolz dieselbe nicht, wenn sie nach Hause kamen, wie lebendig und tüchtig und voll von Feuer die Tiere auch waren. Erst im Stalle verlor sich das Weiß und Grau von dem Rücken. Wenn sie ausgeführt wurden, sah ich manchmal den jungen Gottlieb mit gehen und hinter den Tieren her bleiben, wenn sie auf verschiedenen Wegen herum geführt wurden, aber es tut nichts, die Kälte wird ihm nichts anhaben, und er ist ja in den guten Pelz gehüllt, den ich ihm aus meinem alten habe machen lassen. Ich ging oft in die Zimmer der Meinigen hinab, und sah, ob[532] alles in der Ordnung sei, ob sie gehörig Holz zum Heizen haben, ob die Wohnung überall gut geborgen sei, daß nicht auf einen, wenn er vielleicht im Bette sei, der Strom einer kalten Luft gehe und er erkranke; ich sah auch nach der Speise; denn bei solcher Kälte ist es nicht einerlei, ob man das oder jenes esse. Dem Gottlieb, der nur mit Spänen heizte, ließ Ich von den dichten Buchenstöcken hinüber legen. Im Eichenhage oben soll ein Knall geschehen sein, der seines Gleichen gar nicht hat. Der Knecht des Beringer sagte, daß einer der schönsten Stämme durch die Kälte von unten bis oben gespalten worden sei, er habe ihn selber gesehen. Der Thomas und ich waren in Pelze und Dinge eingehüllt, daß wir zwei Bündeln, kaum aber Menschen gleich sahen. Dieser Winter, von dem wir dachten, daß er uns viel Wasser bringen würde, endigte endlich mit einer Begebenheit, die wunderbar war, und uns leicht die äußerste Gefahr hätte bringen können; wenn sie nicht eben gerade so abgelaufen wäre, wie sie ablief. Nach dem vielen Schneefalle und während der Kälte war es immer schön, es war immer blauer Himmel, morgens rauchte es beim Sonnenaufgange von Glanz und Schnee, und nachts war der Himmel dunkel wie sonst nie, und es standen viel mehr Sterne in ihm als zu allen Zeiten. Dies dauerte lange – aber einmal fiel gegen Mittag die Kälte so schnell ab, daß man die Luft bald warm nennen konnte, die reine Bläue des Himmels trübte sich, von der Mittagseite des Waldes kamen an dem Himmel Wolkenballen, gedunsen und fahlblau, in einem milchigen Nebel schwimmend, wie im Sommer, wenn ein Gewitter kommen soll – ein leichtes Windigen hatte sich schon früher gehoben, daß die Fichten seufzten und Ströme Wassers von ihren Ästen niederlassen. Gegen Abend standen die Wälder, die bisher immer bereift und wie in Zucker eingemacht gewesen waren, bereits ganz schwarz in den Mengen des bleichen und wässerigen[533] Schnees da. Wir hatten bange Gefühle, und ich sagte dem Thomas, daß sie abwechselnd nachschauen, daß sie die hinteren Tore im Augenmerk halten sollen, und daß er mich wecke, wenn das Wasser zu viel werden sollte. Ich wurde nicht geweckt, und als ich des Morgens die Augen öffnete, war alles anders, als ich es erwartet hatte. Das Windchen hatte aufgehört, es war so stille, daß sich von der Tanne, die ich keine Büchsenschußlänge von meinem Fenster an meinem Sommerbänkchen stehen sah, keine einzige Nadel rührte; die blauen und mitunter bleifarbigen Wolkenballen waren nicht mehr an dem Himmel, der dafür in einem stillen Grau unbeweglich stand, welches Grau an keinem Teile der großen Wölbung mehr oder weniger grau war, und an der dunkeln Öffnung der offen stehenden Tür des Heubodens bemerkte ich, daß feiner, aber dichter Regen niederfalle; allein wie ich auf allen Gegenständen das schillerige Glänzen sah, war es nicht das Lockern oder Sickern des Schnees, der in dem Regen zerfällt, sondern das blasse Glänzen eines Überzuges, der sich über alle die Hügel des Schnees gelegt hatte. Als ich mich angekleidet und meine Suppe gegessen hatte, ging ich in den Hof hinab, wo der Thomas den Schlitten zurecht richtete. Da bemerkte ich, daß bei uns herunten an der Oberfläche des Schnees während der Nacht wieder Kälte eingefallen sei, während es oben in den höheren Teilen des Himmels warm geblieben war; denn der Regen floß fein und dicht hernieder, aber nicht in der Gestalt von Eiskörnern, sondern als reines, fließendes Wasser, das erst an der Oberfläche der Erde gefror und die Dinge mit einem dünnen Schmelze überzog, derlei man in das Innere der Geschirre zu tun pflegt, damit sich die Flüssigkeiten nicht in den Ton ziehen können. Im Hofe zerbrach der Überzug bei den Tritten noch in die feinsten Scherben, es mußte also erst vor Anbruch des Tages zu regnen angefangen haben. Ich tat die Dinge,[534] die ich mitnehmen wollte, in ihre Fächer, die in dem Schlitten angebracht waren, und sagte dem Thomas, er solle doch, ehe wir zum Fortfahren kämen, noch den Fuchs zu dem untern Schmied hinüber führen und nachschauen lassen, ob er scharf genug sei, weil wir heute im Eise fahren müßten. Es war uns so recht, wie es war, und viel lieber, als wenn der unermeßliche Schnee schnell und plötzlich in Wasser verwandelt worden wäre. Dann ging ich wieder in die Stube hinauf, die sie mir viel zu viel geheizt hatten, schrieb einiges auf, und dachte nach, wie ich mir heute die Ordnung einzurichten hätte. Da sah ich auch, wie der Thomas den Fuchs zum untern Schmied hinüber führte. Nach einer Weile, da wir fertig waren, richteten wir uns zum Fortfahren. Ich tat den Regenmantel um und setzte meine breite Filzkappe auf, davon der Regen abrinnen konnte. So machte ich mich in dem Schlitten zurechte und zog das Leder sehr weit herauf. Der Thomas hatte seinen gelben Mantel um die Schultern und saß vor mir in dem Schlitten. Wir fuhren zuerst durch den Thaugrund, und es war an dem Himmel und auf der Erde so stille und einfach grau, wie des Morgens, so daß wir, als wir einmal stille hielten, den Regen durch die Nadeln fallen hören konnten. Der Fuchs hatte die Schellen an dem Schlittengeschirre nicht recht ertragen können und sich öfter daran geschreckt, deshalb tat ich sie schon, als ich nur ein paar Male mit ihm gefahren war, weg. Sie sind auch ein närrisches Klingeln, und mir war es viel lieber, wenn ich so fuhr, manchen Schrei eines Vogels, manchen Waldton zu hören, oder mich meinen Gedanken zu überlassen, als daß ich immer das Tönen in den Ohren hatte, das für die Kinder ist. Heute war es freilich nicht so ruhig, wie manchmal das stumme Fahren des Schlittens im feinen Schnee war, wie im Sande, wo auch die Hufe des Pferdes nicht wahrgenommen werden konnten; denn das Zerbrechen des zarten[535] Eises, wenn das Tier darauf trat, machte ein immerwährendes Geräusch, daher aber das Schweigen, als wir halten mußten, weil der Thomas in dem Riemzeug etwas zurecht zu richten hatte, desto auffallender war. Und der Regen, dessen Rieseln durch die Nadeln man hören konnte, störte die Stille kaum, ja er vermehrte sie. Noch etwas anderes hörten wir später, da wir wieder hielten, was fast lieblich für die Ohren war. Die kleinen Stücke Eises, die sich an die dünnsten Zweige und an das langhaarige Moos der Bäume angehängt hatten, brachen herab, und wir gewahrten hinter uns in dem Walde an verschiedenen Stellen, die bald dort und bald da waren, das zarte Klingen und ein zitterndes Brechen, das gleich wieder stille war. Dann kamen wir aus dem Walde hinaus und fuhren durch die Gegend hin, in der die Felder liegen. Der gelbe Mantel des Thomas glänzte, als wenn er mit Öl übertüncht worden wäre; von der rauhen Decke des Pferdes hingen Silberfranzen hernieder; wie ich zufällig einmal nach meiner Filzkappe griff, weil ich sie unbequem auf dem Haupte empfand, war sie fest, und ich hatte sie wie eine Kriegshaube auf; und der Boden des Weges, der hier breiter und, weil mehr gefahren wurde, fester war, war schon so mit Eise belegt, weil das gestrige Wasser, das in den Gleisen gestanden war, auch gefroren war, daß die Hufe des Fuchses die Decke nicht mehr durchschlagen konnten, und wir unter hallenden Schlägen der Hufeisen und unter Schleudern unseres kleinen Schlittens, wenn die Fläche des Weges ein wenig schief war, fortfahren Mußten.
Wir kamen zuerst zu dem Karbauer, der ein krankes Kind hatte. Von dem Hausdache hing ringsum, gleichsam ein Orgelwerk bildend, die Verzierung starrender Zapfen, die lang waren, teils herabbrachen, teils an der Spitze ein Wassertröpfchen hielten, das sie wieder länger und wieder zum Herabbrechen geneigter machte. Als ich[536] ausstieg, bemerkte ich, daß das Überdach meines Regenmantels, das ich gewöhnlich so über mich und den Schlitten breite, daß ich mich und die Arme darunter rühren könne, in der Tat ein Dach geworden war, das fest um mich stand und beim Aussteigen ein Klingelwerk fallender Zapfen in allen Teilen des Schlittens verursachte. Der Hut des Thomas war fest, sein Mantel krachte, da er abstieg, auseinander, und jede Stange, jedes Holz, jede Schnalle, jedes Teilchen des ganzen Schlittens, wie wir ihn jetzt so ansahen, war in Eis, wie in durchsichtigen, flüssigen Zucker, gehüllt, selbst in den Mähnen, wie tausend bleiche Perlen, hingen die gefrornen Tropfen des Wassers, und zuletzt war es um die Hufhaare des Fuchses wie silberne Borden geheftet.
Ich ging in das Haus. Der Mantel wurde auf den Schragen gehängt, und wie ich die Filzkappe auf den Tisch des Vorhauses legte, war sie wie ein schimmerndes Becken anzuschauen.
Als wir wieder fortfahren wollten, zerschlugen wir das Eis auf unsern Hüten, auf unsern Kleidern, an dem Leder und den Teilen des Schlittens, an dem Riemzeug des Geschirres, und zerrieben es an den Haaren der Mähne und der Hufe des Fuchses. Die Leute des Karbauers halfen uns hiebei. Das Kind war schon schier ganz gesund. Unter dem Obstbaumwalde des Karhauses, den der Bauer sehr liebt und schätzt, und der hinter dem Hause anhebt, lagen unzählige kleine schwarze Zweige auf dem weißen Schnee, und jeder schwarze Zweig war mit einer durchsichtigen Rinde von Eis umhüllt und zeigte neben dem Glanze des Eises die kleine frischgelbe Wunde des Herabbruchs. Die braunen Knösplein der Zweige, die im künftigen Frühlinge Blüten- und Blätterbüschlein werden sollten, blickten durch das Eis hindurch. Wir setzten uns in den Schlitten. Der Regen, die graue Stille und die Einöde des Himmels dauerten fort.[537]
Da wir in der Dubs hinüber fuhren, an der oberen Stelle, wo links das Gehänge ist und an der Schneide der lange Wald hin geht, sahen wir den Wald nicht mehr schwarz, sondern er war gleichsam bereift, wie im Winter, wenn der Schnee in die Nadeln gestreut ist und lange Kälte herrscht; aber der Reif war heute nicht so weiß wie Zucker, dergleichen er sonst ähnlich zu sein pflegt, sondern es war das dumpfe Glänzen und das gleichmäßige Schimmern an allen Orten, wenn es bei trübem Himmel überall naß ist; aber heute war es nicht von der Nässe, sondern von dem unendlichen Eise, das in den Ästen hing. Wir konnten, wenn wir etwas Aufwärts und daher langsamer fuhren, das Knistern der brechenden Zweige sogar bis zu uns herab hören, und der Wald erschien, als sei er lebendig geworden. Das blasse Leuchten des Eises auf allen Hügeln des Schnees war rings um uns herum, das Grau des Himmels war beinahe sehr licht, und der Regen dauerte stille fort, gleichmäßig fein und gleichmäßig dicht.
Wir hatten in den letzten Häusern der Dubs etwas zu tun, ich machte die Gange, da die Orte nicht weit auseinander lagen, zu Fuße, und der Fuchs wurde in den Stall getan, nachdem er wieder von dem Eise, das an ihm rasselte, befreit worden war. Der Schlitten und die Kleider des Thomas mußten ebenfalls ausgelöset werden; die meinigen aber, nämlich der Mantel und die Filzkappe, wurden nur von dem, was bei oberflächlichem Klopfen und Rütteln herabging, erleichtert, das andere aber daran gelassen, da ich doch wieder damit in dem Regen herum gehen mußte und neue Lasten auf mich lud. Ich hatte mehr Kranke, als sie sonst in dieser Jahreszeit zu sein pflegen. Sie waren aber alle ziemlich in der Nähe beisammen, und ich ging von dem einen zu dem andern. An den Zäunen, an den Strunken von Obstbäumen und an den Rändern der Dächer hing unsägliches Eis. An mehreren Planken waren die Zwischenräume verquollen, als[538] wäre das Ganze in eine Menge eines zähen Stoffes eingehüllt worden, der dann erstarrte. Mancher Busch sah aus wie viele in einander gewundene Kerzen, oder wie lichte, wässerig glänzende Korallen.
Ich hatte dieses Ding nie so gesehen wie heute.
Die Leute schlugen manche der bis ins Unglaubliche herabgewachsenen Zapfen von den Dächern, weil sie sonst, wenn sie gar groß geworden waren, im Herabbrechen Stücke der Schindeln oder Rinnen mit sich auf die Erde nahmen. Da ich in der Dubs herum ging, wo mehrere Häuser um den schönen Platz herum stehen, den sie bilden, sah ich, wie zwei Mägde das Wasser, welches im Tragen hin und her geschwemmt haben würde, in einem Schlitten nach Hause zogen. Zu dem Brunnen, der in der Mitte des Platzes steht, und um dessen Holzgeschlacht herum schon im Winter der Schnee einen Berg gebildet hatte, mußten sie sich mit der Axt Stufen hinein hauen. Sonst gingen die Leute gar nicht aus den Häusern, und wo man doch einen sah, duckte er oben mit dem Haupte vor dem Regen in sein Gewand, und unten griff er mit den Füßen vorsichtig vorwärts, um in der unsäglichen Glätte nicht zu fallen.
Wir mußten wieder fort. Wir fuhren mit dem Fuchs, den wir wieder hatten scharf machen lassen, durch die ebenen Felder hinüber gegen das Eckstück, welches die Siller am höher stehenden Walde einfaßt, und wo mehrere Holzhäuser stehen. Wir hörten, da wir über die Felder fuhren, einen dumpfen Fall; wußten aber nicht recht, was es war. Auf dem Raine sahen wir einen Weidenbaum gleißend stehen, und seine zähen, silbernen Äste hingen herab, wie mit einem Kamme nieder gekämmt. Den Waldring, dem wir entgegen fuhren, sahen wir bereift, aber er warf glänzende Funken und stand wie geglättete Metallstellen von dem lichten, ruhigen, matten Grau des Himmels ab.[539]
Von den Holzhausern mußten wir wieder zurück über die Felder, aber schief auf dem Wege gegen das Eidun. Die Hufe unseres Pferdes hallten auf der Decke, wie starke Steine, die gegen Metallschilde geworfen werden. Wir aßen bei dem Wirte etwas, weil wir zu spät nach Hause gekommen sein würden, dann, nachdem wir den Schlitten, das Pferd und unsere Kleider wieder frei gemacht hatten, fuhren wir wieder ab, auf dem Wege, der nach meinem Hause führte. Ich hatte nur noch in den letzteren Eidunhäusern etwas zu tun, und dann konnten wir auf dem Wege hinüber fahren, wo im Sommer die Eidunwiesen sind, im Winter aber alle die fahren und gehen, die im Waldhange und oberen Hage Geschäfte haben. Von da konnten wir gegen den Fahrweg einlenken, der durch den Thaugrund und nach Hause führt. Da wir uns auf den Wiesen befanden, über deren Ebene wir jetzt freilich klafterhoch erhoben fuhren, hörten wir wieder denselben dumpfen Fall, wie heute schon einmal, aber wir erkannten ihn wieder nicht, und wußten auch nicht einmal ganz genau, woher wir ihn gehört hatten. Wir waren sehr froh, einmal nach Hause zu kommen; denn der Regen und das Feuchte, das in unserm ganzen Körper steckte, tat uns recht unwohl, auch war die Glätte unangenehm, die allenthalben unnatürlich über Flur und Feld gebreitet war und den Fuß, wenn man ausstieg, zwang, recht vorsichtig auf die Erde zu greifen, woher man, wenn man auch nicht gar viel und gar weit ging, unglaublich ermüdet wurde.
Da wir endlich gegen den Thaugrund kamen und der Wald, der von der Höhe herüber zieht, anfing, gegen unsern Weg herüber zu langen, hörten wir plötzlich in dem Schwarzholze, das auf dem schön emporragenden Felsen steht, ein Geräusch, das sehr seltsam war, und das keiner von uns je vernommen hatte – es war, als ob viele Tausende oder gar Millionen von Glasstangen durcheinander[540] rasselten und in diesem Gewirre fort in die Entfernung zögen. Das Schwarzholz war doch zu weit zu unserer Rechten entfernt, als daß wir den Schall recht klar hätten erkennen können, und in der Stille, die in dem Himmel und auf der Gegend war, ist er uns recht sonderbar erschienen. Wir fuhren noch eine Strecke fort, ehe wir den Fuchs aufhalten konnten, der im Nachhauserennen begriffen war und auch schon trachten mochte, aus diesem Tage in den Stall zu kommen. Wir hielten endlich und hörten in den Lüften gleichsam ein unbestimmtes Rauschen, sonst aber nichts. Das Rauschen hatte jedoch keine Ähnlichkeit mit dem fernen Getöse, das wir eben durch die Hufschläge unsers Pferdes hindurch gehört hatten. Wir fuhren wieder fort und näherten uns dem Walde des Thaugrundes immer mehr, und sahen endlich schon die dunkle Öffnung, wo der Weg in das Gehölze hinein geht. Wenn es auch noch früh am Nachmittage war, wenn auch der graue Himmel so licht schien, daß es war, als müßte man den Schimmer der Sonne durchsinken sehen, so war es doch ein Winternachmittag, und es war so trübe, daß sich schon die weißen Gefilde vor uns zu entfärben begannen und in dem Holze Dämmerung zu herrschen schien. Es mußte aber doch nur scheinbar sein, indem der Glanz des Schnees gegen das Dunkel der hinter einander stehenden Stämme abstach.
Als wir an die Stelle kamen, wo wir unter die Wölbung des Waldes hinein fahren sollten, blieb der Thomas stehen. Wir sahen vor uns eine sehr schlanke Fichte zu einem Reife gekrümmt stehen und einen Bogen über unsere Straße bildend, wie man sie einziehenden Kaisern zu machen pflegt. Es war unsäglich, welche Pracht und Last des Eises von den Bäumen hing. Wie Leuchter, von denen unzählige umgekehrte Kerzen in unerhörten Größen ragten, standen die Nadelbäume. Die Kerzen schimmerten alle von Silber, die Leuchter waren selber silbern, und[541] standen nicht überall gerade, sondern manche waren nach verschiedenen Richtungen geneigt. Das Rauschen, welches wir früher in den Lüften gehört hatten, war uns jetzt bekannt; es war nicht in den Lüften; jetzt war es bei uns. In der ganzen Tiefe des Waldes herrschte es ununterbrochen fort, wie die Zweige und Äste krachten und auf die Erde fielen. Es war um so fürchterlicher, da alles unbeweglich stand; von dem ganzen Geglitzer und Geglänze rührte sich kein Zweig und keine Nadel, außer wenn man nach einer Weile wieder auf einen gebogenen Baum sah, daß er von den ziehenden Zapfen niederer stand. Wir harreten und schauten hin – man weiß nicht, war es Bewunderung oder war es Furcht, in das Ding hinein zu fahren. Unser Pferd mochte die Empfindungen in einer Ähnlichkeit teilen, denn das arme Tier schob, die Füße sachte anziehend, den Schlitten in mehreren Rucken etwas zurück.
Wie wir noch da standen und schauten – wir hatten noch kein Wort geredet – hörten wir wieder den Fall, den wir heute schon zweimal vernommen hatten. Jetzt war er uns aber völlig bekannt. Ein helles Krachen, gleichsam wie ein Schrei, ging vorher, dann folgte ein kurzes Wehen, Sausen oder Streifen, und dann der dumpfe, dröhnende Fall, mit dem ein mächtiger Stamm auf der Erde lag. Der Knall ging wie ein Brausen durch den Wald und durch die Dichte der dämpfenden Zweige; es war auch noch ein Klingeln und Geschimmer, als ob unendliches Glas durcheinander geschoben und gerüttelt würde – dann war es wieder wie vorher, die Stämme standen und ragten durch einander, nichts regte sich, und das still stehende Rauschen dauerte fort. Es war merkwürdig, wenn ganz in unserer Nähe ein Ast oder Zweig oder ein Stück Eis fiel; man sah nicht, woher es kam, man sah nur schnell das Herniederblitzen, hörte etwa das Aufschlagen, hatte nicht das Emporschnellen des verlassenen und erleichterten[542] Zweiges gesehen, und das Starren, wie früher, dauerte fort.
Es wurde uns begreiflich, daß wir in den Wald nicht hineinfahren konnten. Es mochte irgendwo schon über den Weg ein Baum mit all seinem Geäste liegen, über den er nicht hinüber könnten, und der nicht zu umgehen war, weil die Bäume dicht stehen, ihre Nadeln vermischen und der Schnee bis in das Geäste und Geflechte des Niedersatzes ragte. Wenn wir dann umkehrten und auf dem Wege, auf dem wir gekommen waren, zurück wollten, und da sich etwa auch unterdessen ein Baum herüber legt hätte, so wären wir mitten darinnen gewesen. Der Regen dauerte unablässig fort, wir selber waren schon wieder eingehüllt, daß wir uns nicht regen konnten, ohne die Decke zu zerbrechen, der Schlitten war schwerfällig und verglaste, und der Fuchs trug seine Lasten – wenn nirgends etwas in den Bäumen um eine Unze an Gewicht gewann, so mochte es fallen, ja die Stämme selber mochten brechen, die Spitzen der Zapfen, wie Keile, mochten nieder fahren, wir sahen ohnedem auf unserm Wege, der vor uns lag, viele zerstreut, und während wir standen, waren in der Ferne wieder dampfe Schläge zu vernehmen gewesen. Wie wir umschauten, woher wir gekommen, war auf den ganzen Feldern und in der Gegend kein Mensch und kein lebendiges Wesen zu sehen. Nur ich mit dem Thomas und mit dem Fuchse waren allein in der freien Natur.
Ich sagte dem Thomas, daß wir umkehren müßten. Wir stiegen aus, schüttelten unsere Kleider ab, so gut es möglich war, und befreiten die Haare des Fuchses von dem anhangenden Eise, von dem es uns vorkam, als wachse es jetzt viel schneller an als am Vormittage, war es nun, daß wir damals die Erscheinung beobachteten und im Hinschauen darauf ihr Fortgang uns langsamer vorkam, als Nachmittag, wo wir andere Dinge zu tun hatten und[543] nach einer Weile erst sahen, wie das Eis sich wieder gehäuft hatte – oder war es kälter und der Regen dichter geworden. Wir wußten es nicht. Der Fuchs und der Schlitten wurde sodann von dem Thomas umgekehrt, und wir fuhren, so schnell wir konnten, gegen die uns zunächst gerichteten Eidunhäuser zurück. Es war damals am oberen Ende, wo der Bühl sacht beginnt, noch das Wirtshaus – der Burmann hat es heuer gekauft und treibt bloß Feldwirtschaft – dorthin fuhren wir über den Schnee, der jetzt trug, ohne Weg, in der geradesten Richtung, die wir einschlagen konnten. Ich bat den Wirt, daß er mir eine Stelle in seinem Stalle für meinen Fuchs zurecht räumen möchte. Er tat es, obwohl er ein Rind hinüber auf einen Platz seines Stalles hängen mußte, wo sonst nur Stroh und einstweil Futter lag, das man an dem Tage gebrauchen wollte. Den Schlitten taten wir in die Wagenlaube. Als wir das untergebracht und uns wieder von der angewachsenen Last befreit hatten, nahm ich einiges aus dem Schlitten, was ich brauchte, und sagte, ich werde nun zu Fuße den Weg nach Hause antreten; denn ich müsse in der Nacht in meinem Hause sein, weil manches zu bereiten ist, das ich morgen bedürfe, und weil ich morgen einen andern Weg einzuschlagen hätte, da ich die Kranken in dem oberen Lande besuchen müßte, die mich heute nicht gesehen hatten. – Den Thaugrund könne ich umgehen, ich wolle durch das Gebühl, dann durch die Wiesen des Meierbacher links hinauf, sodann durch die kleinen Erlenbüsche, die gefahrlos sind, hinüber gegen die Hagweiden und von dort gegen mein Haus hinunter, das in dem Tale steht.
