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[96] Es war ein großer Saal.


Als man das Jahr des Heiles 1140 zählte, lag der böhmische Herzog Soběslaw krank. Er war im Herbste des vorhergegangenen Jahres an die Morgengrenze seines Reiches gegangen. Um ein Jahr früher war in derselben Jahreszeit sein Freund der polnische König Boleslaw Schiefmund gestorben. Er befestigte nun das Reich gegen Polen, baute noch an Hostas Burg, und wohnte nahe dabei in seinem Hofe zu Chwoyno. Da erkrankte er gegen das Fest der Weihnacht, und ließ sich auf Hostas Burg tragen. Es war die Weihnacht gekommen, es war das Fest des Neuen Jahres und der Heiligen Drei Könige vorüber gegangen, und man näherte sich dem Monate Hornung. Der Herzog lag in einem Gemache, dessen Wände weiß getüncht waren, und das drei Fenster enthielt. Zwei davon waren mit Linnen verhangen, durch das dritte sah[96] der Herzog in der Richtung hin, in welcher die Länder seines verstorbenen Freundes Boleslaw lagen. Man hatte ihm des Frostes wegen eine Bärendecke über den Leib gedeckt, und gegen sie reichte der ergrauende Bart, und die Hände lagen auf ihr. Eine Frau in dunkelm Gewande saß von dem Kranken abseits auf einem hölzernen Gesiedel. Da sprach der Herzog: »Adelheid, sorge zu erfahren, ob der Jüngling, welcher am Sonntage im Vorgemache war, noch irgendwo in der Burg oder in ihrer Nähe zu finden ist, und lasse ihn zu mir bescheiden.«

Die Frau erhob sich von ihrem Sitze, und ging hinaus.

Nach einer Weile kam sie wieder herein, und sagte: »Er ist noch hier, man wird ihn suchen, und dir senden.«

Nach diesen Worten ließ sie sich wieder auf ihren Sitz nieder.

Als eine kurze Zeit vergangen war, öffnete ein Kämmerling die Tür, und führte Witiko herein. Derselbe war in seinem Lederkleide.

Der Herzog winkte dem Kämmerlinge, sich zu entfernen, und sagte dann: »Adelheid, du hast den erkannt, den ich meinte. Tritt näher, Witiko.«

Witiko trat einige Schritte von der Tür gegen den Herzog.

»Du mußt bis zu dem Bette herzu kommen«, sagte Soběslaw.

Witiko ging hinzu, blieb stehen, und schaute auf den Herzog. Von seinem entblößten Haupte gingen die blonden Locken auf die Schultern herab. Seine Lederhaube hielt er in der Hand.

»Witiko«, sagte der Herzog, »du bist in dem Zuge, den wir mit dem Könige Konrad nach Sachsen taten, klug gewesen, du gehörst keinem Vornehmen meines Reiches an, du blickest ehrlich, und wirst mich nicht verraten. Nimm das beste Pferd, welches in der Burg ist, und verwahre dich wohl gegen die Kälte, und reite nach Prag. Dort halten[97] sie auf dem Wyšehrad Versammlungen, und beraten, was nach meinem Tode sein wird. Ergründe, was sie sagen, und vorhaben, und bringe mir die genaue Nachricht zurück. Ich werde dir ein goldenes Kreuzlein mitgeben, das zeige dem Bischofe Silvester, der wird dir in deinem Werke an die Hand gehen. Du hast dich zu denen gesellt, die hier um mich sind, du wirst meinen Auftrag vollführen.«

»Hoher Herr«, entgegnete Witiko, »wenn ich dir die wahre Nachricht zurückbringe, wirst du dann gegen die deines Landes, die dir zuwider handeln, feindlich verfahren?«

»Nein, mein junger Reitersmann«, erwiderte der Herzog, »ich werde nur wissen, was es ist, und werde dann sterben.«

»So werde ich gehen, und werde dir die rechte Botschaft bringen«, antwortete Witiko.

»Gott geleite dich«, sagte der Herzog.

Nach diesen Worten langte er in den hölzernen Schrein, der hinter dem Bette stand, und zog ein Beutelchen von rotem Sammet hervor. Dann öffnete er das Beutelchen, und tat ein sehr kleines goldenes Kreuzlein heraus.

»Hier ist das Kreuzlein«, sagte er.

Dann steckte er es wieder in das Beutelchen, und reichte dasselbe an Witiko. Witiko nahm es, und barg es in seinem Wamse. Dann neigte er sich gegen den Herzog und die Frau, und schritt gegen die Tür. Die Frau erhob sich, trat zu ihm, und sagte: »Geht mit Gottes Segen, junger Reiter, und übet Treue, so lange Ihr lebt.«

Witiko antwortete nichts.

Die Frau ging vor ihm zur Tür, und vor ihm durch dieselbe hinaus. In dem Gemache, in welches sie kamen, spielten drei Knaben auf mehreren Hirschfellen, die man auf den Fußboden gebreitet hatte. Auf einer Bank saß ein Priester.[98]

»Soběslaw«, sagte die Frau zu einem der Knaben, »sieh in der Stube, ob Boreš dort ist, und rufe ihn her. Dein Vater will diesen Mann da versenden.«

»Ja, Mutter«, rief der Knabe, sprang empor, und lief zur Tür hinaus.

Ein anderer Knabe fragte: »Mutter, schläft der Vater?«

»Nein, Wenzel«, antwortete die Frau, »aber er muß Ruhe haben.«

»Wir sind immer stille«, sagte der Knabe.

»Ihr müßt noch eine Zeit stille sein«, entgegnete die Frau.

Der fortgesendete Knabe kam zurück, und brachte einen bewaffneten Mann.

»Boreš«, sagte die Frau, »der Herzog sendet diesen Reiter fort. Er soll sich ein Pferd wählen, und das Notwendige erhalten.«

»Es wird in kurzer Zeit bereitet sein«, sagte Boreš.

»Wo ist Wladislaw?« fragte die Frau.

»Er ist in das Holz geritten, und wird sogleich wieder kommen«, antwortete Wenzel.

»Meldet es mir, wenn er kommt«, entgegnete die Frau, »seid gegrüßt, ehrwürdiger Vater, und Ihr, Witiko, reitet wohl.«

Dann ging sie wieder in das Krankengemach. Der Priester, der aufgestanden war, setzte sich wieder auf seinen Platz, und Witiko und Boreš gingen in die äußere Stube. Dort waren mehrere Menschen: Mannen, Priester und andere. Die zwei Männer schritten durch sie hindurch in den Vorsaal und die Treppe hinab in die unteren Räume und in den Stall.

Nachdem eine Stunde vergangen war, wurde für Witiko das Tor geöffnet, und er ritt auf einem schwarzen Pferde des Herzogs in die Schneepfade der Gegend, die gegen Sonnenuntergang liefen, hinaus. Er hatte seine Füße für die Bügel mit starken Tüchern umwunden, über seiner[99] Lederkleidung hatte er Pelzwerk, seine Haube war mit einem Stücke Bärenfell bedeckt, und seine Hände waren in Pelz gekleidet. In der Rechten trug er einen kurzen Wurfspieß, und an seiner Seite hing das Schwert. So ritt er fort, und am Morgen des vierten Tages kam er in Prag an.

Er suchte eine Herberge, brachte das Pferd unter, besorgte die Reinigung seiner Kleider, und aß etwas zum Frühmahle. Dann ging er zum Hause des Bischofs. Er pochte mit dem Klöppel an dem Tore. Der Torwart öffnete ihm, führte ihn zur Treppe, und über diese hinauf in einen Vorsaal, wo er ihn einem geistlich gekleideten Manne übergab. Dieser fragte nach seinem Begehren. Witiko sagte ihm, daß ihn der Herzog sende, und wie er heiße. Darauf wurde er von ihm in ein erwärmtes Gemach geführt, in welchem unter einer Himmeldecke ein großes Kreuz des Heilandes stand. Die Tür neben dem Kreuze, sagte der Mann, führe zu dem Bischofe; allein Witiko müsse warten, weil ein hoher Herr bei dem Bischofe sei, und mit ihm spreche.

Witiko stellte sich an ein Fenster, und wartete. Der Mann ließ sich auf eine Bank nieder.

Nach einer Zeit öffnete sich die Tür neben dem Kreuze, und zwei Männer traten heraus. Beide hatten ein veilchenblaues Überkleid. Der eine hatte eine hohe Stirne, dunkle Augen, und ein brauner Bart ging auf das Überkleid nieder. Der andere hatte blaue Augen und einen weißen Bart. Jeder trug ein goldenes Kreuz.

Im Herausgehen sagte der mit dem braunen Barte zu dem andern: »Lernet ihn nur kennen.«

»Ich kenne ihn, ich kenne ihn«, antwortete der mit dem weißen Barte.

Dann gingen sie schweigend über den Fußboden des Gemaches bis zur Ausgangstür. Dort verabschiedeten sie sich, der mit dem braunen Barte ging heraus, der mit[100] dem weißen wieder in das Gemach zurück, aus dem sie gekommen waren. Jetzt ging auch Witikos Begleiter in das Gemach. Nach einer Weile kam er wieder heraus, und führte Witiko hinein.

Der Mann mit dem weißen Barte und den blauen Augen stand in dem Gemache, da Witiko eintrat. Der Begleiter entfernte sich.

»Ich bin der Bischof Silvester«, sagte der Mann.

»Mich sendet der Herzog Soběslaw«, entgegnete Witiko.

»So sei gesegnet, und setze dich auf jenen Stuhl«, sagte der Mann.

Witiko setzte sich, der Mann setzte sich auf einen andern Stuhl, und sagte: »Nun sprich, wie erkenne ich deine Sendung?«

»Weil ich es sage«, entgegnete Witiko, »und weil Ihr mir durch dieses Zeichen helfen werdet.«

Er zog das rote Beutelchen aus seinem Wamse, tat das Kreuzlein heraus, und reichte es dem Bischofe. Der Bischof nahm es, küßte es, und gab es Witiko wieder zurück.

»Wann hat er dir das Kreuzlein gegeben?« fragte er.

»Vor vier Tagen am Morgen«, antwortete Witiko.

»Hat er es dir aus dem Bette gereicht?« fragte der Bischof.

»Er hat seine Hand von der Bärendecke des Bettes gehoben, hat in den Schrein hinter dem Bette gelangt, hat das Beutelchen mit dem Kreuze hervorgezogen, und es in meine Hand gelegt«, sagte Witiko.

»Es ist gut«, erwiderte der Bischof, »was ist dein Begehren?«

»Sie beraten auf dem Wyšehrad«, entgegnete Witiko, »ich soll ergründen, was sie sagen, und vorhaben, und soll dem Herzoge die rechte Botschaft bringen.«

»So will ich dir sagen, mein Kind, was ich weiß, und was ich offenbaren kann, reite dann zu dem Herzoge, und verkündige es ihm«, sprach der Bischof.[101]

»Das hieße ja nicht ergründen, was sie vorhaben, und dem Herzoge die rechte Botschaft bringen«, antwortete Witiko, »da Ihr selber sagt, hochehrwürdiger Bischof, daß Ihr nicht alles wißt, und nicht alles offenbaren könnt.«

»Nun, und wie willst denn du es ergründen?« fragte der Bischof.

»Ich werde in die Versammlung gehen, und werde hören, was sie sagen, und beschließen«, entgegnete Witiko.

»Das willst du tun!« rief der Bischof, »armes Kind, sie werden einen Spruch über dich fällen, und nach dem Spruche verfahren.«

»Das weiß ich nicht«, sagte Witiko, »aber ich muß auszuführen streben, was ich dem Herzoge versprochen habe.«

»Und wie kann denn ich dabei dir helfen?« fragte der Bischof.

»Daß sie mich vor sich lassen, und anhören«, entgegnete Witiko.

»Das könnte ich dir vielleicht verschaffen«, sagte der Bischof, »und das werden sie um so eher zugestehen, als du dich auf diese Art ihnen selber stellst. Aber es kömmt auf dein Haupt, was dann folgen wird.«

»Es kömmt«, sagte Witiko.

»Es ist auch unnütz, daß du dein junges Blut hieher trägst«, sprach der Bischof, »hast du den Mann gekannt, der von mir gegangen ist?«

»Nein«; antwortete Witiko.

»Es ist Zdik gewesen, der Bischof von Olmütz, der Sohn des Mannes Cosmas, der die Geschicke dieser Länder aufgeschrieben hat. Er gilt viel in dem Rate unserer Völker, und meint den schon zu kennen, der Herzog sein wird. Hast du den Arzt bei dem Herzoge gesehen?«

»Nein«, sagte Witiko, »nur seine Gehilfen.«

»Er ist in Prag und bei mir gewesen«, sagte der Bischof,[102] »und hat mir eröffnet, daß der Herzog, ehe der halbe Mond vergeht, sterben wird.«

»Das kann der Arzt vielleicht wissen«, antwortete Witiko, »meine Sache aber ist eine andere.«

»Es wird eine große Versammlung sein, zu der viele Menschen herein kommen werden«, sagte der Bischof, »und wenn in derselben Gott unser Herr nicht dem Rechte seine Geltung verschafft, sondern es noch weiter prüft, so kann der Herzog nichts ändern. Hast du noch Eltern?«

»Nur mehr eine Mutter«, sagte Witiko.

»Dir wäre besser, mein Sohn«, sprach der Bischof, »wenn du bei deiner Mutter wärest, bis alles vorüber ist.«

»Das kann nun nicht mehr sein«, sagte Witiko.

»Und für den Herzog ist es einerlei, ob er jetzt weiß, was geschieht, oder ob er es später erfährt«, sprach der Bischof.

»Ich habe ihm jetzt mein Versprechen gegeben«, antwortete Witiko.

»Und wenn ich dir gar nicht an die Hand gehe?« fragte der Bischof.

»So werde ich meine Sache allein vollführen«, entgegnete Witiko.

»Du hast ein vorschnelles Versprechen gegeben«, sagte der Bischof.

»Ich habe es überlegt«, antwortete Witiko.

»Wie die Jugend überlegt«, sagte der Bischof, »wie ist denn dein Name?«

»Witiko«, sagte Witiko.

»Ich forsche nicht weiter«, sagte der Bischof, »Witiko, gehe in deine Herberge, mische dich nicht unter die Leute und in die Gespräche, sage einem der Meinen, wo sie dich finden, ich werde dir zur rechten Zeit eine Botschaft senden.«

»Tut das«, sagte Witiko, »ich werde Euch folgen.«[103]

»So gehabe dich wohl, mein Sohn«, sagte der Bischof.

Er legte leicht die Hand auf den Scheitel des Jünglings, und zog sie wieder zurück. Dieser verneigte sich tief, und ging.

In dem Vorgemache waren jetzt mehrere Männer. Einer geleitete Witiko die Treppe hinab. Diesem sagte Witiko seine Herberge. Dann ließ ihn der Torwart auf die Gasse hinaus, und Witiko ging den nämlichen Weg, den er gekommen war, nach Hause zurück.

Es kamen nun mehrere Tage, in denen Witiko wartete. Er ging in die Stadt, und sah die steinernen Häuser an, die unter den hölzernen standen, und er ging auf die lange hölzerne Brücke, die über die Moldau war, und ging wieder in seine Kammer zurück. Er sah manche Menschen, denen er anmerkte, daß sie von weit herzu gekommen waren, und in der Herberge wurde gesagt, daß, weil des Herzogs Ende nahe sei, eine Wahl sein werde, wer ihm folge.

Da der dritte Tag des Monates Hornung gekommen war, erschien ein Mann des Bischofes Silvester in der Herberge Witikos, und sagte ihm, der Bischof lasse ihm melden, daß er des andern Morgens wohlgekleidet und geordnet sein möge, es werde ein Priester kommen, und ihn in die Versammlung der Lechen führen. Witiko versprach es.

Als der folgende Tag, der vierte des Monates Hornung, angebrochen war, hatte Witiko sein wohlgereinigtes Lederkleid an, die Lederhaube auf dem Kopfe, und das Schwert an der Seite. Als der Priester gekommen war, ging er mit ihm durch die Straßen Prags. In denselben waren Menschen, welche ihre sonntäglichen Gewänder an hatten, in verschiedenen Richtungen gingen, und von den Dingen sprachen, die heute geschehen sollten. Der Priester und Witiko schlugen den Weg nach dem Wyšehrad ein. Menschen gingen desselben Weges. Mancher[104] Reiter zog mit großem Gefolge dahin. Mancher verfolgte einzeln den Weg. So gelangten sie an den Wyšehrad, und gingen durch das Tor ein.

In dem Hofe waren viele Menschen. Der Priester führte Witiko zu einer Treppe, und dann über diese in einen langen Gang. Wenn irgendwo Reisige standen, sagte der Priester ein Wort, und auf das Wort wurden sie vorüber gelassen. Von dem Gange traten sie in ein Gemach. Das Gemach war groß, und in demselben befanden sich sehr viele Menschen. Es waren Diener da, es waren Herren da, selbst Frauen und Mädchen. Von dem Gemache führte eine Tür in ein weiteres Gemach, in das sie gingen, und in dem wieder Menschen waren.

