b.

[121] Es kam einmal eine alte Frau des Abends zu einem Müller und bat um Nachtquartier. Der Müller nahm sie freundlich auf, gab ihr zu essen und zu trinken und wies ihr ein warmes Bett an. Am andern Morgen, als die Frau weiter gehen wollte, dankte sie dem Müller vielmals und konnte des Dankens kein Ende finden, sondern fing immer wieder von vorne an. Zuletzt sprach der Müller: »Ich muß nach meinen Leuten sehen,« sie aber bedankte sich nochmals und sagte: »Sehet, ich habe hier ein Büchlein, das will ich euch geben; wenn ihr fleißig darin leset, so ist es euch mehr wert als eine Kanne voll Goldstücke.« Der Müller nahm es mit Dank an und las auch fleißig darin. – Eines Abends, als der Müller grade bei seinem Buche saß, hörte er auf einmal ein Geschrei bei seinem Hause, und es dauerte nicht lange, so kamen sechs große bewaffnete Männer, klopften an das Fenster und begehrten mit lauter Stimme Einlaß. Der Müller weckte seine Frau und Tochter, die schon zur Ruhe waren, und dann ging er hin und öffnete den Männern das Haus. Diese waren sehr zornig, daß er sie so lange habe warten lassen, und sprachen: »Du alter Mehlwurm, hast wohl schon manchen betrogen!« Der Müller antwortete: »Kommt nur herein, ihr könnt essen, was ihr wollt.« Die Räuber sprachen: »Wir sind auch sehr hungrig, und wenn du uns auch nichts geben wolltest, wollten wir doch schon was bekommen.« Der Müller trug ihnen ganz dienstfertig auf Wein, Butter, Käse und alles was sie nur wünschten, und sagte: »Nun esset und[121] trinket, meine Frau und Tochter sollen euch aufwarten, wenn noch was fehlt, könnt ihr es nur sagen.« Dann sah er vor sich hin und betete. Die Räuber riefen: »Du alter Schurke, es soll ohne Beten wohl schmecken.« Der Müller antwortete: »Esset nur zu.« Da wollten sie zugreifen, aber mit einem Male standen alle fest, und niemand rührte sich. Der Müller sprach: »So faßt doch zu, ihr rohen Gäste!« Da sahen sie sich alle an, aber ihre Glieder waren nicht beweglich. Und der Müller sprach weiter: »Für diesmal will ich euch wieder gehen lassen, denn wenn ich euch so lange festhalte, bis die Sonne aufgeht, werdet ihr alle schwarz wie die Nacht. Und machet, daß ihr aus dieser Gegend fortkommt, sonst, wenn ich euch nochmals treffe, so sollet ihr fällig sein.« Seit dieser Zeit hat man in der Gegend nichts mehr von Räubern gehört. – Ein ähnliches Festmachen kommt vor 204 x, y. – »In meinem Heimatdorfe H. wohnte ein Mann, der einen Strumpfhandel trieb. Wenn die Strümpfe gewaschen und gewalkt waren, mußten sie einige Tage und Nächte draußen aufgehängt bleiben. Gestohlen wurde nichts. Der Mann ›besprach‹ die Wäsche, das war bekannt, und nach Strümpfen lüsterne Diebe mieden den Hof wie die Pest.« (Cloppenburg.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. CXXI121-CXXII122.
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