Als ich das so gesagt hatte, wollte mein Knecht Thomas nicht zugeben, daß ich allein gehe; denn der Weg, den ich beschrieben hatte, wäre hüglig und ging an Höhen von Wiesen hinauf, wo gewiß überhängende Schneelehnen sind, und wo in dem glatten Eise das Klimmen und[544] Steigen von großer Gefahr sein möchte. Er sagte, er wolle mit mir gehen, daß wir einander an den Meierbacher Wiesen emporhelfen, daß wir einander beistehen und uns durch das Geerle hinüberreichen möchten. Unsere Fahrangelegenheit konnten wir bei dem Wirte da lassen, er würde ihm schon sagen, wie der Fuchs zu füttern und zu pflegen sei. Morgen, wenn sich das Wetter geändert hätte, würde er um den Fuchs herüber gehen, und zu meiner Fahrt, wenn ich zeitlich fort wollte, könnte ich die Pferde des Rothbergerwirtes nehmen, um die ich den Gottlieb oder jemanden hinab schicken möge, wenn ja sonst Gott einen Tag sende, an dem ein Mensch unter den freien Himmel heraus zu gehen sich wage.
Ich sah das alles ein, was mein Knecht Thomas sagte, und da ich mich auch nicht ganz genau erinnerte – man schaut das nicht so genau an – ob denn wirklich überall da, wo ich zu gehen vor hatte, keine Bäume stünden, oder ob ich nicht einen viel weiteren Umweg zu machen oder gar wieder zurück zu gehen hätte, wenn ich nicht vordringen könnte; so gestattete ich ihm, daß er mit gehe, damit wir unser zwei sind und die Sache mit mehr Kräften beherrschten.
Ich habe in meinem Schlitten immer Steigeisen eingepackt, weil ich oft aussteigen und über manche Hügel hinauf, die in unserem Lande sind und steile Hänge haben, zu Kranken gehen muß, wo ich, wenn Glatteis herrscht, gar nicht oder mit Gefahr und Mühe auf den Wegen, die niemand pflegt, oder die verschneit und vereiset sind, hinauf kommen könnte. Weil es aber auch leicht möglich ist, daß etwas bricht, so führe ich immer zwei Paare mit, daß ich in keine Ungelegenheit komme. Heute hatte ich sie nicht gebraucht, weil ich immer an ebenen Stellen zu gehen hatte, und weil ich die Füße nicht an immer dauernde Unterstützung gewöhnen will. Ich suchte die Steigeisen aus dem Schlitten heraus und[545] gab dem Thomas ein Paar. Dann steckte ich aus den Fächern des Schlittens die Dinge und Herrichtungen zu mir, die ich morgen brauchen sollte. An dem Gestelle des Schlittens oberhalb der Kufe dem Korbe entlang sind Bergstöcke angeschnallt, die eine sehr starke Eisenspitze haben und weiter Aufwärts einen eisernen Haken, um sich damit einzuhaken und anzuhängen. Am obersten Ende des Holzes sind sie mit einem Knaufe versehen, daß sie nicht so leicht durch die Hand gleiten. Weil ich aus Vorsicht auch immer zwei solche Stöcke bei mir habe, so gab ich dem Thomas einen, nachdem er sie abgeschnallt hatte, und einen behielt ich mir. So gingen wir dann, ohne uns noch aufzuhalten, sogleich fort, weil an solchen Wintertagen die Nacht schnell einbricht und dann sehr finster ist. Der Thomas hatte darum auch die Blendlaterne aus dem Schlitten genommen und hatte sich mit Feuerzeug versehen.
Auf dem offenen Felde, ehe wir wieder in die Nähe des Thaugrundes kamen, gingen wir ohne Steigeisen bloß mit Hülfe der Stöcke fort, was sehr beschwerlich war. Als wir in die Nähe des Waldes kamen und uns das fürchterliche Rauschen wieder empfing, beugten wir links ab gegen die Wiesen des Meierbacher hin, die eine Lichtung durch den Wald bilden, und die uns den Weg darstellen sollten, auf dem wir nach Hause gelangen könnten. Wir erreichten die Wiesen, das will sagen, wir erkannten, daß wir uns auf dem Schnee über ihrer Grenze befanden, weil die Rinde nun sanft abwärts zu gehen begann, wo unten der Bach sein sollte, über dem aber zwei Klafter hoher Schnee, oder noch höherer, stand. Wir wagten, da der Grund nicht zerrissen ist und die Decke mit ihrem Glänzen ein gleichmäßiges Abgehen zeigte, das Hinabfahren mit unseren Bergstöcken. Es gelang gut. Wir hätten wohl mittelst der Steigeisen lange gebraucht hinabzukommen, aber so gelangten wir in einem Augenblicke hinunter, daß[546] die Luft an unseren Angesichtern und durch unsere Haare sauste. Wirklich glaubten wir, da wir wieder aufgestanden waren, es habe sich ein kleines Windchen gehoben, aber es war nur unsere Bewegung gewesen, und ringsum war es so ruhig, wie den ganzen Tag. Wir legten nun in dem Grunde unsere Steigeisen an, um über die Höhe und den bedeutenden Bühel empor zu kommen, in denen sich die Wiese hinüber gegen die Erlengebüsche legt, auf die wir hinaus gelangen wollten. Es ist gut, daß ich aus Vorsicht die Spitzen der Steigeisen immer zuschleifen und schärfen lasse; denn wir gingen über den Bühel, der wie eine ungeheure gläserne Spiegelwalze vor uns lag, so gerade hinauf, als würden wir mit jedem Tritte an die Glätte angeheftet. Als wir oben waren und an dem Rande des Geerles standen, wo man ziemlich weit herum sieht, meinten wir, es dämmere bereits; denn der Eisglanz hatte da hinab, wo wir herauf gekommen waren, eine Farbe wie Zinn, und wo die Schneewehen sich überwölbten und Rinnen und Löcher bildeten, saß es wie grauliche Schatten darinnen; aber die Ursache, daß wir so trüb sahen, mußte der Tag sein, der durch die weißliche, feste Decke des Himmels dieses seltsame, dämmerige Licht warf. Wir sahen auf mehrere Wälder, die jenseits dieser Höhe herum ziehen: sie waren grau und schwarz gegen den Himmel und den Schnee, und die Lebendigkeit in ihnen, das gedämpfte Rauschen, war fast hörbar – aber deutlich zu vernehmen war mancher Fall, und dann das Brausen, das darauf durch die Glieder der Bergzüge ging.
Wir hielten uns nicht lange an diesem Platze auf, sondern suchten in die Büsche der Erlen einzudringen und durch sie hindurch zu kommen. Die Steigeisen hatten wir weggetan und trugen sie über unsern Rücken herab hängend. Es war schwer, durch die Zweige, die dicht aus dem Schnee nach allen Richtungen ragten, zu kommen. Sie hielten uns die starren Ausläufe wie unzählige stählerne[547] Stangen und Spieße entgegen, die in unsere Gewänder und Füße bohrten und uns verletzt haben würden. Aber wir gebrauchten unsere Bergstöcke dazu, daß wir mit ihnen vor uns in das Gezweige schlugen und Eis und Holz so weit zerschlugen und weich machten, daß wir mit Arbeit und gegenseitiger Hülfe durch gelangen konnten. Es dauerte aber lange.
Da wir endlich heraus waren und an den Hagweiden standen, wo wir hinunter in das Tal sahen, in dem mein Haus ist, dämmerte es wirklich, aber wir waren schon nahe genug, und besorgten nichts mehr. Durch die allgemeine dicke, weißgraue Luft sahen wir mein Haus, und ein gerader bläulicher Rauch stieg aus demselben empor, wahrscheinlich von dem Feuer kommend, an dem Maria, die Haushälterin, unser Mahl in Bereitschaft richtete. Wir legten hier wieder die Steigeisen an und gingen langsam hinunter, bis wir auf ebenem Boden waren, wo wir sie wieder weg taten.
Vor den Türen der Häuser, die in der Nähe des meinigen sind, standen Gruppen von Menschen und schauten den Himmel an.
»Ach, Herr Doktor,« riefen sie, »ach, Herr Doktor, wo kommt Ihr denn an diesem fürchterlichen Tage her?«
»Ich komme von der Dubs und von den Eidunhäusern,« sagte ich, »mein Pferd und den Schlitten ließ ich zurück, und bin über die Meierbacher Wiesen und die Hagweiden gekommen, weil ich nicht mehr durch den Wald konnte.«
Ich blieb ein wenig bei den Leuten stehen. Wirklich war der Tag ein furchtbarer. Das Rauschen der Wälder war von ringsum bereits bis hierher zu hören, dazwischen tönte der Fall von Bäumen, und folgte immer dichter auf einander; ja sogar von dem hohen obern Walde her, wo man gar nicht wegen der Dicke des Nebels hin sehen konnte, konnte man das Krachen und Stürzen vernehmen.[548]
Der Himmel war immer weißlich, wie den ganzen Tag, ja sein Schimmer schien jetzt gegen Abend noch lichter zu werden; die Luft stand gänzlich unbewegt, und der feine Regen fiel gerade herunter.
»Gott genade dem Menschen, der jetzt im Freien ist, oder gar im Walde«, sagte einer aus den Umstehenden.
»Er wird sich wohl gerettet haben«, sagte ein anderer; »denn heute bleibt niemand auf einem Wege.«
Ich und der Thomas trugen starke Lasten, die schier nicht mehr zu erhalten waren, deswegen nahmen wir Abschied von den Leuten und gingen unserm Hause zu. Jeder Baum hatte einen schwarzen Fleck um sich, weil eine Menge Zweige herab gerissen war, als hätte sie ein starker Hagelschlag getroffen. Mein hölzernes Gitter, mit dem ich den Hof von dem Garten, der noch nicht fertig war, abschließe, stand silbern da, wie vor dem Altare einer Kirche; ein Pflaumenbaum daneben, der noch von dem alten Allerb herrührte, war geknickt. Die Fichte, bei welcher mein Sommerbänklein steht, hatten sie dadurch vor Schaden zu verwahren gesucht, daß sie mit Stangen, so weit sie reichen konnten, das Eis herabschlugen – und wie der Wipfel sich gar schier zu neigen schien, ist der andere Knecht, Kajetan, hinauf gestiegen, hat vorsichtig oberhalb sich herab geschlagen und hat dann an die obersten Äste zwei Wiesbaumseile gebunden, die er herab hängen ließ, und an denen er von Zeit zu Zeit rüttelte. Sie wußten, daß mir der Baum lieb war, und er ist auch sehr schön, und mit seinen grünen Zweigen so bebuscht, daß sich eine ungeheure Last von Eis daran gehängt und ihn zerspellt oder seine Äste zerrissen hätte. Ich ging in meine Stube, die gut gewärmt war, legte alle Dinge, die ich aus dem Schlitten zu mir gesteckt hatte, auf den Tisch, und tat dann die Kleider weg, von denen sie unten das Eis herab schlugen und sie dann in die Küchenstube aufhängen mußten; denn sie waren sehr feucht.[549] Als ich mich anders angekleidet hatte, erfuhr ich, daß der Gottlieb zu dem Walde des Thaugrundes hinab gegangen und noch immer nicht zurückgekehrt sei, weil er wisse, daß ich durch den Thaugrund mit meinem Schlitten daher kommen müsse. Ich sagte dem Kajetan, daß er ihn holen solle, daß er sich noch jemand mitnehme, wenn er einen finden könne, der ihn begleite, daß sie eine Laterne und Eisen an die Füße und Stöcke in die Hand nehmen sollen. Sie brachten ihn später daher, und er war schier mit Panzerringen versehen, weil er nicht überall das Eis von sich hatte abwehren können.
Ich aß ein weniges von meinem aufgehobenen Mahle. Die Dämmerung war schon weit vorgerückt und die Nacht bereits herein gebrochen. Ich konnte jetzt das verworrene Getöse sogar in meine Stube her ein hören, und meine Leute gingen voll Angst unten in dem Hause herum.
Nach einer Weile kam der Thomas, der ebenfalls gegessen und andere Kleider angetan hatte, zu mir herein und sagte, daß sich die Leute der Nachbarhäuser versammeln und in großer Bestürzung seien. Ich tat einen starken Rock um und ging mittelst eines Stockes über das Eis zu den Häusern hinüber. Es war bereits ganz finster geworden, nur das Eis auf der Erde gab einen zweifelhaften Schein und ein Schneelicht von sich. Den Regen konnte man an dem Angesichte spüren, um das es feucht war, und ich spürte ihn auch an der Hand, mit welcher ich den Bergstock einsetzte. Das Getöse hatte sich in der Finsternis vermehrt, es war rings herum an Orten, wo jetzt kein Auge hindringen konnte, wie das Rauschen entfernter Wasserfälle, – das Brechen wurde auch immer deutlicher, als ob ein starkes Heer oder eine geschreilose Schlacht im Anzuge wäre. Ich sah die Leute, als ich näher gegen die Häuser kam, stehen, aber ich sah die schwarzen Gruppen derselben von den Häusern entfernt mitten im Schnee, nicht etwa vor den Türen oder an der Wand.[550]
»Ach Doktor helft, ach Doktor helft«, riefen einige, da sie mich kommen sahen und mich an meinem Gang erkannten.
»Ich kann euch nicht helfen, Gott ist überall groß und wunderbar, er wird helfen und retten«, sagte ich, indem ich zu ihnen hinzu trat.
Wir standen eine Weile bei einander und horchten auf die Töne. Später vernahm ich aus ihren Gesprächen, daß sie sich fürchteten, daß bei der Nacht die Häuser eingedrückt werden könnten. Ich sagte ihnen, daß sich in den Bäumen, insbesondere bei uns, wo die Nadelbäume so vorherrschend sind, in jedem Zweige, zwischen den kleinsten Reisern und Nadeln das unsäglich herunter rinnende Wasser sammle, in dem seltsamen Froste, der herrsche, gefriere und durch stetes nachhallendes Wachsen an den Ästen ziehe, Nadeln, Reiser, Zweige, Äste mit herab nehme, und endlich Bäume biege und breche; aber von dem Dache, auf welchem die glatte Schneedecke liege, rinne das Wasser fast alles ab, um so mehr, da die Rinde des Eises glatt sei und das Rinnen befördere. Sie möchten nur durch Haken Stücke des Eises herab reißen, und da würden sie sehen, zu welch geringer Dicke die Rinde auf der schiefen Fläche anzuwachsen im Stande gewesen sei. An den Bäumen ziehen unendlich viele Hände gleichsam bei unendlich vielen Haaren und Armen hernieder; bei den Häusern schiebe alles gegen den Rand, wo es in Zapfen niederhänge, die ohnmächtig sind, oder losbrechen, oder herab geschlagen werden können. Ich tröstete sie hiedurch, und sie begriffen die Sache, die sie nur verwirrt hatte, weil nie der gleichen oder nicht in solcher Gewalt und Stärke erlebt worden war.
Ich ging dann wieder nach Hause. Ich selber war nicht so ruhig, ich zitterte innerlich; denn was sollte das werden, wenn der Regen noch immer so fort dauerte und das Donnern der armen Gewächse in so rascher Folge zunahm,[551] wie es jetzt, wo schier alles am Äußersten war, geschah. Die Lasten hatten sich zusammengelegt; ein Lot, ein Quentchen, ein Tropfen konnte den hundertjährigen Baum stürzen. Ich zündete in meiner Stube Lichter an, und wollte nicht schlafen. Der Bube Gottlieb hatte durch das lange Stehen und Warten an dem Thaugrunde ein leichtes Fieber bekommen. Ich hatte ihn untersucht, und schickte ihm etwas hinunter.
Nach einer Stunde kam der Thomas und sagte, daß die Leute zusammen gekommen seien und beten; das Getöse sei furchtbar. Ich erwiderte ihm, es müsse sich bald ändern, und er entfernte sich wieder.
Ich ging in dem Zimmer, in das der Lärmen, wie tosende Meereswogen, drang, auf und nieder, und da ich mich später auf das lederne Sitzbette, das da stand, ein wenig niedergelegt hatte, schlief ich aus Müdigkeit doch ein.
Als ich wieder erwachte, hörte ich ein Sausen oberhalb meinem Dache, das ich mir nicht gleich zu erklären vermochte. Als ich aber aufstand, mich ermannte, an das Fenster trat und einen Flügel öffnete, erkannte ich, daß es Wind sei, ja, daß ein Sturm durch die Lüfte dahin gehe. Ich wollte mich überzeugen, ob es noch regne, und ob der Wind ein kalter oder warmer sei. Ich nahm einen Mantel um, und da ich durch das vordere Zimmer ging, sah ich seitwärts Licht durch die Tür des Gemaches herausfallen, in welchem Thomas schläft. Er ist nämlich in meiner Nähe, damit ich ihn mit der Glocke rufen könne, wenn ich etwas brauche, oder falls mir etwas zustieße. Ich ging in das Gemach hinein und sah, daß er an dem Tische sitze. Er hatte sich gar nicht nieder gelegt, weil er sich, wie er mir gestand, zu sehr fürchtete. Ich sagte ihm, daß ich hinunter gehe, um das Wetter zu prüfen. Er stand gleich auf, nahm seine Lampe, und ging hinter mir die Treppe hinab. Als wir unten im Vorhause angekommen waren, stellte ich mein Licht in die Nische der Stiege und[552] er seine Lampe dazu. Dann sperrte ich die Tür auf, die in den Hof hinaus führt, und als wir aus den kalten Gängen hinaus traten, schlug uns draußen eine warme, weiche Luft entgegen. Der ungewöhnliche Stand der Dinge, der den ganzen Tag gedauert hatte, hatte sich gelöset. Die Wärme, welche von der Mittagseite her kam und bis jetzt nur in den oberen Teilen geherrscht hatte, war nun auch, wie es meist geschieht, in die untern herab gesunken, und der Luftzug, der gewiß oben schon gewesen war, hatte sich herabgedrückt und war in völligen Sturm Übergegangen. Auch am Himmel war es, so viel ich sehen konnte, anders geworden. Die einzelne graue Farbe war unterbrochen; denn ich sah dunkle und schwarze Stücke hie und da zerstreut. Der Regen war nicht mehr so dicht, schlug aber in weiter zerstreuten und stärkeren Tropfen an unser Gesicht. Als ich so stand, näherten sich mir einige Menschen, die in der Nähe meines Hauses gewesen sein mußten. Mein Hof ist nämlich nicht so, wie es gewöhnlich zu sein pflegt, und damals war er noch weniger verwahrt als jetzt. Das Mauerwerk meines Hauses ist nämlich von zwei Seiten ins Rechteck gestellt, und das sind die zwei Seiten des Hofes. Die dritte war damals mit einer Planke versehen, hinter der der Garten werden sollte, in den man durch ein hölzernes Gitter hinein ging. Die vierte war die Einfahrt, damals auch Planke, nicht einmal gut gefügt, und mit einem hölzernen Gittertore versehen, das meistens offen stand. In der Mitte des Hofes sollte ein Brunnen werden, der aber damals noch gar nicht angefangen war. Es kam daher leicht an, daß Menschen zu mir in meinem Hofe herzu treten konnten. Sie waren im Freien gestanden und hatten in großer Angst den Zustand der Dinge betrachten wollen. Als sie das Licht in den Fenstern meiner Stube verschwinden sahen und gleich darauf bemerkten, daß es an den Fenstern des Stiegenhauses herunter gehe, dachten sie, daß ich in den Hof[553] kommen würde, und gingen näher herzu. Sie fürchteten erst rechte Verheerungen und unbekannte Schrecken, da nun der Sturm auch noch dazu gekommen sei. Ich sagte ihnen aber, daß dies gut ist, und daß nun das Ärgste bereits hinter uns liege. Es war zu erwarten, daß die Kälte, die nur unten, nicht aber oben war, bald verschwinden würde. Es könne nun, da der Wind so warm sei, kein neues Eis mehr entstehen, ja das alte müsse weniger werden. Der Wind, wie sie meinten und fürchteten, könne auch nicht mehr Bäume stürzen, als in der Windstille gefallen sind; denn als er sich hob, sei er gewiß nicht so stark gewesen, daß er zu der Wucht, mit der mancher Stamm schon beladen gewesen war, so viel hinzu gegeben hätte, daß der Stamm gebrochen wäre, wohl aber sei er gewiß schon stark genug gewesen, um das Wasser, das locker in den Nadeln geschwebt hatte, und die Eisstücke, die nur mit einem schwachen Halt befestigt gewesen waren, herab zu schütteln. Der nächste, stärkere Stoß habe schon einen erleichterten Baum gefunden und habe ihn noch mehr erleichtert. So sei die Windstille, in der sich alles heimlich sammeln und aufladen konnte, das Furchtbare, und der Sturm, der das Zusammengeladene erschütterte, die Erlösung gewesen. Und wenn auch mancher Baum durch den Wind zum Falle gebracht wurde, so wurden doch gewiß weit mehrere durch ihn gerettet, und der schon im Äußersten stehende Stamm wäre auch in der Windstille, nur um eine kleine Zeit später, gefallen. Und nicht bloß herab geschüttelt habe der Wind das Eis, sondern er habe es auch durch seinen warmen Hauch zuerst in den zarteren Geweben, dann in den stärkeren zerfressen, und habe das dadurch entstandene und auch das vom Himmel gefallene Wasser nicht in den Zweigen gelassen, wie es eine bloß warme, aber stille Luft getan hätte. Und in der Tat, obwohl wir durch das Sausen des Sturmes hindurch das frühere Rauschen der Wälder[554] nicht hören konnten, so waren doch die dumpfen Fälle, die wir allerdings noch vernahmen, viel seltener geworden.
Nach einer Weile, in welcher der Wind immer heftiger und, wie wir meinten, auch immer wärmer geworden war, wünschten wir uns eine gute Nacht, und gingen nach Hause. Ich begab mich auf meine Stube, entkleidete mich, legte mich in das Bett, und schlief recht fest bis an den Morgen, da schon der helle Tag an dem Himmel stand.
Als ich erwacht war, stand ich auf, legte die Kleider an, die ich am Morgen gerne habe, und ging an die Fenster. Der Sturm hatte sich noch gesteigert. Ein weißer Schaum jagte an dem Himmel dahin. Der blaue Rauch, der aus der Hütte des Klum herausging, zerflatterte, wie ein zerrissener Schleier. Wo sich ein Stück einer schwarzen Wolke hinter einem Walde hervorragend sehen ließ, wälzte es sich am Himmel hin, und war gleich wieder nicht sichtbar. Es schien, als sollte jeder Dunst verjagt werden und sogleich das reine Blau zum Vorschein kommen; allein es quoll der weiße Qualm immer wieder heraus, als würde er in der Tiefe des Himmels erzeugt; und braunliche und graue und rötliche Stücke jagten in ihm dahin. Die Dächer der Nachbarhütten schimmerten naß; in den Mulden des Eises, das über dem Schnee lag, stand Wasser, und wurde gekräuselt und in feinen Tropfen in die Lüfte zerspritzt; das andere nasse Eis glänzte schimmernd, als wäre die Weiße des Himmels darauf geworfen, die Wälder ragten finsterer und die schwarze Farbe des Sturmes gewinnend gegen den Himmel, und wo ein näherer Baum seine Äste im Winde wiegte, stand oft augenblicklich ein langer Blitz da und verschwand, und selbst über die ferneren Wände der Wälder lief es noch zu Zeiten wie verlorenes Geschimmer und Geglänze. In meinem Hofe war es naß, und die einzelnen,[555] aber großen Tropfen schlugen gegen die andere Wand meines Hauses und gegen ihre Fenster; denn die meinigen waren dem Winde nicht zugekehrt und schauten gegen Sonnenaufgang. Bei der Fichte, an der mein Sommerbänklein steht, das aber jetzt wegen der großen Überhüllung des Schnees nicht zu erblicken war, sah ich, wie sie Leitern anlegten und der Kajetan hinauf kletterte, um die zwei Wiesbaumseile los zu lösen.
Die Gefahr, in welcher wir schwebten, war nun eine andere und größere als gestern, wo nur für die Wälder und Gärten ein großer Schaden zu fürchten gewesen war. Wenn das Wasser von dem außerordentlich vielen Schnee, der in dem Winter gefallen war, auf einmal los gebunden wird, so kann es unsere Felder, unsere Wiesen und unsere Häuser zerstören. Der Wind war noch wärmer, als in der vergangenen Nacht; denn ich öffnete die Fenster des Ganges, um ihn zu empfinden. Wenn einmal die dichte Eisdecke, die sich gestern wie zum Schutze auf die Erde gelegt hatte, durchfressen ist, dann wird der Schnee, das lockere Gewirre von lauter dünnen Eisnadeln, schnell in Tropfen zerfallen, die wilden Ungeheuer der Waldbäche werden aus den Tälern herausstürzen und donnernd die Felder, die Wiesen, die Flächen mit Wasser füllen; von allen Bergen werden schäumende Bänder niedergehen; das beweglich gewordene Wasser wird, wo Felsen und jähe Abhänge empor ragen, die Lawinen, welche Steine, Schnee und Bäume ballen, die Bäche dämmen und vor sich ein Meer von Wasser erzeugen.