»Hier müssen wir warten«, sagte der Priester zu Witiko.

In dem Gemache war noch weiterhin eine sehr große Tür, an der Bewaffnete standen.

Als sie eine Stunde gewartet hatten, trat ein Mann aus der hohen Tür, und rief: »Witiko.«

»Du mußt allein hinein gehen«, sagte der Priester.

Witiko ging an den Bewaffneten vorüber durch die hohe Tür, der Mann mit ihm, die Tür wurde hinter ihnen geschlossen, und Witiko stand vor der Versammlung.

Es war ein sehr großer Saal. Der Saal war rückwärts und seitwärts ganz mit Menschen gefüllt. Nur wo Witiko stand, war ein größerer freier Raum. Er konnte auf alle sehen, und alle konnten auf ihn sehen. Vorne in der Versammlung, wo ein langer Tisch mit Schreibgeräten stand, saß der Bischof von Prag Silvester. An seiner Linken saß der Bischof mit den dunkeln Augen und dem braunen Barte, welchen Silvester Zdik den Bischof von Olmütz geheißen hatte. Dann saßen mehrere Äbte und geistliche Herren. Seitwärts saßen Priester, die zu den Untergebenen der Bischöfe und Äbte gehörten. Vorne in der Versammlung saß auch ein Mann in einem sammetnen dunkelpurpurnen weiten Gewande, das ein Gürtel zusammen[105] hielt, in welchem aber kein Schwert hing. Auf dem Haupte hatte er eine dunkelpurpurne Haube mit einer weißen Feder. Ein weißer Bart floß auf das Gewand nieder. Neben ihm saß einer in grauem Gewande mit grüner Haube weißer Feder und weißen Haaren. Es war Smil ein Kriegsanführer, den Witiko im Zuge nach Sachsen gesehen hatte. Neben Smil saß einer in schwarzem Gewande mit schwarzer Haube grauer Feder weißem Barte, dann noch mehrere in kostbaren Gewändern. In den Reihen hinter diesen saßen vornehme Herren Böhmens schön geziert. Alle hatten ein Schwert. Witiko kannte keinen, oder er konnte ihn in der Menge nicht erkennen. Unter denen, die ganz rückwärts waren, glaubte er das Angesicht des Reiters zu erblicken, der sich bei Chynow den Sohn des Načerat geheißen hatte. Auch sah er einen Mann, von dem er meinte, daß er damals Welislaw genannt worden war. Noch einen sah er, der in jenem Gefolge gewesen war, er kannte aber seinen Namen nicht.

Als er in den Saal getreten war, nahm er seine Lederhaube mit der linken Hand ab, neigte sich, strich mit der rechten seine Locken zurück, und stand dann da, seine Augen auf die Versammlung richtend.

Es war ein großes Gemurmel gewesen, als er in den Saal trat, wie es ist, wenn viele Menschen in einem Raume sind, und es ist größer geworden, da er eintrat. Manche erhoben sich, um ihn zu sehen, und rückwärts standen mehrere aufrecht, um besser nach vorwärts schauen zu können.

Als das Geräusch sich minderte, erhob sich ein Priester, der neben dem Bischofe gesessen war, trat in den freien Raum vor dem Tische, und rief: »Ich bin der Abt von Kladrau!«

Hierauf schwieg er, und da sich nirgends ein Widerspruch erhob, und da fast eine gänzliche Stille eingetreten war,[106] hob er an: »Liebe Mächtige und Wohlgesinnte! Wir haben heute in diesem Hause eine Versammlung, die so groß und ehrfurchterweckend ist, wie selten eine in diesem Lande stattgefunden hat. Viele treue Männer haben, als das Unglück zu drohen schien, welches nun nahe ist, ihre Worte ausgetauscht, was vorzubereiten ist, daß der Jammer nicht erscheine, der schon öfter bei einem Wechsel auf dem Herzogstuhle in diese Länder gekommen ist: als aber die Nachricht unter die Menschen ging, daß es nicht mehr anders sein werde, als daß unser erlauchter Herzog Soběslaw zum ewigen Leben in der Gesellschaft seiner Brüder, seiner Eltern und Vorfahren werde einberufen werden, so kam eine große Zahl edler Herren dieser Reiche herein, sie offenbarten ihren Stand und ihren Besitz, und verlangten zu den Versammlungen gelassen zu werden. Der Rat zu ernster Erwägung der Dinge und zur Findung des letzten Ausganges ist nun heute in diesem Saale versammelt. Aber ehe er seinen Gegenstand pflegen konnte, ist ein Fall gekommen, dessen Schlichtung vorher not tut. Ein junger Reiter ist erschienen, den unser mächtiger Herzog Soběslaw gesendet hat, daß er ergründe, was die edlen Herren des Reiches beschließen, und es melde. Er will daher an die Versammlung die Bitte tun, daß sie ihn ihre Beratungen und Beschlüsse anhören lasse, damit er die Wahrheit berichten könne. Sein erstes Anliegen aber ist, daß ihm der Rat gestatte, seine Bitte vor ihm selber darzulegen. Weil durch Umfrage bei einsichtsvollen Männern, und dann in diesem Rate beschlossen worden ist, daß man ihn höre, und weil ich die Umfrage verursacht, und die Frage vor dieses Haus der Versammlung gebracht habe, so melde ich jetzt, daß der junge Bote vor euch steht, damit das geschehe, was bestimmt ist, und damit die, welche vor seiner Anhörung noch zu reden gemeldet sind, reden.«

Als der Abt von Kladrau diese Worte gesprochen hatte,[107] ging er wieder zu seinem Sitze, und ließ sich darauf nieder.

Da dieses vorüber war, stand der Mann mit dem schwarzen Kleide und dem weißen Barte, welcher neben Smil saß, auf, trat in den freien Raum, und rief: »Ich bin Ben der Kriegsanführer und der zweite Führer dieses Hauses.«

Als man zum Anhören bereit war, sagte er: »Wer zum Sprechen nach der Einführung des Abgesendeten berufen ist, der spreche. Der erste weiß seinen Platz, und jeder folgende kennt seinen Vormann.«

Hierauf nahm er seinen Sitz wieder ein.

Da erhob sich in der Mitte der Versammlung ein Mann, der schwarz gekleidet war, auf seiner schwarzen Bärenhaube eine gerade Rabenfeder trug, und schwarze Haare und einen schwarzen Bart hatte. Er rief auf seinem Platze stehend: »Ich bin Bogdan!«

Nach einer Weile Wartens fuhr er fort: »Der ehrwürdige Abt von Kladrau hat uns gesagt, daß der Bote, welcher vor uns steht, gekommen ist, die Beschlüsse der Versammlung des Reiches zu ergründen, und sie dem Herzoge Soběslaw zu melden. Der Kundschafter im Kriege sucht die Stellungen und Absichten des Heeres zu erforschen, um sie dem Feinde zu hinterbringen. Der Kundschafter im Frieden sucht Meinungen und Beschlüsse zu erfahren, um sie irgend wohin zu melden, daraus Krieg und größeres Unheil als im Kriege entstehen kann. Darum sage ich: Werft den jungen Mann in den Turm, setzt ein Gericht über ihn zusammen, daß es einen Spruch fälle, und verfahrt nach dem Spruche.«

Als er diese Worte gesagt hatte, setzte er sich wieder nieder.

Nach ihm erhob sich einer in einem roten Gewande, welcher in den hinteren Bänken saß, auf der schwarzen Haube eine rote Feder trug, und an dem Kinne einen starken grauen Bart hatte. Er rief: »Ich bin Domaslaw!«[108]

Dann sagte er: »Der Bote vor uns will unsere Beschlüsse, wie wir vernommen haben, an den Herzog Soběslaw melden. Wir sind in der lautern Absicht hier, zu beraten, was nach dem Tode unseres erhabenen Herzogs, welcher nahe bevorzustehen scheint, geschehen soll, damit unser Vaterland von den Übeln verschont bleiben möge, welche nach einem solchen Falle eintreten können. Unsere Beschlüsse mögen wie gut immer sein, so kann es geschehen, daß sie dem Herzog Soběslaw mißfallen, und daß sein Geist, der von der Krankheit getrübt ist, Anordnungen trifft, die Verwirrung und Unglück im Lande erregen. Was der junge Bote offen anstrebt, ist daher Verrat an unserem Vaterlande. Wir können die Ausführung dieses Verrates verhindern, wenn wir den Abgesendeten von unserer Versammlung entfernen; dann bleibt aber noch der Versuch des Verrates übrig, in welchem er in diesem Augenblicke vor uns begriffen ist. Darum sage ich, daß man den Jüngling in Gewahrsam nehmen, und dem künftigen Herzoge zum Gerichte übergeben soll.«

Hierauf setzte er sich wieder nieder.

Nun stand auf der linken Seite des Saales ein Mann auf, der ein dunkelblaues Gewand einen roten Bart und rote Haare und eine weiße Feder auf der dunkelblauen Haube hatte. Der Mann rief: »Ich bin Beneš!«

Dann sprach er: »Wenn auch das alles zur Wahrheit besteht, was die Männer vor mir gesagt haben, so ist es gleichfalls wahr, daß die höchsten Männer des Reiches in diesem Gemache versammelt sind, deren Name, wenn er gerufen wird, allen bekannt ist, und die das Geschick der Völker, welche in diesen Landen wohnen, in ihre Hand nehmen dürfen. Den Boten, der vor dem Tische steht, kennt niemand, und seine Jahre geben ihm auch kein Recht an dieses Gemach. Es gesellt sich daher zu dem Verbrechen die Vermessenheit, und beides muß gestraft werden. Ich sage also: Wartet nicht auf den künftigen[109] Herzog, sondern setzet ein Gericht zusammen, das über ihn urteilt.«

Er ließ sich wieder auf seinen Sitz nieder.

Sogleich stand in der Mitte der rechten Seite des Saales ein junger Mann auf. Er hatte blonde Locken und blaue Augen. Die schwarze Haube mit den weißen Reigerfedern hielt er im linken Arme, der ein braunes golddurchwirktes Kleid zeigte. Er rief: »Ich bin Milhost!«

Dann rief er mit lauter Stimme: »Weil diese Versammlung das höchste Heil des Landes zu bewahren hat, so besitzt sie die größte Würde, die es in diesem Lande gibt. Soll sie aber ihren Zweck zu Ende führen, so muß sie die höchste Gewalt sein, der niemand widerstreben kann, die niemand zerwerfen kann, ohne sich selber zu zerwerfen. Darum sage ich: Lasset einen hohen Pfahl vor dem Wyšehrad errichten, und hänget diesen jungen Mann auf den Pfahl, und lasset ihn zum Schreck und Beispiele hängen bis eine Stunde vorher, da der neue Herzog in Prag auf den Fürstenstuhl gesetzt wird.«

Der, welcher so gerufen hatte, setzte sich wieder auf seinen Platz nieder.

Nach ihm erhob sich ein alter Mann, der in einer der vorderen Bänke saß. Er hatte ein dunkelbraunes Kleid eine schwarze Haube ohne Feder und einen langen weißen Bart. Er rief: »Ich bin Bolemil!«

Ein sehr tiefes Schweigen entstand nach seinem Rufe, und er sagte dann: »Ich hätte jetzt noch nicht geredet, weil ich glaubte, daß unsere Redenszeit noch nicht gekommen sei, weil aber meine Vormänner gesprochen haben, und die Reihe mich trifft, so sage ich folgendes: Ich habe eine große Zahl von Jahren gelebt, und habe vieles gesehen. Ich habe noch den alten römischen Kaiser Heinrich den Vierten gekannt, der den Streit mit dem Heiligen Vater Gregor hatte, und der zu gleicher Zeit mit unserem Herzoge Wratislaw lebte, welcher Herzog ein[110] König gewesen ist. Ich habe vor mehr als fünfzig Jahren Dienste getan, als dieser Herzog zum Könige gekrönt worden ist. Ein solches Fest ist in Böhmen nicht gewesen, und wird nicht wieder sein: der Herzog und seine Ehegemahlin Swatawa, die vor vierzehn Jahren gestorben ist, in königlichen Gewändern am heiligen Veitstage im Dome des heiligen Veit von dem Erzbischofe von Trier Egilbert gekrönt und gesalbt, Fürsten Bischöfe alle Lechen Böhmens und alles Volk zugegen, und der Ruf: ›Dem von Gott gesalbten Könige Wratislaw dem großen und guten Heil und Segen.‹ Es waren damals Gesänge, die man schier vergessen hat. Ich habe es erfahren, wie dieser König von dem Pferde stürzte, und tot war. Ich habe seinen Sohn Břetislaw gekannt, welcher acht Jahre geherrscht hat, und dann im Walde bei Bürglitz ermordet worden ist. Ich habe die blutigen Kämpfe erlebt, welche um den Fürstenstuhl erfolgt sind, weil unter der Herrschaft Břetislaws die Alterserblichkeit aufgehoben worden ist. Ich habe Břetislaws Bruder und Nachfolger Bořiwoy gekannt, der zuerst mit Ulrich von Brünn um die Herrschaft kämpfen mußte, und dann mit Swatopluk von Olmütz, dem er unterlag. Ich habe erfahren, wie Swatopluk in zweijähriger Herrschaft wieder mit Bořiwoy um den Stuhl ringen mußte, wie er aus Wut in diesem Kampfe das ganze Geschlecht der Wrše getilgt hat, und dann selber jenseits des Riesengebirges ermordet worden ist. Ich habe den zweiten Bruder Břetislaws den guten Wladislaw gekannt, der den blutigen Streit in Prag und in diesem Schlosse mit Bořiwoy und dem Könige von Polen dem Genossen Bořiwoys um seinen Fürstenstuhl führen mußte. Ich lernte dann den dritten Bruder Břetislaws kennen unsern jetzigen guten Herzog Soběslaw, und bin mit ihm in der großen Schlacht bei Chlumec gewesen, die auch er schlagen mußte, damit er gegen die Ansprüche des schwarzen Otto Herzog in Böhmen bleiben[111] konnte. So sind diese Dinge gewesen. Wir haben uns in der schweren Krankheit, die unsern Herzog getroffen hat, hier versammelt, damit wir, wenn ihn Gott ruft, eines Sinnes werden, nicht nur, daß jetzt die tiefen Wunden nicht kommen, welche in das unglückliche Land und in seine Völker geschlagen wurden, wenn Nachfolgestreite ausbrachen, sondern auch, daß solche Dinge in der Zukunft nicht mehr möglich sind. Viele mögen mit diesem Gedanken hieher gekommen sein, manche, denen mehrere Erfahrung mangelt, mögen ihn nicht deutlich in sich gefaßt haben, und einige mögen auch nur ihre eigenen Wünsche im Sinne tragen. Der Knabe, welcher vor uns steht, kennt nicht, um was es sich handelt, der Herzog hat ihn nicht zu uns gesendet, er ist selber zu uns gegangen, und weiß nicht, daß er nicht hieher gehört. Weil wir aber wissen, was er will, so sollen wir ihn entfernen, ihm sagen, daß seine Anwesenheit sich nicht gezieme, und ihm den Rat geben, zu seinen Angehörigen zu gehen, und dort für die Zukunft zu reifen. Vielleicht mag er noch Gutes wirken. So spricht Bolemil ein alter Mann, der die Güter der Erde nicht mehr liebt, keinen Menschen mehr haßt, und sich nur zur Vereinigung mit Gott und seinen Heiligen vorbereitet.«

Nach diesen Worten setzte sich Bolemil langsam, wie er aufgestanden war, wieder auf seinen Sitz nieder.

Es war nun eine Weile eine völlige Stille.

Dann stand ein Mann in den hintern Reihen der Versammlung auf, der mittleren Alters war, und braunes Haupthaar und braunen Bart trug. Er hatte ein schwarzes Kleid. Er rief: »Ich heiße Nemoy, und bin der gleichen Meinung mit Bolemil.«

Nach ihm sprach in der Mitte ein Greis in dunkelblauem Gewande: »Ich bin Slawibor, und glaube, daß der erfahrene Bolemil recht geredet hat.«

Hierauf erhob sich auf der rechten Seite ein Mann, der[112] an Größe alle übertraf, die bisher aufgestanden waren. Er hatte ein dunkelrotes Kleid an, und trug eine Fülle schwarzen Haares und schwarzen Bartes. Er rief: »Ich bin Předbor!«

Dann sprach er: »Ich erkenne, was Bolemil gesagt hat; aber ich glaube, daß über die Vermessenheit und Zudringung des Boten ein gerechtes Gericht gehalten werden soll.«

Nach diesem Sprecher erhob sich mühesam ganz vorne ein alter Mann mit weißen Haaren und weißem Barte und in einem dunkelgrünen Gewande. Er sagte: »Ich heiße Preda, und glaube auch, daß doch ein Gericht wenn gleich ein mildes über den jungen Mann, der vor uns steht, von uns abgehalten werden soll; denn wenn wir uns von seiner Jugend lenken lassen, so werden die im Lande, die auf uns sehen, ihre Ehrfurcht vor uns mindern, und wenn wir uns seinem Willen beugen, so werden wir unsere eigenen Beschlüsse nicht achten, und sie vielleicht selber in kurzem zerstören.«

Dann setzte er sich wieder mühevoll auf seinen Sitz nieder.

