v.

[190] Hinter dem Feuerherde in meinem elterlichen Hause lagen nebeneinander 2 Zimmer, ein größeres, das als Wohnstube oder als sogenannte gute Stube diente, und ein kleineres, das meine Schlafstube war. Eines Nachts konnte ich nicht zum Einschlafen kommen. Während ich so dalag und auf das geringste Geräusch im Hause achtete, vernahm ich plötzlich in dem nebenanliegenden Zimmer Schritte, ich hörte deutlich, wie jemand die Tür desselben öffnete, heraustrat, auf mein Zimmer zuging, hier eintrat und sich an der neben meinem Bette befindlichen Truhe zu schaffen machte. Ich hörte wie er sie öffnete, mit Geräusch wieder zuschnappen ließ und sich darauf entfernte. Ich wagte vor Angst nicht zu atmen, hörte noch eine Weile zu, ohne etwas zu vernehmen, kroch schließlich tief unter's Bett und schlief ein. Gesehen hatte ich in der Finsternis nichts, ich hatte nur das Gehen, Öffnen und Wiederzuschlagen des Koffers vernommen. Im Hause wußte man am andern[190] Morgen von nichts. Nach Jahresfrist starb in der Nacht meine Mutter, man brachte die Leiche in das Wohnzimmer, und die Nachbarfrauen erschienen, um sie auszukleiden. Nachdem die Vorbereitungen getroffen waren, gab man mir den Rat, zu Bette zu gehen, helfen könnte ich nicht und nach den Aufregungen des letzten Tages täte mir die Ruhe gut. Ich fügte mich, suchte mein Lager auf, aber an Schlaf war nicht zu denken. Im Hause große Stille, von den Arbeiten im Nachbarzimmer drangen nur ab und zu unbestimmte Geräusche zu mir herüber. Da auf einmal geht dort die Tür auf, ich höre Tritte, sie nähern sich meinem Zimmer, jemand kommt herein, geht an die Truhe heran, öffnet sie, läßt sie wieder ins Schloß fallen und verläßt meine Kammer. Genau dasselbe hatte sich wiederholt, was mir vor Jahresfrist bange Stunden verursacht hatte. Damals führte alles Fragen zu nichts, diesmal aber erfuhr ich den Grund des nächtlichen Besuches. Man hatte aus der Truhe ein Hemd geholt, das als Totenhemd verwendet werden sollte. (Emstek.)

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. CXC190-CXCI191.
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