Ich legte meine Kleider an, aß schnell mein Frühmahl und bereitete mich zu dem heutigen Tagewerke. Ich ging zu dem Knaben Gottlieb hinab, um nachzuschauen; aber er war ganz gesund und sah sehr gut aus. Ich sendete zu dem Vetter Martin, dem Wirt am Rothberge, hinunter, daß er mir heute ein Fuhrwerk leihe, denn durch den[556] Thaugrund war der Weg durch gestürzte Bäume verlegt und konnte so bald nicht befreit werden, obwohl nun keine Gefahr mehr unter den Bäumen herrschte. Von dem Rothberge herauf war aber alles frei geblieben; denn die Buchen mit ihren zähen Ästen hatten die belasteten Zweige zwar bis auf die Erde hängen lassen, waren aber doch dem Zerbrechen widerstanden. Auf dem Wege, auf welchem wir gestern gekommen waren, konnte der Thomas nicht in das Eidun und zu dem Fuchse hinüber gelangen, weil das Eis nicht mehr trug; und ein tiefes, gefährliches Versinken in den wässerigen Schnee hätte erfolgen müssen. Er sagte, er wolle es gegen Mittag versuchen, bei den gestürzten Bäumen vorbei zu klettern und so in das Eidun zu kommen. Von den Rothberghäusern war zeitlich früh schon ein Bote herauf gekommen, der mir Nachricht von einem Kranken zu bringen hatte, und dieser hatte mir auch gesagt, daß es durch den Haidgraben und an dem Buchengehäng von dem Rothberge herauf frei geblieben war.
Während ich auf den Knecht wartete, den mir der Wirt am Rothberge mit einem Fuhrwerke senden sollte, untersuchte ich die Eisrinde des Schnees. Sie war noch nicht zerstört, aber an vielen Stellen in der Nähe meines Hauses so dünn, daß ich sie mit meiner Hand zerbrechen konnte. In muldenförmigen Gräben rann das Wasser auf der glatten Unterlage bereits sehr emsig dahin. Der Regen hatte ganz aufgehört, höchstens daß noch mancher einzelne Tropfen von dem Winde geschleudert wurde. Der Wind aber dauerte fort, er glättete das Eis, auf dem er das dünne Wasser dahin jagte, zu dem feinsten Schliffe, und lösete durch seine Weichheit unablässig alles Starre und Wassergebende auf.
Der Knecht des Wirtes am Rothberge kam, ich nahm mein Gewand gegen den Wind zusammen und setzte mich in den Schlitten. Ich habe an diesem Tage viele[557] Dinge gesehen. Statt daß es gestern auf den Höhen und in den Wäldern gerauscht hatte, rauschte es heute in allen Tälern, statt daß es gestern an den Haaren des Fuchses nieder gezogen hatte, flatterten sie an dem heutigen Pferde in allen Winden. Wenn wir um eine Schneewehe herum biegen wollten, sprang uns aus ihr ein Guß Wasser entgegen, es raschelte in allen Gräben, und in den kleinsten, unbedeutendsten Rinnen rieselte und brodelte es. Die Siller, sonst das schöne, freundliche Wasser, brauste aus dem Walde heraus, hatte die fremdartig milchig schäumenden Wogen des Schneewassers, und stach gegen die dunkle Höhle des Waldes ab, aus der sie hervor kam, und in der noch die gestürzten Bäume über einander und über das Wasser lagen, wie sie gestern von dem Eise gefällt worden waren. Wir konnten nicht durch den Wald fahren, und mußten durch die Hagweiden den Feldweg einschlagen, der heuer zufällig befahren war, weil die Bewohner von Haslung ihr Holz von dem Sillerbruche wegen des vielen Schnees nicht durch den Wald, sondern auf diesem Umwege nach Hause bringen mußten. Wir fuhren durch den geweichten Schnee, wir fuhren durch Wasser, daß der Schlitten beinahe schwamm, und einmal mußte das Tier von dem Knechte mit größter Vorsicht geführt werden, und ich mußte bis auf die Brust durch das Schneewasser gehen.
Gegen Abend wurde es kühler, und der Wind hatte sich beinahe gelegt.
Als ich mich zu Hause in andere Kleider gehüllt hatte und um den Thomas fragte, kam er herauf zu mir und sagte, daß er mit dem Fuchse noch glücklich nach Hause gekommen sei. Er habe die gestürzten Bäume überklettert, man sei mit Sägen mit ihm gegangen, um wenigstens die größeren Stücke von dem Wege zu bringen, und da er zurück gekommen war, sei es schon ziemlich frei gewesen. Über die kleineren Stämme und über die[558] Äste habe er den Schlitten hinüber geleitet. Aber der Bach, der im Thaugrunde fließt, hätte ihm bald Hindernisse gemacht. Es ist zwar nicht der Bach da, aber an der Stelle, wo unter dem Schnee der Bach fließen sollte, oder eigentlich gefroren sein mag, rann vieles Wasser in einer breiten Rinne hin. Als er den Fuchs hineinleitete, wäre derselbe im Schnee versunken, der in dem Grunde des Wassers ist, daher er ihn wieder zurück zog und selber durch Hineinwaten so lange versuchte, bis er den festen Boden des heurigen Schlittenweges fand, auf welchem er dann den Fuchs und den Schlitten durchgeführt habe. Später wäre es nicht mehr möglich gewesen; denn jetzt stehe ein ganzer See von Wasser in den Niederungen des Thaugrundes.
Ähnliche Nachrichten kamen aus verschiedenen Teilen meiner Nachbarschaft; von der Ferne konnte ich keine bekommen, weil sich niemand getraute, unter diesen Umständen einen weiteren Weg zu gehen. Selbst zwei Boten, die mir von entfernten Kranken Nachricht bringen sollten, sind ausgeblieben.
So brach die Nacht herein und hüllte uns die Kenntnis aller Dinge zu, außer dem Winde, den wir über die weiße, wassergetränkte, gefahrdrohende Gegend hinsausen hörten.
Am andern Tage war blauer Himmel, nur daß einzelne Wölklein nicht schnelle, sondern gemach durch das gereinigte Blau dahin segelten. Der Wind hatte fast gänzlich aufgehört, und zog auch nicht mehr aus Mittag, sondern ganz schwach aus Untergang Auch war es kälter geworden, zwar nicht so kalt, daß es gefroren hätte, doch so, daß sich kein neues Wasser mehr erzeugte. Ich konnte auf meinen Wegen fast überall durchdringen, außer an zwei Stellen, wo das Wasser in einer solchen Tiefe von aufgelösetem und durchweichtem Schnee dahin rollte, daß es nicht möglich war, durch zu gehen[559] oder zu fahren. An einem andern Platze, wo es zwar ruhig, aber breit und tief in der Absenkung des Tales stand, banden sie Bäume zusammen und zogen mich gleichsam auf einem Floße zu einem gefährlichen Kranken hinüber. Ich hätte die andern zwar auch gerne gesehen, aber es war doch nicht so notwendig, und morgen hoffte ich schon zu ihnen gelangen zu können.
Am nächsten Tage war es wieder schön. Es war in der Nacht so kalt gewesen, daß sich die stehenden Wässer mit einer Eisdecke überzogen hatten. Diese schmolz am Tage nicht weg, wohl aber zerbrach sie, indem die Wässer in die unterhalb befindliche Grundlage des Schnees schnell einsanken und versiegender wurden. Es war doch gestern gut gewesen, daß ich zu dem Kumberger Franz auf dem Floße hinüber gefahren bin, denn das Mittel, welches ich ihm da gelassen hatte, hatte so gut gewirkt, daß er heute viel besser war und fast die Gefahr schon überstanden hatte. Auch zu den andern zweien konnte ich schon gelangen. Man konnte zwar nicht fahren, weil es unter dem Wasser zu ungleich war, aber mit einer Stange und meinem Bergstocke, den ich daran band, konnte ich durchgehen. Die nassen Kleider wurden, nachdem ich die zweiten, die ich mit führte, im Gollwirtshause angelegt hatte, in den Schlitten gepackt.
Am nächsten Tage konnte ich auch schon wieder durch den Thaugrund in das Eidun und in die Dubs hinüber gelangen.
Es kamen nun lauter schöne Tage. Eine stetige, schwache Luft ging aus Sonnenaufgang. Nachts fror es immer, und bei Tage tauete es wieder. Die Wässer, welche sich in jenem Sturme gesammelt hatten, waren nach und nach so versiegt und versunken, daß man keine Spur von ihnen entdecken konnte, und daß man auf allen Wegen, die sonst im Winter gangbar sind, wieder zu gehen und anfangs mit Schlitten und später mit Wägen zu fahren[560] vermochte. Eben so hatte sich die unermeßliche Menge Schnee, die wir so gefürchtet hatten, so allmählig verloren, daß wir nicht wußten, wo er hingekommen ist, als hie und da offene Stellen zum Vorscheine kamen, und endlich nur mehr in Tiefen und Schluchten und in den höheren Wäldern die weißen Flecke lagen.
In den ersten Tagen nach jenem Ereignisse mit dem Eise, als die Leute sich allgemach wieder auf entferntere Wege wagten, konnte man die Zerstörungen erst recht ermessen. An manchen Orten, wo die Bäume dicht standen und wegen Mangel an Luftzug und Licht die Stämme dünner, schlanker und schwächer waren, dann an Gebirgshängen, wo sie mageren Boden hatten, oder durch Einwirkung herrschender Winde schon früher schief standen, war die Verwüstung furchtbar. Oft lagen die Stämme wie gemähte Halme durcheinander, und von denen, die stehen geblieben waren, hatten die fallenden Äste herab geschlagen, sie gespalten oder die Rinde von ihnen gestreift und geschunden. Am meisten hatte das Nadelholz gelitten, weil es zuerst schon, namentlich, wo es dicht steht, schlankere, zerbrechlichere Schafte hat, dann weil die Zweige auch im Winter dicht bebuscht sind und dem Eise um viel mehr Anhaltsstellen gewähren, als die der anderen Bäume. Am wenigsten wurde die Buche mitgenommen, dann die Weide und Birke. Die letztere hatte nur die feinsten herabhängenden Zweige verloren, die wie Streu herum lagen; – wo ein Stamm dünne genug war, hatte er sich zu einem Reife gebogen, derlei Reifen man dann im Frühlinge viele herum stehen sehen konnte; ja noch im Sommer und selbst nach mehreren Jahren waren manche zu sehen. Allein, wie groß auch die Zerstörung war, wie bedeutend auch der Schaden war, der in den Wäldern angerichtet wurde, so war dieses in unserer Gegend weniger empfindlich, als es in andern gewesen wäre; denn da wir Holz genug hatten, ja, da eher[561] ein Überfluß als ein Mangel daran herrschte, so konnten wir das, was wirklich zu Grunde gegangen war, leicht verschmerzen, auch mochten wir zu dem nächsten Bedürfnisse nehmen, was gefallen war, wenn man nämlich dazu gelangen konnte, und es nicht in Schlachten lag oder an unzugänglichen Felsen hing. Größer aber und eindringlicher noch mochte der Schaden an Obstbäumen sein, wo die Äste von ihnen gebrochen waren, und wo sie selber gespalten und geknickt wurden; denn Obstbäume sind ohnedem in der Gegend seltener als sonst wo, und sie brauchen auch mehr Pflege und Sorgfalt, und gedeihen langsamer, als es selbst nur wenige Stunden von uns der Fall ist, in der ebeneren Lage draußen, in Tunberg, in Rohren, in Gurfeld, und selbst in Pirling, das näher an uns ist und an unseren Waldverhältnissen schon Teil nimmt.
Von den Gruppen von Bäumen, die in meiner Wiese und in der Nachbarschaft herum stehen, und die ich so liebe, haben mehrere gelitten. Einige sind geknickt, haben ihre Äste verloren, und drei Eschen sind ganz und gar umgeworfen worden.
Im Thurwalde, der vielleicht der höchste ist, den man vom Hage und vom Hange sehen kann, ist eine Lawine herabgegangen und hat das Holz genommen, daß man jetzt noch den Streifen mit freiem Auge erblicken kann.
Als einige Zeit vergangen war und die Wege an den Orten wieder frei wurden, hörte man auch von den Unglücksfällen, die sich ereignet hatten, und von wunderbaren Rettungen, die vorgekommen waren. Ein Jäger auf der jenseitigen Linie, der sich nicht hatte abhalten lassen, an dem Tage des Eises in sein Revier hinauf zu gehen, wurde von einer Menge stürzender Zapfen erschlagen, die sich am oberen Rande einer Felswand losgelöst und die weiter unten befindlichen mitgenommen hatten. Man fand ihn mitten unter diesen Eissäulen liegen, da man sich am andern Tag trotz des Sturmes und[562] der Schneeweiche den Weg hinauf zu ihm gebahnt hatte; denn der Jägerjung wußte, wohin sein Herr gegangen war, er nahm die Hunde mit, und diese zeigten durch ihr Anschlagen die Stelle, wo er lag. Zwei Bauern, welche von dem Rothberge, wo sie übernachtet hatten, durch die Waldhäuser in die Rid hinübergehen wollten, wurden von fallenden Bäumen erschlagen. Im untern Astung ertrank ein Knabe, der nur zum Nachbar gehen wollte. Er versank in dem weichen Schnee, welcher in der Höhlung des Grundes stand, und konnte nicht mehr herauskommen. Wahrscheinlich wollte er, wie man erzählte, nur ein klein wenig von dem Wege abweichen, weil derselbe schief und mit glattem Eise belegt war, und geriet dadurch in den Schnee, der über einer weiten Grube lag, und unter den am ganzen Tage das Wasser hinein gerieselt war und ihn trügerisch unterhöhlt hatte. Ein Knecht aus den Waldhäusern des Rothbergerhanges, der im Walde war und das beginnende Rauschen und Niederfallen der Zweige nicht beachtet hatte, konnte sich, als er nicht mehr zu entrinnen wußte, nur dadurch retten, daß er sich in die Höhlung, welche zwei im Kreuze aufeinander gestürzte Bäume unter sich machten, hinein legte, wodurch er vor weiteren auf die Stelle stürzenden Bäumen gesichert war und von fallendem Eise nichts zu fürchten hatte, da es auf dem Rund der großen Stämme zerschellte oder abgeschleudert wurde. Allein das wußte er nicht, wenn ein neuer, starker Stamm auf die zwei schon daliegenden fiele, ob sie nicht aus ihrer ersten Lage weichen, tiefer nieder sinken und ihn dann zerdrücken würden. In dieser Lage brachte er einen halben Tag und die ganze Nacht zu, indem er nasse Kleider und nichts bei sich hatte, womit er sich erquicken und den Hunger stillen konnte. Erst mit Anbruch des Tages, wo der Wind sauste und er von fallendem Eise und Holze nichts mehr vernehmen konnte, wagte er sich hervor und[563] ging, teilweise die Eisrinde schon durchbrechend und tief in den Schnee einsinkend, zum nächsten Wege, von dem er nicht weit ab war, und gelangte auf demselben nach Hause.
Auch den Josikrämer hielt man für verunglückt. Er war im Haslung am Morgen des Eistages fortgegangen, um durch den Dusterwald in die Klaus hinüber zu gehen. Allein in der Klaus ist er nicht angekommen, auch ist er in keinem der umliegenden Orte, nachdem er vom Haslung bereits drei Tage weg war, erschienen. Man meinte, in dem hohen Dusterwalde, dessen Gangweg ohnedem sehr gefährlich ist, wird er um das Leben gekommen sein. Er war aber von den letzten Höhen, die von Haslung aus noch sichtbar sind, hinabgegangen, wo das Tal gegen die wilden Wände und die vielen Felsen des Dusterwaldes hinüber läuft und sich dort an der Wildnis empor zieht, dann ist er schräg gegen die Wand gestiegen, die mit dem vielen Gesteine und den dünne stehenden Bäumen gegen Mittag schaut, und wo unten im Sommer der Bach rauscht, der aber jetzt überfroren und mit einer unergründlichen Menge von Schnee bedeckt war. Weil der Weg längs des Hanges immer fort geht und über ihn von der Höhe bald Steine rollen, bald Schnee in die Tiefe abgleitet, so hatte der Krämer seine Steigeisen angelegt; denn wenn sich auch auf der Steile nicht viel Schnee halten kann, vor dem Versinken also keine große Gefahr war, so kannte er doch den Regen, der da nieder fiel und gefror, sehr gut, und fürchtete, an mancher Schiefe des Weges auszugleiten und in den Abgrund zu fallen. Da er, ehe es Mittag wurde, bei dem Kreuzbilde vorbei ging, das vor Zeiten der fromme Söllibauer aus dem Gehänge hatte setzen lassen, hörte er bereits das Rasseln und das immer stärkere Fallen des Eises. Da er weiter ging, die Sache immer ärger wurde und zuletzt Bedenklichkeit gewann, kroch er in eine trockene Steinhöhle, die nicht[564] weit von dem Wege war, die er wußte, und in der er sich schon manchmal vor einem Regen verborgen hatte, um auch heute das Gefahrdrohendste vorübergehen zu lassen. Weil er solche eisbildende Regen kannte, daß ihnen gewöhnlich weiches Wetter zu folgen pflegt, und weil er mit Brod und anderen Lebensmitteln versehen war, indem er gar oft sein Mittagsmahl in irgendeinem Walde hielt, so machte er sich aus dem Dinge nicht viel daraus. Als er am andern Morgen erwachte, ging ein Wasserfall über seine Steinhöhle. Der Wind, welcher von Mittag kam, hatte sich an der Wand, die ihm entgegen schaute, recht fangen können, und da die Bäume wegen dem Gefelse dünner standen, so konnte er sich auch recht auf den Schnee hinein legen und ihn mit seinem Hauche schnell und fürchterlich auflösen. Der Krämer sah, wenn er seitwärts seines Wassers am Eingange der Höhle hinüber blickte, daß allenthalben an den Gehängen weiße, schäumende, springende Bänder nieder flatterten. Hören konnte er nichts wegen dem Tosen des eigenen Wassers, das alles übertäubte. Auch sah er unten manchen Schneestaub aufschlagen von den unaufhörlich an allen Orten niedergehenden Lawinen; denn am oberen Rande der Wand geht schief eine Mulde empor, in welcher im Winter ein unendlicher Schnee zu liegen pflegt, der erstens aus dem Himmel selbst darauf fällt und dann von der noch höher liegenden schiefen, glatten Wand darauf herab rollt. Aus diesem Schnee entwickelte sich nun unsägliches Wasser, das alles über den Hang, an dem der Weg des Krämers dahin ging, nieder rann und zu der Tiefe zielte, in der sonst der Wildbach fließt, jetzt aber ein unbekannt tiefes Gebräu von Schnee und Wasser stand. An den Bäumen zerstäubte manches Stück Schnee, das oben auf dem nassen Boden sachte vorgerückt war und sich los gelöst hatte. Der Krämer blieb außer dem ersten Tage noch die zwei folgenden in der Höhle. Er[565] hatte, um sich gegen die Kälte wehren zu können, die ihn bei seiner langen Ruhe überfiel, aus seinem Packe ein Stück grobes Tuch heraus suchen und sich daraus ein Lager und eine Decke machen müssen. In der Klaus ist er aber dann auch nicht angekommen, sondern man sah ihn am vierten Tage nach dem Eissturze nachmittags mit seinem Packe an dem Hage vorüber gehen. Er ging nach Gurfeld hinaus, um sich sein Tuch, das er gebraucht hatte, wieder zurichten zu lassen.
Spät im Sommer fand ich einmal auch die zusammengedorrten Überreste eines Rehes, das von einem Baume erschlagen worden war.
Ich werde die Herrlichkeit und Größe jenes Schauspieles niemals vergessen. Ich konnte es vielleicht nur allein ganz ermessen, weil ich immer im Freien war und es sah, während die andern in den Häusern waren und, wenn sie auch durch einen Zufall hinein gerieten, sich bloß davor fürchteten.
Ich werde es auch schon darum nicht vergessen, weil sich im Frühlinge darauf etwas angefangen hat, was mir auf ewig in dem Herzen bleiben wird. – – Ach du guter, du heiliger Gott! das werde ich gewiß nie, nie, nie vergessen können!
Es verging der Schnee so gemach, daß alles offen und grüner wurde als sonst, und daß in den tiefsten Tiefen schon die Bäche zu einer Zeit wieder rauschten, wo wir sonst noch manche weiße Inseln auf den Feldern sahen. Es wurde bald warm, und die Wässer des Schnees, die wir so gefürchtet hatten, waren nicht vorhanden. Sie waren entweder in die Erde eingesickert, oder rannen jetzt in den schönen, plätschernden Bächen durch alle Täler dahin. Die Bäume belaubten sich sehr bald, und wunderbar war es, daß es schien, als hätte ihnen die Verwundung des Winters eher Nutzen als Schaden gebracht. Sie trieben fröhliche junge Schossen, und wo einer recht[566] verletzt war und seine Äste gebrochen ragten, und wo mehrere beisammen standen, die sehr kahl geschlagen waren, kam eine Menge feiner Zweige, und es verdichtete sich immer mehr das grüne Netz, aus dem die besten, fettesten Blätter hervor sproßten. Auch die Obstbäume blieben nicht zurück. Aus den stehen gebliebenen Zweigen kamen die dichten Büschel großer Blüten hervor; ja wo die feineren Zweige fehlten, saßen in den Augen der dicken, selbst der Stämme, Büschel von Blüten, waren sehr groß und hielten sich fest, da sie doch sonst in anderen Jahren, wenn sie auch kamen, klein blieben und wieder abfielen.
Als der erste Schnee weg ging und der spätere, den mancher Apriltag noch nieder werfen wollte, sich nicht mehr halten konnte, als die Erde schon gelockert und gegraben werden konnte, kam der Obrist in unsere Gegend. Er hatte sich schier das ganze obere Hag eigentümlich gekauft, und begann an dem Eichenhage die Grundfesten eines Hauses aufwerfen zu lassen. Es war beinahe genau die Stelle, von der ich schon früher zuweilen gedacht hatte, daß hier eine Wohnung sehr gut stehen und recht lieblich auf die Wälder herum blicken könnte. Ich kannte den Obrist nicht. Ich wußte nur – und ich hatte es bei dem Wirte im Rothberge gehört, – daß ein fremder, reicher Mann in Unterhandlung um das obere Hag sei, und daß er sich ansässig machen wolle. Später sagte man, daß der Handel geschlossen sei, und man nannte auch die Summe. Ich hielt nicht viel darauf, weil ich solche Gerüchte kannte, daß sie bei wahren Veranlassungen gewöhnlich sehr gerne über die Wahrheit hinaus gehen, und ich hatte auch keine Zeit, mich an der wahren Stelle um den Sachverhalt zu erkundigen, weil jener Winter gerade viel mehr Kranke brachte als jeder andere. Im Frühlinge hieß es, daß schon gebaut werde, daß Wägen mit Steinen fahren, daß man im Sillerwalde das Bauholz behaue,[567] welches der Zimmermann in Sillerau schon am vorigen Herbste hatte fällen lassen, und daß man bereits die Grundfesten grabe. Ich ging eines Nachmittages, da ich Zeit hatte, hinauf, weil es von meinem Hause nicht weit ist, und weil ich ohnedem gerne dort hinübergehe, wenn ich zum Spazieren eine kleine Zeit habe. Es war wahr, ich fand eine Menge Menschen mit Ausgrabungen an dem Platze beschäftigt, wo man das Haus bauen wollte. Die meisten kannten mich und lüfteten den Hut oder grüßten auf andere Weise. Viele von ihnen hatten bei mir gearbeitet, als ich in dem nämlichen Zustande mit meinem neuen Hause war. Hier aber wurde mit viel mehr Händen und mit viel mehr Mitteln zugleich angefangen, als wollte man in sehr kurzer Zeit fertig werden. Ich sah auch schon eine Menge Baustoff herbei geschafft, und in einer hölzernen Hütte wurde vielfach an den künftigen Tür- und Fensterstöcken gemeißelt. Sogar der Garten, der neben dem künftigen Hause sein sollte, wurde schon seitwärts des Eichenhages abgesteckt. Ich sah den Baueigentümer nirgends, und als ich fragte, antwortete man mir, er sei jetzt selten gegenwärtig, er sei nur einmal gekommen, habe alles besichtigt, und habe dann den weitern Verlauf des Werkes dem Baumeister aufgetragen. Wenn es aber wärmer werde, dann werde er ganz hieher kommen, werde in einem hölzernen Hause wohnen, das er sich neben dem Eichenhage errichten lasse, und werde im Herbste schon ein paar Stoben des neuen Hauses beziehen, die zuerst fertig sein und bis dahin gehörig austrocknen werden.
Ich sah mir die Sache, wie sie hier begonnen wurde, sorgfältig an, und der Plan, wie ihn mir der Werkführer auseinandersetzte, gefiel mir sehr wohl.
Ich fragte gelegentlich auch um den Bauherrn und erfuhr, daß es ein alter Obrist sei. Weiter wußten die Leute selber nichts von ihm.[568]
Dann ging ich wieder in meine Wohnung hinunter.