Jetzt stand hinten ein jüngerer Mann mit blonden Locken und in hellgrünen Kleidern auf, der an seiner Haube eine lange weiße Feder trug, und rief: »Ich bin Kochan!«

Dann sagte er: »Ich glaube, daß ein strenges Gericht von uns über den Boten notwendig ist.«

Nach ihm rief ein Mann in den vorderen Reihen, der gleichfalls blond aber in feines Braun gekleidet war, und auf der schwarzen Haube eine gefleckte Feder trug: »Mein Name ist Drslaw, und ich sage auch, daß ein strenges Gericht gehalten werden soll.«

Nach diesen zwei jungen Männern sprach ein alter Mann in einem dunkelgrauen Pelze und mit weißen Haaren in der Mitte des Saales: »Ich heiße Chotimir, und meine, daß der Rat Bolemils hinreichend sei.«[113]

Nachdem diese Männer gesprochen hatten, war eine kleine Zeit Schweigen. Es erhob sich niemand mehr zum Sprechen.

Da stand der Bischof mit den dunkeln Augen und dem braunen Barte von seinem Sitze auf, ging zu dem Tische, und schlug mit einem metallenen Stabe dreimal an eine Glocke, daß es einen hellen Klang durch den ganzen Saal gab.

Als alle auf dieses Zeichen nach vorwärts blickten, sagte er: »Ich bin Zdik der Bischof von Olmütz und der erste Führer dieser Versammlung.«

Da sich auf diese Worte ein Beifallsgemurmel erhob, wartete der Bischof, bis Ruhe eintrat. Dann blieb er an dem Tische stehen, wendete sich gegen die Versammlung und sprach: »Nach Chotimir ist die Reihe der Rede an mich gekommen. Ich rede aber jetzt über die gegenwärtige Sache nicht mehr, sondern ich habe mit der Glocke das Zeichen gegeben, daß ich als Führer der Versammlung nicht als ihr Mitglied sprechen will. Als Führer aber sage ich: Die bisher gesprochen haben, sind nicht bei dem rechten Gegenstande gewesen. Der ehrwürdige Leche Bolemil hat gesagt, daß es ihm scheine, als sei noch nicht unsere Redenszeit gekommen, dadurch er dargelegt hat, daß die Sprechsache eine andere sei. Weil der ehrwürdige Abt von Kladrau heute die Versammlung gefragt hat, ob sie den Jüngling, der in Sachen des Herzogs Soběslaw gekommen ist, hören wolle, und weil die mehreren von denen, die hier sind, die Frage bejaht haben, so ist die Ordnung die, daß der, welcher außer der Frage der Anhörung des Boten noch zu reden für ersprießlich hält, rede, daß dann der Bote gehört werde, und daß man dann rede, was mit ihm geschehen soll. Ich verzichte, wie ich sagte, auf meine Worte vor der Anhörung des Jünglings.«

Als der Bischof dieses gesagt hatte, ging er wieder zu seinem Sitze, und ließ sich auf demselben nieder.[114]

Nach ihm erhob sich Ben der zweite Führer der Versammlung, ging zur Glocke, und tat einen Schlag auf dieselbe.

Dann rief er bei dem Tische stehend: »Ich Ben der zweite Führer des Hauses der Versammlung rufe diejenigen auf, welche nach dem hochehrwürdigen Bischofe Zdik zur Rede vor der Anhörung des Boten aufgezeichnet sind, daß sie reden.«

Es meldete sich kein Redner mehr, und die Versammlung blieb stille.

Nach kurzer Zeit rief Ben: »Wenn die übrigen Redner auf ihre Worte verzichten, so frage ich die Versammlung, ob sie es an der Zeit halte, daß der Bote gehört werde.«

Fast alle erhoben sich zum Zeichen der Zustimmung.

Nun wendete sich Ben an Witiko, und sagte: »Junger Reiter, die edlen Herren des Reiches in dieser Versammlung wollen dich hören, rede.«

Witiko blieb auf seinem Platze stehen, verneigte sich, richtete sich wieder auf, und sprach: »Hohe mächtige Herren! Ich bin ein Kind dieses Landes. Wir haben im Mittage ein kleines Eigen in Přic, noch ein kleines im Walde in Plan, und ein noch kleineres im Wangetschlage. Mein Geschlecht soll in uralten Tagen im großen Walde sehr mächtig gewesen sein. Aber wie es auch ist, jetzt sind wir nichts. Ich bin vor zweiundzwanzig Jahren im Lande geboren worden. Mein Vater starb bald. Meine Mutter war mit mir öfter in Baiern, öfter in unserm Eigen. Als ich reiten gelernt hatte, und die Waffen führen konnte, ritt ich von Baiern durch meine Heimat nach Prag, um Soběslaw dem Herzoge unseres Landes zu dienen. Es sind seither achtzehn Monde verflossen. Ich kam unter Männer, die als Reiter dienten. Als im vergangenen Jahre der Zug unseres Volkes in Verbindung mit dem deutschen Könige Konrad gegen die Sachsen war, und als ich einen Weg ausforschte, durch welchen[115] unsere Schar eine bessere Aufstellung machen konnte, sah ich den Herzog, welcher mich belobte. Als der Herzog krank war, ritt ich auf Hostas Burg, um zu erfahren, wie schwer er leide. In dem vorigen Monate ließ er mich in sein Krankengemach rufen, und sagte, ich solle nach Prag reiten, es seien auf dem Wyšehrad Versammlungen, welche beraten, was nach seinem Tode sein wird. Ich solle ergründen, was sie sagen und vorhaben, und soll ihm die genaue Nachricht bringen. Zum Zeichen, daß ich nicht aus mir selber rede, hat er mir ein Kreuzlein gegeben, an welches geglaubt werden wird.«

Witiko brach hier ab, zog das Beutelchen hervor, nahm das Kreuzlein heraus, trat einige Schritte vor, und reichte es dem Bischofe Zdik.

Dieser betrachtete das Kreuz, und gab es dann an der Bischof Silvester. Der Bischof Silvester gab es in die Hände der Äbte und Priester, welche an seiner Seite saßen. Von diesen kam es an die übrigen Priester, und von den Priestern an die weltlichen Herren. Der Mann mit dem purpurnen weiten Gewande betrachtete es genau, und gab es dann weiter. Die es besehen hatten, gaben es wieder weiter, und es kam immer mehr zurück. Dann kam es wieder vorwärts bis in die Hände des Bischofes Zdik. Zdik gab es Witiko. Dieser trat an seinen Platz zurück, und barg es in seinem Fache und mit ihm in seinem Gewande.

Als dieses geschehen war, trat ein Priester von denen, die abseits der Bischöfe und Äbte saßen, auf den freien Raum hervor, und rief: »Ich bin Daniel der Sohn des Magnus, ein Untergebener des ehrwürdigen Propstes von Prag Otto und mit ihm des hochehrwürdigen Bischofes Silvester. Ich bitte mit der Genehmigung meiner Obern die mächtigen Herren um Gestattung einer Zwischenrede wegen des Kreuzes.«

Da nach diesen Worten alle still waren, sagte er: »Das[116] Zeichen, welches der Bote vorgewiesen hat, gehört unserm erlauchten Herzoge Soběslaw. Es ist ein Kreuzlein, welches er trägt, seit er sich mit seinem sterbenden Bruder Wladislaw versöhnt hat. Es ist von dem Bischofe Meinhard geweiht worden. Ich bin dabei im Kirchendienste neben meinem Vater gestanden, und habe es auf einem Kissen gehalten. Es hat den Namen Jesus in feinem Golde, und die Anfangszeichen der Namen Wladislaw und Soběslaw an seinem Fuße. Die Weihe des Kreuzes ist in den Schriften der Bischofkirche aufgezeichnet worden, und meine hochehrwürdigen geistlichen Obern haben mich, da das Kreuzlein in der Versammlung beschaut wurde, ermächtigt, das Zeugnis abzulegen.«

Nun schwieg er.

Der Bischof Zdik aber sagte hierauf: »Ich erkenne auch das Kreuz, und weiß, daß es der Herzog getragen hat.«

Nach ihm erhob sich ein alter Mann mit glänzend weißen Haaren und in dunkelveilchenblauem Übergewande aus der ersten Reihe, und sprach: »Ich bin Diwiš ein alter Diener und Župan des Herzogs, und weiß, daß er das Kreuz bis jetzt bei sich getragen hat.«

Nun stand der Bischof Silvester auf, und rief: »Ich bin Silvester, der erwählte Bischof von Prag.« Dann sagte er: »Ich habe mit dem Jünglinge, der vor uns steht, geredet, und er hat mir Zeichen angegeben, aus denen ich sah, daß ihm der Herzog das Kreuz in die Hände gelegt hat.«

Nach diesen Männern sprach niemand mehr in der Zwischensache.

Da fragte Ben die Versammlung, ob der Bote weiter sprechen solle.

Sie bejahten es durch Zeichen der Zustimmung.

Daher fuhr Witiko fort: »Als mir der Herzog den Auftrag gegeben hatte, fragte ich ihn, ob er, wenn er alles wisse, gegen die, welche ihm zuwider handeln, etwas[117] Feindseliges ausführen werde. Er antwortete, daß er nur wissen wolle, was geschehe, und daß er dann sterben werde. So sagte ich, daß ich gehen werde, und so bin ich hier. Ich bin kein Kundschafter, weil ich nicht heimlich zu erfahren strebte, ich habe den hochehrwürdigen Bischof Silvester gebeten, mir zu erwirken, daß mich die hohe Versammlung höre. Ich habe mit keinem Menschen über die Sache gesprochen, und wenn sie mich fragten, habe ich keine Antwort gegeben. Ich bin kein Bote; denn der Herzog hat mich nicht an die Versammlung gesendet, ich bin für mich selber da, und stelle die ehrfurchtbezeigende Bitte, daß mich die Versammlung die Beschlüsse anhören lasse, damit ich dem Herzoge nichts Unreines und Geschändetes bringe. Ich selber komme nicht in Betracht, so wenig, wie ein Stücklein Papier, darauf eine hohe Hand eine Zeile geschrieben hat, die man findet, und achtet. Wenn mich die Versammlung hier duldet, werde ich bleiben, wenn sie mich entfernt, werde ich gehen, werde wieder mit keinem Menschen sprechen, und werde dem Herzoge den Vorgang melden, außer ich werde hier zurückgehalten, und es wird strenger gegen mich verfahren.«

Nach diesen Worten neigte sich Witiko wieder, und blieb schweigend stehen.

»Das ist ein treuer Knabe«, rief eine Stimme in den hinteren Reihen.

»Das ist ein mutiger Mann«, rief eine andere Stimme in der Mitte.

Der Bischof Zdik ging zur Glocke, und tat drei Schläge auf dieselbe.

Man hörte keinen Ruf mehr; aber es wurde an die Schwerter geschlagen.

Der Bischof sagte, da es ruhig geworden war: »Die Ordnung der Versammlung muß die bleiben, daß die Reden und Ansprachen in der Reihe erfolgen, wie sie verzeichnet[118] sind. Es geht an den zweiten Führer der Versammlung der Ruf, ob er den Jüngling etwas fragen will.«

Er setzte sich nach diesen Worten wieder auf seinen Sitz.

Ben stand auf, wendete sich gegen Witiko, und sprach: »Dein Name ist Witiko.«

»Witiko«, antwortete der Gefragte.

»Und welcher war der Name deines Vaters?« fragte Ben weiter.

»Mein Vater hieß Wok«, entgegnete Witiko.

»Nun also, Witiko Sohn des Wok«, sprach Ben, »ich der Kriegsanführer Ben der zweite Führer dieses Hauses frage dich: Bist du von dem Herzoge Soběslaw an diese Versammlung gesendet worden?«

»Ich bin nicht an sie gesendet worden«, entgegnete Witiko.

»Und weshalb stehst du vor ihr?« fragte Ben.

»Ich stehe in meinem Namen mit einer Bitte, die ich gesagt habe«, antwortete Witiko.

»Und hat der Herzog dir selber das goldene Kreuzlein gegeben, welches du gezeigt hast?« fragte Ben.

»Seine Hand hat es in meine Hand gelegt«, entgegnete Witiko, »es soll nur ein Zeichen sein, daß ich von ihm einen Auftrag habe.«

»Warum hat der Herzog nicht einen Lechen des Reiches an die Versammlung gesendet?« fragte Ben weiter, »warum hat er nicht geharrt, bis ihm einer aus dieser Versammlung die Nachricht bringt, sondern hat dich fast einen Knaben geschickt?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Witiko, »er hat gesagt: Du blickest ehrlich, du wirst meinen Auftrag vollführen.«

Ben schwieg, und zauderte nach dieser Antwort einen Augenblick. Die Versammlung schwieg auch.

Da sagte Bolemil: »Fragt weiter!«

Ben fragte: »Und wenn du hier verweilen darfst, Witiko, wirst du auch reden wollen?«[119]

»Das hätte ich nicht getan, wenn die Frage auch nicht an mich gerichtet worden wäre«, entgegnete Witiko, »ich bin nicht einer der Versammlung, und meine Bitte ging um das Hören, nicht um das Sprechen.«

»Ich frage nicht weiter«, entgegnete Ben.

Er ging wieder zu seinem Sitze.

Da er sich niedergelassen hatte, entstand wieder wie bei dem Eintritte Witikos das Brausen der Gespräche, da die Nachbarn oder solche, die sich sonst nahe waren, miteinander über die Sache redeten.

Da dieses einige Zeit gedauert hatte, wurde mit der Glocke das Zeichen gegeben, und da es ruhiger geworden war, stand der Bischof Zdik auf, und rief: »Es ist nun an der Reihe, daß die Beratschlagungen folgen, was mit dem Boten geschehen soll.«

Ben erhob sich, und rief: »Der erste von denen, die zur Rede vorgemerkt sind, ist Zdik der hochehrwürdige Bischof von Olmütz.«

Da er sich gesetzt hatte, trat der Bischof Zdik ein wenig gegen den freien Raum vor, wendete sich gegen die Versammlung, und sprach: »Liebe Getreue Einsichtige! In der heutigen sehr bedeutungsvollen Versammlung ist ein Zwischenfall gekommen, von dem es besser gewesen wäre, wenn er nicht gekommen wäre. Weil er aber da ist, will ich nach meiner geringen Einsicht und meinem guten Willen eine Entscheidung vorschlagen, die ihr annehmen oder verwerfen mögt. Lasset mich zuerst von dem reden, was uns erfreut. Unser Herzog Soběslaw wurde von dem böhmischen Volke bedauert, da er als ein lieblicher Knabe mit seinem ältern Bruder Bořiwoy entfliehen mußte, er wurde von dem böhmischen Volke geliebt, da er in seiner Jugend als ein schöner Ritter kämpfte, fehlte, und seine Fehler wieder verbesserte, das böhmische Volk war hoch erfreut, als er sich mit seinem Bruder dem edelherzigen Wladislaw auf dessen Sterbebette[120] versöhnte, er wurde anerkannt, da er nach dessen Tode den Fürstenstuhl bestieg, und ihr alle habt mit ihm gekämpft, und ihm bei Chlumec siegen geholfen, als ihm der schwarze Otto mit Hilfe des deutschen Königs Lothar den Herzogstuhl streitig machen wollte. Als die Verschwörung des Miroslaw und Střezimir gegen das Leben Soběslaws entdeckt wurde, und er nach Prag zurückkehrte, ist er mit Glockengeläute grünen Zweigen und Jubel empfangen worden, und da die Gefahr vorüber war, sind in dem Volke Gesänge und Tänze gewesen. Der Herzog Soběslaw hat mit allen mächtigen Fürsten Frieden gemacht, und Freundschaft geschlossen, er hat die Lasten des Volkes erleichtert, er hat die Ämter gut eingerichtet, er hat Vesten gebaut, er hat steinerne Häuser in Prag errichtet, er hat dieses Haus, in dessen Mauern wir jetzt beraten, so schön hergestellt, wie es nie gewesen ist, er hat mäßig gelebt, in seinen Becher ist kein berauschendes Getränke mehr gekommen, er hat einen Schatz für den Nachfolger gesammelt, und war jetzt begriffen, die Grenze gegen Polen, woher Gefahr kommen kann, zu schützen. Wir sind ihm Dank und Ehrerbietung schuldig, laßt uns dies erweisen, daß wir den Zwischenfall mit Dank und Gerechtigkeit lösen, wie er nur zu lösen ist. Ich muß nun auch von Traurigem reden. Der erlauchte Herzog Soběslaw ist krank geworden, der Arzt sagt, er werde in kurzer Frist scheiden, er hat nicht mehr seinen Sohn, den bestimmten Nachfolger, zur Reife erziehen können, daß derselbe die Länder sicher in die Hand nehmen, und führen könne. Wir sind ihm Mitleid schuldig, lasset uns den Zwischenfall mit Mitleid lösen, wie er nur zu lösen ist. Wegen des Herzogs Soběslaw ist ein junger Mann gekommen. Der Herzog kann einen Lechen oder einen andern gehörigen Boten nicht an diese Versammlung schicken, weil er sie nicht zusammenberufen hat, er kann nicht warten, bis ihm einer der Herren des Reiches[121] die Nachricht bringt, weil ihn die Zeit drängt, und weil er auch die Sache erst erfahren würde, wenn sie längst vorüber ist. Der junge Reiter sollte ergründen, was geschehe, und es dem Herzog melden. Der Herzog hat großmütig gesagt, er wolle bloß wissen, was geschehe, und werde dann sterben, der junge Reiter hat großmütig, ohne hinterlistig zu forschen, sich vor uns gestellt, daß wir ihn unsere Beschlüsse anhören lassen. Laßt uns also auch den Zwischenfall mit Großmut lösen, wie er nur immer zu lösen ist. Der Herzog hat einen Jüngling gesendet, welcher beinahe noch ein Knabe ist, weil er an seine Ehrlichkeit glaubt, er mißtraut allen Nachrichten, die ihm auf anderen Wegen über uns zukommen, und er mißtraut unsern Versammlungen. Es ist an uns, dem Herzoge zu zeigen, daß wir gegen ihn nichts Böses im Sinne haben, sondern, daß wir in dieser drangsalsvollen Zeit, in welcher er uns entrissen werden soll, zusammen gekommen sind, um zu helfen, daß das Heil des Landes nicht erschüttert werde oder verloren gehe. Der Herzog selber, wenn er gegenwärtig sein könnte, müßte denken wie wir, da er seinen Sohn und Nachfolger nicht mehr heranbilden konnte, und selber der künftige Herzog, wenn einer aus dieser Versammlung hervorgeht, könnte nicht wollen, daß er aus Nacht und Geheimnis sondern offenkundig und gerecht zu seiner Würde empor steigt. Eine Botschaft aber können wir an den Herzog nicht senden, weil er ihr nicht trauen würde, oder sie könnte erst abgehen, wenn alles vollendet ist. So lasset uns den Mann, den er gesendet hat, als Boten erkennen, und lasset ihn uns in die Versammlung als Zeugen der Verhandlungen aufnehmen, daß er sie dem Herzoge überbringt, und uns vor ihm erhöht. Er ist zwar nicht von dem Herzoge an uns gesendet worden; aber er ist des Herzogs willen da, und ihn zurückstoßen, hieße den Herzog selber zurückstoßen. Er ist nicht einer der Vornehmen des Reiches;[122] aber der Herzog hat ihn geehrt, da er ihm einen so großen Auftrag gegeben hat, er ist gut erzogen, wie seine Rede und seine Handlung beweist, welche wie die eines Edlen dieses Landes ist. Auch vor denen, die von fernen Gegenden her ihre Augen auf uns richten, verlieren wir durch Aufnahme dieses Jünglings nichts an Achtung, sondern wir gewinnen an Stärke, weil unser Tun nicht das Licht der Mitwissenschaft scheut. Ja ich würde Gott bitten, daß wir unter freiem Himmel tagen könnten, und daß alle, die in diesen Ländern wohnen, herzu zu treten, und zu hören vermöchten, was wir sagen, und zu sehen, was wir tun. So spreche ich, der ich für alle mitsorgen möchte, die in diesen Ländern Böhmen und Mähren wohnen, und der ich in meinem Gebete stündlich zu dem Herrn rufe, daß er all das Wehe und Blutvergießen von dem jetzigen Wechsel fern halte, das bei den früheren so schrecklich und schmerzlich eingetreten ist.«

Als er schwieg, rief eine Stimme: »Der Bischof ist ein gerechter Mann wie der heilige Adalbert.«

Der Bischof aber entgegnete noch auf seinem Platze stehend: »Als Führer dieses Hauses sage ich, daß die Ordnung desselben nicht gestört werden soll, und als Bischof sage ich, daß der heilige Adalbert ein Mann gewesen ist, zu dem man in Nachahmung aufschauen, den man aber nicht erreichen kann.«

Nach diesen Worten entfernte er sich von dem freien Raume, und begab sich wieder zu seinem Platze zurück.

»Lasset die nächsten Redner sprechen«, rief jetzt eine Stimme.

»Der hochehrwürdige Bischof hat gut gesprochen«, antwortete eine andere Stimme.

»Er hat vortrefflich gesprochen«, fiel eine dritte Stimme ein, und es erhoben sich verworrene Rufe des Beifalls.

Der Bischof Zdik stand auf, ging zur Glocke, und tat auf sie die drei Schläge, ohne etwas zu sprechen. Er blieb bei[123] der Glocke stehen, bis es ruhig geworden war. Dann ging er wieder zu seinem Sitze.

Hierauf erhob sich Ben, und rief: »Der zweite Redner ist der Priester Daniel.«

Da er sich niedergesetzt hatte, ging der Priester Daniel hervor, und sprach gegen die Versammlung: »Mächtige Anwesende! Wenn ich gewußt hätte, was der hochehrwürdige Bischof Zdik vor mir reden würde, so hätte ich mich gar nicht zum Sprechen gemeldet, und auch jetzt würde ich auf meine Worte verzichten, wenn ich doch nicht eines anführen müßte, das tief unter seinem hohen Sinne steht, und dessen er darum auch keine Erwähnung getan hat. Wenn es angenommen werden müßte, daß unser hoher und erlauchter Herzog Soběslaw trotz seines Wortes doch geneigt ist, gegen diese Versammlung etwas Feindseliges zu unternehmen, und wenn dieses Feindselige durch Nachrichten, die der Herzog über uns erhält, vermehrt würde, wie einige glauben, so müßte es gewiß um ein Großes wachsen, wenn er erführe, daß der junge Mann, den er mit einem Auftrage betraut hat, von uns zurückgestoßen, oder gefangen gehalten, oder mißhandelt würde. Und wenn jemand hier die Meinung hegt, daß der Herzog unsere besten Beschlüsse, weil sein Geist durch die Krankheit getrübt ist, mißbilligen könnte, so wäre es möglich, daß er nach solchen Vorfällen durch sein krankes Gemüt auf übereilte Ratschlüsse käme, und das Unheil gerade einträte, das wir zu vermeiden streben. Wenn wir aber seinen Boten zu uns lassen, so wird er auf dessen Antwort harren, und wir gewinnen Zeit, und er verliert Zeit. Ja, es mag auch geschehen, daß er nicht bloß, wenn er gegenwärtig sein könnte, wie der hochehrwürdige Bischof Zdik gesagt hat, das Gute, das hier geschaffen wird, sähe, sondern, daß er es auch, wenn es ihm hinterbracht wird, trotz des Schleiers der Krankheit erkennt, und dann alles ausgeglichen ist und gut vorüber[124] geführt wird. Ich meine daher, so weit meine Einsicht alles zu fassen vermag, daß nicht bloß die Hochherzigkeit dieser Versammlung, wie der hochehrwürdige Bischof vor mir dargelegt hat, sondern auch die Klugheit verlangt, daß wir den Jüngling, der vor uns steht, zum Zuhörer unserer Versammlung aufnehmen.«

Nach diesen Worten ging der Priester Daniel wieder zu seinem Sitze.

Da rief der junge Mann Milhost: »Die Erhabenheit dieser Versammlung soll nicht durch die Klugheit geschändet werden, sich vor Feindseligkeiten zu fürchten. Ob Feindschaft ist oder nicht, gilt gleich; nur die Macht und Gewalt dieser Versammlung soll über allem bestehen, was ist.«

Der Bischof Zdik tat einen starken Schlag auf die Glocke, und rief: »Du hast dein Urteil in dieser Sache schon abgegeben, es ist die Reihe der Rede nicht an dir, ich verwarne dich, Milhost, daß du die Ordnung der Versammlung nicht störst.«

»Die Ordnung, die Ordnung«, riefen mehrere Stimmen.

Der junge Mann setzte sich nieder, und Zdik ging wieder zu seinem Sitze.

Hierauf erhob sich ein dunkelgekleideter sehr alter Mann in der zweiten Reihe der Sitze, und sagte: »Ich bin Lubomir, und bin nach dem ehrwürdigen Priester Daniel an der Reihe der Rede. Ich hätte nach dem, was gesprochen worden ist, auf meine Worte Verzicht geleistet; jetzt aber sage ich, daß die Menschlichkeit, weil wir doch hier versammelt sind, um unser armes Land vor Unglück zu bewahren, verlangt, daß wir in diesen ungewissen Zeiten Zank und Zwietracht vermeiden. Es bedeutet nichts, wer zuhört; die Ehre der Versammlung hängt von ihren Taten ab, nicht von dem Dasein oder Absein eines Kindes. Laßt den Knaben niedersitzen und zuhören.«

Nach diesen Worten setzte sich Lubomir wieder nieder.[125]

Nun stand ein Mann in mittleren Jahren auf, grün gekleidet, mit einer schwarzen Feder auf der Haube. Er sprach: »Ich heiße Jurik, und sage, daß die Versammlung so hoch ist, daß sie im Angesichte der ganzen Welt beschließen kann.«

Nach ihm erhob sich ein alter Mann in weißen Haaren dunkelbraunem Gewande und mit einer grünen Feder auf der schwarzen Haube. Er sprach: »Ich bin Wšebor, und sage: Es ist vor allem unsere Pflicht, daß wir das schwere Leiden unseres Herzoges, dessen Untertanen wir ja noch sind, ehren.«

Es erhob sich ein Ruf des Beifalls nach diesen Worten.

Hierauf stand in der ersten Reihe der Kriegsanführer Smil auf, und sagte: »Ich bin Smil, und führe nur die Worte an: Die Kraft einer jeden Versammlung ist ihre Mäßigung, die Gefahr aber ihre Anmaßung; und diese entsteht, wenn einzelne, welche Macht und Ansehen nicht haben, solche mit Hilfe ihrer Versammlung erringen wollen.«

Nach ihm erhob sich in der Mitte des Saales ein alter Mann in dunkelrotsammetnem Gewande, und sagte: »Ich bin Božebor, und verzichte auf meine Worte.«

Nun stand rechts ein Mann auf, welcher schwarze Haare einen schwarzen Bart und schwarze Augen hatte. Er war in ein rotbraunes Gewand gekleidet, und hatte eine fahle Feder auf der schwarzen Haube. Er sprach: »Ich heiße Bartholomäus, und verzichte auch auf meine Worte, weil sie der hochehrwürdige Bischof Zdik gesagt hat.«

Nach diesen zwei Männern rief eine Stimme: »Vergeßt nicht, was über eine Strafe und ein Gericht über den Boten gesagt worden ist.«

»Vergeßt nicht des Gerichtes«, rief eine andere Stimme.

»Und der Strafe«, rief wieder eine.

»Der Strafe, der Strafe«, riefen mehrere.

Da tat Zdik den Schlag auf die Glocke, und sagte: »Haltet[126] die Ordnung. Die gegen Witiko sind, haben gesprochen, die für Witiko sind, haben gesprochen. Wer noch gemeldet ist, möge reden. Ben rufe ihn auf.«

Da erhob sich Ben, und rief: »Ich fordere diejenigen, welche noch bestimmt sind, auf, zu sprechen.«

Es sprach niemand.

Ben rief wieder: »Sind noch Männer aufgezeichnet, ihre Worte vorzubringen?«

Es erfolgte keine Antwort.

Da rief Ben zum dritten Male: »So ist die Sprache über den Boten des Herzogs geschlossen.«

Nach diesen Worten setzte er sich wieder nieder.

Jetzt ging Zdik zu der Glocke, gab das dreimalige Zeichen, und da alle auf ihn sahen, rief er: »Weil die Sprache über den Zwischenfall, der sich in unserer Versammlung ereignet hat, geendet ist, so rufe ich die Versammlung auf, ihren Beschluß zu fassen. Ich sage, daß ein jeder, welcher meiner Meinung ist, daß zum Frieden und Heile des Landes dieser Bote dagelassen werden möge, dieses durch das Zeichen der Erhebung von seinem Platze aussprechen wolle.«

Zdik blieb bei der Glocke stehen, und blickte auf die Versammlung.

Der Bischof Silvester erhob sich, und blieb aufrecht stehen Der Abt von Kladrau erhob sich, der Abt von Břewnow,. der Abt von Wilimow, der Abt von Sazawa, Otto der Propst von Prag, Hugo der Propst von Wyšehrad, der Priester Daniel und die andern Priester, der alte Lubomir, der alte Wšebor, Smil der Kriegsanführer, Diwiš der alte Župan mit den schneeweißen Haaren, Ben der Kriegsanführer, und nach ihm mehrere, Jurik, Bartholomäus, Božebor, und wieder mehrere, darunter manche junge Männer in den letzten Reihen: Welislaw und der Sohn des Načerat, so wie auch Casta, der bei Chynow die gestreifte Falkenfeder getragen hatte. Es stand endlich[127] der größere Teil der Versammlung aufrecht neben den Sitzen.

Zdik der Bischof von Olmütz rief: »Ich rufe die Versammlung auf, daß sie auf sich blicke, und sehe, daß ihr größerer Teil sich für meinen Antrag entschlossen hat. Die Schreiber werden es auf dem Pergamente verzeichnen.«

Nach diesem Rufe ließen sich die, welche aufgestanden waren, wieder auf ihre Sitze nieder.

Der Bischof Zdik aber wendete sich gegen Witiko, und sagte: »Abgesendeter des erlauchten Herzogs So běslaw! Du bist als Hörer in dieser Versammlung aufgenommen.«

Als er diese Worte gesprochen hatte, wurde für den Jüngling Witiko ein Sitz in die Versammlung gebracht.

Zdik ging wieder zu seinem Platze.

Witiko verneigte sich ehrerbietig, ging zu dem Sitze, welcher für ihn herein gebracht worden war, und ließ sich auf denselben nieder.

Nachdem diese Handlungen vorüber waren, entstand eine lange Unterbrechung in der Versammlung. Man trennte sich von seinen Sitzen, Gespräche wurden angefangen, man gesellte sich zusammen, durch die Türen wurde aus- und eingegangen, ja sogar ein Trunk wurde hie und da gereicht. Zu Witiko kam aus den hinteren Reihen Welislaw hervor, reichte ihm die Hand, und sagte: »Erinnerst du dich meiner noch?«

»Du bist Welislaw«, antwortete Witiko.

»Ja«, erwiderte Welislaw, »wir werden wohl in unseren Meinungen Gegner sein; aber du bist heute wieder wie bei Chynow, und das freut mich.«

»Ich weiß nicht, ob wir in unsern Meinungen Gegner sein werden«, antwortete Witiko, »ich habe gar keine Meinung, ich erwarte nur die Dinge.«

Auch der Sohn des Načerat kam zu Witiko hervor. Er war in himmelblauen Sammet gekleidet, und hatte auf[128] der schwarzen Haube wieder eine weiße Feder wie bei Chynow. Er sprach zu Witiko: »Ich habe dir ja gesagt, daß wir wieder zusammen kommen werden. Du bist hartnäckig, Witiko, und gibst nicht nach.«

»Gibst du nach?« fragte Witiko.

»Wenn es sein muß, tut es jeder Mensch«, entgegnete der andere.

»Nur ist für den einen leichter ein Muß da als für den andern«, sprach Witiko.

Auch Casta kam herzu, und sagte: »Sei mir gegrüßt, Witiko!«

»Ich entsinne mich deiner nicht mehr«, antwortete Witiko.

»Ich bin Casta«, sagte der andere, »und bin bei Chynow im Zuge zu weit zurück gewesen, als daß du meiner noch gedenken könntest. Du bist heute hier glücklich gewesen.«

»Nur die Sache ist es«, sagte Witiko.