Ich baute selber in diesem Frühjahre wieder weiter. Da wir bereits genug Steine im Vorrate zusammengeführt hatten, wurde die Gartenmauer angefangen. Die lieben, schönen Obstbäumchen, die ich hatte bringen lassen, schlugen in dem allgemeinen warmen, feuchten Frühlinge sehr gut an; die Blätter waren auf ihre Art fast zu groß und zu dunkel, und die Zweige waren strotzig und breiteten sich in kurzer Zeit sehr breit um die Stämmchen aus. Auch die Gemüsebeete, die ersten, die ich hatte, dehnten sich schön grün in den Strahlen der Sonne hin. Die Blumen, die Rosensträuche nämlich, die Flieder und andere – alles, alles begann sich zu rühren. Wegen der Tulpen, wegen der Zucht der Hyazinthen durch Samen und wegen der Nelken und anderer mußte ich mich erst mit dem Kaufherrn in Gurfeld bereden; denn alles konnte nicht auf einmal sein. Die Stuben im oberen Stocke sollten diesen Sommer alle hergerichtet, mit Öfen versehen und fertig sein, daß ich daran gehen könnte, sie mit Geräten zu schmücken. Ich wollte alle Stuben des Stockwerkes zu meiner Wohnung bestimmen, das will sagen: die Eckstube, zu der man aus der roten Gartentür, zu der ich immer den Schlüssel führe, hinauf kann, sollte mein Schlafgemach sein, wie sie es jetzt schon ist, nur mußten alle Geräte noch anders werden. Außer dem Bette mußten allerlei Gerüste zu Schreibereien und Büchern darin sein, damit ich gleich meine Geschäfte in Ruhe versehen könne. Daran soll das wahre Schreibgemach und auch Wohngemach stoßen. Es werden wohl noch viele Jahre vergehen, ehe ich mir werde das Schreibgerüste schnitzen lassen können, auf das ich sinne, an dem ich schon mehrere Jahre zeichnete und es änderte, und zu dem jetzt immer noch nicht angefangen worden ist. Aber es wird kommen, und die Kästen werde ich mir selber zeichnen und machen lassen. Dann sollen die anderen[569] Zimmer hergerichtet und geordnet werden, daß man Von einem in das andere gehen könne. Die achteckige Kammer, die ich am Anschlusse der zwei Seiten des Hauses eigens habe machen lassen, ist wie eine Kapelle, und könnte, wenn man wollte, zu einer dienen. Wo man speisen soll, wenn ich allein bin, oder wenn Leute bei mir als Gäste sind, diese Stabe soll zur Erde sein, links, wo die vorzüglichste Treppe von dem Hofe hinauf führt, und wo rechts der Gang ist, in dem man zur Küche und zur Speisekammer gelangen kann. An der andern Tür, die weiter hinten in dem Hofe ist, und von welcher auch eine Stiege in das Haus hinauf führt, neben dem Thomas vorbei, der nahe an meinem Gemache schläft – an dieser Tür soll hinterwärts der Kammer, wo jetzt Gottlieb ist, gegen den Garten hin eine Stube gemacht werden, in der ich Getäfel und alle Schnitzerei anbringen lassen werde, die ich liebe. Vielleicht, dachte ich, wenn Gott mein Wirken segnet, lasse ich mir mehrere Zimmer täfeln, weil es so schön ist. Neben dem Kajetan, und an der Scheuer und Wagenlaube sollte erweitert werden, weil ich wieder einen Acker an mich gekauft hatte.
Ach! alles im ganzen ersten Stockwerke sollte desselben Sommers fertig sein, und jetzt, da ich dieses schreibe und schon der dritte Sommer ist, sind kaum die weißen Fenstervorhänge da, welche mir Maria, die alte Haushälterin, heraufbrachte, und welche ich, weil sie mich sehr darum bat, gutwillig annahm.
Wann werden die Dinge fertig sein, an denen ich so viele Freude hatte, – ich muß es sagen, bei denen mir das Herz vor Freude hüpfte?!
Der schönste Frühling kam, alles drängte, blühte und schauerte von Fülle. Alle Hügel waren grün, die Felder wogten; auch die neuen, die man erst heuer an dem Mitterwege hinauf, wohin die Fenster des Hauses des Obrists recht schön werden schauen können, angelegt hatte, wallten[570] in der schönen blaugrauen Farbe des Kornes. Die schöne Fichte an meinem Sommerbänkchen war bedeckt mit den kleinen gelben, wohlriechenden Blütenzäpfchen; alles Laubholz schwankte in den neuen, lichteren, grüneren Kronen; selbst die ferneren Nadelwälder standen nicht so schwarz da, sondern gewannen durch die neuen Ansätze, die sie im Beginne der wärmeren Jahreszeit treiben, das sanftere Dämmern und das weichere Ferngrün, in dem sie im Frühlinge stehen; und wenn man in ihnen ging, so war überall ein frisches Harzduften, und sie rührten sich gleichsam in allen Zweigen und Ästen von dem Schreien und Singen und Lärmen der Vögel. Wir hatten unsere jungen Rappen heraus getan, und übten sie schon teilweise im Fahren, aber nur sehr wenig, daß sie nur lernten, daß sie sich zusammen gewöhnten, sich im Sommer und Winter über einübten und im künftigen Jahre abwechselnd gebraucht werden konnten. Der leichte Wagen, den ich für sie bestellt hatte, und in dem ich alle die Fächer und Einrichtungen, wie ich sie brauche, selber angegeben hatte, sollte noch im Anfange des Sommers fertig werden, und es war in der Wagenlaube schon der Platz bestimmt, auf dem er stehen sollte. Wir hatten viele Leute, die im Hause arbeiteten, daß es in der Vollendung weiter schreite; alles regte sich, wenn ich nach Hause kam und zusah. Und wenn dann das Abendbrod vorüber war und sich alle entfernten, schaute ich oft wie schön, wie freudig und wie schmerzlich in die helle, rote Glut der Abendwolken, wie sie hinter dem schwarzgezackten Rande des entfernten Waldes hinauszogen, ehe ich dann ein Licht anzündete, die Vorhänge herab tat, und auf dem Papiere anzeigte, was ich heute erfahren habe, und was ich morgen unternehmen sollte.
In dem Knaben Gottlieb hatte ich mich nicht getäuscht. Wie gleich meine Meinung gewesen war, daß er wieder gesund werden würde, so hat es sich bestätigt. Er war[571] eigentlich von der Natur aus gesund, und nur durch schlechte Nahrungsmittel war er so herab gekommen gewesen. Er sah jetzt aus wie eine Rose, war heiter, und wenn er so bleibt, dachte ich, werde ich ihn im Sommer das Heilwasser gar nicht mehr trinken lassen. Ich bin ihm darauf gekommen, daß er sich immer sehr gerne etwas bei den Füllen zu tun machte; er liebte die Tiere, das mag daher kommen, weil er sie früher nebst anderen bei Gregordubs gehütet hatte. Er hätte gerne die Rappen überhaupt auf sich genommen, aber das taugte nicht für ihn. Ich nahm einen Mann, der täglich zu uns kommen mußte, daß er ihn unterrichte, und ich ließ ihm von meinen Kleidern einen neuen Anzug machen. Ich gebe ihn schon nicht mehr weg. Die Pferde habe ich alle und im ganzen dem Thomas anvertraut, weil er den Fuchs bisher so geliebt und ihn so geschickt behandelt hat.
In jenen Tagen kam die Nachricht, daß der Obrist mit seiner Tochter in seiner neuen Heimat angelangt ist. Sie haben sich eine hölzerne Hütte recht bequem gebaut. Dieselbe hat drei Zimmer, eine schöne Küche und eine große Stube für die Mägde. Ein Diener, der mit dem Obrist gekommen ist, hat einen Verschlag neben der Stube seines Herrn, in dem er schläft. So wollen sie sich behelfen, bis einige Zimmer des neuen Hauses zu bewohnen sind, in welche sie dann einziehen werden. Diese Dinge habe ich gehört, und habe nicht weiter darauf geachtet. Ich hatte wohl früher schon die Hütte selber aufschlagen gesehen, und hatte bemerkt, daß der Bau des Hauses aus der Erde hervor gerückt sei; aber da ich länger nicht zu der Stelle hinauf gekommen war, wußte ich nicht, wie weit die Sache jetzt sei, und kam auch ferner nicht hinauf.
An einem Sonntage in der Kirche sah ich sie zum ersten Male, den Vater und die Tochter. Ich fahre gerne, wenn ich Zeit habe, zum Hauptgottesdienste hinaus, sonst[572] muß ich mit dem Frühgottesdienste vorlieb nehmen, den ich im Sommer, wo ich zeitlich ausfahre, oft schon weit von meinem Hause entfernt, in einer Ortskirche anhöre. Der sehr alte Pfarrer von Sillerau, der eben, als ich aus meinem Wagen stieg, von dem Pfarrhause in die Kirche hinüber ging, sagte zu mir: »Seid Ihr mit Eurem neuen Nachbar herüber gefahren, Doktor?«
»Nein,« antwortete ich, »ich kenne ihn noch gar nicht.«
»So ist er allein heraus gekommen«, sagte der Pfarrer; »denn da steht ja schon sein Wagen, er kömmt jeden Sonntag, und da ich Euch heute auch hier sehe, meinte ich, Ihr seid gleich hinter einander heraus gefahren.«
»Ich habe freilich diese Sonntage her nicht kommen können,« antwortete ich, »weil es zu viele Hülfsbedürftige gab, und ich war genötigt, mein göttliches Wort bald in dieser Kirche zu suchen, bald in jener; in der Dubs, im Haslung, und einmal war ich gar schon in Pirling draußen.«
»So ist es, so ist es,« sagte der alte Pfarrer, »Ihr habt viel zu tun und müsset an manchen Orten helfen. Der Kirchen gibt es ja auch andere. So sind die Kranken wieder mehr geworden?«
»Nein,« antwortete ich, »sie sind um viele weniger als in der vorigen Woche; der Frühling hilft mir, und in dieser guten Luft werden alle gesund, daß ich eine große Freude habe. Darum konnte ich ja heute mit Ruhe zu Euch heraus fahren.«
»Das ist schön, das ist schön. Nun so werdet Ihr Euren neuen Nachbar in der Kirche sehen. Er ist ein sehr vorzüglicher Mann, und gar nicht stolz, wenn auch alle Leute sagen, daß er sehr reich und vornehm sei. – Ich wünsche Euch einen sehr gesegneten Morgen, Doktor.«
Mit diesen Worten verbeugte sich der Pfarrer, und ging, das schneeweiße Haupt ein wenig vorgebeugt, Über den[573] schönen Rasenplatz, der vor der Kirche ist, dem kleinen Pförtlein zu, das in die Sakristei führt.
Ich hatte ihm sehr ehrfurchtsvoll gedankt, und blieb noch ein wenig, um den Wagen des Obrists anzuschauen. Es waren braune Pferde vorgespannt, nicht mehr gar jung; aber schön gehalten, und sehr frisch. Der Wagen war wohl gebaut und gut. Der Knecht sagte mir, daß er später ausspannen und in die Kirche gehen werde, wie es mein Thomas auch immer tut. Die Pferde stehen in dem trocknen und reinen Stalle des Wirtes gut genug. Die vielen und mancherlei Wägelchen der Bauern, die von der Ferne zur Kirche gefahren kommen, bleiben angespannt auf der Gasse, die Tiere werden angebunden, und einige Leute des Wirtes sind auch schon angewiesen, auf sie die Aufsicht zu führen.
In der Kirche sah ich den Obrist. Ich erkannte ihn sogleich vor den andern. Er saß mit seiner Tochter vorne in dem Querstuhle. Mein Sitz ist in der Mittelreihe neben den Bewohnern des Hanges. Ich habe ihn mir erst recht spät nach dem Tode meines Vaters bestellen können. Der Obrist hatte einen schwarzen Rock von Sammet an, darauf sein weißer Bart, den er gestutzt trug, mit sanftem Scheine niederfiel. Sein Haupthaar sah ich mit Freude an: es war länger, als man es gewöhnlich trägt, war glänzend weiß und fiel sehr reinlich gekämmt gegen den Nacken zurück. Daraus sah das Angesicht mit den vielen feinen Falten und den weißen Augenwimpern heraus. Seine Tochter war auch in Sammet, aber in dunkelgrünen gekleidet. Ihre braunen Haare waren über der Stirne abgeteilt. Ich kann die bestaubten Perücken, die man aufsetzt, nicht gerne anschauen, darum gefiel es mir, daß beide so gekleidet waren.
Als ich aus der Kirche kam, mich in meinen Wagen gesetzt hatte und nach Hause fuhr, sah ich sie, da ich einmal umschaute, hinter mir in einiger Entfernung nachfahren.[574] Allein, da mein Thomas auf die Vortrefflichkeit unseres Fuchses stolz ist, und wahrscheinlich wußte, daß die Braunen hinter uns liefen, holten sie uns nicht ein. Wo der Weg dann abwärts lenkt gegen Thal ob Pirling, fuhren sie seitwärts hinüber gegen das Hag, wo ihr Haus steht. Die Braunen liefen gut, wie wir es sehen konnten, sie hielten die schöne Richtung, und es flog unter ihnen der Staub des Feldweges auf.
Man hat den Ort, wo mein Haus steht, immer den Hang oder auch Waldhang genannt. Dies war noch so, als mein Vater seine Hütte bewohnte, auch noch so, als ich nach Prag ging; aber wie die Häuser mehrere wurden und Zahlen erhielten, nannten sie uns Thal ob Pirling. Dieses erscheint darum so, weil wir, obwohl wir in einem Tale sind, viel höher liegen als Pirling, zu dem unsere Wässer hinab fließen. Ich kann mich an eines nicht gewöhnen, und sage und schreibe, wie das Volk, bald das eine, bald das andere: Hang oder Thal ob Pirling.
Da die Kranken immer weniger wurden, gleichsam als wollte der Frühling alles gut machen, was der Winter, namentlich sein Ende, Übles getan hatte, das so viele Krankheiten, wenn auch wenig Tod gesendet hatte – so gewann ich Zeit, nicht bloß bei der Arbeit in meinem Hause nachzuschauen, sondern auch manchmal in der Gegend herum zu gehen, wie ja das Gehen meine Gewohnheit ist, und wie ich, wenn die Kranken weniger sind, in den Wäldern herum gehen muß, Pflanzen anschauen und nach Hause nehmen, oder unter einem Baume sitzen, etwas lesen, oder etwas auf ein Papier aufschreiben, oder gar nur auf die Täler und Waldrücken hinaus schauen, die so schön sind, und auf denen das liebe Blau liegt, und aus deren Schoße manchmal ein dünner, lichter, freundlicher Rauchfaden aufsteigt. So kam ich einmal durch das Eichenhag, das ich sehr liebe, hervor und wollte den Bau des Hauses ein wenig anschauen.[575] Da ich im Grase stand, kam der Obrist über ein Brett zu mir herüber, lüftete sein Barett, grüßte mich und sagte: »Ihr seid der junge Arzt, von dem in der ganzen Gegend so viel Gutes gesagt wird.«
»Ich bin der Arzt,« sagte ich, »jung bin ich auch, und wenn die Gegend Gutes sagt, so vergißt sie, zuerst dem zu danken, von dem alles Gelingen kömmt; ich kann nichts tun, als das Gelernte anzuwenden. Wenn ich Dank verdiene, so könnte es eher sein, weil ich auch zuweilen außer meinem ärztlichen Berufe mich bestrebe, den Leuten einiges Gute zu tun.«
»Weil ich Euch hier bei meinem angefangenen Werke sehe,« fuhr der Obrist fort, »so erlaubt, daß ich Euch eine Bitte vortrage. Ich will hier, in dieser ursprünglichen Gegend, den Rest meines Lebens zubringen. Darum möchte ich mit einigen Nachbarn, mit denen ich in Beziehungen geraten werde, und die ich nach ihrem Rufe schon im voraus schätzen muß, in liebe Bekanntschaft und freundlichen Umgang kommen. Erlaubt mir daher, daß ich Euch in diesen Tagen in Eurem Hause einen Besuch abstatte, der mir als dem Ankommenden und Fremden geziemt, und der als Anfang guter Nachbarschaft gelten möge. Meine Tochter müsset Ihr entschuldigen. Ich werde sie nicht mitbringen; denn da Ihr unvermählt seid, möchte es sich nicht schicken, daß ich sie Euch ins Haus führe. Sagt mir, wenn ich Euch in Euren Arbeiten am wenigsten beirre?«
»Ich werde es mir zur Ehre rechnen, Euren Besuch zu empfangen,« antwortete ich, »und weil Ihr so gut seid, Euch nach meiner Zeit richten zu wollen, so wählet die Nachmittagszeit um zwei Uhr, drei Uhr, oder vier Uhr; vormittags bin ich nie zu Hause, weil ich zu denen muß, die auf mich harren.«
»Ich werde zu dieser Zeit kommen«, antwortete er. »Ihr baut ja auch,« fuhr er fort, »da Ihr also an dieser Sache[576] Anteil nehmt, so besehet ein wenig diese Anlage, Ihr werdet schon daraus zum Teile entnehmen können, wie das Ganze werden wird. Ich möchte für mich und die Meinigen für diesen Herbst schon ein Plätzchen fertig haben, darin ich den Winter notdürftig zubringen könnte. Denn seht, ich habe den Entschluß, daß ich nicht wieder fort gehen und mein angefangenes Werk allein stehen lassen mag. Im nächsten Sommer wird dann weiter gearbeitet. Unter Dach und Fach aber möchte ich bis Mitte dieses Sommers sein.«
Er begleitete mich, da ich nach diesen Worten in den Bau hinein ging, selber in denselben, und setzte mir, da wir darin herum gingen, den allgemeinen Plan auseinander. Da wir noch Verschiedenes, aber hauptsächlich über das Bauen gesprochen hatten, beurlaubte ich mich und nahm meinen Weg nach Hause. Er begleitete mich bis an die Grenze seines Besitztumes, die durch abgesteckte, weit auseinander stehende Pfähle angezeigt war.
Das war also der Anfang dieser Bekanntschaft.
Ich erkannte im Hinabgehen zum Hange gleich, daß er viel geschickter, ineinandergreifender und auch viel schneller baue als ich. Er mußte in dem Dinge bedeutend mehr Erfahrung besitzen.
Als ich zu Hause angelangt war, besuchte ich noch meine Leute, diese grüßten mich freundlich, und arbeiteten lustig fort, während die warme Luft durch die leeren Räume meiner Zimmer strich und schöne weiße Frühlingswolken über den Wald her bei den Fenstern herein schauten. Kajetan trieb die Rinder bei dem Gittertore herein, die Mägde trugen Wasser, weil der Brunnen, der mitten in meinem Hofe sein sollte, immer noch nicht angefangen war, und den Thomas hörte ich aus dem Stalle, wo er mit den Pferden beschäftigt war, bis in meine Stabe herauf singen.
Nach zwei Tagen kam der Obrist zu mir zum Besuche.[577] Er war vom Hage herab gegangen. Er hatte wieder einen dunkeln Rock, dazu die weißen Haare gut standen; auf dem Haupte hatte er aber kein Barett, sondern einen Hut, wie sie bei den Soldaten in der Armee gebräuchlich waren, und in der Hand trug er ein Rohr mit einem schönen Knopfe.
Ich führte ihn in meine Stube hinauf; denn ich hatte ihn kommen gesehen und war ihm entgegen gegangen. Wir setzten uns nieder und redeten eine Weile. Er fragte mich um meine Wirksamkeit, und ich setzte ihm dieselbe aus einander. Dann sprachen wir über die Leute, wie sie so in dem Walde vorkommen, und wie sie fügsam oder unfügsam sind. Wir sprachen von den Pflichten der Kirche und Schule, und von denen der Bürger und Untertanen. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß er sein Besitztum so erkauft habe, daß es ganz frei ist, ohne Hörigkeit und Lasten, die er schuldig sei. Als er aufstand, zeigte ich ihm mein Haus, wie er mir das seinige gezeigt hatte, und sagte ihm, was ich für Pläne hatte. Er lobte alles und sagte doch hie und da etwas, aus dem ich lernen konnte. Ich zeigte ihm auch meine jungen Pferde, die ihm sehr gefallen hatten. Er mußte viel mit Pferden umgegangen sein. Die Rinderzucht des Kajetan lobte er auch, und bat mich, wenn ich überhaupt Kälber aus diesem Schlage weggebe, daß ich ihm einige zukommen lassen möchte, er würde sich aus dieser Zucht einen Anfang zu der seinigen wählen. Ich versprach es ihm gerne.
Da er fortging, begleitete ich ihn ebenfalls, wie er mich begleitet hatte. Ich ging mit ihm bis über die Stelle hinauf, wo die Hütte meines Vaters gestanden war. Dort sagte ich ihm, daß hier die Grenze meiner Besitzung sei, und daß ich mich hier beurlauben werde. Als wir Abschied nahmen, als er mir die Hand reichte, als wir so beisammen standen, er, der alte Mann, und ich, der ganz junge – als ich ihm dann, da er fort war, ein wenig nachschaute[578] und darauf wieder gegen mein Haus hinab ging, lachte ich: es ist gut, daß dieser Mann gekommen sei, daß ich mit ihm reden könne, daß ich mit ihm umgehe und von ihm etwas lerne.
Nach zwei Tagen, ebenfalls Nachmittag, wo ich wieder ganz frei war, erwiderte ich seinen Besuch. Ich habe nämlich nicht dafür gehalten, daß mein zufälliges Zusammentreffen mit ihm bei seinem Baue für einen Besuch zu rechnen sei. Ein alter Diener, den ich fragte, führte mich in das hölzerne Haus hinein. Der Hauptgang des Hauses, der an der Küche vorüber führte, hatte zwei Türen gegenüber, die eine rechts, die andere links. Der Diener führte mich durch die Türe rechts zu dem Obristen hinein. Er saß auf einem niederen Holzstuhle und fütterte selber die zwei schönen Wolfshunde, die ich dazumal zum ersten Male sah, und die mich jetzt so lieben. Die Hunde knurrten auf mich, weshalb er einige Worte zu ihnen sagte, auf die sie sich sogleich, wie im Verständnisse, beruhigten. Das Zimmer war sehr leicht, nur aus genagelten Brettern aufgeführt, einige Koffer standen da, Papiere und Bücher lagen herum, und die wenigen Geräte waren aus weichem Holze zusammengeschlagen.
Der Obrist stand auf, als er mich herein gehen sah, legte die Dinge, die er in der Hand hatte, weg und sagte: »Seid gegrüßt, Doktor, ich muß die eingebildeten Narren manchmal selber füttern, sie meinen, was sie nicht Gutes bekommen, wenn ich ihnen etwas hinein schneide. Wir sind ein wenig weit spazieren gewesen. Wir waren durch das ganze Eichenhag hindurch und gar oben auf den Weiden. Da habe ich selber erst spät mein Mittagmahl gehalten, und dann meinen zwei Begleitern das ihrige gegeben. Ich wollte Euch zum Sitzen einladen, wenn hier etwas wäre, darauf man mit gutem Fuge sitzen könnte.«
Ich legte mein Barett ab und saß auf einen hölzernen Stuhl neben dem tannenen Tische nieder, an dem er stand.[579] Der Obrist gab den zudringenden Hunden noch schnell den Rest, den er bei meinem Eintritte weggelegt hatte, rückte sich dann einen zweiten Stuhl an den Tisch und setzte sich zu mir nieder.
Wir sprachen wieder von verschiedenen Dingen, wie es bei einem solchen Besuche der Fall zu sein pflegt. Dann sagte er, er wolle mir seinen Bau zeigen, wie ich ihm den meinigen gezeigt hätte. Wir gingen in das Haus, sahen herunten alles an, und stiegen dann auf die Gerüste und betrachteten den bisherigen Fortgang. Er führte mich auch in die Hütte, wo die Steinmetzarbeiten gemacht wurden, und zu dem Platze, wo man mit Kalkbrennen und mit Löschen desselben beschäftiget war. Ich sah, wenn der Mann in diesem Sommer mit dem Hause fertig werden wolle, daß dies auf die Weise kaum gehe, wie es bisher betrieben worden war. Und in den Herbst und Winter hinein konnte er ja doch nicht in den Bretterstuben wohnen bleiben, wenn die Gemächer, die er im neuen Hause beziehen wollte, nicht gehörig ausgetrocknet wären. Ich trug ihm daher an, ich wolle ihm für diesen Sommer alle meine Leute, welche bei der Förderung meines Hauses arbeiteten, überlassen, da er sonst doch keine andern bekäme. Bei mir wäre es einerlei, ob ich sie habe oder nicht. In meinen Stuben, die einmal zu unserer Unterkunft eingerichtet wären, könnten wir fort wohnen, sie bedürfen keiner weitern Vorrichtung, und die andern Gemächer könnten heuer so gut leer bleiben und unvorgerichtet, wie sie es im vorigen Jahre gewesen sind. Im nächsten Sommer würde ich sie dann schon machen lassen, und er und ich, wir könnten uns dann in die Leute teilen, wie wir es für zweckmäßig fänden.
Der Obrist sah ein, daß dieser Vorschlag gut sei, und nahm ihn sehr gerne an.
Da er mir noch die ganze Bretterhütte gezeigt hatte, wie sie eingerichtet sei, freilich schlecht und nur zu dem[580] augenblicklichen und sommerlichen Bedürfnisse auslangend, da wir auch in dem Behältnisse gewesen waren, in dem derweilen die Braunen standen und der Wagen aufbewahrt wurde, gingen wir wieder in sein Gemach, wo ich ihn zuerst mit den Hunden angetroffen hatte. Als wir uns in dem Gange befanden, aus dem man durch die Tür rechts in sein Gemach kömmt, öffnete er die Tür links, die gegenüber war, und rief hinein: »Margarita, komme dann auf einen Augenblick zu mir herüber.«
Nach einem kleinen Weilchen, da wir wieder an dem tannenen Tische saßen, ging sie bei der Tür herein. Sie war heute in ganz weißen Kleidern, und diese Kleider hüllten sich recht gut um ihren Körper. Da sie näher trat, war sie in dem ganzen Angesichte sehr errötet. Der Obrist stand auf, ich auch sogleich, er nahm sie bei der Hand, stellte sie vor mich und sagte: »Margarita, das ist der Arzt, der unten im Hange wohnt. Er ist ein sehr rechtschaffener Mann. Wenn wir ihn auch noch nicht näher kennen, so spricht doch der allgemeine Ruf nur lauter Gutes von ihm. Du wirst in ihm, wie ich mir zu hoffen getraue, in Zukunft unsern guten Nachbar und unsern Freund verehren.«
Dann sagte er, indem er sich zu mir wendete: »Diese ist meine Tochter Margarita, sie hat nur mich allein, und wohnt jetzt mit mir in dieser Bretterhütte, und wird dann mit mir in dem Hause wohnen, wenn es einmal fertig geworden ist.«
Sie hat zu diesen Worten nichts gesagt, sondern nur die Augen niedergeschlagen und sich verneigt.
»Du kannst nun schon wieder hinüber gehen in dein Zimmerchen, mein Kind«, sagte er.
Worauf sie sich noch einmal verneigte, und fort ging.
Wir blieben noch eine Weile bei einander sitzen, und dann nahm ich Abschied und ging nach Hause.
Am andern Tage sagte ich meinen Arbeitern, was ich für[581] ein Abkommen mit dem Obrist getroffen habe, und daß sie nun fürder bei ihm arbeiten werden, der ihnen in Anbetracht der Nötigkeit des Dinges einen etwas größeren Lohn geben wolle als ich, wenn sie in den neuen Vertrag willigen wollten. Wir hätten es, nämlich er und ich, so ausgemacht. Sie willigten alle ein, und zogen dieses Tages mit ihren Werkzeugen und Vorrichtungen von mir fort, und standen am nächsten Tage bei ihm ein.
Nachdem wir diese zwei Anfangsbesuche gemacht hatten, wobei wir beide in unsern schönsten Kleidern waren, ging die Sache schon in einem leichteren Geleise. Die Krankheiten des Winters hatten sich so glücklich gehoben, und der Gesundheitszustand des schönen Sommers war so vorzüglich geworden, daß ich viele Zeit frei hatte und zu meinem Belieben verwenden konnte. Das Bauen hatte für mich eine solche Annehmlichkeit gewonnen, und meine Zimmer und mein Haus erschienen mir so leer, seit ich die Leute zu dem Obrist hatte hinauf gehen lassen, daß ich öfter selber in das Hag hinauf ging, um dem Bauen zuschauen zu können. Die Sache ging jetzt wirklich sichtbar rascher, seit er die mehreren Hände gewonnen hatte, als früher, obwohl es da auch, wie ich schon gesagt habe, viel schneller von statten ging als einstens bei mir. Der Obrist kam auch häufig zu mir, und wir sahen sehr bald schon nicht mehr darauf, wer dem andern einen Besuch aus Höflichkeit schuldig sei oder nicht, sondern wie es einen anmutete, daß er zu dem andern gehen sollte, nahm er sein Barett und ging. Es ist eine wahre Freude für mich geworden, die Gespräche dieses Mannes anhören zu können, und es tat mir auch wohl, von dem, was ich dachte, was ich erforschte, und was ich für die Zukunft vor hatte, zu ihm reden zu können. Ich war jetzt gewöhnlich vor meinem Mittagsmahle schon mit meinen Tagesgeschäften fertig, und ging nachmittags, wenn die Sommersonne wie ein glänzendes Schild zu den Abendwäldern sachte[582] hinüber ging, gerne zu ihm hinauf, um die Zeit bis zu dem lauen Abende mit ihm zubringen zu können, worauf ich wieder heim ging, um mich bei meinen Forschungen und bei meinen Vorbereitungen für den folgenden Tag zu beschäftigen. Wenn ich eines Tages länger aufgehalten war, und vielleicht nach dem Essen etwas mehreres anzuordnen hatte als gewöhnlich, weil da die Boten warteten, die ich mit Mitteln zu den verschiedenen entfernten Kranken schicken mußte, von denen sie gekommen waren: so kam er schon herunter und sagte, er wolle sehen, ob ich krank sei, oder ob ich so viel zu tun hätte, daß ich nicht zu ihm hinauf kommen könnte. Wenn er dann sah, daß ich nur so viel zu schaffen gehabt hatte, daß ich nicht zu ihm kam, war es ihm schon recht.
Seine Tochter Margarita war sehr schön. Ich habe einmal eine in Prag gekannt, Christine, die Tochter eines Kaufherrn, die sehr schön gewesen ist, aber Margarita war viel schöner.
Das einzige, was in meinen Sachen dieses Sommers gefördert wurde, war der Wagen, welchen ich für die zwei jungen Pferde bestellt hatte, und welcher ankam. Wir versuchten die Tiere darin, und der Obrist war herunten, und gab uns in vielen Kleinigkeiten hiebei seinen Rat, der uns außerordentlich zum Vorteile war. Er nahm einmal sogar selber die schlanken Rappen in die Leitriemen zusammen und fuhr mit ihnen so geschickt den Weg entlang, als wären sie seine Wolfshunde, die ihm sehr folgen. Der Wagen war schön, leicht, und war in seinen Einrichtungen und in seiner Gestalt zu meiner Zufriedenheit ausgefallen. Der Obrist zeigte dem Thomas mehrere Anstalten, wie er die jungen Pferde behandeln solle, damit sie im besten Gedeihen fort lebten.
Mehrere Tage nach der Sonnenwende wurde das Dach auf das Haus des Obrist gesetzt. Es war der Richter der oberen Häuser, worunter das Hag gehört, zugegen, es war[583] der alte Pfarrer von Sillerau mit dem Wagen des Obrists abgeholt worden, es war der Gutsherr von Tunberg mit seiner Frau und seinen Töchtern herein gekommen, es war der Vetter, der Wirt vom Rothberge, zugegen, und es waren mehrere Bauern und Nachbarn, die in den Waldhäusern herum wohnen, eingeladen worden. Als die letzte Sparre aufgerichtet worden war, an welcher der Fichtenwipfel befestigt war, an dem die bunten Bänder wallten, vorzüglich rot- und blauseiden – ich wußte damals noch nicht, warum diese Farben – als man unten die erste Latte angenagelt hatte, dann sogleich an ihr die nächst obere, und als es mit den vielen Händen, die beschäftigt waren, im Taktschlage rasch aufwärts ging, bis endlich die oberste und letzte am First befestigt war, und die drei Daraufschläge als Zeichen, daß es nun vollendet sei, nach den rollenden Axtschlägen noch einzeln erschollen waren: da erhob sich ein Zimmergeselle neben dem Fichtenwipfel in seinem Sonntagsstaate, von dessen Hute zwei lange, rote und blaue seidene Bänderenden herunter hingen, am Rande des Brettes stehend, das man über die obersten Querbalken der Sparren gelegt hatte, und sagte den Zimmermannsspruch auf uns herunter, die wir im Grase standen und hinauf schauten. Als er mit dem Spruche fertig war, nahm er eine Kristallflasche, die hinter ihm auf dem Brette gestanden war, schenkte sich aus der Flasche einen Wein, der in derselben enthalten war, in ein Glas, das er in der Hand hielt, und trank den Wein auf uns herunter grüßend aus. Dann warf er das leere Glas hoch in einem Bogen in das Eichenhag hinüber, daß es in den Ästen zerschellte. Hierauf reichte er die Flasche dem zunächst hinter ihm auf dem Brette Stehenden, welcher sich auch in ein Glas schenkte, austrank und das leere Glas in das Eichenhag warf. Und so taten alle hinter einander auf dem Brette stehenden Gewerksgesellen, bis es auf den letzten kam. Dieser nahm die Flasche, die bei[584] ihm leer geworden war, zu sich, alle gingen sie auf den Querbalken seitwärts, kletterten an den Latten zum Rande des Daches herunter, kamen auf die Gerüste und gingen aus der letzten Stufe zu uns auf den Anger heraus. Die leere Flasche wurde dem Bauherrn übergeben, weil in sie Dinge verschiedener Art getan, sie dann verschmolzen und in den Grundstein vergraben werden sollte, wenn man sein Fest feiern würde. Als dieses geschehen war, wurde auf mehreren Tischen, die aus rohen Brettern in verschiedenen Gestalten zusammen geschlagen worden waren, ein Imbiß aufgesetzt. Alle, welche aus der Gegend helfen gekommen waren, standen an einem Tische. Es ist nämlich die Sitte, wenn an einem neuen Hause gelattet wird, daß alle aus der Gegend, denen es gefällig ist, zusammen kommen und helfen. Es ist da eine Auszeichnung, wenn man mit den Äxten, mit deren umgekehrten Häuptern die Lattennägel eingetrieben werden, einen schnell rollenden Taktschlag machen konnte, und wenn man sich dann in der Nachbarschaft zu rühmen vermochte, daß man ein Dach von so und so viel Geviertklaftern in so und so kurzer Zeit eingelattet habe. Am zweiten Tische stand der Zimmermeister mit seinen Gewerken und tat auch einen Spruch, als alle ihre Gläser gefüllt hatten und sie eben an den Mund setzen wollten. Am dritten Tische standen wir, die Geladenen, nebst dem Obrist, und an die andern Tische konnte gehen, wer da immer aus der Umgegend kam, namentlich die Armen, und sich Wein zum Trinken einschenken und einen Bissen vom Tische zum Essen nehmen wollte. Als der Spruch des Zimmermeisters aus war, und als man die ersten Trinkhöflichkeiten herum gebracht hatte, durften wir auch zu dem Tische der Gewerke gehen, es durften die andern herüber kommen und alle unter einander gehen und mit einander sprechen. Als der Imbiß aus war, und als man insbesondere den ärmeren gekommenen Gästen[585] Zeit gelassen hatte, alles, was auf ihren Tischen war, zu verzehren, ging man auseinander, und von den Werkleuten wurden die Tische eben so schnell auseinander geschlagen, als sie gestern auf dem grünen Rasen, wo früher keine Spur gewesen war, entstanden waren.
Am darauf folgenden Tage begann man die Deckung des Daches, und es wurden die Stuben, die der Obrist im Winter zu bewohnen gedachte, und welche bereits eingedielt waren, im Innern vorgenommen, daß sie heraus geputzt würden, daß man die Kamine verziere, die Fenster setze, und wenn die Mauern gehörig ausgetrocknet wären, sie mit einer sanften Farbe übertünche.
Der Sommer war aber auch so überaus günstig, wie selten einer über unsere schönen Wälder herabgekommen ist. Es war oft eine Reihe von Tagen hinter einander einer schöner als der andere, und wenn auch Wolken erschienen, so dienten sie bloß zur Verzierung des Himmels, indem sie am Tage in Silber und Edelsteinen schimmerten und abends in rotbrennenden Bändern und Schleiern über die Bäume, über die Berge und über die Saaten hinaus standen. Und weil der viele Winterschnee so langsam geschmolzen ist, so war trotz der langen Regenlosigkeit keine Dürre, sondern die tiefe, innere Feuchtigkeit der Erde machte ein Grün auf unsern Wäldern und Feldern, daß einem das Herz lachte, und die Quellen und Bäche der Täler hüpften und sprangen ohne Abgang des Wassers, als würden sie heimlich immer wieder von Geistern oder Engeln genährt.
Als das Haus des Obrists eingedeckt war, als alle Dielen und Fußböden gelegt waren, als man von außen die Mauern herab beputzt und die Fenster eingesetzt hatte, sah es, noch ehe die heißen Tage des Erntemonats vorüber gegangen waren, von außen aus, als ob es schon vollkommen fertig wäre. Die Gerüste und alle die Balken und rohen Werkzeuge des Baues waren entfernt, und das Haus[586] blickte, von dem dunklen Eichenhage sich abhebend, so schön auf die Waldstreifen und auf die Mitterwegfelder hinaus, wie ich es vorher gesehen hatte, daß es sein würde. Es ward fortan nur mehr im Innern fortgebaut, und gereinigt und verziert. Selbst der Garten ward sofort umgegraben und mit einem Gitter eingehegt, weil der Obrist noch im Herbste allerlei Knollen, Pflanzen und Bäume setzen wollte, daß er sich in dem nächsten Frühlinge darüber freuen könnte. Er schien zu eilen, weil er sich alt fühlte, und doch die wenigen Stunden seines Abends in seinem fertigen und herausgeputzten Hause zubringen wollte.
Als die goldgelben Wagen des Kornes und der Gerste in die Scheuern gingen, kamen eines Tages auch andere Wagen, die mit Truhen und Verschlägen bepackt waren. Sie enthielten Sachen des Obrists, mit denen er in die fertigen Gemächer seines Hauses einziehen wollte. Als die Dinge abgepackt, heraus genommen und nach ein paar Tagen gestellt waren, führte er mich in die Zimmer hinein. Das Haus des Obrists hat kein Stockwerk wie das meinige, sondern die Wohnungen sind an der Erde und nur um einige Stufen gehoben, weil unter ihnen Vorratskammern, Obstlagen und andere derlei kühle Behältnisse angebracht waren, deren kleine, vergitterte Fenster nur wenig oberhalb des Sandes des Gartenweges heraus schauten. Das Innere des Hauses enthält einen Gang, dessen eine Seite durch sehr große Glasfenster geschlossen ist, außer denen ein gläsernes Haus ist, in welchem Gewächse stehen. Die andere Seite enthält die Türen zu den Wohnungen; eine zu zwei Zimmern des Obrists, eine andere zu denen Margaritas. Zwischen beiden ist das Bücherzimmer; man kann aber durch dasselbe von dem Obrist zu Margarita kommen. Das eine Ende des Ganges, gleich neben Margaritas Tür, ist durch ein großes Zimmer geschlossen, das viele und große Fenster hat, weil das Zimmer[587] ebenfalls bestimmt ist, im Winter Blumen und Gewächse zu enthalten. Das andere Ende führt in drei Zimmer, die noch nicht fertig sind. Zu beiden Enden des Ganges stehen sehr schief hinüber auf einer Seite die Gemächer der Diener, die Küche und anderes, auf der anderen der Pferdestall und das Wagenbehältnis. Die Scheuer ist weiter zurück gegen das Eichenhag, und neben ihr werden Ställe für andere Tiere gebaut. Als mir der Obrist seine zwei Zimmer gezeigt hatte, führte er mich auch zu Margarita hinüber. Hier verkündete sich die Reinlichkeit schon von außen; auf der breiten Schwelle, die zwischen dem Türfutter der sehr dicken Mauer ist, lag eine feine gelbe Matte aus Rohr, die genau in den Raum paßte, und diente, daß man sich die Sohlen abwische. Der Obrist klopfte an, und es tönte ein Herein. Wir gingen hinein und fanden sie mitten in dem ersten Zimmer stehen, und wahrscheinlich im Begriffe, zu sehen, wie all die Sachen stünden, und ob nichts abgeändert werden müsse. Eine Dienerin ging eben von ihr und hatte verschiedene Dinge auf dem Arme. Das Zimmer war ganz rein gefegt, es war kein Stäubchen, und die Dinge standen in der vollkommenen Ordnung. Die braunen Haare Margaritas legten sich so schön an das Haupt, und die braunen Augen blickten so klar wie das Zimmer. Das Mädchen ist so gesund, daß man nicht denken kann, wie es eine Krankheit beginnen sollte, hier Eingang zu finden. Sie zeigte uns die Sachen, wie sie gestellt seien, und fragte uns, ob es so bleiben könnte. Als wir beide sagten, daß es sehr gut sei, antwortete sie, daß sie die Dinge alle Tage anschauen werde, und da müsse sich schon zeigen, ob man es ändern solle. Wir gingen auch in das zweite Zimmer. Da stand hinter hohen, geschlossenen Vorhängen ihr Bettlein. Auf einem kleinen Tischlein war ein Kruzifix von sehr guter Arbeit. Gegenüber war ein Kasten, in dem nette Bücher standen, und daneben war ein[588] Tischlein, wo sie lesen konnte und ihre kleinen Aufsätze schreiben. Der Obrist führte mich durch das Bücherzimmer in seine Wohnung zurück. Es waren aber noch keine Bücher in dem Zimmer, sondern die Wände standen ganz leer.
In diesem Sommer trockneten die Mauerwerke so schnell, daß man es kaum glauben sollte; desohngeachtet schliefen der Obrist und Margarita immer in der hölzernen Hütte, und waren nur am Tage, wo alle Fenster offen standen, in ihrer Wohnung. Alles, sagte der Obrist, sollte so trocken sein, als es nur immer möglich ist, und dann würden sie erst im späten Herbste, wenn es in der Bretterhütte bereits zu kalt würde, ganz und gar in ihre Wohnung hinüber gehen. Auf gleiche Weise hielt er es mit den Dienstbotenzimmern und dem Stalle, die auch schon fertig und zu beziehen waren.
Als die Arbeit an dem Hause und deshalb auch die Aufsicht immer weniger wurde, gingen wir an den Nachmittagen, weil die Hitze sich milderte und die sanfteren Tage des Herbstes heran rückten, sehr viel in der Gegend herum. Wir gingen täglich spazieren. Ich führte den Obrist an manche Stellen der Wälder, wo der Eistag des Winters große Zerstörungen angerichtet hatte und die dorrenden Bäume noch über einander lagen; denn ich kannte viele Stellen sehr gut, und fand sie, wenn ich auf meinen Gängen die Wälder in verschiedenen Richtungen durchschnitt, oder oft ohne allen Weg über einen Bühel oder eine Waldschneide gerade herüber ging. Wir waren auch in der Höhle im Dusterwalde gewesen, in welcher der Josikrämer drei Tage und Nächte des Winters hatte zubringen müssen. Margarita war meistens mit uns. Wir gingen öfter durch das ganze Eichenhag hinaus, wir gingen über die Weidebrüche, in die entfernteren Ortschaften, auf einen Berggipfel, so zwar, daß schon manchmal die Sterne flimmerten und oberhalb uns das leise,[589] nächtliche Laub raschelte, wenn wir auf einem Waldwege zurück nach dem Hause des Obrists gingen.
Zuweilen besuchten sie mich auch in meinem Hause. Als Margarita zum ersten Male herunten gewesen war, zeigte ich ihr meine schwarzen Pferde, ich zeigte ihr auch meinen Hühnerhof, wo die Geflügel zwischen einer großen Einzäunung herum gehen können, und ich zeigte ihr dann den Vorrat der Scheuer, und die schönen Kühe, welche Kajetan und die Magd pflegen und zu meiner Zufriedenheit so rein halten. Als sie die Kälber sah, sagte sie, wenn ich schon dem Vater eines geben wolle, wie es im Vornehmen sei, so sollte ich ihm doch dieses geben. Sie hatte eines ausgesucht mit sehr schönem weißem Kopfe, mit weißer Fahne und dunkelbraunen Lenden. Sie gehen nicht häufig mit einer solchen Zeichnung in unsern Waldweiden herum. Ich sagte ihr, daß ich wohl selber gedacht habe, dieses würde ich hinauf senden, und sobald der Stall im Hage oben im bewohnlichen Zustande wäre, so würde das Kalb geschickt werden und mit ihm ein anderes, das fast eben so aussähe, nur in dem Augenblicke nicht hier sei, damit ein Anfang gemacht würde zu schönen, glänzenden, zutulichen Rindern.
Als der Winter hereinbrach, war er so milde, wie ich mich nicht erinnere, je einen solchen in unserem Lande erlebt zu haben. Der Obrist und Margarita zogen im späten Herbste, da sonst lange schon Reife und Fröste auf unseren Wiesen gewesen waren, heuer aber noch immer eine milde Spätsonne herunter lächelte, in ihre Wohnung. Sie wendeten auf meinen Rat ebenfalls das Mittel der ausgeglühten Pottasche an; aber dieselbe zeigte, wenn sie eine Zeit in der Wohnung gestanden war, so wenig Zuwachs an Wasser, daß die äußeren Dicken der Mauern gewiß als vollkommen trocken angesehen werden konnten. Der Obrist ließ im Winter immer in seinen noch nicht fertigen Räumen ein wenig fortarbeiten.[590]
Weil sich mit dem Eintritte der nasseren und trüberen Jahreszeit, wie immer, die Übel der Menschen vermehrten, so minderte sich meine freie Zeit, und ich konnte weniger in der Gesellschaft meiner Nachbarn sein. Einmal, da ich in der tiefen Nacht von dem Wege der Weiden herab ging, weil ich in dem Gehänge gewesen war, und da ich links von mir in dem dichten herabrieselnden Winterregen das Eichenhag nur undeutlich, wie einen schwarzen Dunst, sehen konnte, daneben aber deutlich und klar ein Licht glänzte, glaubte ich, es sei das von dem Zimmer des Obrists, wo er etwa mit Margarita sitze und lese oder sonst etwas Ähnliches tue. Deshalb beschloß ich, auf das Licht zuzugehen und ein wenig bei dem Obrist zu bleiben. Allein ich kam, da ich doch auf bekanntem Boden ging, in die Wiesen des Meierbacher, und dann gar in ein Gesumpfe, das nach meiner Meinung eigentlich nicht da sein sollte. Als ich mit jedem neuen Schritte immer mehr hinein gekommen wäre, kehrte ich um, damit ich den festen Boden wieder gewinne, den ich verlassen hatte. Ich begriff nun, daß ich von einem Irrlichte getäuscht worden war, und daß ich mich gar nicht da befinden müsse, wo ich glaubte. Solche Lichter entstanden manchmal in der Senkung, wie sie früher war, ehe sie der Obrist hatte reuten lassen, und sie wurden zu verschiedenen Zeiten gesehen. Sie wanderten da gleichsam bald an diesen Ort, bald an jenen, oder sie entstanden vom Ursprunge an bald hier, bald da. Plötzlich, wenn man auf eins recht hin schaute, war es gar nicht da, dann ging es an dem Gehege hinunter, wie eine Laterne, kam aber am Ende des Geheges nicht heraus, und konnte überhaupt nicht gesehen werden. Auf einmal stand es weit unten an den Eschen, als wartete es. Ich kenne derlei Lichter sehr wohl, weil ich oft in der Nacht herum gehen muß, wie die hiesigen Menschen nicht tun, sondern in ihren Häusern bleiben – in mancher feuchten Nacht des[591] ersten Winters, des späten Herbstes, des schädlichen Märzen, oder nach Mitternacht im Sommer, wenn die weißen, sanften Streifen sich an den Wiesen ziehen. Als ich auf den Platz zurückgekommen war, an dem ich von meinem Wege weg auf die Wiese gegangen war, war es gleichwohl nicht derselbe Platz – es standen wohl die drei Föhren da, die früher da gestanden waren, aber es war nicht, als ob es dieselben drei Föhren wären, auch konnte ich mich nicht entsinnen, daß ich meines Weges genau geachtet hätte, da ich auf eine Kranke dachte, die mir sehr an dem Herzen lag. Ich hatte von meinem Großvater gelernt, dem es auch wieder ein alter Schwede sagte, der nach dem Kriege als erster Ansiedler in das Haslung gekommen war, daß man, wenn einem ein bekannter Weg anfange, wirrig und entfremdet zu sein, sogleich umkehren und zurück gehen solle, bis alles wieder ein Ansehen gewinne, das man vollständig kenne; dann soll man ein wenig stehen bleiben, und dann den gewünschten Weg aufs neue einschlagen. Ich ging also von den drei Föhren an noch weiter zurück. Die dunklen Büsche, die sich in dem Regen duckten und an einander kauerten, gingen an mir vorüber, dann standen zerstreute Fichten, welche in schmalem Buschwerke von unten bis oben bewachsen sind, und ein schwarzer Zaun ging neben mir. Ich kannte alles nicht. Als ich an die Stelle zurück gekommen war, wo sich das Geleise von dem Wege trennen und gegen den Sillerwald hinüber gehen solle, war das Geleise gar nicht da. Ich ging also noch weiter zurück, und zu meiner Verwunderung führte es aufwärts. Plötzlich stand ich ganz oben auf der Schneide des Abhanges, und plötzlich erkannte ich, daß ich mich ja noch gar nicht unterhalb des Eichenhages befinde, wo man auf das Haus des Obrists hinüber sehen könne, sondern daß ich noch weit oberhalb desselben war, und zwar auf der Schneide des Gehänges der Weidebrüche, ich erkannte auch, daß das Irrlicht in[592] der Senkung gestanden war, und daß ich in das Sumpfwasser derselben hinein gegangen sei. Das Irrlicht war aber während meines ganzen Rückweges, auf dem ich mich öfter umgeschaut hatte, nicht mehr sichtbar gewesen, sondern überall lag die gleichförmige schwarze Finsternis. Als ich noch auf dem Abhange stand und herum schaute, erzeugte sich ein etwas lichter Streifen an dem Himmel, und ich sah, daß das nicht das Hag gewesen sei, was ich dafür gehalten habe, sondern daß eine Herbstwolke an dem entfernten Dürrwalde gehangen und ihn wie einen näheren Waldklumpen gezaubert hatte. Als ich noch immer schaute, stand plötzlich mein Irrlicht wieder weit von mir entfernt drüben – es stand in derselben Richtung, aber auf einem andern Grunde, nicht auf der Stelle, wo ich es früher gesehen hatte. Ich starrte recht deutlich in das Licht hinein. Und wie die lange, schlanke, weiße, ruhige Flamme drüben stand, oder auch wie ein feuriger Engel, der ein weißes Kleid an hat, und wie der hohe, finstere Wald dahinter stand, und wie die Nacht so leise fortregnete, und immer schwieg und finster war, und wie sich überall rings herum niemand befand als ich allein: war es fast schön anzusehen, wie es war. Weil ich nun das bekannte Ansehen der Gegend hatte, das mein Großvater und der Schwede verlangen, trat ich meinen gewünschten Weg wieder an. Ich ging den Pfad, der neben dem schwarzen Zaune lag, hinunter – jetzt kannte ich ihn recht wohl – die dunklen Büsche, die sich früher verstellt hatten, waren mir auch sehr bekannt, und ich hatte sie früher oft gesehen. Ich ging des Weges nach einander dahin. Und wie ich neben den Schlehenbüschen war, die wie ein schwarzer, kriechender Zug fort wanderten, und wie die Erlen, die von meinem Wege links standen, durch das Licht gingen, ich aber an das Fieber der Maria Hartens dachte, das mir stets in dem Sinne und in dem Herzen war: duckte das Lichtlein einmal ganz leicht[593] nieder, und war verschwunden. Es kam auch gar nicht wieder zum Vorscheine. Ich ging des Weges vollends hinab, und wie sich das wirkliche Eichenhag, das ich nun sah, um mich hinüber schob, kamen erst die wahren Lichter von dem Hause des Obrists zur Erscheinung sie standen in einer Reihe recht klar, recht vernehmlich und recht freundlich da. Ich ging aber nicht mehr hinüber, weil ich auch sehr beschmutzt war, sondern ich ging sofort in mein Haus hinunter, und las in derselben Nacht noch recht lange in vielen meiner Bücher wegen der armen Maria.