Als die Erholung der Versammlung eine Weile gedauert hatte, geschah wieder das dreifache Zeichen mit der Glocke, und als die Türen geschlossen waren, die Reihen sich geordnet hatten, und Stille eingetreten war, trat Zdik langsam vor, richtete sein Angesicht gegen die Versammlung, sah sie eine kurze Zeit an und sprach dann: »Liebe Ehrwürdige Treue! Es ist der Augenblick gekommen, in dem wir die große Frage über die Ruhe und das Heil des Landes entscheiden sollen. Möge der Segen des allerhöchsten Herrn der Heerscharen über diesen Häuptern sein, daß beschlossen wird, was gerecht und heilsam ist. Unser erlauchter edler und umsichtiger Herzog Soběslaw, welcher fünfzehn Jahre in diesen Ländern geherrscht hat, ist so schwer erkrankt, daß das Ende seines irdischen Lebens nahe bevor zu stehen scheint. Die Heilkundigen sagen, daß er in kurzer Zeit die Erde verlassen wird. Nun ist, wie uns der ehrwürdige Leche Bolemil deutlich zu[129] Gemüte geführt hat, in den eben vergangenen Zeiten, wenn ein Wechsel in den Herrschern stattgefunden hat, so Schweres eingetreten, daß wir sehnlich wünschen müssen, solches jetzt zu vermeiden. Aber die Herrschertage der letzten zwei Herzoge des gütigen Wladislaw und des klugen und gerechten Soběslaw haben auch gezeigt, daß nicht bloß bei einem Wechsel der Herrschaft die Übel ferne bleiben sollen, sondern daß auch bei ihrer Dauer der Samen des Glückes unter dem Schirme des Herrschers aufgehen, wachsen, und gegen die Zerstörungslüste der einzelnen erstarken müsse. Für diejenigen, welche aus verschiedenen Teilen des Landes herein gekommen sind, und in großer Zahl nur der heutigen letzten Versammlung beiwohnen, sage ich: Es sind während der gefährlichen Krankheit des Herzogs von einigen und mehreren Männern Zusammenkünfte über diesen Gegenstand gehalten worden. Es ist erkannt worden, daß Zwiste bei dem Übergange und Bestehen der Herrschaft nur dann ausbrechen, wenn jeder der Gegner einen großen Anhang hat, der ihm beisteht. Es ist daher beschlossen worden, zu ergründen, welchem Manne aus dem geliebten Geschlechte des geheiligten Přemysl die meisten der Herren dieser Länder zugetan sind, und ob ihre Zahl so groß ist, daß ihre Widersacher nichts gegen sie zu unternehmen vermögen, damit dann der erwählte Mann von dieser Zahl auf den Fürstenstuhl gehoben werde, den Widerspruch durch die Zahl zurückschrecke, und in den Jahren seiner Herrschaft durch sie das Gute in den Ländern heranziehe, das zum Frommen aller dient. Es sind noch zahlreiche Zweige aus dem Stamme Přemysls übrig. Da ist Konrad von Znaim der Sohn Liutolds des Sohnes Konrads, da ist Wratislaw von Brünn der Sohn Ulrichs des Sohnes Konrads, welcher Konrad ein Bruder des Königs Wratislaw gewesen ist, da ist Otto, der nach Rußland geflohen ist, ein Sohn des schwarzen Otto des Sohnes[130] des schönen Otto, der ein Bruder des Königs Wratislaw gewesen ist. Dann sind die Enkel des großen Königs Wratislaw, zuerst durch seinen Sohn Bořiwoy die Enkel Spitihněw Leopold Boleslaw Albrecht, dann durch seinen Sohn Wladislaw den Milden, welcher vor dem jetzigen Herzoge geherrscht hat, die Enkel Wladislaw Diepold und Heinrich, dann durch seinen Sohn Soběslaw unsern jetzigen erlauchten Herzog die Knaben Wladislaw Soběslaw Ulrich und Wenzel. Ich nenne nicht alle Zweiglein, da ihr sie kennt. Vor zwei Jahren war auf den neunundzwanzigsten Tag des Brachmonates von unserem erhabenen Herzoge Soběslaw ein Landtag nach Sadska einberufen worden, auf welchem die hohen und niederen Herren Böhmens und Mährens auf das Verlangen des Herzoges seinen ältesten Sohn Wladislaw als seinen Nachfolger auf dem Fürstenstuhle erkannt haben. Es muß entschieden werden, ob alle oder viele an dem jungen Sohne Soběslaws, welcher einundzwanzig Jahre zählt, ferner halten, oder ob sie meinen, daß das vorzeitige Hinscheiden des Herzogs die Sache so verändert hat, daß ein anderes Übereinkommen getroffen werden müsse. Es sind so viele Männer aus den Ländern Böhmen und Mähren in diesem Saale versammelt, ja fast alle, deren Wort in den Völkern, die diese Länder bewohnen, Bedeutung hat, daß in Wahrheit ein gültiger Endbeschluß zur Macht und Herrlichkeit des Herrschers zu Stande kommen kann. Möge zur Festigkeit des Herzogstuhles eine große Einigkeit erzielt werden. Als Führer dieser Versammlung rufe ich diejenigen, die ihre Stimme in der Sache zu erheben verzeichnet sind, auf, zu sprechen, wie sie meinen, daß es der Augenblick erfordert. Es ist groß wichtig und entscheidend, was hier geschieht, und von der heutigen Stunde hängt es ab, ob das Glück des Landes auf viele Zeit aus dem Gemache dieses Hauses hervorgeht, oder ob sogleich der Anfang unabsehlichen, unentwirrbaren[131] Elendes gemacht wird. Ich habe die Einleitung zu dem Gegenstande gesprochen.«

Nach dieser Rede erhoben sich in der Versammlung die Rufe: »Sehr gut gesprochen«, »sehr richtig«, »wahr gesprochen«, und andere unverständliche Laute des Beifalls.

Zdik ging wieder zu seinem Stuhle zurück, und setzte sich auf denselben nieder.

Als die Ruhe eingetreten war, erhob sich Ben, und rief: »Es ist an der Zeit, daß die, welche angemeldet sind, über die vorgelegte Sache in ihrer Ordnung reden.«

Er setzte sich wieder nieder.

Es war eine kleine Zeit still, und es erhob sich niemand. Dann stand in der Mitte des Saales ein Mann auf, der zum Oberkleide ein schwarzes Bärenfell und auf der schwarzen Haube eine blaue Feder hatte. Er rief: »Ich bin Rowno aus dem Mittage Böhmens, und bin auf dem Reichstage in Sadska gewesen. Dort war der Wille nicht frei. Die groß sind, erhielten Versprechungen, und wir die Kleinen fürchteten die Macht. Ich kann nicht für Wladislaw den Sohn des erlauchten Herzogs Soběslaw streiten.«

Nach ihm stand ein Mann auf, der ein grobes schwarzes Oberkleid und eine Hahnenfeder auf der Bärenhaube hatte. Er rief: »Ich bin Diet von Wettern aus dem Mittage Böhmens, und stimme mit meinem Landsmanne Rowno.«

Nach diesen beiden Männern erhob sich Milhost, und rief: »Jetzt ist wohl die Reihe der Rede an mir, und ich sage: Es ist eine Schmach, daß Männer, welche Weiber und Kinder, Schwestern und Bräute haben, und welche die Waffen in der Hand tragen, und auf ihren Höfen stehen haben, einem Herrn dienen, ihm ihr Gut geben, wenn er es verlangt, ihr Blut lassen, damit er ihnen wieder befehlen, und ihren Sinn beugen kann. Die hohen und[132] niederen Herren des Landes Böhmen und Mähren sollten herrschen; denn sie sind das Land. Ich trage an, daß die Versammlung, die in diesem Saale ist, Satzungen entwerfe, die der künftige Herzog beschwöre, und die ihn durch unsere Macht binden, daß er, wenn er auf dem Stuhle sitzt, nur unsern Willen zum Heile der Länder ausführen, unsere Kraft nicht brechen, und uns nicht zerstören kann, wie Swatopluk mit den Wršen tat. So sage ich, und weiche nicht davon.«

Nach diesen Worten erhob sich in dem Saale ein tönender vielstimmiger Beifallsruf.

Als er geendet hatte, stand Bogdan auf, und sagte: »Ich bin in Sadska gewesen. Dort haben alle das nämliche gesagt, und ein einzelner konnte nicht anders sagen. Der Herzog hat unser Wort gebunden; aber wir sollten die voreiligen Bande zersprangen, und frei wählen, wie unser Inneres gebietet.«

»Es ist so, wir sollten frei wählen«, riefen mehrere Stimmen.

Nun stand der rothaarige Beneš auf, und rief: »Ich spreche nur, daß der junge Wladislaw nie unser Herzog werden kann; denn Soběslaw hat uns immer unterdrückt, und endlich hat er uns nach Sadska gelockt, um uns dort unsern Willen zu rauben.«

»Soběslaw hat uns unterdrückt, ja, er hat uns unterdrückt«, rief eifrig und drohend eine Anzahl von Stimmen.

Hierauf erhob sich Domaslaw, und sagte: »Ich füge nur bei, daß Soběslaw sehr oft wider uns war. Ist nicht Konrad von Znaim, weil er sein Gegner war, sechs Jahre verhaftet gewesen? Mußte nicht auch Wratislaw von Brünn ein Jahr in Gefangenschaft zubringen? Ich rede nicht von dem unglücklichen Břetislaw, dem Sohne jenes Herzogs Břetislaw, der so traurig im Walde bei Bürglitz endete, und der ein Bruder Soběslaws war. Und hat er nicht Herren,[133] die diesem freundlich zuhielten, in feste Burgen geführt? Und sind sie nicht auch sonst in Haft gehalten worden, wenn sie gegen ihn waren? Hat er nicht gewollt, daß Bauern Kaufherren Münzer Juden Fiedelspieler schwelgen? Darum ist dieses Volk gegen uns so übermütig geworden. Der Sprößling eines solchen Mannes kann nicht der Herzog der Herren von Böhmen und Mähren werden.«

Es folgte wieder ein langer Beifallsruf auf diese Rede.

Da es ruhiger geworden war, stand Kochan auf, und sprach: »Nicht bloß der Herzog Soběslaw hat den Herren des Landes entgegen gehandelt, sondern alle Herzoge, darum stimme ich Milhost bei; aber nicht, daß Satzungen entworfen werden, die der Herzog beschwören muß, sondern daß gar kein Herzog sei, und wieder die Herren der Länder herrschen wie einstens.«

Auch nach diesen Worten entstand Zuruf.

Jetzt erhob sich auf der linken Seite des Saales ein Mann in mittleren Jahren und in einem dunkelblauen Sammetgewande mit braunem Barte und Haare und mit einer weißen Feder auf der schwarzen Haube. Er sprach: »Ich bin Bohuš, und sage auch, daß alle Herzoge gegen uns gewesen sind. Das war schon in der ältesten Zeit so. Ist nicht Přemysl der erste Herr gewesen, dem die andern schweigen mußten? Hat nicht schon einer seiner Nachkommen Neklan den Lukerherren Wlastislaw in einer großen Schlacht töten lassen? Sind nicht Spitihněw und Wratislaw des ersten christlichen Herzogs Bořiwoy Söhne nach Regensburg zum Reichstage gegangen, und haben uns in die Abhängigkeit von den Deutschen gebracht? Hat nicht dieses ersten Wratislaw Gattin Drahomira ihre Schwiegermutter die heilige Ludmila erschlagen, und ihr Sohn Boleslaw seinen eigenen Bruder den heiligen Wenzel? Hat nicht Boleslaws Enkel der rothaarige Boleslaw, den Wršen geholfen die Söhne[134] Slawniks, die Brüder des heiligen Adalbert auszurotten, und hat er nicht gegen die Wršen selber gewütet? Hat nicht des Rothaars Bruder der heftige Ulrich des Wladyken Kresina schöne Tochter Bozena geraubt, und zu seiner Gattin gemacht, und hat er nicht seinen und ihren Sohn den ersten Břetislaw, der kühn und tapfer war wie der griechische Achilleus, und der die schöne Judith von Schweinfurt geraubt hat, zur Flucht genötigt? Hat nicht dieses Břetislaws Sohn Spitihněw dreihundert Mährer zu einem Reichstage geladen, und sie dann als Geiseln zurück behalten? Ich rede nicht von der neueren Zeit, der Leche Bolemil hat sie uns schon geschildert. Ich erwähne nur eines Dinges, der Vertilgung der Wrše durch den unbändigen Swatopluk. Wäre solches möglich, wenn unsre Macht statt der Macht der Herzoge wäre?«

Ein großer Beifall brach bei diesen Worten aus, und viele Stimmen riefen: »Ja, so haben sie getan«, »so ist es geschehen«, »sie waren immer gegen uns.«

Nach Bohuš stand Drslaw auf, und sagte: »Wenn wir Wladislaw nicht nehmen, so nehmen wir Soběslaws andere Kinder noch weniger, da sie kaum noch Knaben sind.«

»Wir nehmen sie nicht«, »wir nehmen sie nicht«, riefen vielfältige Stimmen.

Nach Drslaw erhob sich in der zweiten Reihe ein alter Mann mit weißen Haaren, die einmal blond gewesen sein mochten, und mit dunkelblauen Augen. Er trug ein schwarzes Gewand ohne Feder. Er rief: »Ich bin Mireta aus dem Mittage Mährens.«

Dann sprach er: »Wenn wir nur Klagen anführen, erreichen wir unser Ziel nicht. Einmal ist es anders gewesen. Da alle Völker zu Hause in kleinen Stämmen ihres Lebens pflegten, konnten auch wir ohne Haupt in der Heimat unsere Dinge tun, und nur gelegentliche Angriffe abwehren; als aber die Stämme um uns sich geeinigt haben,[135] brauchen wir einen Herzog, der uns gegen sie einigt, und der unser Land darstellt. Ich schlage vor, daß wir den Fürsten von Znaim Konrad den Sohn Liutolds des Brudersohnes des Königs Wratislaw wählen. Wir, die wir in dem Mittage des Landes Mähren wohnen, kennen den Fürsten. Seine Mannesjahre sind klug und gemäßigt. Er ist im Unglücke in sich gekehrt worden. Der erlauchte Herzog Soběslaw hat ihn, da er zu weit über seine Rechte strebte, sechs Jahre, und zwar zuerst hier auf dem Wyšehrad und dann bei Heinrich von Groitsch in Haft gehalten. Er hat Strafe kennen gelernt, und ist in den weitern sechs Jahren, die er wieder bei uns wohnte, mild gegen uns und achtungsvoll gegen unsere Rechte geworden. Viele Lechen aus dem Lande Mähren wie Drslaw Zibota Soben Treba Stibor werden mir beistimmen.«

»Ich stimme bei«, rief einer im Saale.

»Ich auch, ich auch«, riefen mehrere.

Nach dem alten Mireta stand ein Mann in den mittleren Jahren auf. Er trug ein sehr grobes gelbgraues Wollkleid und eine Wolfsmütze. Er rief: »Ich bin Osel aus dem Mittage Böhmens ein kleiner Besitzmann, und sage, daß wir lieber einem Herzoge mit Gut und Waffen steuern, als uns von einem oder mehreren Lechen quälen lassen.«

»Das ist wahr«, »ja, ja«, riefen mehrere Stimmen, und langer Beifall tönte.

Nun erhob sich ein alter Mann in der ersten Reihe, welcher weißgraue Haare blaue Augen und ein rötliches Angesicht hatte, und dunkelbraune Sammetkleider trug. Er rief: »Ich bin Znata der Sohn des Tas.«

Ein Ruf des Beifalls entstand bei diesen Worten.

Dann sagte Znata: »Wenn wir Wladislaw den Sohn unsers erlauchten Herzogs Soběslaw nicht als Nachfolger seines Vaters wählen, so schlage ich einen andern Wladislaw vor, nämlich Wladislaw den Sohn des weisen und milden Herzogs Wladislaw, den Enkel des Königs Wratislaw,[136] den Bruderssohn des jetzigen Herzogs Soběslaw. Er ist der Sohn des Mannes, welcher in sechzehn Jahren seiner Herrschaft nur immer gut gewesen ist, welcher freiwillig seinem Bruder Bořiwoy den Fürstenstuhl abtrat, und welcher uns auf seinem Sterbebette den guten Herzog Soběslaw gab, der nun selber im Sterben liegt. Der Jüngling ist heiter und freundlich wie sein Vater, er geht mit unsern Angehörigen um, und er wird unsere gerechten Ansprüche erfüllen.«

»Ja, ja«, riefen Stimmen. »Ja, ja, ja«, riefen noch mehrere Stimmen, und Beifallsruf erhob sich.

Als er verhallt war, stand Slawibor auf, und sagte: »Ich denke, daß wir doch auch nicht auf Wratislaw von Brünn vergessen sollen, damit wir seine Ansprüche und Eigenschaften gerecht und genau prüfen.«

»Ja, wir sollen sie prüfen«, rief eine Stimme.

»Ja, ja«, riefen mehrere Stimmen.

»Wratislaw«, riefen andere, und es ertönte wieder Beifall.

Nun erhob sich Silvester der Bischof von Prag. Er trat in den freien Raum, richtete seine Augen gegen die Versammlung, blieb stehen, und sprach: »Liebe Gute Ansehnliche! Nach Slawibor bin ich an der Reihe zu reden. Ihr seht, daß meine Haare weiß sind, und mein Nacken gebeugt ist. Ich rede nicht aus Lust oder Unlust oder für eine Person, sondern als der, der zum obersten Seelenhirten dieses Landes erwählt ist, wenn auch nicht würdig und noch nicht von seinem erzbischöflichen Oberherrn von Mainz geweiht. Ich habe nicht für den Jüngling, welchen der Herzog gesendet hat, gesprochen, daß es nicht scheine, daß ich nur durch Gunst für den Herzog Soběslaw bewegt sei. Ich rede zu euch, weil ihr Christen seid. Es sind in Prag und in dieser Burg Wyšehrad Versammlungen gehalten worden, und es ist heute hier eine große Versammlung, zu welcher fast alle Herren der Länder[137] Böhmen und Mähren gekommen sind. Diese Versammlungen haben in der bangen Lage um Rettung und um einen Herzog gesucht. Aber die Versammlungen bestehen vor dem Auge Gottes nicht. Unser Herzog lebt, und ist in Hostas Burg schwer erkrankt. Die Arzneiverständigen sagen, daß er an dieser Krankheit sterben werde; aber der den Lazarus erweckt hat, der zu dem Krüppel gesagt hat: Geh, und wandle, der kann ihn zu uns führen, und ihn für den Fürstenstuhl noch eine Reihe von Zeiten erhalten. Wenn aber auch in seinem Rate bestimmt ist, daß der Herzog in das selige Leben gerufen werden soll, so ist auch darnach der Herzog vorhanden; fast alle in diesem Saale, so weit meine Augen reichen, haben Wladislaw den Sohn unsers erlauchten Herzogs Soběslaw, welchen der deutsche König Konrad vor zwei Jahren am zweiundzwanzigsten Tage des Monates Mai auf dem Fürstentage zu Bamberg mit der Herzogsfahne Böhmens belehnt hatte, auf dem Tage unserer Länder in Sadska am neunundzwanzigsten des Brachmonates desselben Jahres in diese Belehnung eingeführt. Es besteht demnach Wladislaw der Sohn unsers guten Herzogs Soběslaw als künftiger Herzog. Schon die Priester der falschen Götter, welche in Griechenland und Rom und vor kurzer Zeit auch noch in diesem Lande nur in einer andern Weise verehrt worden sind, haben harte Strafen für den Frevel des Meineides verkündet: um wie viel mehr straft ihn der gerechte und der einzig wahre Gott der Christen. Aber nicht der Strafe sondern des Glaubens willen halten die Christen ihr Gelöbnis. Und wenn die Hand des Meineidigen verdorrt ist, oder aus dem Grabe heraus gewachsen ist, oder wenn Gott durch Wunder und Zeichen Entsetzen in die Seele des Meineidigen geworfen hat, so hat er dadurch nur den Abscheu vor diesem unmenschlichsten aller Frevel kund getan. Und auch der irdische Vorteil, den ihr durch Meineid erstrebt, wird nicht erreicht.[138] Die Vereinigung im Unrechte ist schwach, wie stark auch die Verbindungsstelle zu sein scheint; denn der Fürst der Zwietracht, der den Faden geschlungen hat, zerreißt ihn wieder, weil er leicht zu zerreißen ist, und stößt die Glieder gegen einander, weil man von Unrecht leicht wieder zu Unrecht geht: die Vereinigung im Rechte aber ist stark, wie schwach auch die Verbindungsstelle zu sein scheint, weil Gott den Faden geknüpft hat, und weil man erschrickt, vom Rechte zu weichen. Wer durch den Knaben David den Riesen Goliath erschlagen hat, wer durch den Richter Gideon tausend Feinde in das Gras strecken ließ, der kann durch den Knaben Wladislaw, dem ihr voreilig geschworen zu haben glaubt, dieses Land retten. Und es war sein Finger, der euch so zahlreich nach Sadska geführt, und dort hat schwören lassen. Drum sage ich, und bitte euch in christlicher Demut: Sendet zu dem Herzoge Soběslaw, und sagt: Wir sind in deiner schweren Krankheit zusammengekommen, um zu beraten, und haben als das Rechte erkannt, daß wir Gott bitten sollen, er möge dir die Genesung wieder schenken, und daß wir, wenn er dich einmal in sein Reich aufnimmt, deinem Sohne Wladislaw als unserm Herzoge dienen. So sage ich, und so halte ich es für Recht.«

Als der Bischof diese Worte geredet hatte, stand ein Priester nach dem andern und standen die Äbte auf, und verneigten sich tief vor ihm, und in Teilen des Saales brach ein freudiger Zuruf aus.

Der Bischof ging wieder zu seinem Sitze, und ließ sich auf demselben nieder.

Als einige Zeit vergangen war, und die Versammlung wieder nach einem Redner schaute, stand der alte Bolemil auf, und sprach: »Nach dem hochehrwürdigen Bischofe Silvester kömmt die Rede an mich. Meine Worte werden gewiß vergeblich sein, weil die Jugend und viele Männer nach ihren Gelüsten vorwärts gehen; aber ich[139] rede sie, weil ich sie schuldig bin. Ich muß wieder von den alten Zeiten anfangen. Als der König Wratislaw herrschte, waren auch Streite, er hatte, als er Herzog war, viel Hader mit seinem Bruder Jaromir dem Bischofe von Prag, und da er König war, mit seinem Bruder Konrad von Brünn, und er hatte einen schmerzlichen Zerstoß mit seinem eigenen Sohne Břetislaw, welchen Kämpfen ich selber schon als junger Dienstmann beiwohnte; aber diese Streite wurden immer nur durch eine starke Aufreizung, wie sie bei Menschen vorkommen, angezündet, und sie wurden mit Reueschmerz und mit Bruder- und Freundestränen gestillt, wie der milde König vor Brünn mit der österreichischen Hilburg der Gemahlin seines Bruders Konrad getan hat. Man wußte damals stets, wer Herzog sei, sein Recht war nie in Zweifel gestellt, man tat seine Pflicht, und alle hervorragenden Männer verehrten den König und Herzog, und das Volk insgesamt, wie sogar die Feinde des Königs sagen, liebte ihn, von dem größten Landmanne Böhmens bis zu dem armen Sackpfeifer herab. Da war ein Mann, ihr müßt seinen Ruf kennen, sein Name war Božetěch, er war Abt, und stand dem Kloster an der Sazawa vor: dieser malte liebliche Bilder, und gestaltete aus Holz und Stein und Bein Heilige und himmlische Erscheinungen, daß die Menschen herzu kamen, und sie mit Bewunderung und Tränen ansahen. Er war ein hochgesinnter fröhlicher Mann, und bei dem Könige Wratislaw sehr wohlbeliebt. Einmal griff er bei einer hohen Messe dem Bischofe Cosmas vor, und setzte dem Könige die Krone auf. Darüber erzürnte der Bischof so sehr, daß er ihm befahl, ein Heilandkreuz von seiner eigenen Lebensgröße zu schnitzen, es auf seinen Schultern nach Rom zu tragen, und es daselbst in der Kirche des heiligen Petrus niederzulegen. Und der Mann Božetěch tat, was ihm befohlen worden war. Wo ist jetzt einer, der, wenn er auch wüßte, was Gehorsam ist, ein solches[140] Zeichen gäbe, die Heiligkeit der Ordnung anzuerkennen? Das ist zu Grunde gegangen. Damals folgten die Herzoge auf einander ohne Widerrede. Auf den heftigen Ulrich folgte der erste Břetislaw, der das Alterserblichkeitsgesetz errichtete, auf Břetislaw folgte der schöne Spitihněw, und auf ihn sein Bruder unser König Wratislaw, auf diesen sein Bruder Konrad, und auf Konrad der Sohn Wratislaws der zweite Břetislaw, der die Alterserblichkeit zerstörte. Daraus folgten die bösen Kämpfe, von denen ich heute schon gesprochen habe. Vor der Alterserblichkeit, da die Söhne der Herzoge nach der Väter Tode immer das Land teilten, waren auch blutige wilde Streite. Diese Streite aber heilte das Alterserblichkeitsgesetz; es brachte aber andere. Der Herzog, welcher seinen Kindern und Brüdern wohl will, wird sie eifriger als Nachfolger wünschen als den ältesten des Geschlechtes, der seiner Liebe sehr entfernt sein kann, und weil er die Macht hat, wird er versucht sein, sie zu gebrauchen. Der heftige zweite Břetislaw, der schon in seiner Jugend auf einem Kriegszuge durch ein unvorsichtiges Bad in einem Flusse, durch welches er die Feinde auf sich lockte, vielen Großen des Reiches, die ihn bewachten, den Tod bereitete, der den Freund seines Vaters Wratislaw Zderad, welcher ihm dies einmal vorwarf, tötete, und dadurch Mißtrauen zwischen sich und seinem Vater und sogar einen sündhaften Sohneskrieg entzündete, hat es getan. Er hat mit seinen Lechen und Županen seinem Bruder Bořiwoy gegen das Alterserblichkeitsgesetz die Nachfolge gesichert, weil er dem gesetzlichen Nachfolger seinem Vetter Ulrich zürnte. Ihr wisset, wie er geendet hat. In dem Walde von Bürglitz ist er von einem Manne ermordet worden, wie man sagt, aus Rache der Wrše Božey und Mutina, die er verbannt hatte. Wer durch Totschlag zeigt, daß er das Leben eines Menschen nicht achtet, gibt andern die Lehre, das seine auch nicht zu achten. Und doch war er[141] sonst ein guter Mann, er herrschte zur Wohlfahrt des Landes, und da er auf so traurige Weise gestorben war, weinte Jung und Alt um ihn. Nach seiner Herrschaft kam, wie sie kommen mußte, eine völlige Unsicherheit in die Nachfolge. Dem von ihm eingesetzten Bořiwoy entriß Swatopluk die Herrschaft, nach der Ermordung Swatopluks im Kriegslager wählte das Heer auf fremdem Boden für sich einen Herzog und zwar Otto den Bruder Swatopluks, ein Wahllandtag zu Hause wieder für sich Wladislaw den Bruder Bořiwoys und Halbbruder Břetislaws, und es kam zu einem Vergleiche, in welchem Otto seinem Anspruche entsagte. Wladislaw aber gab aus eigenem Willen auf seinem Sterbebette die Nachfolge Soběslaw unserm jetzigen Herzoge, der unter der Freude des Volkes den Fürstenstuhl bestieg, und nun, da der Herzog noch lebt, da der nächste Herzog schon belohnt und anerkannt ist, sind wir wieder versammelt, einen Herzog zu wählen. Was kann aus diesen Dingen werden? Durch die Ungewißheit der Nachfolge sind von jenem Břetislaw an mehrere Hunderte der hervorragenden Männer der Länder um das Leben gekommen, und viele Tausende des Volkes in das Grab gesunken, es sind Städte in Asche gelegt, Dörfer dem Erdboden gleich gemacht, und saatreiche Fluren in Einöden verwandelt worden, und das Land ist immer mehr in die Abhängigkeit von Fremden gekommen, weil jeder, der den Herzogstuhl verlangte, gerne auswärtige Hilfe suchte, wie Bořiwoy Swatopluk und wie Otto und wie selbst der edle Wladislaw. Diese Übel, die jetzt in unserer Zeit sind, gehen tiefer, und fassen mehr alle Bestandteile der Länder an als die, welche früher gewesen sind. Und wenn sie fortdauern, so wird der Herzogstuhl zittern, wird ein Schatten werden, und in die Macht eines fremden Mannes fallen. Nicht die Frage ist jetzt die größte, wer soll Herzog sein, sondern die, wie soll die Nachfolge bestellt werden? Und wenn[142] ihr heute in unserer Versammlung den Besten wählt, welcher auf dem Erdboden ist, und wenn er ein langes Leben führt, und während dieses langen Lebens die Länder wohl beherrscht, so ist das Unglück nur aufgeschoben, und es bricht nach seinem Tode aus, es wäre denn, daß dort wieder der Beste gewählt werden könnte, und so immer fort, und daß jeder Gewählte die Macht habe, die, welche die Wahl als kein Gesetz erkennen wollen, nieder zu halten. Wie ich zu erkennen meine, neigen sich die Herren der Länder Böhmen und Mähren dahin, die Herzoge nach dem Tode der Vorgänger von nun an durch die Wahl zu bestellen; aber dann wäre es besser, zu dem verlassenen schlechten Alterserblichkeitsgesetze zurückzukehren, als alles auf diese Spitze zu setzen. Es scheint glaublich, daß man durch die Wahl immer sollte den Besten erkiesen können; aber ich habe lange gelebt, und viele Menschen gesehen: wie wenige gibt es, die zu wählen verstehen, und wie wenige, die wählen dürfen. Wenn auch die Herren der Länder Böhmen und Mähren das Land sind, so sind doch auch die Bauern da und die anderen, derer sie gedenken müssen; aber auch wenn sie ihrer gedenken, so ist die große Zahl der Menschen so, daß sie zuerst ihrer selbst gedenkt, und auch nicht recht ihrer selbst sondern ihrer Lust. Die, welche nach dem Fürstenstuhle trachten, werden Versprechungen machen, und wenn der gewählte Herzog einigen zuwider handelt, so werden sie sich verbinden, einen neuen zu wählen, der gefügiger ist, und wieder einen andern, und dieses werden sie gerade desto mehr tun, je mehr sie durch Kriege, die diese Dinge begleiten, wild und begehrlich geworden sind. Sie werden sich teilen, bis ein Fremder den geschändeten Stuhl nimmt, wie in den traurigen Zeiten des rothaarigen Boleslaw schon der polnische Boleslaw getan hat. Möge dann der Fremde eine milde weise und mächtige Hand über die Länder strecken. Diese meine Augen, so alt sie sind,[143] können es noch sehen, daß viele von denen, die heute für Wladislaw den Sohn des vorigen Herzoges Wladislaw stimmen, wenn er erwählt ist, wieder von ihm abfallen, und gegen ihn in den Waffen stehen. Ich muß daher mit christlichem Glauben sagen: Haltet euer Versprechen, welches ihr Wladislaw dem Sohne unseres Herzoges Soběslaw gegeben habt, und huldiget ihm nach dem Tode seines Vaters als Herzog. Vereinigt euch um ihn, und ihr werdet mit ihm, wenn er auch jung ist, im Rechte stark sein, wie der hochehrwürdige Bischof Silvester gesagt hat, sonst aber schwach. Das Versprechen in Sadska war nicht erzwungen; denn es mußte keiner hingehen, oder er konnte es wieder ohne Zusage verlassen. Wenn aber die Herrschaft dieses Wladislaw mit euch fest gegründet ist, dann verbindet euch mit ihm, und errichtet in langem und reifem Rate eine Herrscherfolge, daß das jetzige Unheil und alles künftige vermieden werde. So spreche ich, und kann in meinem Alter die Gedanken nicht mehr ändern.«

Nach diesen Worten setzte sich Bolemil wieder nieder.

Als er geendigt hatte, brachen Rufe aus: »Ja, unsere Lage ist sehr übel«, »er hat recht, wir sind in Wut und Kämpfe geraten«, »das Land geht dem Unheile entgegen«, »das muß geändert werden«, »wir wollen nicht wieder Gut und Blut verlieren«, »wir sollen nicht von hier fortgehen, bis alles geordnet ist«, »wir müssen einmal Ruhe haben.«

Hierauf waren die Laute nicht mehr verständlich, und es war ein bloßes Getümmel.

Als durch eindringliche Zeichen des Bischofes Zdik das Tosen sich gelegt hatte, und eine solche Stille eingetreten war, daß man Worte vernehmen konnte, rief er: »Die Reihe der Rede ist nun an mir.«

Da es ganz stille geworden war, sprach er: »Ich habe nur weniges zu sagen; aber bedenket es. Als wir vor zwei Jahren in Sadska waren, haben wir ein gutes Werk vollbracht.[144] Wir haben den künftigen Herzog vorbestimmt, daß bei dem Übergange der Herrschaft die Ordnung des Reiches gewahrt werde. Unser edler Herzog Soběslaw war noch nicht so alt, daß wir an seinen baldigen Hintritt hätten denken sollen, und wir erwarteten, daß er seinen Sohn Wladislaw, den wir anerkannt hatten, unter seinen Augen zum festen Herrscher bilden werde, wie er selbst ist. Das ist aber anders geworden, unser Herzog ist dem Tode nahe, und sein Sohn Wladislaw ist erst einundzwanzig Jahre alt. Die Zeiten aber sind verwirrt, und die Meinungen wenden sich nach so verschiedenen Richtungen, daß ein junger Herzog sie nicht vereinigen wird können, daß er nach dem weichen Jugendherzen ihnen abwechselnd folgen wird, und daß wir dadurch Kriegen und Zerrüttungen entgegengehen. Wenn wir das Versprechen, welches wir in Sadska gegeben haben, nicht halten, so begehen wir keine Sünde; weil die Vorbedingung, welche wir uns alle bei dem Versprechen gedacht haben, nicht erfüllt worden ist. Durch die Haltung des Versprechens würden wir die Übel herbeiführen, welche wir durch das Versprechen beseitigen wollten. Daher ist mein Glaube, daß wir einen andern Herzog wählen sollen, der jetzt schon auszuführen im Stande ist, was wir erst in künftigen Zeiten von Soběslaws Sohne erwarten könnten. Ich weiß einen Mann, der es kann. Wenn mein armes Leben für ihn zur Bürgschaft angenommen würde, und wenn dieses Leben verlangt würde, daß man ihn wähle, so lege ich es hin. Es ist Wladislaw der Sohn unseres vorigen Herzoges Wladislaw, der gütig und weise geherrscht, und der uns auf seinem Sterbebette unsern jetzigen Herzog gegeben hat. Der Sohn Wladislaw ist so jung, daß er zu edler Tat kräftig ist, und so alt, daß er Einsicht und Erfahrung hat, sein Körper ist schön und stark, daß er zu hohen Jahren gelangen kann, sein Geist ist hell und klug, sein Gemüt wohlwollend und leutselig,[145] er liebt uns, er wird die Rechte des Landes achten, sein Wohl befestigen, und es ist etwas in ihm, daß er es vielleicht auch noch zu hohem Glanze heben kann. Ich rede aus sorgfältiger Beobachtung, und rede nicht für mich. Ich sage: Wählen wir Wladislaw den Sohn unsers vorigen Herzogs Wladislaw zu unserem nächsten Herzoge, und setzen wir ihn, wenn in Kürze der Tod Soběslaws erfolgt, auf den Fürstenstuhl. Wenn es aber Gott dem Allmächtigen gefällt, unsern vortrefflichen erlauchten Herzog Soběslaw aus seiner jetzigen schweren Krankheit wieder zur Gesundheit zu führen, so soll der heutige Beschluß nichtig sein, und wieder das Versprechen in Sadska gelten. So rede ich, und ich bitte euch, beherziget es.«

Nach diesen Worten ging Zdik zu seinem Sitze.

Es entstand nun wieder ein starkes Rufen und eine Bewegung der Körper, daraus nichts zu entnehmen war, bis einzelne Stimmen durchdrangen, die riefen: »Laßt weiter sprechen, laßt weiter sprechen.«

Als es ruhiger geworden war, stand Diwiš von seinem Platze auf, und da sich alle gegen ihn wandten, um ihn zu hören, sprach er: »Ich bin ein alter schlichter Mann, und sage: Bleibt bei eurem Worte.«

Auch jetzt folgten verworrene Rufe.

Da hierauf eine kleine Weile niemand geredet hatte, stand in der ersten Reihe der Mann mit dem weißen Barte und dem weiten dunkelpurpurnen Sammetgewande auf, trat einige Schritte gegen den freien Raum, kehrte sich gegen die Versammlung, und sagte: »Ich bin Načerat der Sohn des Tas.«

Ein allgemeiner Jubelruf folgte diesen Worten.

Als er verhallt, und tiefe Stille eingetreten war, sprach der Mann: »Liebe gewogene ansehnliche Herren! Ich bin ein unbedeutender Mann in diesen großen und mächtigen Ländern.«

»Der bedeutendste«, rief eine Stimme.[146]

»Ein unbedeutender Mann«, fuhr Načerat fort.

»Nein, nein, nein«, rief eine Menge von Stimmen.

»Meine Worte sind nicht wichtig«, sagte Načerat.

»Ja, ja, ja, ja«, rief es durcheinander.

»Liebe Ansehnliche«, sagte Načerat, »wenn ihr mir wohlwollet, so höret mich.«

»Hört ihn«, riefen Stimmen.

Als es stille geworden war, sprach Načerat: »Ich bin unbedeutend in dieser hohen Versammlung. Meine Worte werden keine Triftigkeit haben, und werden in den Waagschalen, die ihr in euren weisen Händen haltet, und die ihr schon gerichtet haben werdet, nichts ändern; aber ich glaube, daß in diesen schweren Zeiten der Große und Kleine reden muß, damit er seinen Anteil zeige. Diese erhabene Versammlung ist eine wichtige aber friedfertige, ich bin ohne Waffen gekommen, weil sie ihr Werk in Frieden und Eintracht schlichten wird, wie einmal in vergangenen Zeiten unser Land in Glück und Frieden verwaltet worden ist. Ihr werdet wissen, und es ist in schönen lateinischen Worten aufgeschrieben, daß unser Volk ein stilles gewesen ist; es hat nur fremde Angriffe abgewehrt, und hat dazu einen Kriegsführer gewählt, der danach wieder keine Macht hatte. So war der Vater Čech, der vor siebenhundert Jahren unsere Leute in dieses Land geführt hat. Nach ihm erscheint kein Gewalthaber. So war Samo vor fünfhundert Jahren, dem wieder keiner folgte. Für das Wohl und das Recht der Gemeinden sorgten die Ältesten dieser Gemeinden, denen daher der Name Starosten blieb. Und die Versammlung der Starosten aller Gemeinden ordnete und verwaltete auf Landtagen das Land. Wer durch Besitz und Erfahrung hervorragend war, der konnte auch in jüngeren Jahren ein Starost werden. So entstanden die Namen Lechen Kmeten Wladyken. Wenn einer durch Weisheit bekannt war, gehorchten ihm die andern freiwillig wie einem[147] Fürsten, und er hatte die väterliche Macht. So war Krok. Aber wie damals die Kinder nach dem Tode ihres Vaters ihr Erbe ungeteilt ließen, und sich zur Verwaltung desselben aus ihrer Mitte einen Wladyken wählten, so geschah es auch zuweilen, daß die Landeskinder zur Verwaltung des Landes gleichsam einen Wladyken des Landes wählten, der dann ihr Fürst war. Das ist in späteren Zeiten stets öfter geworden. Die Landeskinder aber sind immer die Lechen Kmeten und Wladyken gewesen. Sie sind in diesem Saale versammelt. Der Herzog herrscht nur durch sie und mit ihnen. Eure Rechte müssen vor denen des Herzogs gewahrt werden, weil er aus euch hervorgeht. Nur so wird eine glückliche friedfertige Zeit, in der ein einzelner nicht die Kraft und das Gut aller für sich gebrauchen und verwenden kann. Es sind aber unter den Herzogen solche gewesen, welche die Rechte der Landeskinder nicht gewürdiget, und nur ihr eigenes Wohl bedacht haben. Selbst unser edler erlauchter und ruhmreicher Herzog Soběslaw, dem Gott die Wiedergenesung schenken möge, hat nicht immer den Rat der Großen verlangt, und sie öfter abseits stehen lassen. Darum bin ich auch für seinen Boten in dieser Versammlung nicht aufgestanden, wenn es mir gleich nicht unlieb ist, daß derselbe vor uns auf einem Stuhle sitzt. Weil nun euch als Landeskindern die Wahl des Herzogs zusteht, so habt ihr gewiß schon bis zur Schlußfassung erwogen, wer der künftige Herzog sein wird, und daß er eure Rechte achtet. Wir können euch nur für diese Tat den tiefsten Dank bringen, da durch sie wieder das Glück und die Ruhe und der Reichtum in unsere Fluren einkehrt, wie es einstens gewesen ist. Wir die wenigeren haben in der Zeit vor eurem Erscheinen in dieser Stadt und in diesem Saale mehrere Zusammenkünfte gehabt, und haben auch auf diese Dinge unsere Gedanken gerichtet. Es ist uns der Mann zu Sinne gekommen, den früher mein Bruder[148] Znata genannt, und den der hochehrwürdige Bischof von Olmütz empfohlen hat, Wladislaw der Sohn unsers vorigen edlen Herzogs Wladislaw. Er ist gut und freundlich, er liebt unsere Kinder, teilt ihre Freuden und Leiden, hört ihre Meinungen, spielt ihre Spiele, und scheut ihre Rechte, er hat Ehrfurcht vor ihren Vätern und dem Rate derselben. Wenn ihr aber den andern Wladislaw den Sohn Soběslaws wählen werdet, so ist es gewiß, daß ihr überzeugt seid, daß derselbe noch mehr eure Rechte schützen, noch mehr euren Rat hören, noch mehr die Landeskinder beglücken wird. Ich ende meine Worte, die schon zulange gedauert haben.«

Načerat ging wieder zu seinem Sitze.

Es entstand nun ein so starkes Rufen, daß es betäubend war: »Nicht der Sohn Soběslaws«, »dein Wladislaw«, »Wladislaw«, »Wladislaw«, »Wladislaw.«

Der Sohn des Načerat hatte sein Schwert samt der Scheide aus dem Gürtel gelöst, und schwang es vor Freude jauchzend um sein Haupt. Die meisten der Anwesenden begannen mit ihren Händen an die Scheiden der Schwerter zu schlagen, daß es rasselte und klirrte. Die meisten standen auf, viele traten auf ihre Sitze.

Als wieder Stimmen vernehmbar wurden, hörte man neuerdings nur die Worte: »Wladislaw«, »Wladislaw«, »Wladislaw.«

Da das Rufen sich abschwächte, drangen Stimmen mit den Worten vor: »Nicht mehr sprechen«, »nicht mehr sprechen.«

Der großgewachsene schwarzhaarige Předbor rief mit einer furchtbaren Stimme: »Wladislaw ist gewählt.«

Es erscholl nun wie aus einem Munde: »Wladislaw ist gewählt«, »Wladislaw ist gewählt.«

Endlich nach geraumer Zeit ging Zdik zu der Glocke, und schlug mit Gewalt auf dieselbe.

Als die Unruhe sich gemindert hatte, rief er: »Und wenn[149] ihr auch auf diese Weise gewählt habt, so müssen doch noch, die zu reden befugt sind, gerufen werden, und es muß die Abstimmung folgen.«

Ben trat vor, und rief: »Ich fordere als zweiter Führer der Versammlung diejenigen auf, zu reden, welche noch angemeldet sind.«

»Wir sprechen nicht mehr«, riefen mehrere Stimmen.

Ben rief wieder: »Wenn niemand mehr sprechen will, muß die Antwort durch Schweigen geschehen. Ich rufe daher noch einmal die nächsten Redner auf, zu sprechen.«

Es erfolgte keine Antwort.

»So ist die Sprache über die Herzogswahl geschlossen«, rief Ben.

»Geschlossen«, ertönte eine Menge von Stimmen.

Zdik gab jetzt mit drei langsamen Schlägen das Zeichen, daß man sich zur Abstimmung richte. Dann rief er: »Daß man stimmen könne, müssen die Männer dieser Versammlung sitzen.«

Als sich alle niedergesetzt hatten, rief er: »Ich Zdik der Bischof von Olmütz der erste Führer dieser hohen Versammlung fordere alle diejenigen auf, sich von ihren Plätzen zu erheben, welche des Sinnes sind, daß Wladislaw der Sohn des erlauchten verstorbenen Herzogs Wladislaw nach dem Tode unseres ruhmreichen Herzogs Soběslaw Herzog der Länder Böhmen und Mähren werde.«

Načerat erhob sich von seinem Sitze, Znata, der alte Milota, Ctibor, alle jungen Männer standen auf, immer mehrere erhoben sich, auch Priester, bis endlich fast die ganze Versammlung neben ihren Sitzen stand.

Zdik rief mit lauter Stimme: »Wladislaw der Sohn des letzten gestorbenen Herzoges Wladislaw ist von den Herren der Länder Böhmen und Mähren für den Tod des Herzoges Soběslaw zum Herzoge dieser Länder gewählt worden. Die Wahl wird in die Pergamente eingetragen werden.«[150]

Ein Jubel entstand nun, der den Saal erzittern und die Luft beben machte.

Nach langer Zeit konnte man erst die Rufe vernehmen: »Nun ist alles glücklich geendet«, »nun ist wieder das Glück im Lande«, »nun sind wir endlich einmal erlöst«, »nun ist alles gut.«

Zdik gab ein Zeichen, daß er reden wolle.

Als man ihm durch vieles Bemühen Frist zum Sprechen gemacht hatte, sagte er: »Nun beantrage ich, daß eine Botschaft an den Gewählten, der sich in Wien befindet, abgeordet werde, und auch eine Botschaft, welche dem Herzoge Soběslaw Nachricht von dem Geschehen gebe.«

Načerat stand auf, und sprach: »Ich meine, daß der Antrag gut ist, senden wir die Botschaft an Wladislaw, und ich schlage vor, daß wir uns in drei Tagen zur Beratung der Botschaft an Soběslaw versammeln.«

»In drei Tagen an Soběslaw, in drei Tagen an So běslaw«, riefen fast alle.

Und es ward wieder ein Rufen und Jubeln.

Der Bischof Silvester trat in den freien Raum, hob seine Arme empor, und bewegte sie zum Zeichen, daß er reden wolle. Aus seinen blauen Augen flossen Tränen über seinen weißen Bart auf sein Kleid hinunter.

»Der Bischof will reden, der Bischof will reden«, riefen mehrere Stimmen.

Als es stille geworden war, rief der Bischof Silvester mit lauter Stimme: »Ich Silvester der erwählte Bischof von Prag als oberster Seelenhirt des Landes Böhmen widerspreche der Wahl. Sie ist vor dem dreieinigen Gotte ungültig und sündhaft. Und wenn der heilige Adalbert, der unser Vorbild ist, sein Amt niedergelegt hat, weil er nicht verantworten konnte, daß seine Untertanen heidnische Gebräuche nicht ablegten, so kann ich nicht verantworten, daß die mir Anvertrauten freiwillig und feierlich[151] das Gebot des Herrn verletzen, und lege mein Amt nieder. Mein Gebet wird fortan sein, daß Gott dem Lande nicht entgelten lasse, was seine besten Söhne gesündigt haben.«

Ein wildes Geschrei entstand auf diese Worte. Der Bischof ging gebeugten Hauptes zu seinem Sitze, und setzte sich auf denselben nieder.

Die meisten schickten sich an, den Saal zu verlassen.

Zdik trat zu dem Bischofe Silvester, legte ihm beide Hände auf die Schultern, schaute ihm in das Angesicht, und sprach: »Mein Vater und Freund, mit dem ich zu Jerusalem an dem Grabe des Herrn gebetet habe, es ist keine Sünde. Eher hat Soběslaw gefehlt, daß er nur an die Seinigen gedacht hat. Unser Erwählter wird das Land von dem Untergange retten, und die werden arg getäuscht sein, welche auf ihn leichtfertige und eigennützige Hoffnungen gebaut haben.«

Silvester wischte sich mit seinem Kleide die Tränen ab, und sagte: »Mein Sohn, es ist doch eine Sünde. Und wenn Gottes Barmherzigkeit durch euren Erwählten das Land auf den Gipfel des Heiles führt, so wird doch die Strafe auf die Häupter des Meineides fallen.«

»Es geschehe, was muß«, sagte Zdik, »ein jeder kann nur nach dem gestraft werden, was er gesündiget hat.«

»So ist es«, sagte Silvester, und stand auf, um den Saal zu verlassen. Viele Priester schlossen sich um ihn, und begleiteten ihn zur Tür hinaus.

Witiko erhob sich von seinem Sitze, und schritt bei der Tür, durch welche er hereingekommen war, in das Vorgemach hinaus. Dort fand er noch den Priester, der ihn hergeleitet, und hier auf ihn gewartet hatte. Sie gingen mit einander fort.

Da sie in dem Gange gingen, trat aus einem Seitengange der Bischof Silvester mit seinen Priestern her vor. Witiko stellte sich zurück, und wollte den Greis vorüber lassen.[152] Dieser aber blieb vor dem Jünglinge stehen, und sagte: »Mein gutes liebes Kind, reite zu dem Herzoge, melde ihm, was hier geschehen ist, und sage ihm, daß ich aller Würden ledig bin, und bald kommen werde.«

Nach diesen Worten machte er mit den Fingern ein Zeichen wie das des Segens, und ging mit seinen Priestern weiter. Witiko folgte ihm mit seinem Begleiter in einiger Entfernung.

Als sie in den Hof gekommen waren, fanden sie dort eine Menge von Menschen. Sie standen fast Körper an Körper gedrängt. Teils waren sie von außen hereingekommen, teils waren sie von den Räumen des Gebäudes herabgegangen. Mitten im Hofe hielt Načerat in seinen weiten Gewändern hoch zu Pferde, von Freunden und andern umgeben, die Glück wünschten. Der Sohn des Načerat in seiner prachtvollen Kleidung zu Pferde sitzend war neben ihm. Welislaw war da, Casta, Smil mit seinen beiden Söhnen, Ben der Kriegsanführer war da, und mehrere Diener hielten Pferde für ihre Herren bereit, und manche stiegen auf. In der Richtung von dem Tore her drängte sich der junge schöne schwarze Odolen der Sohn des Striz auf einem weißen Pferde sitzend und mit dunkelbraunen Gewändern angetan durch die Menge gegen Načerat. Der blonde Drslaw war da, der schwarzhaarige Bogdan, der emporragende Předbor, Milota, Nemoy, Jurik, Bartholomäus, und die rote Feder Domaslaws ragte neben den Häuptern anderer Reiter empor. Der blondhaarige grüngekleidete Kochan suchte sich auf einem schwarzen Pferde seinen Weg durch das Gedränge nach auswärts, ihm folgte Milhost. An einem Fenster in der Burg oben stand der Bischof Zdik, neben ihm der Priester Daniel der Abt von Břewnow und andere. Alle Fenster waren mit Menschen erfüllt. Zahlreiche sehr schöne Frauen konnte man darunter erblicken. Mädchen und Frauen aus dem Volke standen unten im Hofe.[153] Jubelgeschrei ertönte, und von Zeit zu Zeit rief man den Namen des neuen Herzogs, und rief Glück und Segen. Der alte Bolemil trat aus einer Tür in den Hof. Er wurde von mehreren jungen Männern, die wie Söhne und Enkel aussahen, umringt, und in ihrer Mitte gegen das Tor geführt.