So hatte ich oft verschiedene Zufälle auf meinen Wanderungen.
Als der Winter weiter vorrückte und der Schnee schon eingefallen war, ging ich öfter, wenn ich erst spät nach Hause kam, wie es bei der Jahreszeit fast täglich der Fall war, noch im Abende oder in der Dunkelheit der Nacht in das Haghaus hinauf. Der Obrist hatte in das Bücherzimmer eine sehr große Heize machen lassen, darin man die Scheite, welche hinein getan wurden, durch ein feines Gitter hindurch lodern sehen konnte. Auch hat er Geräte von denen, welche angekommen waren, hinein gestellt, daß man auf ihnen herum sitzen und den Schein des Feuers auf dem Fußboden anschauen konnte. Wenn dann die große Lampe kam, die, auf den Tisch gestellt, das ganze Gemach mit Licht erfüllte, sahen wir Schriften an, wovon der Obrist manche aus verschiedenen alten und merkwürdigen Zeiten hat, oder Bücher, in denen etwas gelesen wurde, oder wir saßen bloß vergnügt in der so freundlichen Stube und redeten von den verschiedensten Dingen der Welt. Und wenn ich dann nach Hause ging und ein Gestöber war, oder die weiche Schneefläche vor mir lag, die in der trübsten Nacht einen feinen Schimmer gab, begleiteten mich gerne die zwei Wolfshunde, sie gingen oft bis an den Hügel mit, auf welchem die Eschen[594] stehen, und liefen dann zurück, daß es im Schnee stäubte und ich, wie ich nach meinem Hause hinunter ging, noch manchen einzelnen Laut von ihrem Jauchzen vernehmen konnte.
Im Winter kamen auch Verschläge an, in denen Bilder waren, welche der Obrist in verschiedenen Zeiten seines früheren Lebens erworben hatte. Wenn ich dann an einem schönen, klaren Wintertage hinauf kam, zeigte er mir sie, lehrte sie mich kennen und ihre Vollkommenheiten empfinden. Einige sehr schöne hing Margarita in ihren Zimmern auf, die anderen wurden in den Zimmern des Obrists an verschiedenen Stellen, die er recht sorgfältig auswählte und prüfte, aufgemacht. Ich habe nie so schöne Dinge gesehen, oder ich habe sie in den früheren Zeiten meines Lebens nicht erkannt.
Als der Frühling kam, der heuer so früh eintrat, wie ihn niemand vermutete, fing der Obrist, da nur erst der Schnee weg war und die Erde weich wurde, sogleich alle seine Arbeiten wieder an. Er ließ das Eichenhag, in so weit es sein Eigentum war, reinigen, das dichtere, unnützere Gestrippe mußte weg, der Boden wurde von den häßlichen Abfällen befreit und, daß er schönes Gras treibe, mit eisernen Rechen gerechet. Die dürren Bäume wurden umgehauen, und wo einer auch nur einen verdorrten Ast zeigte, wurde derselbe an ihm, wie man es kaum an einem Obstbaume tun könnte, mit der größten Sorgfalt weg gesägt. Die Senkung, wie ich es schon am Eingange dieser Schrift gesagt habe, ein lichtbraunes, faules Moor, darauf nur die kleinen Sumpfföhren und die roten Moosbeeren wuchsen und ein gelbes Gras war, dessen Spitzen braun wurden, hatte er an sich gekauft, und fing an, es, wie ich schon oben aufgeschrieben habe, zu einer Wiese umzugestalten. Auch seine Felder, die er zugleich mit dem Hausplatze gekauft hatte, wurden in Arbeit genommen und zur Saat vorbereitet. Er hatte deshalb[595] Knechte genommen und Zugtiere gekauft, und ihnen die vorgerichteten Wohnungen, die in dem heiteren Winter gut austrocknen konnten, in seinem Hause eingeräumt. Er wollte den Anbau des Weizens in dieser Gegend empor bringen, den höchstens nur einige, gleichsam wie zum Versuche im kleinen, begonnen hatten. Deswegen hatte er Sommerweizen aus anderen harten und winterlichen Berggegenden kommen lassen, um ihn zu versuchen, wie er hier anschlage. Die Wintersaat hatte er im Herbste so gut gemacht, wie man es in diesen Wäldern eigentlich nicht zu sehen gewohnt ist. Auch der Garten, um den das Holzgitter gemacht worden war, wurde bearbeitet, und die Glasdecken, unter denen die Frühgemüse und andere Dinge wachsen sollten, über ihre mit Dünger ummauerten Gruben gelegt.
Um diese Zeit kamen auch die Bücher an. Mehrere große Truhen von weichem Holze wurden abgeladen, in denen sie waren. Sodann wurden sie ausgepackt. Der Obrist hatte die traulichen Geräte, unter denen wir den Winter zugebracht hatten, aus der Stube fort geschafft, und Haufen von Büchern lagen herum. Die mehreren Schreine, in welche sie kommen sollten, waren fertig geworden und wurden an den Wänden an ihren Stellen aufgestellt. Wenn der Obrist nicht Zeit hatte, weil ihn die verschiedenen Arbeiten bald hierhin, bald dorthin riefen und bei sich behielten, half ich selber die Bücher ordnen und an ihre gehörigen Plätze stellen. Eine solche Bücherei wäre eigentlich meine rechte Freude. Oft stand ich auf der Doppelleiter, die man hatte machen lassen und deren Füße mit Tuch überzogen waren, daß sie den Boden nicht beschädigen, und stellte die Bücher, eines nach dem andern, auf verschiedene Plätze, wie es mir tauglich schien, und wie sie sich der Natur zu Folge reihen sollten. Margarita stand unten, und reichte sie mir dar. Dann schrieben wir auf, wie wir sie gestellt haben, daß man sie wieder[596] finden könne, und daß aus diesen Zetteln eine allgemeine Übersicht zu verfassen sei, daran man sogleich den Stand und Ort jedes Buches ersehen möge, wenn man es suche. Später sollten wieder, wie der Obrist vor hatte, wenn nur einmal die Bücher in Ordnung wären, recht vertrauliche und liebliche Geräte in die Stabe kommen, insbesondere mehrere gute und weiche Sitze, der große Lampentisch und andere Dinge, die uns schon einfallen würden, damit wir den kommenden Winter wieder in dieser Stube unter den Büchern und bei dem Scheine der großen Heize recht freundlich zubringen könnten.
Margarita hatte jetzt noch mehrere Bilder in ihre Zimmer bringen und dort aufhängen lassen. Sie führte mich zu manchen hin und zeigte mir, wie ihr dieses daran gefalle, und dann dieses, und dieses.
Da die warmen Tage heran rückten und das weiche grüne Gras die Hügel bedeckte, obwohl der harte Obstbaum noch keine Knospe trieb, und nur erst das niedere Gesträuch an den Bächen, dann die Holunder, die Weiden sich mit kleinen Blättern und grauen Kätzchen bedeckten, wurde das Fest der Grundsteinlegung des Hauses gefeiert. Es waren ungefähr die nämlichen Menschen zugegen, wie damals, da der Zimmermannsspruch bei der Aufstellung des Dachstuhles abgehalten wurde. Man öffnete die Marmorplatte des Steines, der unter dem Haupteingange des Hauses lag, welcher Eingang durch ein Vorgemach in den Blumensaal führte, aus dem man dann in den Gang kam, an den die Wohnzimmer des Obrists und Margaritas grenzen. Unter der gehobenen Marmorplatte kam ein hohler Würfel, ebenfalls aus Marmor, zum Vorscheine, der durch eine sehr starke Glasplatte geschlossen war. Als man auch diese Platte gehoben hatte, zeigte sich der hohle Raum, der bestimmt war, die Gedenksachen, die man hinein tun wollte, aufzunehmen. Der Raum war ganz mit Glas, welches nämlich gar keiner Art Fäulnis[597] unterliegt, gefüttert. Man stellte die Flasche, aus welcher der Zimmermann bei seinem Dachstuhlspruche Wein eingeschenkt hatte, in den hohlen Raum. In der Flasche waren alle Silber-und Goldmünzen enthalten, welche jetzt gangbar sind, und ihr Gepräge war von dem letzten Jahre, dann war ein viereckiges Goldstück dabei, eigens zu dem Zwecke gemacht, daß darein der Jahrestag der Grundsteinlegung geschnitten wurde, dann lag noch ein Pergament in der Flasche, auf welchem die notwendigen Dinge des Herganges aufgeschrieben waren. Die Flasche ist am Munde ihres Halses mit einem Glasstücke zugeschmolzen worden. Da dieses Denkmal hineingestellt worden war, legten viele der Anwesenden auch noch Dinge dazu, die sie entweder schon deshalb mitgebracht hatten, oder die ihnen erst jetzt einfielen: ein Buch, einen kleinen Ring, eine Mundschale von Porzellan, einen Uhrschlüssel, beschriebene Blätter, einer warf eine Rose hinein, die er aus einem Gewächshause mit hieher gebracht hatte, und die Mädchen und Frauen taten Bänder hinein, daß man einst wisse, was dazumal in diesen Dingen für eine Mode geherrscht habe. Als dieses vorbei war, legten die Gewerke die Glasplatte wieder auf die Öffnung, daß sie sehr gut gefügt war, dann wurde die Fügung, die rings um das Glas lief, mit einem dichten Kitte verstrichen, der erhärtet und dann keine Luft, keinen Regen und keinen Dunst durch sich hindurch läßt. Über der Glasplatte wurde der Deckel aus Marmor in seinen Falz getan, und derselbe ebenfalls mit dem Kitte verklebt, worauf über der Platte der gewöhnliche Stein gelegt wurde, mit denen der ganze Gang und rings ein Streifen des Hofes gepflastert ist, daß man nicht mehr unterscheiden konnte, unter welcher Stelle die Dinge ruhten, die man eben unter die Erde getan hatte. Hierauf begaben sich alle Menschen, die herum gestanden waren, in das große Blumenzimmer, das man zu einem Erquickungssaale eingerichtet[598] hatte. Es waren von den Gewächsen, welche der Obrist selbst in diesem Winter schon in dem Zimmer gehabt hatte, ringsum grüne Gestelle gemacht worden, und wo Blößen gewesen wären, wurden sie mit solchen Zweigen bedeckt, welche schon die ersten und zarten grünen Frühlingsblätter zeigten. In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch, auf welchem sich Wein und einige Speisen befanden. Der alte Pfarrer von Sillerau sprach ein Gebet um Segen für die Speisen, wovon er dann die Veranlassung nahm, weshalb man zu diesen Speisen versammelt sei, und Gott auch um Segen für das Haus und alle, die es je bewohnten, anflehte. Sofort schloß er dann mit einer Anrede an die Versammelten, und bat sie mit einigen Worten, daß sie immer so friedlich, so einig und so nachbarlich gesinnt bleiben möchten, wie sie es heute sind, wo sie sich zu dieser gemeinschaftlichen feierlichen Angelegenheit wohlwollend eingefunden hätten. Hierauf wurde von dem Imbiß unter verschiedenen Gesprächen etwas verzehrt, und dann entfernten sich die Gäste, einer früher, der andere später, bis der letzte von dem Obrist Abschied genommen hatte, und er wieder mit seinen Leuten allein war, die daran gingen, das Blumenzimmer in den Stand zu setzen, in dem es vor der Feierlichkeit gewesen war. Ich bin gleich nach dem Gebete des Pfarrers fortgefahren, weil ich noch zu viel zu tun hatte, und der Schluß des Ganzen ist mir nachher von Margarita und dem Obrist erzählt worden. Die Armen sind dieses Mal auf eine andere Weise und gewiß auf eine für sie weit bessere bedacht worden. Der Obrist hatte unter sie, in Anbetracht, daß der Winter zu Ende ging und die Vorräte des vergangenen Jahres leicht nicht denen des künftigen die Hand reichen könnten, heimlich verschiedene Notwendigkeiten gebracht und sie denen gegeben, die ihrer am bedürftigsten zu sein schienen.
Der Obrist, deucht mir, hat solche Feste wie die zwei,[599] die er jetzt gegeben hatte, nur darum veranstaltet, daß die Nachbarschaft zusammen kam, daß er sich mit ihnen in ein Verhältnis setze und zeige, wie er freundliche Gesinnungen pflegen wolle, und freundliche Gesinnung gen sich erwecken. Nach diesem Feste war es bei ihm wieder so stille wie vorher, und blieb fortan stille.
Nur die Arbeiter hatte er im Hause, die zu den Dingen notwendig waren, die noch hergerichtet werden mußten, daß das Haus gleichsam als fertiges betrachtet werden konnte. Dann hatte er noch an Gesinde im Hause, was er zur Bearbeitung und Herrichtung der Grundstücke und zur Versehung der Hausarbeit brauchte. Ich hatte ihm auch heuer an Leuten wieder überlassen, was ihm nötig sein mochte, ohne daß er um die Abtretung etwas wußte. Ich förderte in meinem Hause so viel wie gar nichts, ich bin noch jung und kann alles nachholen, er aber ist alt, hat an dem, was er hier angefangen hatte, Freude, und soll sie noch so viel genießen, als es in dem Überreste des Lebens möglich ist, den er noch hat.
Es war von Besuchen und Leuten, die kommen sollten, bei ihm nun gar nichts vorhanden: nur ich allein, wie der Frühling mit aller Pracht und Herrlichkeit herein brach und mir, wie gewöhnlich, eine große Verminderung meiner Berufsgeschäfte brachte, ging beinahe täglich zu ihm hinauf – und ich glaube, daß ich sehr gerne gesehen worden war; denn wenn ich doch eines Tages verhindert wurde, weil etwas Unversehenes ausbrach, daß ich bis tief in die Nacht zu fahren oder gehen hatte; oder wenn ich wegen einer Angelegenheit, die mir schwer denken machte, bei den Büchern oder in eigenem Nachdenken sitzen mußte, daß ich nichts verfehle; so sandte er gleich jemanden herab, um fragen zu lassen, ob ich wohl sei, oder ob sonst etwas Wichtiges eingetreten wäre, daß ich nicht gekommen sei. Ich ließ ihm immer die Ursache genau zurück sagen. Nur eins fiel mir ein, das mir großes Denken[600] verursachte: er kam jetzt schier gar nicht mehr zu mir herab, während er doch früher öfter mit Margarita bei mir gewesen war und alle meine Anstalten angeschaut hatte – ja sie waren sogar manchmal bei dem großen Behältnisse der Arzeneien gestanden und hatten gefragt, was dieses und jenes sei, wie es zusammen hänge, was es wirke, und welche Tugenden in ihm eingeschlossen seien; was ich immer gerne und mit Freuden beantwortete; und von manchem Kranken mußte ich mit ihnen reden, wie er jetzt sei, und wie ich vor habe, mit ihm im weiteren zu verfahren. Der Obrist ließ sich sogar zuweilen das Buch zeigen, in dem die Krankheit stand, und las mit Aufmerksamkeit darinnen. – Mit der Aufrichtigkeit, die ihm eigen ist, sagte er mir einmal selber die Ursache, warum er nicht mehr herab komme, daß es nämlich nicht dem ähnlich sähe, daß er seine Tochter gleichsam wie eine angetragene Braut zu mir herab führe, und die Leute solches redeten. Als ich meinte, weil ich täglich zu ihm hinauf gehe, könnten sie eben so gut sagen, ich gehe als Bräutigam zu Margarita, antwortete er, das könnten sie tun, daran sei nichts Übles.
Ich ging also täglich in das Haghaus hinauf, wie es meine Berufsgeschäfte gestatteten, und wie meine Zeit aus war, die ich an diesem Tage zu meinen Pflichten anwenden mußte. Eine liebliche, eine schier unaussprechlich schöne Zeit war auf uns herabgekommen, meine Felder standen in wirklicher Pracht, die des Obristen auch, und wir hatten unsere Freude darüber. Ich zeigte Margarita einmal meine Rappen, weil ich schon zuweilen mit ihnen fuhr, und sie liebte die schönen, schlanken und herrlichen Tiere, die so lustig und jugendlich, und fromm und folgsam waren. Wir gingen weit und breit in den Feldern und Wäldern herum. Ich nannte Margariten die kleinen Blümchen, die oft da waren, die kleinsten, die ein Äuglein aufmachen, das man im winzigen Grün nicht sieht;[601] und sie wunderte sich darüber, daß ich das Ding nennen könnte; worauf ich sagte, daß alles seinen Namen habe, diese kleinsten, unscheinbaren Dinge so gut und oft einen so schönen wie die großen und prächtigen, die wir in unserem Garten haben. Da sie sagte, ich möchte ihr alle Namen sagen und möchte ihr die Blümchen und Kräuter zeigen, so tat ich es: ich nannte ihr die einzelnen, wie sie in unserer Gegend sind, und zeigte ihr sie, wenn die Gelegenheit der Blüte gekommen war; dann wies ich ihr die Geschlechter, in denen sie nach gemeinsamen Kennzeichen zusammen gehören, und sagte ihr, wie sie in schönen Ordnungen auf unserer Erde stünden. Wir pflückten Sträuße, trugen sie nach Hause, bewahrten manches auf, ich nannte es, erzählte sein Leben, das es gerne führe, die Gesellschaft, in der es sein will, und anderes, das die Menschen wissen. Sie merkte auf, wiederholte es und lernte die Eigenschaften kennen und erzählen. Dann meinte sie, wie oft das kleine Ding jetzt, das in dem Grase der Berge stehe, das sie sonst nicht angeschaut und fast verachtet hatte, eigentlich schöner sei als andere große in dem Garten, die oft nur die eine schöne Farbe haben, und nur groß sind. – Ich nannte ihr aber nicht bloß die Gewächse, die wir sahen, sondern auch die Steine, manche Erden und die kleinen Flimmer, die hie und da auf unserem Wege lagen; denn ich hatte diese Dinge nicht nur einstens sehr gerne gelernt und aus meinen Büchern sehr oft wiederholt, sondern ich trieb sie auch fort, da ich in meine Heimat gekommen war und unter ihnen herum ging Ich liebte sie wie meine Gesellschaft, die ich bei meinem Berufe um mich habe. Margarita hatte ein flaches schwarzes Täfelchen bei einem ihrer Fenster im ersten Zimmer machen lassen, darauf lagen nun viele Steinchen, glänzende Stückchen und andere solche Dinge, und sie legte Zettelchen, darauf sie die Namen geschrieben hatte, dazu.[602]
Da der Obrist nirgends etwas Zweckloses oder gar Zweckwidriges leiden kann, ohne daß er den Versuch machte, es seinem Zwecke, zu dem er es da zu sein erachtete, wieder zuzuwenden: so machte er mir auch in diesem Frühlinge einen Vorschlag, den ich zuerst seltsam nannte, und der mir dann sehr gefiel. Es liegt abseit des Reutbühls, gleich dort, wo man zu ihm aus dem Kirmwalde hinüber kömmt, eine steinige Stelle, die ziemlich weit hin geht, wo etwas Lehm, magerer Grund und sehr klein geklüfteter Fels, fast Gerölle, ist. Die Leute nennen den Fleck das Steingewände, obwohl er eben und keine Wand ist; aber es ist in der Gegend gebräuchlich, jeden solchen Fleck ein Steingewände zu nennen. Dieses Steingewände nun schlug mir der Obrist vor mit ihm gemeinschaftlich zu kaufen, da es jetzt leicht und billig zu haben sei. Auf meine Frage, was wir denn mit dem unfruchtbaren Grunde tun würden, antwortete er, der Grund sei nicht mehr unfruchtbar, die unendlich feine Zerklüftung zeige, daß die Verwitterung in ihrem Fortgange beginne, und daß der Grund vielleicht zu einer Föhrenpflanzung sehr tauglich sei. Als ich wieder fragte, was wir denn mit einer Föhrenpflanzung täten, da überall herum ohnedem so viele Wälder ständen, die bereits viel besseres Holz hätten, als Föhren zu liefern vermöchten, sagte er: »Die Föhrenpflanzung wird noch stehen, wenn viele andere Wälder, daraus wir jetzt Holz nehmen, verschwunden sind und in Felder und Wiesen verwandelt wurden. Die Föhrenpflanzung wird stehen, weil sie dann noch nicht zu einem Feld-und Wiesengrunde wird tauglich sein, aber Holz werden die Menschen aus ihr nehmen, wenn Holz schon kostbarer geworden ist als jetzt. Und wenn die Föhren ihre Nadeln fallen lassen und unter sich die Feuchte und den Regen erhalten, wird sich der Grund verbessern und lockern, und in tausend Jahren kann vielleicht auch die Föhrenpflanzung in Feld verwandelt werden, wenn alsdann[603] die Menschen dichter wohnen und ihnen das Erträgnis des Feldes wertvoller erscheint als das Holz, das die Föhren liefern.«
Ich willigte freudig ein, als er dieses gesagt hatte, und schämte mich, einen so kleinen Zweck gehabt zu haben.
Wir erstanden recht leicht und um ein billiges Geld das Steingewände, und mancher Nachbar, der davon hörte, hielt die Sache für eben so unklug, als ich sie selber anfangs dafür gehalten hatte. Der Obrist schickte einen Mann hinaus, der in den Abständen, in denen die Pflänzchen zu stehen kommen sollten, kleine Vertiefungen in die Steine machen und sie unten lockern mußte. In diese Vertiefungen wurde dann Erde getan, aber eine nur um ein kleines bessere, als sonst in den Rissen des Steingewändes war, damit die Pflänzlein, wenn sie die ersten Wurzeln in dem guten geschlagen und dasselbe gewöhnt hätten, nicht dann stürben, wenn sie ihre Fasern in den Fels treiben müßten. Der Obrist wählte den Samen dann von Föhren, die oberhalb des Gehänges in noch steinigerem Grunde standen, als der unsere war, damit ihm der bessere Grund wohltue und er in demselben gut anschlagen möge. An einem Tage legten wir mit Hülfe mehrerer Leute den Samen in die mit Erde gefüllten Vertiefungen und deckten ihn wohl zu. Margarita hatte vorher die schönsten Körner ausgesucht.
Der Obrist hatte auch noch einen andern Plan, der ihm aber viel schwerer auszuführen schien, woran er aber demohngeachtet nicht verzagte, wie es ja schon seine Natur war. Er wollte die Leute der Gegend vermögen, aus den obwohl gut erhaltenen Wegen doch noch bessere, nämlich gleich Straßen zu machen. Er sagte, er hoffe auf die Zeit. Vorerst aber legte er als Beispiel ein Stück einer solchen Straße auf seinem Grunde an, wo nämlich der Weg von Sillerau durch ihn nach Haslung führt, auf welchem Wege doch so manche Menschen Gelegenheit hatten, zu[604] gehen und zu fahren und das neue Ding in Augenschein zu nehmen.
Aus dem Frühlinge war endlich der Sommer geworden. Der Baum des Waldes, der Strauch des Hages, das Obst der Gärten, das Gras der Wiesen und die Frucht der Felder, alles stand recht schön. Ich hatte, wenn ich um drei Uhr oder auch um vier Uhr des Morgens aufbrach, bis gegen Mittag all meine Dinge abgetan, und brachte den Nachmittag im Haghause zu. Wenn ich hinauf ging und die Hunde mir nicht entgegen sprangen, wußte ich, daß der Obrist nicht zu Hause, sondern mit ihnen auf irgendeiner Stelle seiner Felder sei. Wenn dann unter dem Gesinde, das sich rührte, oder unter den Knechten, die die Arbeit taten, Margarita mit ihrem feinen Strohhute stand, gingen wir mit einander, den Vater zu suchen, oder wir gingen auch in dem Felde oder in dem Walde dahin und redeten von verschiedenen Dingen. Ich legte ihren Arm sanft auf den meinigen.
Eines Tages gingen wir auf dem Wege des Lidenholzes. Sie war in dem aschgrauen? geglänzten Gewande, das so schön ist. Sie trägt nicht die Kleider, wie es jetzt die Frauen so anfangen, daß sie von den Hüften weg stehen, sondern sanft hinab gehend, daß die junge Gestalt freundlich ausgedrückt ist. Das Lidenholz wurde vor vielen Jahren an vielen Stellen ausgehauen, daß man überall die Durchsicht hat und an vielen Plätzen auf freien, mit Stöcken und hohem Grase besetzten Flächen dahin geht. In den Holzschlägen wachsen verschiedene Blumen gemischt, und oft seltnere und gewiß schönere, als man sie auf gewöhnlichen Wiesen zu finden vermöchte. – – Da fragte ich Margarita, ob sie mich recht liebe. – – Wir standen vor einer Grasstelle, wo die hohen, äußerst dünnen Schäftchen aus derselben emporstanden und oben ein Flinselwerk trugen, grau oder silbern, in welchem die Käfer summten oder Fliegen und Schmetterlinge spielten.[605] Aus dem Holzschlage ragte mancher einzelne Baum hervor, der wieder empor gewachsen war; und jenseits, von ferne herüber, schaute der blaue Duft des Kirmwaldes, der ganz ruhig war. So stille war es, daß man zu Zeiten durch die blaue, heitere Luft, wie ein sehr schwaches, entferntes Donnern, gar das Schießen von Pirling herüber hören konnte, womit der untere Wirt von Pirling, der alte Bernsteiner, einen Keller in die Felsen des Steinbühel sprengt. – – Margarita, als sie meine Frage vernommen hatte, schlug die Augenlider über die sehr schönen braunen Augen herab, sah in die Schäftchen nie der, wurde ganz glüh im Angesichte und schüttelte leise das Haupt. – – Ich sagte kein Wort, und wir gingen auf dem Wege wieder dahin. Wir sammelten aus den Blumen, die wir der Mühe wert hielten, einen Strauß. Margarita nannte die Namen derselben, und wo sie einen nicht wußte, nannte ich ihn. Wir kehrten auf dem Wege bald wieder um und gingen nach Hause. Sie hatte den Arm, den ich am Ausgange des Waldes, da wir auf die Wiese kamen, wie sonst in den meinigen getan hatte, auf demselben sanft ruhen lassen.
Als wir in das Haus kamen, fanden wir den Obrist in dem Bücherzimmer. Er saß vor dem Tische, hatte etwas Wein vor sich, und von den runden weißen Broden, die er so gerne ißt. Er sagte, daß er auf dem Felde sich sehr viel Hunger gesammelt habe, und daß er hier sein Nachmittagbrod halte. Margarita setzte sich neben ihm auf einen Stuhl, redete einige Worte, schwieg dann, und sann. Ich blieb auch nicht lange, sondern, als er mit seiner Erquickung fertig war und in den Garten ging, nahm ich Abschied und begab mich auf den Heimweg.
Als ich über den Hügel, wo die Eschen stehen, hinab wandelte, ging die Sonne, wie ein prachtvolles goldenes Schild, zwischen mehreren Bergen von Wolken unter, die sogleich zu brennen anhoben. Durch den ganzen Himmel[606] war Herrlichkeit, und auf die ganze Erde war Herrlichkeit gebreitet. Ich war in meinem Innern so selig, wie ich es gar nicht auszudrücken vermochte.
Da ich in meinen Hof hinein ging, kam mir der Bube Gottlieb entgegen und zeigte mir sein Buch, in das er schreibt, und wie er schon große Fortschritte gemacht habe. Ich erzählte ihm, was ich eigentlich hatte verschweigen wollen, daß ich ihm schon ein Stück Wiese gekauft habe, das er einst bekommen wird, und daß ich schon für ihn sorgen werde, wenn er gut lernt und ein ordentlicher, braver Mann wird, der sich eines Geschäftes annimmt. – Dann ging ich in meine Stube.
Es kam jetzt eine schöne Zeit. Ich liebte meine Kranken, es tat mir das Herz oft viel woher, wenn ich ein Kindlein in dem Bette liegen sah, die armen Augen auf mich geheftet, und wenn ich nicht im Stande war, die Krankheit zu beschleunigen, daß das unschuldige Wesen bald befreit werde – oder wenn ich einen Jüngling sah, dessen rosige Wangen durch das Fieber noch röter und dunkler und von harter Farbe wurden, und er mich bat, ich möchte ihm nur etwas geben, daß die Hitze aufhöre; denn dann sei er schon ganz gesund; ich aber einsah, daß durch diese Hitze, die er so leicht weg zu bringen vermeinte, leichtlich seine ganze heitere rosenfarbene Zukunft abgeschnitten werden möchte – oder wenn ich zu einem alten Mütterlein kam, das niemand mehr hatte, dem alle weggestorben waren, das in Ergebung auf den Tod wartete, und dennoch, wenn ich fort gehen wollte, den Blick auf mein Auge heftete, ob sie darin Hoffnung lesen könnte. Ich gab manchmal dem Kranken die Arznei und ein Stück Geld dazu, daß er sich eine Suppe verschaffen konnte.
Als ich am andern Tage, da ich die Frage an Margarita getan hatte, wieder in das Haghaus hinauf gekommen war, ging sie mir entgegen, nahm mich bei der Hand und führte mich in ihr Zimmer hinein. Sie führte mich an[607] das Tischchen, auf welchem die Steine lagen, daneben heute die Zettel umgekehrt waren, und sagte die Namen aller Steine her, ohne einen einzigen zu fehlen. Dann führte sie mich gegen ihren Bücherschrein, wo auf dem Tische die Pflanzen lagen, die wir gestern gebracht hatten. Sie sagte auch die Namen aller, ohne ebenfalls einen zu fehlen. Dann gingen wir mit dem Obrist auf seine Niederwiese hinüber und sahen zu, wie Heu gemacht wurde, und wie man eben das gut getrocknete nach Hause führte.
Sie zeigte mir auch ihre Hühner und das andere Geflügel, und führte mich in den Stall, und zeigte mir die zwei Kälber, wie sie schön seien, und wie sie sich jetzt schon völlig ausgewachsen hätten. Wenn sie groß würden und wieder Nachkommen hätten, dann würde das andere Vieh nach und nach weg getan, und nur, das von ihnen gekommen, aufbehalten.
Ich brachte ihr, wenn ich in Tunberg oder in Pirling draußen gewesen war, bald eine Blume mit, bald ein Steinchen, das sie noch nicht hatte, oder ein Band, oder sonst etwas, zum Beispiele ein Ding, wo hinein sie ihre Nadeln und Scheren legen konnte. Sie fing auf einem seidenen Tuche Blumen zu sticken an, und sagte, das würde über die große Tasche gespannt werden, in welcher ich immer meine Papiere hatte; dann machte sie mit Gold und Seide ein Ding auf mehrere Bänder, und erklärte mir, das müsse auf die Halsgeschirre der Rappen getan werden, wenn ich einmal im Winter im Putze mit ihnen ausführe.
Wir fahren an allen Sonn- und Festtagen in die Kirche nach Sillerau. Da sahen alle Menschen nach ihrer Schönheit hinüber, wenn sie in dem Querstuhle vorn neben ihrem Vater saß. Er hatte an allen großen Festtagen die goldene Kette um, die ihm der Kaiser einmal gegeben hatte, und sie hatte alsdann ein seidenes Gewand mit[608] einem kleinen Zipfel als Schleppe. Mir war sie aber immer lieber, wenn sie in ihrem Hausgewande neben uns in dem Bücherzimmer war, oder in Feld und Wald, und sich nicht so sehr darauf Acht zu geben hatte, als auf das seidene.
Gegen Ende des Sommers kletterte ich einmal um eine seltene Blume auf die Schneide des Dusterwaldes, weil ich wußte, daß sie dort um diese Zeit blühe, und brachte sie ihr. Sie hatte eine sehr große Freude darüber.
So ging der Sommer dahin. Wir wandelten wieder, wie im vorigen, in allen Wäldern, Wiesen und Feldern herum, nur daß wir heuer oft noch viel weiter waren, als im vorigen Jahre, und manchen beschwerlichen Weg machten, um irgendeinen Platz zu besuchen, von dem man Pracht und Schönheit der Wälder überblicken konnte, oder wo die schauerliche Majestät war, da sich Felsen türmten, Wasser herab stürzten und erhabene Bäume standen.
Ich hatte den ganzen Sommer hindurch nicht mehr gefragt, ob sie mich liebe. Einmal aber, im späten Herbste, da wir im Eichenhage draußen bei der großen Eiche ihres Vaters standen, alle Gesträuche schon die gelben Blätter fallen ließen, nur die Eichen noch ihren rostbraunen Schmuck recht fest in den Zweigen hielten, fragte ich sie wieder: »Margarita, habt Ihr mich wohl lieb?«
»Ich liebe Euch sehr,« antwortete sie, »ich hab Euch über alles lieb. Nach meinem Vater seid Ihr mir der liebste Mann auf der Welt.«
Sie hatte dieses Mal die Augen nicht niedergeschlagen, sondern sie sah mich an, aber auf die Wangen ging doch ein recht schönes, sanftes Rot, als sie dieses sagte.
»Ich liebe Euch auch recht innig,« antwortete ich, »ich liebe Euch mehr, als alle andern Menschen dieser Erde, und da mir alle Angehörigen gestorben sind, so seid Ihr auf dieser Welt das Höchste, das ich liebe. Ich werde[609] Euch auch in alle Ewigkeit lieben, Euch ganz allein, hier auf dieser Welt, so lange ich lebe, und im Jenseits wieder.«
Sie reichte mir ihre Hand. Ich faßte sie, und wir drückten uns die Hände. – Wir ließen dann dieselben nicht los, sondern hielten uns an ihnen. Wir blieben noch länger stehen, schwiegen, und sahen in das verdorrte Gras nieder. Einzelne gelbe Blätter lagen von den Gesträuchen, die unter den Eichen wuchsen, und die schwach wärmenden Sonnenstrahlen der späten Jahreszeit spielten zwischen den Stämmen und den Zweigen rötlich herein.
Dann gingen wir in das Haghaus, und sie mußte dem Vater an dem Tage noch lange vorlesen. Ich hörte zu, und ging in der Nacht nach Hause.
Ach – es war jetzt so schön auf der Erde – so mit Worten unaussprechlich schön. Ich kniete einmal auf den Schemel, der in meiner Stube vor dem Fenster ist, nieder, da draußen Nacht war und unendlich viele Herbststerne an dem Himmel glänzten, und dankte Gott für mein Glück. Seit meine Angehörigen gestorben waren, war keine so schöne Zeit gewesen.
Ich ging jeden Tag in das Haghaus hinauf. Selbst als der Winter gekommen war, und als ich nicht nur den Vormittag, wie sonst, sondern meistens auch den Nachmittag in meinen Geschäften zubringen mußte – denn erstens konnte ich wegen der großen Finsternis nicht früh genug ausfahren, und zweitens hatten sich die Krankheiten vermehrt – ging ich doch noch immer, wenn nur die Nacht nicht zu weit vorgerückt war, in das Haus hinauf, und sah die letzten Scheite in der großen Heize in dem Büchergemache verglimmen. Wenn ich zuweilen ganz durchnäßt nach Hause kam, weil es nicht selten von dem Wagen oder Schlitten weg noch durch wilde Schneehaufen oder Wässer zu einer Hütte, in der ein Kranker lag, zu klettern war: kleidete ich mich um,[610] daß ich wieder alles an dem Körper trocken hatte, und trat meinen Weg an dem verschneiten Felde des Meierbacher und über den Eschenhügel hinauf an.
Wenn das Gedränge der Ratholenden geringer war, und ich gesagt hatte, daß ich morgen schon am Nachmittage bei scheinender Sonne kommen würde, so stand sie unter der Tür des Hauses, machte wegen des Glanzes der Wolken und des Schnees, der auf den Höhen lag, mit ihrer Hand einen Schirm über die Augen und sah der Fläche nach hinab. – Sie sagte mir nachher, daß sie nach mir ausgeschaut hatte.
So floß der Winter nach und nach vorwärts. Wir lasen etwas aus den Büchern oder aus den seltenen Schriften des Obrists, deren er eine ganze Sammlung hat, oder wir sprachen von verschiedenen Dingen. Der Obrist fragte um alle möglichen Verhältnisse der Menschen des Waldes, und wenn ich ihm sagte, was mir bekannt war, sah ich, daß er alles ohnehin schon am richtigsten wußte. Oft war wohl auch ein Mann aus der Umgegend da, der Obrist setzte ihm ein Glas Wein und Brod vor, und ehe die Nacht weit vorwärts rückte, machte sich der Besuchende wieder auf, und begab sich nach Hause.
Wenn solche lichte Nachmittage waren, wie ich oben sagte, sahen Margarita und ich sehr gerne die Bilder an, die da waren. Sie zeigte mir vieles und erklärte mir vieles; denn hier wußte sie mehr als ich, weil sie seit ihrer Kindheit immer die Bilder um sich gehabt und von dem Vater die Einsicht in dieselben bekommen hatte es ist unglaublich, welch Wunderbares und Schönes in diesen Bildern liegt. Manchmal gingen wir dann hinaus und sahen die Wolken und andere Dinge an, und erkannten und freuten uns, daß sie auf den Bildern so gemacht waren, wie sie sind. Ein anderes Mal sagte sie mir wieder alles auf, was sie von mir gelernt hatte, und fragte mich, ob es so recht sei.[611]
Zu verschiedenen Zeiten tat der Obrist Entwürfe und Zeichnungen auf den Tisch, wie er dieses und jenes ändern, dieses und jenes verzieren, dieses und jenes neu anlegen wolle. Wir schauten die Sachen an, sie waren sehr schön, und immer so reinlich gezeichnet, als hätte sich ein junger Mensch mit großem Eifer und großer Freude dazu gesetzt. Ich bekam bei diesen Dingen mehr Einsicht, als ich früher hatte, und änderte den Riß, den ich zu verschiedenen Zeiten zu meinem Schreibgerüste gemacht hatte, daß es in festem Eichenholze geschnitzt würde, wieder ganz und gar ab. Ich nahm mir vor, den Riß, ehe die Arbeit in Holz angefangen würde, dem Obrist zu zeigen.
Ein paar Male war er mit Margarita auch sogar bei mir herunten, und das letzte Mal ließ ich seine Braunen heimlich in das Haghaus zurück gehen und führte ihn dann mit Margarita mit meinen Rappen hinauf, da sie zum ersten Male die schönen Bänder, die ihnen von Margarita gemacht worden waren, auf sich hatten.
Manchmal, wenn wir so an späten Abenden bei einander saßen, draußen strenge Kälte herrschte, und herinnen in der Heize die großen Blöcke glommen, ihren roten Schein mit dem weißen der Lampe im Raume des Zimmers mischten, der Obrist an seinem schönen weißen Barte von der Glut rosenfarben angeleuchtet in dem Armsessel saß, und ich und Margarita neben einander ihm gegenüber: so legte sie gerne ihre Hand auf die meine, wir faßten unsere Hände, und hielten uns längere Zeit dabei, während von ganz fremden Dingen der Welt draußen, oder von anderen, die uns schon näher angingen, die Rede war. Der Obrist hat dieses gesehen, er hat aber nie etwas darüber gesagt. Wenn andere eine Neigung zu einander haben, suchen sie dieselbe zu verheimlichen, wir aber taten dieses nicht, sagten aber auch nichts, und lebten so mit einander fort. Wir haben auch zu uns selber[612] nichts mehr von unserer Zuneigung gesagt, seit jenem Abende, wo wir im Eichenhage einander vertrauten, daß wir uns sehr lieben. Ich hatte nicht den Mut, sie von dem Obristen zu meinem Weibe zu begehren – es kam mir auch vor, daß es noch nicht Zeit sei. Er, obwohl er es wußte, redete nie von Dingen, die hieher einen Bezug haben könnten, sondern war immer freundlich und heiter, und sprach von allem, das in dem Reiche seiner Betrachtungen war, oder dem er zu einer Handlung oder irgendeiner Gestaltung, wie sie ihm geläufig war, eine Zuversicht abzugewinnen vermochte.
So war der Winter endlich dahin und wieder der Frühling gekommen, die liebliche Freude unserer Wälder. Da geschah etwas, das alles änderte.
Zwar der Obrist ist nicht geändert worden. Wenn ihm sogar etwas Böses angetan wird, so erkennt er es für einen Irrtum, hat Mitleid und trägt nicht nach. Ist nicht die schöne Unterredung, die er mit mir hatte, selber ein Beweis davon?
Ich habe mich so gerne bei der Zeit meiner Ankunft verweilt, ich habe mich gerne bei der Zeit verweilt, in der ich zu bauen und zu wirtschaften angefangen habe; es war eine einfache, schuldlose Zeit – ich weilte gerne dabei, wie der Obrist gekommen ist, mit ihr, der Lieben, der Guten; es war eine glückselige Zeit – – alles ist aus – und sie, gerade sie hat mir so große Schmerzen gemacht; aber es ist nicht sie, ich erkenne es jetzt wohl, sondern ich, ich allein. – Es liegt die lange, schwere Zeit vor mir, und viele Jahre wird es brauchen, bis ich mich in sie hinein lebe.
Ich will alles eintragen.
Als die Tage der Blüten gekommen waren – mein Vogelkirschbaum, der liebe, große, kronenreiche Baum, den ich noch von Allerb auf mich gebracht hatte, war mit einem ganzen weißen Meere von Blüten bedeckt; in den[613] Wäldern, wo man noch durch das dünnbelaubte Zweiggitter den Himmel sah, fuhr ich doch oft schon durch eine Wolke von Duft und Blumenstaub, der durch die Räume ging – alles – alles war so schön – und siehe, dacht ich, welch ein Sommer wird erst auf diese Weise hereinrücken – – und nun sag ich, welcher wird kommen! –
Als, wie ich oben anfing, die Zeit der Blüten über uns war, fand sich in dem Haghause ein Besuch ein, auf den alle nicht vorbereitet waren. Es kam Rudolph, der Bruderssohn des Obrists. Einen schöneren Jüngling würde man sich wohl kaum denken können. Es gingen von dem rosenfarbenen Angesichte die dunklen, schwarzen Haare zurück, und die großen Augen blickten sehr wohlgebildet aus dem Angesichte. Sein Vater und seine Mutter waren schon vor längerer Zeit gestorben. Er war gekommen, um eine große Summe, die in Vorschein gekommen, und verloren geglaubte Schuldgelder, die eingegangen waren, mit dem Oheime zu teilen, dem einstens unrecht geschehen war. Der Obrist nahm ihn mit vielen Freuden auf, zeigte ihm große Liebe und gab ihm viele Geschenke, die er als Denkmale seines Aufenthaltes bei seinen Verwandten auf sein Schloß mitnehmen und aufheben sollte. Von der Summe aber nahm er nicht den Teil, den ihm der Jüngling geben wollte, sondern, wie in früherer Zeit, wieder das wenigste, das sich noch mit seinen Pflichten gegen Margarita vertrug. Rudolph lebte mit einem Manne, einem Amtmanne seines Vaters, den er sehr liebte und ehrte, ganz allein auf dem Schlosse, und bewirtschaftete sein Vermögen. Mir wurde er, da ich in jenen Tagen hinauf kam, vorgestellt, und er war immer sehr bescheiden und ehrfurchtsvoll gegen mich. Da man ihn sehr bat, blieb er viel länger bei dem Oheime, als er sich eigentlich vorgenommen hatte.
Als ich einmal in dem Lidenholze heimlich auf die Wulst der Felsen, die sich da in der Nähe des Holzschlages[614] überneigen, geklettert war, weil ich dort mehrere sehr seltene Steinbrechen wußte, die in Blüte gehen sollten, und die ich Margarita bringen wollte: sah ich plötzlich auf dem Wege durch das Lidenholz unter mir Margarita und Rudolph heraus gehen. Ein schöneres Paar ist gar nicht auf der Erde. Er war um eine halbe Hauptlänge höher als sie, war so schlank wie sie, das feine Gewand war so anspruchslos an ihm, und die schwarzen Augen blickten sanft und milde: sie schimmerte neben ihm so klar, wie immer, hatte das weiße Gewand an, und wurde durch ihn fast schöner als gewöhnlich. Mir stürzten die bitteren Tränen aus den Augen – – wer bin ich denn was bin ich denn? – – ich bin nichts – gar nichts. – – Ich wäre hinab geklettert, ich hatte die Felsen umschritten und wäre zu ihnen hingegangen – aber ich konnte es jetzt noch nicht. – Sie wandelten neben den Blumen hin, die in dem hohen Grase des Holzschlages standen, sie wandelten neben dem zarten Gesträuche und Gestrüppe, das sich manchmal an den Weg herandrängt – er sprach zu ihr, sie sprach zu ihm – er hatte ihren Arm in dem seinigen, sie legte ihre Hand auf die seine, drückte sie und streichelte dieselbe sanft.
Ich wollte nun gar nicht zu ihnen hinab gehen, sondern ich nahm meinen Stock, den ich in die Gräser nieder gelegt hatte, und zerschlug mit demselben alle Steinbrechen, die in der Tat noch nicht blühten, daß der Ort wild und wüst war. Dann stieg ich rückwärts an dem Felsen wieder hinab, wo ich hinaufgekommen war – denn an anderen Stellen ist die Wulst kaum zugänglich – ich stieg so schnell hinab, daß ich mir die Hände blutig riß. Dann ging ich nicht nach Hause, obgleich das Mittagessen auf mich wartete. Ich war gerade darum recht bald zu meinen Kranken gefahren, und war bald zurück gekommen, damit ich zu den Steinbrechen gehen und ihr die Blumen, wenn ich einige fand, noch vor dem Essen[615] bringen könnte. Jetzt waren keine Blumen notwendig und jetzt war es nicht notwendig, daß ich nach Hause zu meinem Essen ging. Ich stieg vielmehr von dem Lidholze immer mehr nieder gegen die Talrinne, in der das Lidwasser geht, das kaum jemand besucht, weil es so enge zwischen den Waldwänden hin geht, ein seichtes Wasser ist und überall wilde Steine liegen, daß kein Weg in der Länge der Talrinne möglich ist. Vorwärts gegen die grauen Felsen, die manchmal aus dem Schwarz und Grün der Wand hinaus steigen, schaut das Gedämmer und die Ruhe des Kirmwaldes herein, der sich aber auch immer drehte und hin und her rührte, wie ich abwärts stieg, bis er verschwand und an den hohen Strebnissen des Grases, des Nachwuchses, der dürren Stämme, der Steine nichts nieder schaute als der einzige schwermütige Himmel. Ich ging ganz tief bis in den Kessel zurück, wo das Wasser ruhig im Grunde steht und seine stahlblauen Flecke zwischen den grünen Inseln, die auf ihm schwimmen, hervor leuchten – daneben steht der feuchte Stamm der Tanne, und der graubraune Fels, von dem das Wasser beständig, wie ein Firnis, nieder glitzert. Auf dem Wege dahin hatten mich die blauen Scheine unseres Waldenzianes gegrüßt und die breiten grünen Augen des Huflattigs, wo mein Fuß in den weichen, brodigen Waldboden einsank: ich beachtete sie nicht.
Ach, ich bin ja sonst nicht so zornig – es ist meine Art nicht so. Ein Rückfall in meine Kindheit mußte es sein, wo mich, wie der Vater sagte, meine früh verstorbene Mutter verweichlichte, daß ich oft, wenn mir ein Hindernis entgegen kam, mich zu Boden warf und tobte. – Ich stieg von dem Lidkessel durch das Sandgerölle empor, indem ich die Hand wieder in die Gesträuche schlug, daß sie blutete, und mich an den hervorstehenden scharfen Steinen hielt, daß ich nicht niederrollte. – Ich kam an dem Rotheck heraus, wo sich die Okersteine am Gipfel[616] des Berges in die Luft drängen und der Blick in die jenseitigen Länder geht; wo sich die lange Linie des Rothberges hin zieht und die dortigen Waldbühel blau an blau hinaus gehen. Das Haus des Vetters Martin war nicht sichtbar, an dem Himmel streckten sich weiße, stehende Wolken hin, und auf meinem Boden war der Sand so rot gefärbt, daß ich mir die Schuhe beschmutzte, wie ich darüber hin ging und gegen meine Linke abneigend wieder in die finstere Gesellschaft der Tannen einbog.