Auf Witiko achtete niemand. Er ging mit seinem Priester längs der Mauer nach dem Ausgange. Von dort eilte er gegen die Stadt. Menschen begegneten ihm, die nach dem Wyšehrad eilten. Andere gingen oder ritten von der Versammlung in die Stadt. Auch den Bischof Silvester sah er noch einmal, wie er mit seinen Priestern langsam der Stadt Prag zuwandelte. Witiko ging unter den Menschen, die da waren, an ihm vorüber.

Als er an seiner Herberge angekommen war, verabschiedete er sich von dem Priester, der ihn begleitet hatte, dankte ihm, und bat ihn, daß er dem hochehrwürdigen Bischofe Silvester sagen möge, daß er nicht mehr zu ihm kommen könne, weil er unverzüglich zu dem kranken Herzoge reiten müsse. Der Priester entfernte sich, und Witiko ging in das Haus. Dort sah er nach seinem Pferde, verlangte ein weniges zu essen, und da beide er und das Tier gestärkt waren, tat er wieder die Pelzdinge über seine Lederkleidung, verwahrte seine Füße, nahm seinen Wurfspieß, bestieg das Pferd, und ritt aus der Stadt hinaus.

Er schlug den Weg nach Mitternacht ein, und ritt in einem großen Bogen gegen Hostas Burg. Er gestattete sich nur den Aufenthalt, der zur Stärkung und zum Ausruhen des Pferdes notwendig war. Die Nachtherbergen machte er so kurz, als seine Wegkenntnis und die Jahreszeit zuließ.

Am neunten Tage des Monates Hornung traf er in Hostas Burg ein.

Er ging sogleich zu dem Herzoge.[154]

»Bringst du mir die Nachricht?« fragte der Herzog.

»Ja«, sagte Witiko, »am vierten Tage des Monates Hornung ist in einer großen Versammlung auf dem Wyšehrad von vielen hohen und niederen Herren beider Länder Wladislaw der Sohn deines verstorbenen Bruders des Herzogs Wladislaw für den Fall deines Todes zum Herzoge von Böhmen und Mähren erwählt worden.«

»Von wem hast du die Nachricht?« fragte der Herzog.

»Von mir selber«, entgegnete Witiko, »ich bin in der Versammlung gewesen.«

»Du bist in der Versammlung gewesen?« fragte der Herzog, »wie ist das möglich geworden?«

»Ich habe den hochehrwürdigen Bischof Silvester gebeten, daß er bewirke, daß sie mich hören«, entgegnete Witiko, »sie haben mich gehört, und haben mich in der Versammlung gelassen.«

»Es ist mir leid um dich, mein Sohn, daß ich nicht länger lebe«, sagte der Herzog.

»Wer hat gesprochen?« fragte er nach einem Weilchen.

»Znata der Sohn des Tas hat den Antrag gestellt«, antwortete Witiko, »dann hat Zdik der Bischof von Olmütz deinen Neffen gepriesen, und dann hat Načerat, der andere Sohn des Tas, ihn durch eine lange Rede empfohlen, und dann haben sie ihn ausgerufen, und es hat niemand mehr gesprochen und gehört.«

»Was hat der Bischof Silvester gesagt?« fragte der Herzog.

»Er hat die Wahl verdammt«, entgegnete Witiko, »und da sie nicht abgingen, hat er sein Amt niedergelegt. Er wird bald hier sein, läßt er dir melden.«

»Und die andern?« fragte der Herzog.

»Der alte Leche Bolemil hat lange für dich gesprochen, und der Župan Diwiš«, sagte Witiko.

»Wo hast du das Kreuzlein?« fragte der Herzog.

Witiko griff in sein Lederwams, zog das rotsammetne[155] Beutelchen hervor, und reichte es dem Herzoge. Der Herzog nahm es, zog das Kreuzchen heraus, küßte es, steckte es dann wieder in das Beutelchen, und legte es mit demselben in den Holzschrein hinter dem Bette.

»Es ist gut«, sagte er, winkte Witiko mit der Hand zu gehen, wendete sich im Bette seitwärts gegen die Wand, und sprach nicht mehr.

Witiko verließ das Gemach.

Am nächsten Tage ließ er Witiko zu sich rufen. In dem Gemache war noch Adelheid seine Gattin, die Tochter des ungarischen Herzoges Almus, dann war noch da Maria seine Tochter, die Gattin des österreichischen Markgrafen Leopold, dann sein ältester Sohn Wladislaw, dann Boreš der Kastellan von Hostas Burg, dann zwei Priester, zwei böhmische Herren und der Arzt.

»Ich habe euch rufen lassen, tretet näher«, sagte der Herzog.

Als es geschehen war, fuhr er fort: »Dir, Witiko, bin ich großen Dank schuldig, meine Herzogin wird ihn abstatten. Ihr andern höret: Mein Vater der König Wratislaw hat die Kirche auf dem Wyšehrad neu er baut. Er liegt in ihr begraben. Meine Mutter Swatawa liegt neben ihm. Legt mich neben beide, wenn ich werde gestorben sein. Jetzt geht.«

Sie entfernten sich.

An demselben Tage ließ die Herzogin Adelheid Witiko durch Boreš zu sich führen. Boreš führte ihn in eine große Kammer, in der verschiedene Dinge waren. Adelheid stand neben zwei Frauen. Als er eingetreten war, ging sie ihm entgegen, reichte ihm ihre weiße Hand, und sagte: »Schöner Jüngling, du hast eine gute Handlung vollbracht. Der Herzog hält sie für sehr hoch. Wir sind dir vielen Dank schuldig. Ich sage ihn dir in guten und in herzlichen Worten. Nimm diese Gewänder, nimm diese Waffen, nimm dieses Waffenhemd, und nimm dieses[156] Kästchen mit Gold, du bist noch jung, du kannst es brauchen. Du darfst diese Dinge nehmen, die Gaben des Herzogs ehren ja sonst Hoch und Gering. Ich aber sage dir, bleibe so, wie du jetzt bist.«

Witiko antwortete: »Hohe Frau! ich bin wohl unerfahren; aber ich werde mich bestreben zu lernen, was ein Mann bedarf. Diese Geschenke habe ich nicht verdient; ich nehme sie als eine Gnade von dem guten und armen Herzoge und von Euch, erlauchte Herzogin, und werde sie stets mit treuem Danke bewahren.«

Die Herzogin berührte mit den Fingerspitzen ihrer rechten Hand seine Locken, machte ein Kreuz auf seine Stirne, und winkte ihm, sich zu entfernen.

Er neigte sich, und tat es. Ein Mann, der mit Boreš gekommen war, trug ihm die Geschenke in eine Kammer.

Am andern Morgen reiste Maria die Markgräfin nach Österreich zurück. Sie mußte dahin, weil ihr Gatte die Burg auf dem Kahlenberge verlassen hatte, um wieder zu dem Kriege gegen Baiern zu rüsten, das ihm von seinem Halbbruder dem deutschen Könige Konrad an der Stelle des stolzen Heinrich zugewiesen worden war, und das er zu gewinnen suchte. Männer, welche schöne Eisenplatten unter ihren Pelzgewändern hatten, und Frauen in Winterkleidern begleiteten sie. Es waren österreichische Herren und Ritter, und Frauen Marias. Der junge Wladislaw und mehrere böhmische Herren schlossen sich dem Geleite an. Witiko sah aus dem Fenster seiner Kammer den Zug.

Gegen den Mittag desselben Tages kam der Abt von Ostrow, und etwas später kamen mehrere böhmische Herren: der alte Diwiš, Božebor, der alte Lubomir, Wšebor, und Chotimir.

Am Nachmittage kam der Bischof Silvester. Es war Otto der Propst von Prag bei ihm, Hugo der Propst von Wyšehrad, der Abt von Kladrau, Daniel und einige Priester.[157]

Der Bischof ging in das Krankengemach.

Als ihn der Herzog erblickte, sprach er: »Silvester, du Freund meiner jungen Tage, entbinde mich von meinen Sünden, wenn sie mir Gott verzeihen kann.«

Der Bischof kniete vor dem Bette auf einen Schemel, und tat ein kurzes Gebet. Dann wurden die Vorbereitungen gemacht, und am Abende empfing der Herzog von dem Bischofe die letzten Tröstungen des Glaubens.

Am andern Tage dem zwölften des Monates Hornung verlangte der Herzog, daß seine Angehörigen, dann die Herren und Priester, die in der Burg waren, und Witiko, zu ihm kommen. Als es geschehen war, winkte er seinen Sohn Wladislaw näher, und sprach: »Mein erstgeborner Sohn Wladislaw! du bist von dem deutschen Könige Konrad mit den Ländern Böhmen und Mähren belehnt, und von den Herren beider Länder auf dem Tage in Sadska anerkannt worden. Jetzt aber haben sie auf dem Wyšehrad deinen Vetter Wladislaw den Sohn meines verstorbenen Bruders des Herzogs Wladislaw für meinen Tod zum Herzoge gewählt. Unterwirf dich ihm, und gehorche ihm, daß die Sünden nicht werden, welche in meiner Jugend gewesen sind. Načerat wird gegen Wladislaw nicht siegen. Ihr habt meine Worte gehört, du Witiko bist noch jung, und wirst sie auf viele Jahre hin bewahren, und Adelheid wird sie meinen andern Kindern, wenn sie herangewachsen sind, verkündigen. Jetzt könnt ihr euch entfernen.«

Die Männer gingen aus einander.

Am dreizehnten Tage des Monates Hornung kamen noch mehrere Herren der Länder Böhmen und Mähren.

Am vierzehnten Tage des Monates Hornung sprach der Herzog nicht mehr, er schaute durch das Fenster, welches nicht verhangen war, gegen Morgen, wohin noch viele Zweige seines Stammvolkes wohnten, und als die Nachmittagschatten in derselben Richtung zeigten, suchten[158] seine Hände in der Wolle der Bärendecke, und strebten sich zu falten. Der Bischof gab ihnen ein silbernes Kreuz, das sie festhielten. Das Zimmer füllte sich immer mehr mit Menschen. Der Arzt wachte über den Herzog, die Priester sagten leise Gebete, und ehe das Licht des Tages schied, tat er mehrere tiefe Atemzüge, dann sanken die Lider, und die Züge wurden starr.

Der Arzt gab mit der Hand ein Zeichen, daß alles vorüber sei.

Der Bischof sagte: »Es ist vollbracht. Ihm wird das viele belohnt werden, was er Gutes tat, und das wenige verziehen, was er gesündigt hat. An ihm ist viel gesündigt worden.«

Adelheid ging gegen ein großes Kreuz des Heilandes, das in dem Zimmer stand, kniete nieder, und umschlang es mit ihren Armen. Ihr Angesicht war so bleich wie das des Toten, und ihre Augen lagen noch tiefer als die seinigen. Wladislaw stand mit Zügen da, die weißer als die getünchte Wand waren. Die andern Kinder hatte man in eine abgelegene Kammer gebracht.

Witiko entfernte sich, ging in sein Gemach, und ließ den Strom der Tränen aus seinen blauen Augen rinnen.

Ein Eilbote jagte sogleich, nachdem der Herzog die Augen geschlossen hatte, aus dem Tore. Načerat hatte Leute in der Burg, und an allen Orten zwischen Hostas Burg und Prag hatte er Pferde in Bereitschaft.

So geschah es, daß Wladislaw der Sohn des Herzogs Wladislaw am siebenzehnten Tage des Monates Hornung auf den Stuhl der Fürsten von Böhmen gesetzt wurde.

Wladislaw der Sohn des Herzoges Soběslaw floh nach Mähren.

Jetzt kamen die vorzüglichsten Männer der beiden Länder nach Hostas Burg: Načerat, Zdik, Smil mit seinen beiden Söhnen, Ben der Kriegsanführer, Domaslaw, Slawibor, Nemoy, Znata, Milota, Soben, Beneda und andere.[159] Von den umliegenden Župen kamen die Župane, und von Prag viele hohe und niedere Leute.

Die Botschaft, welche der Bischof Zdik an den Herzog beantragt hatte, war vor dessen Tode nicht mehr zu Stande gekommen.

Da die Vorbereitungen vorüber waren, wurde der Leib des verstorbenen Herzogs mit Gepränge von Gold schwarzem Sammet und edlen Gesteinen, und mit geschmückten Pferden unter dem Geleite derer, die in der Burg waren, und die sich auf dem Wege anschlossen, nach Prag geführt. Der neue Herzog ging ihm, als er dort angekommen war, entgegen, und geleitete ihn mit seinen Räten seinen Kriegern den Priestern den Herren der Stadt, mit denen, die von ferne herzu gekommen waren, und dem Volke zu der Kirche des heiligen Veit, und dann zu der auf dem Wyšehrad, und endlich zu der letzten Ruhestätte, in der er an der Seite seines Vaters Wratislaw und seiner Mutter Swatawa niedergelegt wurde.

Witiko wohnte der Bestattung bei. Sein Fuß trat noch auf Reste von Tannenzweigen, die bei der Feier der Besteigung des Herzogstuhles verwendet worden waren, und sein Auge sah noch die Spuren im Schnee, wo sich das Volk getummelt hatte, da Münzen ausgeworfen worden waren.

Als die Feierlichkeiten der Erhebung Wladislaws und der Bestattung Soběslaws vorüber waren, gingen drei Botschaften von Prag ab.

Die erste ging an die verwitwete Herzogin Adelheid, um ihr einen Trostgruß und eine Beileidsbezeugung des Herzogs zu überbringen.

Die zweite ging zu Soběslaws ältestem Sohne Wladislaw nach Mähren, daß er nach Böhmen kommen möge, er werde freundlich und in Liebe empfangen werden, und eine reichliche Ausstattung erhalten.

Die dritte ging mit hohen Männern in ihren schönsten[160] Gewändern und mit einem Zuge von Pferden, der Gewänder Gold und Kleinodien trug, in die Burg auf dem Kahlenberge bei Wien, um für den böhmischen Herzog bei Leopold dem Markgrafen von Österreich um dessen Schwester Gertrud zu werben.

Witiko wurde zu dem Herzoge beschieden. Er mußte zu ihm auf den Wyšehrad gehen. Wladislaw saß, da er zu ihm in das Gemach geführt wurde, in einem dunkelbraunen Gewande auf einem hölzernen Stuhle an einem hölzernen Tische. Mehrere seiner Freunde saßen in prächtigen Gewändern um ihn. Er war sehr ernst und blaß.

»Witiko«, sagte er, »setze dich auf einen jener Stühle.«

Witiko tat es.

»Siehst du«, fuhr er fort, indem er lächelte, »es ist doch wahr geworden, was mir der Schalk eingegeben hat.«

»Du wirst das Wort nicht im bösen Sinne aufbewahren«, sagte Witiko.

»Ich bewahre es in gutem auf«, sagte der Herzog, »unsere Freundschaft soll sich von Chynow her fortsetzen. Witiko, mein Oheim hat ein Auge auf dich gerichtet, ich will desgleichen tun.«

»Hoher Herr«, entgegnete Witiko, »ich bitte dich, daß du mich jetzt noch meiner Wege gehen lässest.«

»So hältst du mich für einen schlimmen Fürsten, dem du nicht dienen magst, wie du damals sagtest«, entgegnete der Herzog.

»Nein«, antwortete Witiko, »aber ich möchte nur meine Gedanken sammeln.«

»So sei es, wie es ist«, entgegnete der Herzog.

»Wenn ich reden darf, hoher Herr«, sagte jetzt der Sohn des Načerat, »so würde ich sagen, daß es jetzt ganz anders geworden ist, als wie ich von diesem Manne damals bei Chynow gedacht habe. Er steht gegen dich auf, und sollte vielleicht festgehalten, und wenn er stärker schuldig ist, gestraft werden. Die Soběslawer sind hartnäckig,[161] und pochen auf Macht. Da ist Bolemil mit seinen mannigfaltigen Söhnen und Enkeln, dann Diwiš und sein Anhang, dann ist der böse Lubomir, der in Daudleb mächtig ist, dann Wšebor, Božebor, und andere. Diese werden dich verderben, wenn du unserm Rat, die wir dir treu sind, nicht hörest.«

In diesem Augenblicke ging Načerat in einem sehr schönen weiten Gewande bei der Tür herein. Er sprach einige Worte leise mit dem Herzoge, und entfernte sich wieder.

Dann sagte der Herzog: »Witiko, gehe deiner Wege. Ich befehle, daß ihn niemand beschimpft oder verletzt.«

Witiko erhob sich von seinem Stuhle, verneigte sich, und ging.

Er ritt auf seinem grauen Pferde zu Silvester, der nach der Niederlegung seines Amtes wieder in dem Kloster Sazawa, dessen Abt er früher gewesen war, wohnte, und dankte ihm. Dann ritt er wieder gegen den Mittag des Landes.

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 5, Wiesbaden 1959, S. 96-162.
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