Ich hatte mir nun alles fest gesetzt, wie ich tun solle. Ich ging in der großen Krümmung des Waldes herum, daß ich fast gegen Abend oberhalb des Eichenhages heraus kam, durch das ich in das Haus des Obrists ging. Er selber war nicht zu Hause. Margarita, sagten sie, sei in dem Garten. Ich schritt durch das Hoftor in den Garten, sah sie aber dort nicht, und vermutete sogleich, daß sie in das angrenzende Feld hinaus gegangen sein möge, weil das Hintergitter des Gartens offen stand. Ich sah sie wirklich, da ich das Gitter erreicht hatte und den Blick in das Freie tat, an dem breiten Wiesensaume, der neben dem Korne lief, wandeln, wie sie in der lauen, schönen Abendsonne den langen Schatten über das Getreide warf. Sie war allein – es war dieses nichts Wunderbares – aber ich verwunderte mich darüber. Nur die zwei schönen Wolfshunde ihres Vaters gingen ruhig neben ihr, sie lieben das Mädchen sehr, gehen ihm immer zu, und sind viel ruhiger, wenn Margarita in unserer Gesellschaft ist. Als ich in der Öffnung des Gartengitters erschien und sie mich erblickten, sprangen und tanzten sie lustig gegen mich zu, und auch Margarita ging etwas schneller mir entgegen, da sie merkte, daß ich auf sie zueile. Sie hatte das weiße Kleid an, war so schlank und schön wie am Vormittage, und trug das reine Angesicht meinen Augen entgegen, so schimmernd und sanft, wie es am Vormittage gewesen war.[617]
Sie nahm zuerst das Wort und sagte: »Ach – Ihr seid nun da – wir waren schon in Sorge, daß Euch etwas zugestoßen sein könnte; denn der Vetter Rudolph ist fort, und ist im Nachmittage noch bei Euch gewesen, um Abschied zu nehmen – da sagten Eure Leute, daß Ihr wohl mit den Pferden schon nach Hause gekommen, aber wieder fort gegangen und dann nicht einmal zum Mittagessen zurückgekehrt seid. Der Vater meinte, Ihr würdet wohl zu einem Hülfsbedürftigen gemußt haben, und es sei alles an der Sache nicht auffallend. Er hat den Vetter Rudolph bis zu dem Wirtshause am Rothberge begleitet, wohin die Reisepferde bestellt sind, dann wird er mit unseren Pferden wieder heim kommen.«
»Margarita, Ihr liebt mich gar nicht!« antwortete ich.
Sie richtete ihre Augen auf mich und sagte: »Wie kömmt denn diese Rede zu Euch? – ich liebe Euch ja mehr, als Ihr ahnen könnt: ich bin so freudig, wenn Ihr herauf kommt, es tut mir leid, wenn Ihr fort geht, und ich denke auf Euch, wenn Ihr fern seid.«
»Ihr liebt mich nicht«, sagte ich wieder, und sie mochte bemerken, wie es in meinem Angesichte vor Schmerz zuckte.
»Was ist Euch denn,« sagte sie, – »Ihr könnt ja eigentlich nicht so reden. – Seid Ihr krank? Ihr müßt wohl einen weiten Weg gemacht haben, ich sehe es an Euren Kleidern. Habt Ihr schon etwas gegessen?«
»Nein, ich habe noch nichts gegessen«, antwortete ich.
»Nun so kommt nur schnell in das Haus herein,« erwiderte sie, »ich werde Euch etwas geben, es sind noch Dinge genug da, Ihr müsset gleich etwas essen!«
»Ich esse nichts«, antwortete ich.
»So wollt Ihr etwa mit dem Vater reden,«sagte sie, »kommt, wir wollen uns auf die Gartenbank setzen, wo man den Weg weit übersieht, auf dem er kommen wird.«
»Ich will nicht mit dem Vater reden,« antwortete ich,[618] »aber Euch habe ich etwas zu sagen, daß Ihr nämlich den Vetter Rudolph viel, viel mehr liebt als mich.«
»Ich liebe den Vetter Rudolph,« sagte sie, »weil es sich gebührt, aber ich liebe Euch mehr – ihn liebe ich anders – und Ihr müßt selber sagen, ob er es nicht wert ist, da er sich so schön gegen uns, seine Verwandten, gezeigt hat?«
»Ja, ja, er ist es wert, und Ihr werdet ihn immer mehr und mehr, und endlich sehr lieben«, erwiderte ich.
»Ich werde ihn auch sehr lieben,« entgegnete sie, »wenn er noch öfter wird zu uns gekommen sein, wie er es gesagt hat.«
»Nun, so ist es gut, und wir sind in Ordnung«, antwortete ich.
Jetzt gingen wir eine Weile schweigend neben einander her, bis wir zu dem Gartengitter gekommen waren, wo die Rosen stehen, deren Reiser wir mit einander eingelegt hatten. Dort blieb sie stehen, wendete ihr Angesicht und ihre Augen auf mich und sagte: »Ich bitte Euch, lieber, teurer Freund, seht, ich bitte Euch aus der innersten Inständigkeit meines Gemütes, lasset diese Dinge und diese Worte aus Eurem Herzen fahren.«
»Ich lasse ja die Dinge alle,« antwortete ich, »Ihr liebet mich nicht, und ich lasse die Dinge aus meinem Herzen fahren.«
»Ich habe im Eichenhage zu Euch gesagt,« erwiderte sie, »daß ich Euch außer meinem Vater mehr liebe, als alle andern Menschen auf der Erde.«
»Ja, Ihr habt es gesagt,« antwortete ich – »ob es aber auch wahr ist!?«
Auf diese Rede erwiderte sie gar nichts. Sie sagte kein Wort mehr. Sie ging durch das Gartengitter hinein, und ich auch. Sie zog einen Schlüssel aus der Tasche ihres Kleides, machte das Gitter zu und sperrte mit dem Schlüssel das Schloß. Dann ging sie auf dem geraden[619] Wege durch den Garten, der gegen das zweite Gitter führt, durch das man in den Hof des Hauses gelangt, ich ging immer neben ihr, und es war mir, als ob sie scheu von mir weg wiche. Da wir das Gitter erreicht hatten, ging sie durch dasselbe in den Hof, tat es hinter sich zu, aber sperrte es nicht ab, weil es nie abgesperrt wird. Im Hofe redete sie wieder das erste Wort, indem sie sagte: »Wenn Ihr auf den Vater warten wollt, so will ich mich zu Euch auf die Bank setzen und so lange warten, bis er da ist.«
»Ihr könnt ihm in meinem Namen eine gute Nacht sagen,« antwortete ich, »ich gehe nach Hause.«
»So werde ich es tun«, sagte sie, indem sie stehen blieb.
Ich wendete mich von ihr, ging neben dem Blumensaale durch das große Tor hinaus und schritt auf dem Wege nach meinem Hause hinunter.
Am andern Tage hatte ich nur zu dem Erlebauer zu fahren, der etwas bedeutend krank war, dann zur Mechthild, die ein Gallenfieber hatte, und dann noch zu einigen andern von geringer Bedeutung. Ich fuhr sehr frühe des Morgens aus, damit ich bis zu Mittag mit allen meinen Kranken und mit dem Schreiben, das notwendig geworden war, fertig wäre.
Als ich die Suppe, die ich als einzige Speise an diesem Mittage zu mir nahm, gegessen hatte, ging ich in das Haghaus hinauf.
Ich ging zuerst zu dem Obrist, der in einem Buche las. Er stand auf, grüßte mich wie sonst, und war um gar nichts anders, als er sich stets gegen mich benommen hatte. Er sagte mir nach einigen gewöhnlichen Worten, daß gestern sein Vetter Rudolph fort gereiset sei, daß er mich noch gesucht, aber nicht gefunden habe, und mir daher durch ihn die schönsten Grüße zum Abschiede sagen lasse. Er fügte dann noch hinzu, daß der junge Mann ein vortrefflicher Mensch sei, daß er sich freue, daß[620] nun der Hader in der Verwandtschaft ein Ende habe, und daß, wenn der Jüngling in seiner Gesinnung so fort fahre, aus ihm ein einfacher, gutherziger und starker Mann hervorgehen könne. Ich pflichtete den Worten bei, wie sie auch in der Tat ganz der Wahrheit gemäß waren.
Von unsern andern Dingen sprach der Obrist kein Wort.
Nach einer Weile der Unterredung sagte ich, daß ich zu Margarita hinüber gehen müsse. Er stand auf, und ich beurlaubte mich. Es war mir zu allen Zeiten erlaubt gewesen, allein zu Margarita hinein zu gehen, und der Obrist hatte es nie so eingerichtet, daß dieses nicht geschehen durfte.
Ich ging durch den Gang zu ihr hinüber. Als ich die Türe geöffnet hatte, sah ich sie an ihrem Tischchen stehen, und sie schien mich erwartet zu haben. Sie war manchmal, wenn sie wußte, daß ich zu ihrem Vater hinein gegangen sei, voll Freude herüber gekommen; heute war das nicht der Fall gewesen. Sie war recht schön gekleidet, aber das Gewand war ein anderes als gestern. Auf dem Wandtische neben der Tür lag noch der welke Strauß Feldblumen, den sie gestern gepflückt hatte, und seine Stengel waren noch mit demselben Feldgrase gebunden, das sie gestern genommen hatte. Ich erkannte, daß er einige Blumen enthielt, die in unserem Kräuterbuche noch nicht waren, oder die wir schlecht gepreßt hatten.
Da ich bis zu ihr vorwärts gekommen war und gegen ihre Augen geblickt hatte, sagte sie: »Ich habe Euch heute erwartet, und da muß ich Euch die Worte sagen, die ich mir in der Nacht gedacht habe, und die Euch zu wissen notwendig sind. Ich habe recht gerne Eure Gattin werden gewollt, der Vater hat Euch auch in hohem Grade lieb; – aber da nun alles anders geworden ist, muß ich Euch sagen, daß es nicht mehr geschehen kann.«
Ich sah sie an. Da ich in das Haghaus hinauf ging, wußte ich noch nicht, was ich sagen werde, nur die Empfindung[621] war mir klar, daß ich heute recht bald, so bald als möglich hinauf gehen müsse; aber als Margarita die obigen Worte gesagt hatte, erschrak ich sehr. Ich nahm sie bei der Hand, die sie mir gerne ließ, und führte sie gegen das Fenster vorwärts. Sie setzte sich auf das gepolsterte Bänklein, das in der Fenstervertiefung steht, nieder, weil sie dachte, daß ich mit ihr reden wolle. Ich setzte mich auf das andere Bänklein, ihr gegenüber, und redete zu ihr. Ich redete sehr lange – aber was ich sagte, weiß ich nicht mehr, und kann es nicht in dieses Buch einschreiben. Was sie antwortete, weiß ich auch nicht mehr; aber das weiß ich, daß es nicht so war, wie ich wollte, und daß sie ihren Entschluß nicht änderte. Dann schwieg sie ganz, und wie ich eifriger und hastiger fort redete, verstummte sie immer mehr, und als ich endlich sehr heftig und dringend wurde, sagte sie plötzlich die Worte: »Da muß ich den Vater um Hülfe rufen.«
Auf diese Worte sprang ich auf und sagte: »Nein, das dürfet Ihr nicht tun, das sollt Ihr nicht nötig haben – es ist schon alles gut, gut, gut.«
Und da war es, wo eine solche Vergessenheit aller Dinge des Himmels und der Erde über mich kam!! – – Ich wendete mich um, ging zur Tür hinaus, gewann durch das Tor das Freie und eilte nach meinem Hause hinunter. –
Es war nun alles gleich. Ich wollte die Dinge der Weit zerreißen, vernichten, strafen. –
Ich habe es im Anfange dieses Buches eingeschrieben, wie ich in den Kirmwald zu einer Birke hinaufgeeilt bin, die mir in den Gedanken gekommen war, und wie mir der Obrist an jene Stelle nach gegangen war und mit mir in dem Walde geredet. – –
Es ist eine sehr lasterhafte Tat gewesen, die ich habe begehen gewollt, und sie hat meine Seele tief erschreckt. Ich habe sonst meine Geschäfte ruhig getan, und weiß[622] nicht, wie ich dazu gekommen bin, daß ein solcher Gedanke in meinem Haupte entstehen konnte. – Ich weiß es heute noch nicht. – –
Ich muß mein Amt mit noch größerem Eifer verwalten, ich muß in die tiefsten Dinge desselben nieder steigen, und muß die größten Schwierigkeiten und die kleinsten Pflichten desselben tun, damit wieder alles ausgeglichen werde.
Ich habe diese Sache darum auch gleich am Anfange dieses Buches eingeschrieben, weil sie mich so erschreckt hat, daß nur eine Möglichkeit gewesen ist, daß ein solches Beginnen in meinen Sinn und in meine Denkweise kommen konnte!!
Ich bin sehr traurig gewesen. Am Abende bin ich nach Hause gegangen und habe mich in das Bett gelegt – nicht zum Schlafen. Den andern Tag habe ich mit mir allein zugebracht. Am folgenden bin ich zu dem Obrist hinauf gegangen. Er hat mir seine Lebensgeschichte erzählt, und hat mich sehr erschüttert. Dann hat er mich gefragt, ob ich zu Margarita hinüber gehen wollte, um mit ihr gütig zu reden; und da ich eingewilligt hatte, führte er mich durch den Gang und über die gelbe Rohrmatte in ihr erstes Zimmer hinein. Als sie in demselben nicht war, sagte er, ich solle hier warten, er werde sie holen – dann werde er selber nicht mehr heraus kommen, sondern durch das Bücherzimmer in seine Stube zurück gehen. Er kam auch nicht mehr heraus – es öffnete sich schwach der halbe Türflügel, den der Obrist hinter sich offen gelassen hatte, und Margarita trat heraus. Ihre Augen waren auf mich gerichtet. Sie war so einfach schön, wie das Ding, wovon sie den Namen hat; denn Margarita heißt ja in der alten Römersprache die Perle. Der Obrist hatte nichts von dem gesagt, was ich hatte tun wollen, ich erkannte es wohl; denn sie hätte mich nicht mehr angesehen. Sie ging bis in die Mitte des Zimmers hervor, wo[623] ich stand, ich reichte ihr die Hand, wie wir es gewöhnlich taten, wenn wir in früheren Zeiten zusammen gekommen waren, sie nahm die Hand an, und dann ließen wir sie wieder los.
»Margarita,« sagte ich, »Euer Vater hat bei Euch fürgesprochen, daß ich zu Euch herüber kommen und mit Euch reden dürfe. Wir werden nun nicht mehr so oft zusammen kommen, und werden nicht so oft mit einander durch die Felder und Wälder gehen wie bisher – – ich werde weniger in das Haghaus herauf gehen können, als es in den vergangenen Zeiten der Fall gewesen ist – – fürchtet Euch nicht, ich werde heute nicht so reden wie vorgestern, sondern gut und ruhig – ich werde Euch um nichts bitten.« –
Sie hatte während dieser Worte nicht geantwortet, obwohl sie in Zwischenräumen gesagt worden waren, sondern war vor mir gestanden, und hatte ihre Arme an ihrem Kleide niederhängen lassen.
»Margarita,« sagte ich dann wieder, »verzeihet mir!«
»Ich habe Euch nichts zu verzeihen,« antwortete sie, »Ihr habt mir nichts getan.«
Während wir diese Worte sprachen, kam der Obrist wieder durch das Bücherzimmer zu uns herüber, und trug etwas in der Hand. Da er bis zu uns gelangt war, legte er es auf den Tisch nieder und sagte: »Hier sind einige getrocknete Stämmchen Edelweiß. Sie sind die Hälfte von denen, welche mir meine Gattin gepflückt und auf den Hut gesteckt hat, als sie an ihrem letzten Tage mit mir auf dem hohen Gebirge gewesen war. Ihr werdet beide diese Pflanze nicht kennen, da sie hier nicht wächst, und werdet sie daher auch nicht in euren Kräuterbüchern haben. Ich gebe euch diese mehreren Stämmchen, teilt sie unter einander, und bewahret euch dieselben auf.«
Als er dieses gesagt hatte, wendete er sich um und begab[624] sich wieder durch das Bücherzimmer in seine Stube. Ich ging an den Tisch und sah das Edelweiß an. Es waren zwölf Stämmchen. Ich legte sechs auf diese Seite und sechs auf jene Seite und sagte: »Margarita, ich habe die Pflanzen aus einander geteilt; diese hier sind die Eurigen, diese die meinigen. Ist es so recht?«
»Ja«, sagte sie.
Hierauf schwiegen wir wieder eine Weile – dann sagte ich: »Ich werde jetzt mein Amt recht eifrig erfüllen und allen Hülfsbedürftigen, nah und ferne, den willfährigsten Beistand leisten.«
»Ja, tut das, tut das«, sprach sie lebhaft.
Dann fuhr ich fort: »Denkt zuweilen an mich, Margarita, und wenn auch alles anders wurde, lasset doch mein Bild in mancher Zeit vor Eure Augen treten.«
»Ich habe geglaubt, daß Ihr sehr gut und sehr sanft seid«, antwortete sie.
»Ich bin es,« sagte ich, »ich bin es, Margarita, nur könnt Ihr es jetzt noch nicht sehen, und könnt es jetzt noch nicht glauben. Drum lebet wohl, Margarita, lebet recht wohl.«
»Wartet noch ein wenig«, sagte sie.
Dann trat sie an den Tisch, nahm jene Abteilung des Edelweißes, die ich als die ihrige bezeichnet hatte, legte sie auf meine Seite und sagte: »Nehmet dieses.«
Ich sah auf sie, konnte aber ihr Angesicht nicht sehen, weil sie sich abgewendet hatte.
»Margarita,« sagte ich, »lebet recht wohl.«
Ich konnte nicht hören, daß sie etwas antwortete, sah aber, daß sie mit der Hand winkte.
Es war nun alles vorüber. Ich nahm das Edelweiß, das sie mir gegeben hatte, von dem Tische, tat es in das Buch, das ich immer bei mir trage, und ging zur Tür hinaus. Ich schritt zum letzten Male über die gelbe Rohrmatte, ich ging durch die große Blumenstube, in welcher manche[625] fremdartige Gewächse standen, und trat aus derselben auf den Grundstein hinaus, den wir mit so vieler Freude und Fröhlichkeit gelegt hatten. Dann kam ich durch den Torbogen in das Freie. Ich wollte den Obrist nicht mehr besuchen, sondern langsam meine Wege gehen. Aber ich sah ihn, da ich heraus gekommen war, in dem feinen Grase des Rasens stehen, der sich vor den Fenstern seines Hauses hin breitet. Wir gingen auf einander zu. Anfangs sagten wir gar nichts, dann aber sprach er: »Wir werden Euch ein wenig begleiten.«
Es waren nämlich auch seine zwei Hunde bei ihm. Er ging ein Stück des Weges, den ich eingeschlagen hatte, mit mir, dann sagte er: »Lasset eine Zeit verfließen. Wie ich Euch schon in meiner Stube gesagt habe, so wiederhole ich es auch hier, ihr habt beide gefehlt. Denkt an meine Gattin: sie stürzte ohne den leisesten Angstruf in den Abgrund, damit sie mich nicht erschrecke. Margarita gleicht ihr sehr. Sogar darin ist sie ihr ähnlich, daß sie eine solche Vorliebe für weiße Kleider hat, obwohl ihr niemand erzählt hat, daß es bei ihrer Mutter auch so gewesen ist. Sie ist eben so stark und eben so demütig und zurückweichend vor dem harten Felsen der Gewalttat.«
Ich antwortete im Augenblicke nicht auf diese Rede. Es war heute das erste Mal gewesen, daß der Obrist von dem Stande der Dinge zwischen mir und Margarita gesprochen hatte. Wir gingen noch eine Weile neben einander, bis ein Weg seitwärts gegen seine Wiese hinein ging. Dort beurlaubte er sich, und wandelte auf dem Wege, der ihn gegen die Wiese führte, mit seinen Hunden dahin.
Der Pfad aber, den ich eingeschlagen hatte, war nicht der zu meinem Hause hinunter, sondern der, welcher von dem Haghause weg durch die Felder empor geht und dann in die Weidebrüche einlenkt, wo man im Sommer[626] die Rinder hütet. Ich schlug den Pfad darum ein, weil ich noch zur Haidelis gehen mußte, die krank ist, und weil der Weg durch die Weidebrüche zu ihr führt. Ich ging nicht zum Essen nach Hause; denn ich dachte, ich könnte ja in das Gollwirtshaus gehen, wenn mein Leib etwas verlangte, oder sonst irgend wohin, wo mein Weg mich vorbei bringt.
Als ich zwischen die Haselstauden der Weiden hinauf gekommen war und nicht gesehen werden konnte, blieb ich ein wenig stehen. Ich richtete mir das Barett zu rechte, welches schief gesunken war, und sagte mir gleichsam selber die Worte: »Wenn dir nun in Zukunft noch ein Widerstand in den Weg kommt, Augustinus, den du nicht überwinden zu können meinst, so denke an den Obrist und an seine standhafte Tochter.«
Dann ging ich wieder zwischen den Haselbüschen weiter.
Ich hatte jetzt niemanden mehr als meine Kranken, und es schien mir in dem Augenblicke, als warteten sie alle auf mich.
Ich sollte zwar erst gegen den Abend zur Haidelis hinaus, und hatte mir vorgenommen zu fahren; aber da es doch etwas weit ist, so dachte ich, werde ich bei langsamem Gehen, wenn auch der Tag noch hoch steht, doch erst gegen den Abend hin kommen. Ich mochte von dem Obrist nicht nach Hause gehen und meine Pferde holen. Ich ging langsam – langsam und denkend durch die Wälder dahin. – Auch war ich ein wenig bei dem hinteren Wirte in dem Schlagholze und aß etwas von der Kost, die an seinem Mittagstische übrig geblieben war.
Als ich von der Haidelis weg durch andere Wälder nach Hause ging und die Sonne schon ziemlich nahe gegen ihren Untergang neigte, schien es sich erfüllen zu wollen, was der Obrist heute gegen Mittag vorausgesagt hatte: denn von der Scheide des Hochwaldes herüber, von woher im Winter die Wolken mit dem Regen gekommen[627] waren, der den schrecklichen Eissturz gebracht hatte, zog es sich wie Gewitterbildung zusammen, und die Sonne mußte sich auch im Abend durch zerstückte und an ihren Enden anbrennende Wolken hinunter arbeiten. Ich betrachtete mir so, da ich in das Freie gekommen war, das Zurechtrichten und die Vorbereitungen an dem Himmel.
Zu meinem Hause ging ich nur hinzu, um den Fuchs anspannen zu lassen, damit ich noch zu dem Erlebauer hinaus führe, zu dem ich vor Abends mußte, und wieder zurück käme, bevor das Gewitter ausbräche.
Als ich mit dem Thomas durch die letzten Bäume des Thaugrundes zurück fuhr, leuchteten schon die Blitze durch die Zweige herein und zogen manchmal über den fernen Wald ihre geschlungenen Geißellinien. Auch an dem Abendhimmel war es nun anders. Wo die Sonne zwischen rotschimmernden Wolken und blaßgelb leuchtenden Stücken heiteren Himmels untergegangen war, war nun alles zusammen geflossen, und aus der dunkeln Lagerung der Wolken brach zu Zeiten Feuer hervor. Ich habe darum den Fuchs zu dieser Fahrt genommen, weil er das himmlische Feuer nicht scheut. Die jungen Rappen entsetzen sich davor.
Als ich von dem Wege ablenkte und durch mein Gitter in meinen Hof hinein fahren wollte, sprengte in der Dämmerung, in der die ruhigen Bäume standen und die Blitze zuckten, ein Mann herbei und rief mich an, ich möchte augenblicks kommen, ich sei bei dem untern Aschacher sehr notwendig. Sie tragen ihn eben von dem Schwarzholze herein, wo ihn ein fallender Baum fürchterlich verwundet habe. Er, der dieses sage, sei selber dabei gewesen, sei voraus gelaufen, habe ein Pferd genommen und sei her geritten, um den Doktor in größter Schnelle zu holen. Ich befahl dem Thomas umzulenken, und wir fuhren hinter dem Boten, der vor uns her ritt, zu dem wohlbekannten Hause des untern Aschacher hinab,[628] wohin es nicht weit war. Als wir ankamen, hatten sie ihn schon da, er lag auf dem Bette, und sie hatten ihm die Kleider von dem verwundeten Fuße geschnitten. Es war durch die Tanne, die sie umschnitten und die dann fiel, nur die Haut von dem Fuße gestreift worden, aber nie habe ich so furchtbar und gräßlich menschliches lebendes Fleisch entblößt gesehen. Der Mann wäre gestorben, wenn ich damals in dem Kirmwalde meine Tat verübt hätte! Sie hätten ihm Pflaster auf die Verwundung getan und den Brand gelockt. – Ich befahl, Wasser von dem Brunnen zu holen, und ließ ihm von dem Eise zukommen, das ich immer in der Grube unter meinem Hause aufbewahrt halte.
Das Gewitter ist nicht herein gebrochen. Als ich mit dem Thomas auf dem schlechten Feldwege zurückfuhr, zogen seine regenlosen, schwarzen Stücke über den Lidwald hinaus, man hörte schier keinen Donner, und nur die zeitweisen Blitze zielten gegen die ferneren Länder hinaus, die von uns gegen Morgen liegen.
Es verging eine ängstliche, unruhige Nacht. Ich war sehr düster!
Ausgewählte Ausgaben von
Studien
|
Buchempfehlung
Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.
310 Seiten, 17.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro